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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Reliabilität von klinischen Untersuchungen zum velopharyngealen Abschluss

Poster

  • Sonja Paal - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272
  • Udo Reulbach - Institut für Biomathematik und Epidemiologie, Universitätsstraße, 91054 Erlangen
  • Ulrich Hoppe - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272
  • Frank Rosanowski - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272
  • Ulrich Eysholdt - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272
  • Maria Schuster - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/8533146, Fax: 09131/8539272

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP33

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp074.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Paal et al.
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Gliederung

Zusammenfassung

Bei Kindern mit Gaumenspalten zeigt sich nach primärem Gaumenverschluss in manchen Fällen ein ungenügender velopharyngealer Abschluss mit resultierender Hyperrhinophonie unterschiedlichen Ausmaßes. Die Indikation für weitere therapeutische Maßnahmen richtet sich neben dem morphologischen Befund auch nach der auditiven Beurteilung und den funktionellen Eigenschaften. Insbesondere bei der Frage nach invasiven Maßnahmen sollten die Methoden zur Erfassung des velopharyngealen Abschlusses hinsichtlich ihrer Reliabilität überprüft werden. Hierzu wurden bei 12 Kindern mit verschlossener Gaumenspalten zwischen 8 und 12 Jahren die Ergebnisse der akustischen Beurteilung von erfahrenen und weniger erfahrenen Logopäden sowie die Beurteilung von fiberendoskopischen Aufnahmen des Nasenrachens während der Phonation durch Phoniater verglichen (Intra- und Interratervariabilität). Hierbei zeigte sich eine erhöhte Variabilität bei der Beurteilung durch weniger erfahrene Logopäden, jedoch eine hohe Reliabilität bei Phoniatern und erfahrenen Logopäden. Folgernd ist zur Beurteilung der Indikation weiterer Therapiemaßnahmen eine mehrdimensionale Untersuchung durch Logopäden und Phoniatern zu fordern, die Erfahrung mit der Beurteilung des velopharyngealen Abschlusses haben.


Text

Einleitung

Zu den häufigsten Fehlbildungen in Deutschland zählen kraniofaziale Spaltbildungen, die sich typischerweise im Bereich der Lippen, des Kiefers und des Gaumens manifestieren. Die primärchirurgische Versorgung ist in der Regel bereits mit 12-15 Monaten abgeschlossen.

Bei Kindern mit Gaumenspalten zeigt sich nach primärem Gaumenverschluss in manchen Fällen aber noch ein ungenügender velopharyngealer Abschluss mit resultierender Hyperrhinophonie unterschiedlichen Ausmaßes. Die Indikation für weitere therapeutische Maßnahmen richtet sich neben dem morphologischen Befund auch nach der auditiven Beurteilung und den funktionellen Eigenschaften. Im Folgenden sollen nun insbesondere bei der Frage nach invasiven Maßnahmen zwei gebräuchliche klinische Methoden (Endoskopie des Nasenrachenraumes und logopädische Untersuchung) zur Erfassung des velopharyngealen Abschlusses hinsichtlich ihrer Reliabilität überprüft werden.

Methode

Es nahmen 12 Patienten (vier Mädchen, acht Jungen, Altersdurchschnitt 9,5 Jahre) an der Untersuchung teil, wobei die Patienten ein unterschiedliches Spektrum an Spaltbildungen aufwiesen. Die primären rekonstruktiven operativen Verfahren waren bei allen Kindern abgeschlossen.

Neben der HNO-ärztlichen Untersuchung der Ohren, der Nase, der Mundhöhle und des Rachens wurde eine fiberendoskopische Untersuchung mit Blick auf den Pharynx und das sich hebende Gaumensegel durchgeführt und digital aufgezeichnet. Es wurde die Velummotilität beim Sprechen einzelner Laute und bei 42 Wörtern beurteilt.

Die Auswertung der Aufnahmen der fiberendoskopischen Untersuchung nahmen zwei Phoniater zwei Mal im Abstand von zwei Wochen unabhängig voneinander vor. Hierzu sollte anhand der Aufzeichnung der fiberendoskopischen Untersuchung für jedes Wort der velopharyngeale Abschluss des Nasenrachenraums nach folgenden Kategorien beurteilt werden:

0 =Vollständiger bis fast vollständiger velopharyngealer Verschluss

1 =Velopharyngealer Verschluss angedeutet (das Velum hebt sich nur gering, es zeigt sich noch eine deutliche Schlussinsuffizienz)

2 =Keine Velumanhebung

Anhand von Videoaufnahmen der Kinder mit freiem Text und standardisierten Wortreihen wurde ebenfalls jedes Wort in Bezug auf Nasalität, Rück- bzw. Vorverlagerung, Tension und Sigmatismus zwei Mal im Abstand von zwei Wochen von vier Logopädinnen qualitativ und quantitativ ausgewertet. Bei den Logopädinnen handelt es sich um zwei im Umgang mit Spaltkindern langjährig erfahrene (Logopädin 1 und 2) und zwei weniger erfahrene Logopädinnen (Logopädin 3 und 4). Die Patienten waren allen Logopädinnen unbekannt.

Bei der quantitativen Bewertung sollte der auditiv beurteilte Grad der phonetischen Abweichung vom Normalbefund numerisch ausgedrückt werden.

0 = auditiv keine Veränderung wahrnehmbar

1 = geringgradige Veränderung

2 = deutliche Veränderung

3 = stark ausgeprägte phonetische Abweichung

Statistische Methode: Es wurde die Berechung des Cohen-Kappa-Koeffizienten nach folgender Formel gewählt, um die Intra- bzw. Inter-Rater-Übereinstimmung der Phoniater sowie der Logopädinnen zu bestimmen: [Abb. 1]

Zur Interpretation des Kappa-Wertes existieren keine allgemeingültigen Definitionen. Für diese Arbeit wurde folgende Einteilung gewählt:

κ< 0.20 Übereinstimmung sehr schwach

κ0.21-0.40 Übereinstimmung schwach

κ0.41-0.60Übereinstimmung mittelmäßig

κ0.61-0.80Übereinstimmung gut

κ0.81-1.0 Übereinstimmung sehr gut

Des weiteren wurde die Übereinstimmung zwischen Phoniater 1 und Logopädin 1 im Bezug auf den velopharyngealen Abschluss und das Merkmal Nasalität untersucht. Hierbei wurden jeweils die phoniatrischen Merkmale den korrespondierenden logopädischen Merkmalen gegenüber gestellt.

Ergebnisse

Die erfahrenen Logopädinnen erzielten durchgehend sowohl in der Inter- als auch in der Intra-Rater-Übereinstimmung sehr gute Ergebnisse. Die weniger erfahrenen Logopädinnen zeigten ebenfalls fast durchgehend gute bis sehr gute Übereinstimmungen. Eine Ausnahme findet sich bei Logopädin 3, die beim Merkmal Sigmatismus nur eine schwache Intra-Rater-Übereinstimmung erreicht (vgl. [Abb. 2], [Abb. 3]).

Bei der Auswertung der Phoniater sind ebenfalls sowohl Inter- als auch Intra-Rater-Übereinstimmung im guten bis sehr guten Bereich (vgl. [Abb. 4]).

Der Vergleich zwischen Phoniater und Logopädin erbrachte mit κ = 0.33 eine schwache Übereinstimmung.

Diskussion

Bei der Berechnung der Übereinstimmung der Phoniater zeigte sich, dass eine Einteilung in 3 Kategorien sinnvoll ist. In einem Vorversuch hatte sich eine Einteilung in vier Kategorien nicht bewährt.

Beim Vergleich von erfahrenen und weniger erfahrenen Logopädinnen stellt sich heraus, dass die weniger erfahrenen Logopädinnen bis auf eine Ausnahme geringgradig schlechtere Übereinstimmungen vorweisen oder ähnlich gute Ergebnisse haben.

Obwohl beide Untersuchungen stark von der subjektiven Beurteilung des Untersuchers abhängig sind, sprechen die insgesamt guten Inter- und Intra-Rater-Übereinstimmungen dafür, dass sie zur Beurteilung der Indikation weiterer Therapiemaßnahmen im klinischen Alltag geeignet sind. Im Hinblick auf die besseren Ergebnisse der erfahrenen Kräfte sollte eine Untersuchung der betroffenen Patienten durch Logopäden und Phoniater, die Erfahrung mit der Beurteilung des velopharyngealen Abschlusses haben, gefordert werden.

Die schwache Übereinstimmung zwischen Logopädin und Phoniater zeigt, dass es nicht ausreicht, sich auf eine der beiden Untersuchungen zu verlassen, da sich ein schlechter velopharyngealer Abschluss nicht notwendigerweise in sprachlichen Auffälligkeiten äußern muss, bzw. ein guter velopharyngealer Abschluss sprachliche Auffälligkeiten nicht gänzlich ausschließt. Hier kann nur eine mehrdimensionale Untersuchung dem Arzt die besten Voraussetzungen liefern, um Entscheidungen über die optimale Therapie zu treffen.