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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Erhöhte Prävalenz spontaner otoakustischer Emissionen bei Kindern mit selektiver Hörstörung

Spontaneous Otoacoustic Emissions Enhancement in Children with Reduced Speech-in-Noise Intelligibility

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Anja Elgeti - Münster University Hospital, Department of Phoniatrics and Pediatric Audiology, Münster, Germany
  • author Arne Knief - Münster University Hospital, Department of Phoniatrics and Pediatric Audiology, Münster, Germany
  • author Peter Matulat - Münster University Hospital, Department of Phoniatrics and Pediatric Audiology, Münster, Germany
  • author Claus-Michael Schmidt - Münster University Hospital, Department of Phoniatrics and Pediatric Audiology, Münster, Germany
  • author Antoinette Gertrud Dinnesen - Münster University Hospital, Department of Phoniatrics and Pediatric Audiology, Münster, Germany

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppP29

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp022.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Elgeti et al.
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Zusammenfassung

Kinder mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) mit dem Subtyp Selektionsstörung haben Schwierigkeiten, Sprache im Störschall zu erkennen. Dabei wird angenommen, dass die Funktion des medioolivocochleären Bündels (MOCS) eine wichtige Rolle spielt. Wir untersuchten 27 Kinder (9 Mädchen, 18 Jungen im Alter von 5,7 bis 13,1 Jahre) mit Verdacht auf AVWS, die in der verwendeten Testbatterie Auffälligkeiten im Bereich des Sprachverständnisses mit Hintergrundgeräuschen zeigten. Hierzu wurden ein Binaural Intelligibility Level Difference Test (B.I.L.D.-Test) und ein Test zum Sprachverständnis im Störgeräusch ausgewählt. Eine Kontrollgruppe mit unauffälligen Testergebnissen wurde nach Alter und Geschlecht eins zu eins gebildet. Die Frequenzen und Prävalenzen der spontanen otoakustischen Emissionen (SOAE) beider Gruppen wurden verglichen. Die Verteilung der Frequenzen zeigte zwischen den beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede. Bei den Kindern mit Selektionsstörung wurde eine signifikant höhere Prävalenz der SOAE gegenüber der Kontrollgruppe festgestellt: bei 85% der Kinder mit selektiver Hörstörung ließen sich SOAE nachweisen, bei der Kontrollgruppe waren es nur 45%. Dies könnte Ausdruck einer Enthemmung der äußeren Haarzellen bei Störung des MOCS sein. Eine erhöhte Prävalenz der SOAE könnte als Anhaltspunkt für eine AVWS, Subtyp Selektionsstörung, gewertet werden.


Text

Einleitung

Eine Subpopulation der Kinder mit AVWS (auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen) stellen Kinder mit reduziertem Sprachverständnis im Störgeräusch dar. In früheren Studien zeigte sich bereits ein Zusammenhang zwischen dem reduziertem Sprachverständnis im Störschall und der Funktion des medialen olivocochleären Bündels (MOCS) [1], [2]. Das MOCS führt kreuzende, aber auch ipsilaterale Bahnen, welche an den äußeren Haarzellen enden, und dort die otoakustischen Emissionen (OAE) modulieren können. Die Messung der OAE erlaubt uns indirekte Aussagen über die Funktion des MOCS. Die Amplitudenreduktion von OAE durch das MOCS nach kontralateraler Stimulation war Gegenstand vieler Studien. Giraud et al. [3] stellte eine reduzierte kontralaterale Unterdrückung evozierter otoakustischer Emisionen (EOAE) bei Patienten mit durchtrenntem Hörnerv fest. Eine ähnliche Reduktion der Unterdrückung von transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) wies Muchnik et al. [4] bei Kindern mit AVWS nach. Wir untersuchten die spontanen otoakustischen Emissionen von Kindern mit einer selektiven Hörstörung und somit vermutlich veränderter Funktion des MOCS, als Hinweis auf eine AVWS, Subtyp selektive Hörstörung.

Material und Methoden

54 Kinder (18 Mädchen, 36 Jungen) im Alter von 5,7 bis 13,1 Jahren (mittleres Alter 8,09) wurden in diese Studie einbezogen. 27 der Kinder litten an einer selektiven Hörstörung. Die Gruppen wurden eins-zu-eins nach Alter und Geschlecht gematched. In allen Fällen lagen ein normales Tonaudiogramm und Tympanogramm sowie TEOAE mit einer Reproduzierbarkeit von mindestens 60% in allen Frequenzen vor. Alle Kinder erreichten in einer psychologischen Beurteilung mindestens einen IQ von 85. Die Subgruppe mit selektiver Hörstörung wurde anhand unserer AVWS-Diagnostik-Testbatterie identifiziert. Diese Testbatterie beinhaltet: Tonaudiometrie, Sprachverständnis im Störschall, Binaural Intelligibility Level Difference Test (B.I.L.D), dichotische Tests, Gap Detection Test, vergleichende Stapediusreflex-Messung für Sinustöne und Schmalbandrauschen und Messung von TOAE und SOAE. Kinder, die im B.I.L.D.-Test und beim Sprachverständnis im Störschall Auffälligkeiten zeigten, wurden in die Studie eingeschlossen. Die Kinder der Kontrollgruppe zeigten normale Ergebnisse in diesen Tests. Die Messung der spontanen otoakustischen Emissionen (SOAE) wurde nach der von Bray und Kemp [5] entwickelten Methode durchgeführt. Frequenzen, Amplituden und Prävalenzen der SOAE (ab 5 dB über dem Rauschen) beider Gruppen wurden verglichen.

Ergebnisse

Beim Verteilungsmuster der Frequenzen konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Mindestens 75% der SOAE traten im Frequenzbereich zwischen 1 und 3,5 kHz auf, dies galt auch getrennt für das rechte und das linke Ohr. Im Frequenzbereich zwischen 0,5 kHZ und 2kHz konnte eine besondere Häufung der SOAE festgestellt werden: bei den Kindern mit selektiver Hörstörung befanden sich hier 43%, in der Kontrollgruppe 54% der SOAE (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Insgesamt waren bei 85% der Kinder mit selektiver Hörstörung und bei 44% der Kinder der Kontrollgruppe SOAE nachweisbar (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dies bedeutet eine signifikante Erhöhung der Prävalenz (Chi-Quadrat-Test, Chi Quadrat 8,12 p=0,004). Durchschnittlich zeigten die Kinder in der Gruppe mit selektiver Hörstörung 1,48 SOAE links und 2,52 SOAE rechts, in der Kontrollgruppe 0,32 SOAE links und 0,67 SOAE rechts. Dieser Unterschied zwischen beiden Gruppen ist unter Verwendung des Man-Withney Wilcoxon Testes signifikant (p<0,025). Vergleicht man die Prävalenzen der Kinder mit nachweisbaren SOAE, so ergibt sich für die Gruppe mit selektiver Hörstörung ein Wert von 4,56 SOAE pro Kind (2,6 pro Ohr) gegenüber 2,17 SOAE pro Kind (1,52 pro Ohr) bei der Kontrollgruppe. Weiterhin wurden die Amplituden der SOAE verglichen. Es wurde eine Einteilung in SOAE >2,5 dB, >5dB, >7,5dB und >10dB über dem Rauschen vorgenommen. In allen vier Gruppen konnte eine erhöhte Prävalenz von SOAE bei den Kindern mit selektiver Hörstörung nachgewiesen werden. Sie lag in der Gruppe mit selektiver Hörstörung rechts 3,14- bis 4,43-mal und links 3,07- bis 4,63-mal höher als in der Kontrollgruppe.

Diskussion

Eine Beteiligung des MOCS an der Spracherkennung mit Hintergrundgeräuschen belegte bereits Giraud et al. [2]. Unsere Ergebnisse zeigen bei selektiver Hörstörung ebenfalls eine enthemmte Aktivität der äußeren Haarzellen in Form einer erhöhten Prävalenz von SOAE. In der Kontrollgruppe waren bei 44% der Kinder SOAE nachweisbar, dies stimmt mit der Literatur [6], [7] überein. 85% der Kinder mit selektiver Hörstörung zeigten SOAE, was eine signifikante Erhöhung bedeutet. Die SOAE-Prävalenzen der Kinder mit selektiver Hörstörung lagen bei 1,48 SOAE links und 2,52 SOAE rechts, in der Kontrollgruppe bei 0,32 SOAE links und 0,67 SOAE rechts. Werden nur die Kinder, bei denen SOAE gemessen wurden, eingerechnet, so ergeben sich 4,56 SOAE pro Kind mit selektiver Hörstörung (2,6 pro Ohr) und 2,17 SOAE pro Kind der Kontrollgruppe (1,52 pro Ohr). Ein deutlicher Unterschied bleibt also erhalten. Bei der Frequenzverteilung ergab sich eine Konzentration der SOAE zwischen 0,5 kHz und 2 kHz, dies entspricht den Ergebnissen von Moulin et al. [6].

Zusammenfassend stellt sich eine Steigerung der SOAE bei den Kindern mit selektiver Hörstörung heraus, was sich in der erhöhten Anzahl der Kinder mit nachweisbaren SOAE und der erhöhten Prävalenz von SOAE pro Kind und Ohr äußert. Dies könnte als Ausdruck einer Funktionsstörung des MOCS mit Enthemmung der SOAE gewertet werden. Eine erhöhte Prävalenz von SOAE könnte als Anhaltspunkt für eine AVWS, Subgruppe selektive Hörstörung, gewertet werden.


Literatur

1.
Micheyl C, Morlet T, GiraudAL, Collet L, Morgon A (1995) Contralateral suppression of evoked otoacoustic emissions and detection of a multi-tone complex in noise. Acta Otolaryngol 115 (2), 178-182
2.
Giraud AL, Garnier S, Micheyl C, Lina G, Chays A, Chery-Croze S (1997) Auditory efferents involved in speech-in-noise intelligibility Neuroreport. 8: 1779-1783
3.
Giraud AL, Collet L, Chery-Croze S, Magnan J, Chays A (1995) Evidence of a medial olivocochlear involvement in contralateral suppression of otoacoustic emissions in humans. Brain Res 24: 15-23
4.
Muchnik C, Ari-Even Roth D, Othman-Jebara R, Pulter-Katz H, Shabtai EL, Hildesheimer M (2004) Reduced Medial Olivocochlear Bundle System Function in Children with Auditory Processing Disorders. Audiol Neurootol 9, 107-114
5.
Bray P, Kemp DT (1987) An advanced cochlear echo technique suitable for infant screening. Br. J. Audiol.21 191-204
6.
Moulin A, Collet L, Veuillet E, Morgou A (1993) Interrelations between transiently evoked otoacoustic emissions, spontaneous otoacoustic emissions and acoustic distortion products in normally hearing subjects. Hear Res 65, 216-233
7.
Probst R (1990) Otoacoustic emissions: An overview. Adv Otorhinolaryngol 44.1-19
8.
Collet L, Kemp DT, Veuillet E, Duclaux R, Moulin A, Morgon A (1990) Effect of contralateral auditory stimuli on active cochlear micro-mechanical properties in human subjects. Hear Res. 43: 251-261