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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Psychische Auffälligkeiten bei Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen

Vortrag

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  • corresponding author Asha Joseph - Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, CI-Rehabilitationszentrum, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Dr. Friedrich-Steiner-Str. 5, 45711 Datteln, Tel.: 02363/975280, Fax: 02363/975289
  • Karen Jahn - Westfälisches Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Heithofer Allee 64, 59071 Hamm, Tel.: 02381/893140, Fax: 02381/893202
  • author Petra Zwirner - Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie, CI-Rehabilitationszentrum, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke, Dr. Friedrich-Steiner-Str. 5, 45711 Datteln, Tel.: 02363/975281

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV47

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp095.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Joseph et al.
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Zusammenfassung

Eine Katamnese-Studie zu auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) wurde am Institut für Phoniatrie und Pädaudiologie der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln durchgeführt. Die Eltern von 21 Kindern zwischen sechs und dreizehn Jahren, die in verschiedenen Bereichen der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung deutliche Auffälligkeiten zeigten, wurden frühestens ein halbes Jahr nach abgeschlossener Diagnostik befragt. Ziel war es, den subjektiven Nutzen der eingeleiteten Therapien zu evaluieren, die auditiven Fähigkeiten der Kinder zum Katamnese-Zeitpunkt zu erheben und bestehende, eventuell aus der AVWS resultierende, psychische Auffälligkeiten aufzudecken. Nach Aktendurchsicht wurde ein selbstkonzipierter Katamnesefragebogen im Telefon-Interview eingesetzt, sowie auf postalischem Wege der Marburger Elternfragebogen zur Hörverarbeitung und die Child Behavior Checklist (CBCL) - ein standardisierter Fragebogen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Telefon-Interview schätzten 12 von 15 Eltern den Erfolg der Therapie als hoch bzw. sehr hoch ein. Der Marburger Elternfragebogen ließ eine deutlich positive Einschätzung der Eltern zu den momentanen, auditiven Fähigkeiten ihrer Kinder erkennen. Die Gesamt-Wertung der CBCL zeigte bei 7 von 16 Kindern (43,8%) einen klinisch-auffälligen Befund. Ein grenzwertig auffälliger bis auffälliger Schulwert war bei 13 Kindern zu vermerken; in ihrem sozialen Verhalten waren alle Kinder gestört.


Text

Einleitung

Bei der Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) werden Zusammenhänge mit psychischen Störungen diskutiert, die eventuell aus der AVWS resultieren [1]. Die vorliegende Katamnese-Studie des Instituts für Phoniatrie und Pädaudiologie der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln will herausfinden, ob ein solcher Zusammenhang besteht.

Zwei Fragestellungen stehen im Mittelpunkt des Interesses:

Resultieren psychische Störungen aus der AVWS ?

Erscheint die Therapie der AVWS aus Sicht der Eltern effizient ?

Zur Diagnostik möglicher psychischer Auffälligkeiten findet die Child Behavior Checklist (CBCL 4-18) Anwendung - ein standardisierter Fragebogen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie umfasst 120 Fragen zu emotionalen Problemen, Verhaltensauffälligkeiten, Kompetenzen und körperlichen Beschwerden von Kindern.

Zur AVWS existieren bisher keine CBCL-Studien. Vostanis et al. führten eine CBCL-Studie bei hörgeschädigten Kindern durch [2]:

In einer englischen Grundschule (n=42) und einer weiterführenden Schule (n= 57) für Hörgeschädigte ermittelten sie die Prävalenz von Verhaltensauffälligkeiten bei ertaubten Kindern anhand der CBCL.

Es zeigte sich, dass 29 Kinder (39,7%) nach ihrer CBCL-Gesamt-Wertung als klinisch auffällig einzustufen waren.

Patienten und Methoden

Einundzwanzig Kinder mit diagnostizierter AVWS nahmen an der Katamnese-Studie teil. Sie waren nach Aktendurchsicht in mindestens zwei diagnostischen Tests auffällig und wiesen zudem eine charakteristische Anamnese auf, z.B. die Unfähigkeit eines Kindes sich bei Störlärm auf sein Gegenüber zu konzentrieren, eine verminderte auditive Merkfähigkeit etc.

Unter den 21 Kindern waren 5 Mädchen und 16 Jungen, wobei der Mittelwert des Alters bei Erstvorstellung im Institut 7,9 Jahre betrug (Min=4,9 Jahre, Max=12 Jahre).

Bei Studienbeginn im Dezember 2001 lag das durchschnittliche Alter bei 9,2 Jahren (Min=6,2 Jahre, Max=13,3 Jahre).

Die Eltern der 21 Kinder wurden frühestens sechs Monate nach abgeschlossener Diagnostik in einer telefonischen und postalischen Katamnese befragt.

Neben der zuvor erwähnten CBCL fand auch der Marburger Elternfragebogen zur Hörverarbeitung im Kindesalter Eingang in die postalische Katamnese.

Bei dem Telefon-Interview wurde ein selbstkonzipierter fünfteiliger Fragebogen eingesetzt.

Ergebnisse

Die ausgefüllten Fragebögen gingen von sechzehn Kindern ein. Am Telefon-Interview nahmen die Eltern aller einundzwanzig Kinder teil.

In der Gesamtbeurteilung der CBCL [Abb. 1] waren sieben Kinder (43,8%) in ihrem Verhalten grenzwertig auffällig bis auffällig.

Die Skala der Internalisierenden Störungen fasste neben dem Sozialen Rückzug auch das Ängstlich/Depressive Verhalten der Kinder zusammen. Bei den internalisierenden Störungen zeigten sich neun Kinder (56,3%) auffällig bis grenzwertig auffällig. Im Gegensatz dazu lagen bei den Externalisierenden Störungen, die das Aggressive Verhalten mit einbeziehen, nur drei Kinder (18,8%) im klinisch auffälligen Bereich.

Schulische Probleme waren bei dreizehn Kindern (81,3%) zu verzeichnen; in ihrem Sozialen Verhalten waren alle Kinder gestört.

Bei fünfzehn Kindern erfolgte eine Therapie, wobei zwei oder mehrere Therapieformen kombiniert wurden.

Logopädie und Ergotherapie wurden am häufigsten kombiniert verschrieben (n=4).

Vor Therapiebeginn war die Hoffnung der Eltern auf Erfolg hoch bzw. sehr hoch (n=11) [Abb. 2]. Diese Hoffnung auf positive Ergebnisse korrelierte jedoch nicht mit der Einschätzung der Eltern zum tatsächlichen Erfolg der Behandlung. Somit konnte ausgeschlossen werden, daß die Einschätzung zum Erfolg der Therapie durch große Hoffnungen/Erwartungen vorbestimmt war.

Diskussion

In der CBCL wiesen 43,8% der Kinder in ihrer Gesamt-Wertung einen „auffälligen" bis „grenzwertig auffälligen" Befund auf. Es zeigte sich ein Schwerpunkt bei den internalisierenden Störungen, die mit Sozialem Rückzug und Ängstlich-depressivem Verhalten einhergehen. Zudem waren in 81,3% der Fälle die Kinder in ihrem Schulwert gestört, in ihrem sozialen Verhalten waren es sogar 100%.

Zum Vergleich sei eine CBCL-Studie zur Häufigkeit von psychischen Auffälligkeiten im Alter zwischen vier und zehn Jahren in Deutschland angeführt [3]. Nur 28,3% der national repräsentativen Auswahl (N=1030) zeigten klinisch relevante Gesamt-Wertungen.

Trotz der relativ kleinen Fallzahl von n=16 ist die Häufigkeit psychischer Störungen bei den untersuchten Kindern mit AVWS auffallend.

Die Ergebnisse sollen einerseits weitere Untersuchungen zu psychischen Störungen bei Kindern mit AVWS anregen.

Andererseits sollen sie Licht auf den Aspekt werfen, dass neben einer effizienten Therapie der auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung auch eine effiziente psychologische Betreuung der Kinder von Nöten ist und dass sich ein wirklicher Therapieerfolg erst bei Berücksichtigung der sozialen und psychischen Faktoren einstellt.


Literatur

1.
Hindley P (1997): Psychiatric aspects of hearing impairment. Journal of Child Psychology and Psychiatry 38:101-117
2.
Vostanis P (1997): Detection of behavioural and emotional problems in deaf children and adolescents: Comparison of two rating scales. Child: Care, Health and Development 3: 233-246
3.
Lehmkuhl G (1998): Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten und somatischer Beschwerden bei vier- bis zehnjährigen Kindern in Deutschland im Urteil der Eltern - ein Vergleich normorientierter und kriterienorientierter Modelle. Zeitung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 26: 83-96