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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Natürliches Sprechen mittels Sprachcomputer

Vortrag

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  • author presenting/speaker Dirk Verges - Abt. für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Charité - Universitätsmedizin - Campus Mitte, Berlin, Deutschland
  • author Eduardo Mendel - Oldenburg, Deutschland
  • author Wolfram Seidner - Abt. für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Klinik, Charité - Universitätsmedizin - Campus Mitte, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV33

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2004/04dgpp59.shtml

Veröffentlicht: 9. September 2004

© 2004 Verges et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Der Verlust der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit muss zu den schwerwiegenden Ereignissen in der phoniatrischen und neurologischen Sprechstunde gerechnet werden und lässt sich durch nonverbale Verständigungsmöglichkeiten nur schwer oder gar nicht kompensieren. Bei Laryngektomierten gelingt es zwar meist, einen akzeptablen Stimmersatz zu finden, aber bei starken Vernarbungen oder ausgedehnten Resektionen kann auch das unmöglich sein. Patienten mit Dysarthrien oder Dysarthrophonien (im schlimmsten Fall mit Anarthrie) sind wegen der behinderten Artikulation noch wesentlich stärker betroffen und können sich häufig gar nicht mehr verbal verständigen. In dieser Situation können "expressive" Sprachcomputer zur Verständigung eingesetzt werden, aber die meist sehr künstlich und roboterhaft klingenden Laute begrenzten bisher die Akzeptanz und die Anwendungsmöglichkeiten dieser Geräte erheblich.

Mit Hilfe eines neu entwickelten Computerprogramms ist es nunmehr möglich, natürlich klingende Sprache wiederzugeben. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung werden Stimme und Sprechweise mit einem speziell entwickelten Text und allen prosodischen Besonderheiten aufgenommen und dann in ein Sprachprogramm integriert, das sich mittels Notebook anwenden lässt. Wir berichten von ersten klinischen Erfahrungen bei zwei Patienten nach Laryngektomie sowie zwei Kranken mit einer amyotrophen Lateralsklerose.


Text

Einleitung

Der krankheitsbedingte Verlust der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit bedeutet für die betroffenen Patienten und deren Angehörige eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und lässt sich durch nonverbale Verständigungsmöglichkeiten nur schwer oder gar nicht kompensieren. Bei laryngektomierten Patienten gelingt es zwar meist, etwa durch das Erlernen der Ruktusstimme oder den Einsatz einer Stimmprothese, die verbale Verständigungsmöglichkeit wieder herzustellen, aber bei Vernarbungen oder erhöhtem Tonus im pharyngoösophagealen Segment kann auch das unmöglich sein. Patienten mit einer ausgeprägten Dysarthrophonie z. B. im Verlauf einer progressiven Bulbärparalyse sind wegen der behinderten Artikulationsfähigkeit noch wesentlich stärker betroffen und können sich in fortgeschrittenen Fällen oft gar nicht mehr verbal verständigen [2]. In dieser Situation werden meist Sprachcomputer eingesetzt [1], deren roboterhaft und unpersönlich klingende Sprachwiedergabe die Akzeptanz und die Anwendungsmöglichkeiten dieser Geräte jedoch erheblich einschränkt. Mit Hilfe eines von E. Mendel neu entwickelten Computerprogramms ist es nunmehr möglich, die eigene Stimme eines Patienten naturgetreu wiederzugeben.

Bei rechtzeitiger Diagnosestellung kann die Stimme eines Patienten mit allen prosodischen und dialektalen Eigenheiten mit einem speziell entwickelten Text aufgenommen und dann in ein Sprechprogramm integriert werden, welches sich mittels eines Notebooks anwenden lässt. Wir berichten von ersten klinischen Erfahrungen bei zwei Patienten nach Laryngektomie sowie zwei Kranken mit einer amyotrophen Lateralsklerose.

Methode

Zur individuellen Einrichtung des Programmes erfolgt zunächst jeweils eine digitale Aufnahme des für die Erfassung aller im Deutschen relevanten Laute und Lautverbindungen zusammengestellten Textes. Für die Aufnahme einer Patientenstimme ist mit einem zeitlichen Aufwand von 2-3 Stunden zu rechnen. Im nächsten Arbeitsschritt werden alle benötigten Elemente der Aufnahme in das Anwendungsprogramm integriert. Das fertig editierte Programm kann auf jedem handelsüblichen Notebook installiert werden. Die Texteingabe erfolgt über die Tastatur bzw. über Mausbefehl, die Sprachausgabe über angeschlossene Lautsprecher [Abb. 1].

Wir haben seit 04/2004 insgesamt 4 Patienten mit dem o.g. Programm versorgen können. Es wurden zwei Patienten mit einer progressiven Bulbärparalyse ausgewählt, in deren Erkrankungsstadium eine verständliche Textaufnahme gerade noch möglich war. Für eine dritte, aufgrund eines supraglottischen Larynxkarzinoms bereits laryngektomierte Patientin, bei der eine andere Möglichkeit der sprachlichen Rehabilitation nicht in Frage kam, wurde die ähnlich klingende Stimme der Tochter aufgenommen und im Programm verwendet. Bei einem weiteren Patienten konnte die Stimmaufnahme präventiv vor der Laryngektomie durchgeführt werden.

Ergebnisse

Aufgrund der geringen Patientenzahl und des kurzen Beobachtungszeitraumes erscheint eine Beurteilung des Programmes im klinische Einsatz noch verfrüht zu sein, alle vier Patienten geben in dieser Pilotphase jedoch eine Erleichterung der verbalen Kommunikation durch die Verwendung des Programmes an.

Diskussion

Sowohl bei Patienten mit einer zunehmenden Dysarthrophonie im Verlauf einer amyotrophen Lateralskleose, als auch für besondere Anforderungen der Stimmrehabilitation nach einer Laryngektomie kann das Programm sinnvoll eingesetzt werden. Sofern das Sprechen mit der Ruktusstimme oder mit Hilfe einer Ventilprothese erlernt werden kann, und spontane sprachliche Äußerungen möglich sind, ist der zeitliche und materielle Aufwand für die Bereitstellung des Programmes gewiss nur in wenigen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Zudem wird die Tatsache, dass eine korrekte Texteingabe über die Notebooktastatur erforderlich ist, den Nutzerkreis des Programmes einschränken. Die verständliche Sprachausgabe der Programmes hängt hauptsächlich von der Qualität der Tonbandaufnahme ab. Daher sollte die Aufnahme nach Möglichkeit zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung erstellt werden, selbst wenn ein späterer Einsatz des Programmes noch nicht sicher vorausgesagt werden kann. Als Alternative zu der Verwendung der eigenen Stimme können, insbesondere wenn die Stimmqualität eine Tonbandaufnahme nicht mehr zulässt, die Stimmen von Angehörigen oder geeignete Modellstimmen eingesetzt werden. Da in diesem letztgenannten Fall eine Neubearbeitung des Programmes nicht erforderlich ist, kann eine Programmversion mit einer Modellstimme schneller und kostengünstiger eingesetzt werden.


Literatur

1.
Leigh PN, Abrahams S, Al-Chalabi A, Ampong M-A, Goldstein LH, Johnson J, Lyall R, Moxham J, Mustfa N, Rio A, Shaw C, Willey E (2003) The management of motor neurone disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 74 (Suppl IV), 32-47
2.
Mitsumoto H, Del Bene M (2000) Improving the quality of life for people with ALS: the challenge ahead. Amyotroph Lateral Scler Other Motor Neuron Disorders 1, 329-336