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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Introduction of a point score to be able to judge the risks of damaging the recurrent nerve during thoracic surgery

Einführung eines Punktescores zur Beurteilung des Risikos einer N. recurrens-Schädigung bei thoraxchirurgischen Operationen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Berit Schneider - Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Univ.HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Michaela Zumtobel - Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Univ.HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Michael Kundi - Zentrum für Public Health, Institut für Umwelthygiene, Medizinische Universität Wien, Österreich
  • author Bettina Schickinger-Fischer - Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Univ.HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Gudrun Mancusi - Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Univ.HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Wolfgang Bigenzahn - Klinische Abteilung Phoniatrie-Logopädie, Univ.HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • Walter Klepetko - Klinische Abteilung für Herz-Thoraxchirurgie, Univ.Klinik für Chirurgie, Wien, Österreich
  • author Adelheid End-Pfützenreuter - Klinische Abteilung für Herz-Thoraxchirurgie, Univ.Klinik für Chirurgie, Wien, Österreich

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppV34

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp042.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Schneider et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Abstract

Due to the known impact of permanent recurrent laryngeal nerve paralysis (RLNP) on postoperative complications and quality of life, pre- and postoperative laryngoscopic examinations should become routine in patients who have to undergo a thoracic surgery. But not all surgical interventions have to be regarded as being of risk of a RLNP.

Goal of the study was the development and introduction of a risk score in order to evaluate the probability of an intraoperative recurrent laryngeal nerve damaging in thoracic surgeries.

From May 2002 to June 2003, 379 patients were enrolled in this study. Seven patients had already preoperatively a unilateral RLNP. In 28 patients the RLNP was diagnosed postoperatively: in 11 patients the RLNP recovered and 10 patients had a permanent one. Two patients died before follow-up, 5 patients could not be re-examined due to bad health conditions.

With the data of these patients 11 surgery-related parameters could be identified statistically to have a potential impact on the RLNP probability. A score of at least 2 points indicates an increased risk of a postoperative unilateral RLNP. Preoperative risk scores of 4 and more points indicate a high probability of RLNP.

Thus, a pre- and postoperative laryngoscopic examination should be the matter of routine in those patients, who have to undergo a thoracic surgery with a preoperative RLNP risk score of at least 2 points.


Text

Einleitung

Der N. recurrens unterliegt aufgrund seines besonderen anatomischen Verlaufs bei operativen Eingriffen am Hals und im Thorax bekanntlich einem erhöhten Schädigungsrisiko, in der Thoraxchirurgie vor allem bei linksseitigen Lungenoperationen wie Lobektomien und Pneumonektomien bzw. bei Operationen von Mediastinaltumoren, Trachealresektionen, Ösophagusresektionen mit linksseitiger zervikaler Anastomose bei Magenhochzug (Akiyama) und Mediastinoskopien (hier insbesondere beim Lymphknoten-Staging von Bronchialkarzinomen).

Angaben in der Literatur zu Häufigkeiten von postoperativen einseitigen Rekurrensparesen (unilateral recurrent nerve paralysis=URLNP) nach thoraxchirurgischen Operationen schwanken zwischen 7,0% und 36,2% [1], [2], [3], [4], [5], [6]. In eigenen Untersuchungen an 379 Patienten konnte eine postoperative Inzidenz von 7,4% (permanent: 4,4%) gefunden werden. Bei solch gering erscheinender Zahlen wird im Hinblick auf den hohen personellen und organisatorischen Aufwandes einerseits und die hohen Patientenzahlen in der Thoraxchirurgie andererseits die Sinnhaftigkeit routinemäßiger prä- und postoperativer laryngologischer Untersuchungen immer wieder in Frage gestellt.

Ziel der Studie war es, wesentliche Prädiktoren für eine postoperative URLNP herauszuarbeiten, um einen Score zur Beurteilung des intraoperativen Schädigungsrisikos des N. recurrens zu erstellen und Empfehlungen für die Patientengruppen geben zu können, die einem besonderen Risiko eine URLNP unterliegen.

Methoden

Patienten

In Kooperation der Abteilungen für Herz-Thoraxchirurgie und Phoniatrie-Logopädie wurden im Rahmen einer prospektiv angelegten Studie im Zeitraum von Mai 2002 bis Mai 2003 konsekutiv 379 Patienten (243 männlich, 136 weiblich) im Alter 56,7 Jahren (von 14 bis 90 Jahre) vor und nach thoraxchirurgischen Eingriffen laryngoskopisch untersucht. Präoperativ bestand bei 7 Patienten bereits eine Rekurrensparese. Die postoperative Kontrolle erfolgte um den 2. postoperativen Tag, bei 35 Patienten konnte sie aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden. Eine URLNP wurde bei 28 Patienten (27 links, 1 rechts) postoperativ erstdiagnostiziert.

Von allen Patienten wurden anhand der zur Verfügung stehenden Krankenunterlagen (Operationsbericht, histologischer Befund etc.) umfassende Datenerhebungen durchgeführt (Tabelle 1 [Tab. 1]). Hinsichtlich der Lage des N. recurrens in Bezug zum Operationsgebiet erfolgte aus anatomischer Sicht die Einteilung der thoraxchirurgischen Eingriffe in „low risk" und „high risk". Damit sollten über statistische Analysen Prädiktoren für das Risiko einer postoperativen URLNP herausgearbeitet werden.

Statistische Untersuchungen

Im ersten Schritt wurden alle potentiellen Prädiktoren hinsichtlich der Häufigkeit einer postoperativen Rekurrensparese untersucht. Nach sachlichen Erwägungen sowie der beobachteten Häufigkeit wurden sodann Kategorien zusammengefasst, um kleine Besetzungszahlen zu vermeiden.

Im zweiten Schritt wurde die Hazard-Ratio bzgl. jeder Kategorie (bezogen auf eine Referenzkategorie) mittels logistischer Regression ermittelt. Da die Inzidenz postoperativer Rekurrensparesen (28/379) sehr niedrig war, konnte keine multivariate Analyse durchgeführt werden. Stattdessen wurde auf der Basis signifikanter Hazard-Ratios ein Punktescore ermittelt, wobei signifikant erhöhte Hazard-Ratios durch die Hinzufügung, signifikant erniedrigte Hazard-Ratios durch den Abzug eines Punktes eingingen. Ein Abzug erfolgte nur dann, wenn bereits Punkte vorlagen, so dass nur Punktwerte größer oder gleich Null auftreten können. Dieser Punktescore wurde abermals einer logistischen Regression unterzogen, für alle Analysen wurde ein p<0,05 als signifikant angesehen.

Ergebnisse

Tabelle 1 [Tab. 1] gibt Aufschluss über alle potentiellen Prädiktoren (Operationsgebiet, operativer Zugang, Operationsseite, Dignität/Pathologie der Erkrankung, Lymphadenektomie und intraoperatives Risiko je nach Eingriff im bzw. außerhalb des vermuteten anatomischen Verlaufs) und die Häufigkeit postoperativer URLNP.

Die meisten Operationen wurden an der Lunge durchgeführt, gleichzeitig traten bei diesen Operationen die meisten postoperativen URLNP auf, so dass eine detaillierte Aufschlüsselung der Lungeneingriffe unter Angabe der jeweiligen Häufigkeiten postoperativer URLNP erfolgte (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Die statistischen Untersuchungen der einzelnen potentiellen Prädiktoren ergab für einige ein deutlich erhöhtes Risiko einer URLNP, für andere dagegen ein vergleichsweise geringes Risiko: hinsichtlich der Operationsseite fand sich bei Operationen von links thorakal ein 15-fach erhöhtes Risiko (p=0,009); ein Eingriff von median durchgeführt hat ein 36-fach erhöhtes Risiko einer Rekurrensschädigung (p=0,03); bei zervikalem Eingriff besteht ein 20-fach erhöhtes Risiko (p=0,08) und mit Zugang von links sogar ein 146-fach erhöhtes Risiko (p=0,00). Anschließend wurde das Risiko im Falle einer Lungenoperation untersucht: bei operativen Eingriffen wie Klemmen-/Wedge-/Segmentresektionen und Probethorakotomien (Gruppe 1, Tabelle 2 [Tab. 2]) besteht ein 65-fach geringeres Risiko (p=0,021) für eine postoperative URLNP als bei den anderen Lungenoperationen (Gruppen 2-4 in Tabelle 2 [Tab. 2]). Bei einer Lungenoperation, die von links thorakal durchgeführt wird, besteht insgesamt ein 17-fach erhöhtes Risiko (p=0,07), bei Zugang von zervikal sogar ein 74-fach erhöhtes Risiko (p=0,05). Hinsichtlich Operationen im Mediastinum zeigte sich ein erhöhtes Risiko einer URLNP bei operativen Zugang per Sternotomie (p=0,05) und von zervikal (p=0,03)

Aus den statistischen Untersuchungen der anderen Parameter konnten keine weiteren prädiktiven Hinweise gewonnen werden, so dass unter Verwendung der in Kürze dargestellten Ergebnisse ein Score zur präoperativen Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer postoperativen URLNP erstellt wurde (Tabelle 3 [Tab. 3]).

Der Abzug eines Punktes kann nur erfolgen, wenn bei Zutreffen anderer Kriterien bereits ein Score größer 0 vorliegt, d.h. der Score kann nicht kleiner als Null sein.

Nach nochmaliger logistischer Regression konnte gezeigt werden (Abbildung 1 [Abb. 1]), dass ab einem Score von 2 Punkten bereits ein steigendes Risiko für eine postoperative RLNP besteht. Ab einem Score von 4 Punkten besteht bereits eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit einer postoperativen URLNP.

Diskussion

Der hier vorgestellte Score wurde entwickelt, um vor geplanten thoraxchirurgischen Eingriffen das Risiko einer postoperativen URLNP beurteilen zu können. In diesen Score gehen risikoreiche Prädiktoren mit einem Punkteanstieg, risikoarme Prädiktoren dagegen mit einem Punkteabzug ein. Er hilft dem Operateur, die Indikation für die Zuweisung zu einer prä- und postoperativen Untersuchung zu stellen. Da ab einem Punktescore von 2 bereits ein erhöhtes Risiko einer intraoperativen Schädigung des N. recurrens vorliegt, wird allen Thoraxchirurgen eindringlich empfohlen, möglichst ab diesem Wert eine prä- und postoperative laryngoskopische Untersuchung durch einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder Phoniater durchführen zu lassen.


Literatur

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3.
Pierie JP, Goedegebuure S, Schuerman FABA, Leguit P (2000) Relation between functional dysphagia and vocal cord palsy after transhiatal oesophagectomy. Eur J Surg 166:207-209.
4.
Orringer MB, Marshall B, Iannettoni MD (2001) Transhiatal esophagectomy for treatment of benign and malignant esophageal disease. World J Surg 25:196-203.
5.
Filaire M, Mom T, Laurent S, Harouna Y, Naamee A, Vallet L, Normand B, Escande G (2001) Vocal cord dysfunction after left lung resection for cancer. Eur J Cardiothorac Surg 20:705-711.
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Mom T, Filaire M, Advenier D, Guichard C, Naamee A, Escande G, Llompart X, Vallet L, Gabrillargues J, Courtalhiac C, Claise B, Gilain L (2001) Concomitant Type I thyroplasty and thoracic operations for lung cancer: preventing respiratory complications associated with vagus or recurrent laryngeal nerve injury. J Thorac Cardiovasc Surg 121:642-648.