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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Persistierende phoniatrische Beschwerden nach Anästhesie: eine Ursachen-Diskussion

Persistent phoniatrical complaints following anaesthesia: a discussion of reasons

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Michael Fuchs - Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, Leipzig, Deutschland
  • author Steffen Friese - Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Leipzig, Deutschland
  • author Derk Olthoff - Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Leipzig, Deutschland
  • author Götz Gelbrich - Universität Leipzig, Koordinationszentrum für Klinische Studien, Leipzig, Deutschland
  • author Lutz Schaffranietz - Universitätsklinikum Leipzig AöR, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Leipzig, Deutschland

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppV36

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp035.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Fuchs et al.
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Zusammenfassung

Ziel der Studie war es, an einem großen Patientenkollektiv den Einfluss möglicher Faktoren auf persistierende Beschwerden der Stimme und des Schluckens nach Anästhesie zu untersuchen, wobei als primärer Endpunkt das subjektive Befinden des Patienten definiert wurde.

An 10.013 erwachsenen Patienten, bei denen zwischen 07/02-03/04 eine Intubation, Larynxmasken-, Maskennarkose oder Regionalanästhesie erfolgte, führten wir am 1. postoperativen (p.o.) Tag Befragungen hinsichtlich des Auftretens von Heiserkeit und Schluckbeschwerden mit einer visuellen Analogskala durch. Am 3. bzw. 7. p.o. Tag erfolgten gegebenenfalls weitere Befragungen. Im Falle des Fortbestehens wurde den Patienten eine phoniatrische Untersuchung angeraten.

Nach einer Intubationsnarkose haben folgende Faktoren einen signifikanten Einfluss auf die Entstehung der Beschwerden: Alter, Geschlecht, Intubationsdauer, Verwendung von Lokalanästhesie-Gel, Rachentamponade oder Magensonde sowie postoperatives Erbrechen. Keinen signifikanten Einfluss hatten der Ausbildungsstand des Anästhesisten sowie der Schwierigkeitsgrad der Intubation. Der phoniatrischen Diagnostik unterzogen sich 36 von 55 Patienten (65,5%), die noch am 7. p.o. Tag über Beschwerden klagten. Dabei waren in nur drei Fällen (0,04%) eine partielle Recurrensparese bzw. in einem Fall (0,01%) ein Stimmlippenhämatom nachweisbar. Nach einer Intubation tritt häufiger Heiserkeit auf als nach der Larynxmaske (OR=2.3, 95% CI: 1.8-3.1). Nach Larynxmasken gibt es häufiger Schluckbeschwerden als Heiserkeit (p<0.001), nach Intubationen ist es umgekehrt (p<0.001).


Text

Einleitung

Die Angaben über die Häufigkeit pharyngolaryngealer Beschwerden nach Narkosen schwanken in der Literatur zwischen 12,1% und 90,4% [3], [4]. Dabei können im phoniatrischen Bereich insbesondere als Ausdruck eines vorwiegend laryngotrachealen Beschwerdebildes Heiserkeit bis zur Aphonie und im Rahmen einer vorwiegend pharyngealen Symptomatik Schluckbeschwerden auftreten. Häufig zeigen diese Beschwerden eine spontane Regredienz innerhalb weniger Stunden oder Tage. Bestehen sie jedoch fort, wird der Phoniater nicht nur mit der Diagnostik und Therapie beauftragt, sondern nicht selten auch bezüglich des Zusammenhangs zwischen Anästhesie und Beschwerden befragt. Ziel der Studie war es daher, an einem großen Patientenkollektiv den Einfluss möglicher Faktoren auf persistierende Beschwerden der Stimme und des Schluckens nach anästhesiologischen Maßnahmen der Atemwegsfreihaltung zu untersuchen, wobei als primärer Endpunkt das subjektive Befinden des Patienten definiert wurde.

Methode

In die Studie wurden alle Patienten des klinischen OP-Routineprogramms des Universitätsklinikums Leipzig im Untersuchungszeitraum von 07/2002 bis 03/2004 eingeschlossen. Dies betraf 10.013 erwachsene (> 17 Jahre), stationär behandelte Patienten aller operativer Fachrichtungen. Patienten mit folgenden Bedingungen wurden aus der Untersuchung ausgeschlossen: psychiatrische Erkrankungen, mangelnde Compliance, Eingriffe an Larynx, Hypopharynx und oberem Oesophagus, Nachbeatmung > 12 h, primär fiberoptische Intubation, Tracheal-Kanülenträger, wiederholte tracheale Intubation innerhalb von 3 Tagen.

Während des präoperativen Aufklärungsgesprächs wurden alle Patienten zu verschiedenen relevanten Zuständen (Zahnstatus, präoperative Heiserkeit, Infekte der oberen Luftwege, Schluckbeschwerden) befragt. Bei allen Patienten wurde präoperativ der Mallampati-Score [6] ermittelt. Am Tag der Operation erhoben wir in der Untergruppe von Patienten, die sich einer Intubation (IN) unterzogen, während der Laryngoskopie zusätzlich den Score nach Cormac-Lehane (CLS) [1]. Desweiteren erfolgte durch den Intubierenden (klassifiziert nach Ausbildungsstand) die Erfassung von Intubationsschwierigkeiten, Einsehbarkeit des Kehlkopfs, Anwendung des BURP-Manövers (backward, upward and rightward pressure [5]), sowie die Benutzung eines Lokalanästhesie-Gels mit Lidocain-Zusatz (InstillagelTM, Farco-Pharma GmbH, Köln, Germany). Zur Intubation kamen ausschließlich Tuben mit Niederdruck-Cuffs zum Einsatz. Für Frauen wurden dabei in der Regel Tuben mit einem ID von 7.0 bzw. 7.5 und für Männer von 8.0 bzw. 8.5 eingesetzt.

Alle Patienten wurden am 1. postoperativen Tag nachbefragt. Dabei wurde für den beabsichtigten Literaturvergleich ein laryngeal-trachealer Symptomenkomplex (Heiserkeit bis zur Aphonie) und ein vorwiegend pharyngeales Beschwerdebild (Schluckbeschwerden) erfasst und die Patienten um die entsprechende subjektive Einschätzung mittels visueller Analogskala (1-10 cm) gebeten. Klagten die Patienten am 1. postoperativen Tag über diese Beschwerden, erfolgte eine weitere Befragung am 3. postoperativen Tag, im Falle einer weiteren Persistenz nochmals am 7. postoperativen Tag. Bei an diesem Tag fortbestehenden subjektiven Beschwerden wurde dem Patienten eine phoniatrische Untersuchung inklusive Videolaryngo-stroboskopie empfohlen. Die statistische Auseertung erfolgte mittels SPSSTM 10.0 (SPSS Corp.) auf einem Signifikanzniveau von p < 0.05 für alle Tests.

Ergebnisse

Insgesamt 55 Patienten nach trachealer Intubation bzw. Applikation einer Larynxmaske wiesen am 7. postoperativen Tag noch subjektive Beschwerden auf, 36 Patienten (65.5%) unterzogen sich der phoniatrischen Untersuchung. Dabei wurden folgende für die vorliegende Studie relevante Befunde erhoben:

- 8 Patienten mit Befunden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit intubationsbedingt verursacht wurden: 3 einseitige Stimmlippenparesen (0.04%), 2 Stimmlippenhämatome (0.02%), 2 Intubationsgranulome (0.02%), 1 Stimmlippenrötung und -Gefäßinjektion (0.01%)

- Bei 11 Patienten bestand aus phoniatrischer Sicht ein nur fraglicher Zusammenhang zwischen den erhobenen Befunden und der Intubation (z.B. 1 operationsbedingte Recurrensparese nach Carotis-Thrombendarteriektomie).

- Bei 17 Patienten bestand kein Zusammenhang zwischen den phoniatrischen Befunden und der anästhesiologischen Freihaltung der Atemwege (dabei unter anderen 6 Normalbefunde, 4 entzündliche Prozesse, 5 funktionelle Dysphonien).

Während nach Intubation häufiger Heiserkeit auftritt als nach der Larynxmaske (OR=2.3, 95% CI: 1.8-3.1), unterscheiden sich die Häufigkeiten von Schluckbeschwerden nicht signifikant (OR=1.05, 95% CI: 0.85-1.32). Das Auftreten eines der beiden Symptome Schluckbeschwerden und Heiserkeit macht das Auftreten des jeweils anderen Symptoms wahrscheinlicher (OR=6.2, 95% CI: 5.3-7.3).

Die statistische Analyse mittels logistischer Regression (Odd´s ratio, OR) ergab, dass bezüglich des Auftretens aller postoperativen Beschwerden (Heiserkeit, Aphonie, Schluckbeschwerden) am 1. postoperativen Tag nach trachealer Intubation folgende 9 Einflussfaktoren als hoch signifikant einzuschätzen sind (Angaben in Klammern: OR;95% CI für OR;p-Test auf OR=1): weibliches Geschlecht (1,51;1,33-1,71;<0,001), präoperative Heisereit (1,47;1.01-2,14;0,046), Anzahl der Intubationsversuche (1,18;1,06-1,31;0,002), Eingriffe in der Halsregion (1,42;1,14-1,76;0,0002), Verwendung von Lokalanästhesie-Gel (1,62;1,04-2,52;0,033), Rachentamponade (1,54;1,24-1,91;<0,0001) und nasogastraler Sonde (1,28;1,05-1,57;0,017), Intubationsdauer (jede weitere Stunde, bis zu 4 Stunden: 1,25;1,18-1,32;<0,001) und Auftreten von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) (1,25;1,05-1,49;0,014).

Als nicht signifikante Einflussgrößen bei der Intubation fanden sich: Alter (p=0,09), Cormac Lehane Score (p=0,09), Körpergewicht (p=0,56) gute Beatmungsbedingungen (p=0,56), Qualifikation des Anästhesisten (4 Gruppen, p=0,11), Cuff-Druck (p=0,11), Patientenposition (p=0,37) und die Verwendung von Lachgas (p=0,46).

Für das Auftreten aller Beschwerden nach Applikation einer Larynxmaske war lediglich das Körpergewicht (KG) des Patienten als signifikanter Faktor ausschlaggebend (je 10 kg KG: 1,23;1,08-1,39;0,001). Bei Patienten nach Maskennarkosen sowie nach Regionalanästhesien wurden am 7.p.o. Tag keine Beschwerden festgestellt, so dass keine phoniatrische Vorstellung notwendig war.

Diskussion

Die Ergebnisse ermöglichen an einem großen Patientenkollektiv erhobene, statistisch gesicherte Aussagen über die Häufigkeit phoniatrischer Beschwerden nach Anästhesie und über mögliche Ursachen. Diese Informationen können dem weiterbehandelnden Phoniater helfen, die Zusammenhangsfrage abzuschätzen und bei einer eventuellen präoperativen Beratung das Risiko für persistierende Beschwerden von Patienten - nicht nur in stimmintensiven Berufen - zu benennen.

Aus methodischer Sicht ist die nicht bei allen 10.013 Patienten erfolgte prä- und postoperative phoniatrische Diagnostik kritisch. Da dies bei einem so großen Patientenkollektiv nur schwer realisierbar ist, wurden als primärer Endpunkt das subjektive Befinden des Patienten und die quantitative Bewertung mittels visueller Analogskala definiert. Die Inzidenz schwerwiegender, permanenter laryngopharyn-gealer Schäden nach trachealer Intubation ist mit 0,07% gering. Wie die Daten der vorliegenden Untersuchung zeigen, ist bei weitem nicht jeder postoperativ auftretende phoniatrische Befund tatsächlich mit der Durchführung einer trachealen Intubation bzw. der Platzierung einer Larynxmaske in Zusammenhang zu bringen. Eine Reihe weiterer Faktoren konnten gefunden werden. Diese müssen daher in jedem einzelnen Fall individuell diagnostiziert und diskutiert werden. In einer Studie von Friedrich et al [2] wurde bei schilddrüsenfernen Operationen eine recht hohe Inzidenz des Auftretens von Recurensparesen (1.4% für transiente und 0.5% für permanente) beschrieben. Diese hohe Inzidenz permanenter Recurrensparesen infolge anästhesiologischer Maßnahmen ließ sich mit den vorliegenden Ergebnissen nicht reproduzieren.

Insbesondere bei Risikopatienten empfiehlt sich eine postoperative Visite zur Detektion derartiger Beschwerden. Patienten mit Schilddrüsenresektionen sollten prä- und postoperativ in jedem Falle einem Phoniater vorgestellt werden, um eine operationsbedingte Störung der Stimmbandfunktion zu erkennen [2]. Auch allen anderen Patienten, die am siebenten postoperativen Tag noch über Beschwerden klagen, sollten auch im Hinblick auf mögliche iatrogen verursachte Schäden, in einer phoniatrischen Fachabteilung vorgestellt werden.


Literatur

1.
Cormac RS, Lehane J (1984) Difficult tracheal intubation in obstretics. Anaesthesia 39:1105-11
2.
Friedrich T, Hänsch U, Eichfeld U, Steinert M, Staemmöer A, Schönfelder M (2000) Die Recurrensparese als Intubationsschaden? Chirurg 71:539-44
3.
Higgins PP, Chung F, Mezei G (2002) Postoperative sore throat after ambulatory surgery. Br J Anaesth 88:582-4
4.
Kloub R (2001). Sore throat following tracheal intubation. M E J Anesth 16:29-40
5.
Knill RL (1993) Difficult laryngoscopy made easy with a "BURP". Can J Anaesth 40:279-82
6.
Mallampati SR, Gatt SP, Gugino LD, Desai SP, Waraks B, Freiberger D, Liu PL (1985) A clinical sign to predict difficult intubation: a prospective study. Can Anaesth Soc J 32:429-34