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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Entwicklungsscreening für dreijährige Kindergartenkinder

Poster

  • Sabine Hartmann - HNO-Kinik, Abteilung Phoniatrie-Pädaudiologie, Klinikum Dortmund gGmbH, Beurhausstr. 40, 44137 Dortmund
  • Lilo Diel - Gesundheitsamt Dortmund, Sprachberatung, Hövelstr. 8, 44122 Dortmund
  • Marlies Springer-Clausing - Gesundheitsamt Dortmund, Sprachberatung, Hövelstr. 8, 44122 Dortmund
  • Christiane Siebers - Jugendamt, Ostwall 64, 44122 Dortmund

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP30

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp071.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Hartmann et al.
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Zusammenfassung

Ein Screeningverfahren zu Entwicklungsauffälligkeiten bei dreijährigen Kindergartenkindern entwickelte der interdisziplinäre Arbeitskreis Kindergesundheit Dortmund -Hören und Sprache- . Beobachtungsbögen und Material wurden erstellt zu fünf Hauptentwicklungsbreichen Alltagsfertigkeiten, Motorik, Sprache, Hör- und Sehwahrnehmung für Kinder im 4. Lebensjahr. Mit einfachen Mitteln, alltagsnah und spielerisch, können Abweichungen von der Alltagsnorm durch ErzieherInnen festgestellt werden. Kinder mit altersentsprechenden Ergebnissen werden von denen, die kontrollbedürftig sind und von denen, die weiter ärztlich untersucht werden sollten, unterschieden. In einem Pilotprojekt wurden 90 dreijährige Kinder getestet. Bei guter Praktikabilität, Durchführbarkeit und Akzeptanz zeigen 31% der Kinder in allen Bereichen altersgerechte Ergebnisse, nach 2. Screening (nach 3-4 Monaten) der kontrollbedürftigen Kinder insgesamt 50%. Mindestens 40% sind auffällig. Im Bereich Sprache zeigen sich die häufigsten Störungen. In einem Folgeprojekt, angepaßt auch für Kinder mit Migrationshintergrund, wurden 120 Kinder getestet. Die Ergebnisse zeigen einen höheren Prozentsatz auffälliger Kinder. Im Rahmen einer Validierungsphase in Kooperation mit der Universität Dortmund Fachbereich Sonderpädagogik zeigen die Ergebnisse der Bereiche Sprache und Hören eine hohe Übereinstimmung mit den objektiven/standardisierten Testergebnissen. Das Screening empfiehlt sich für alle dreijährigen Kindergartenkinder.


Text

Einleitung

Kinder mit Hör- und Sprachstörungen werden nach wie vor zu spät entdeckt und unzureichend gefördert. Dies bestätigten auch in Dortmund die Statistiken des Gesundheitsamtes über die Schuleingangsuntersuchungen. Bei fehlenden wirtschaftlichen Resourcen sind weder flächendeckende fachliche Untersuchungen möglich, noch wird es gelingen, bekannte Testverfahren in einer Großstadt vollumfänglich zu etablieren. Deshalb bildete sich im Rahmen des offenen Arbeitskreises Kindergesundheit des Gesundheitsamtes ein interdisziplinärer Arbeitskreis (AK) Hören und Sprache. In diesem Arbeitskreis sind zwei Kinderärztinnen, eine Phoniaterin und Pädaudiologin, eine Diplom Sprachtherapeutin und eine Sozialpädagogin beteiligt.

Das Ziel dieses AK Hören und Sprache war die Entwicklung eines Screeningverfahrens, um Entwicklungsauffälligkeiten bei Kleinkindern möglichst frühzeitig zu erkennen. Da die veränderte Gesetzteslage zu einer vermehrten Aufnahme Dreijähriger in Kindertageseinrichtungen und Kindergärten führt, haben ErzieherInnen eine wichtige Schlüsselfunktion, mit Fachkompetenz die Kinder längerfristig in deren natürlichem Lebensraum zu beobachten. Für ErzieherInnen sollte das Screeningverfahren als Beobachtungs-Screening ohne aufwändiges Testmaterial erstellt werden.

Material und Methode

Der AK hat in Anlehnung an bekannte Testmaterialien Beobachtungsbögen und Material erstellt zu fünf Hauptentwicklungsbereichen: Alltagsfertigkeiten, Motorik, Sprache, Hörwahrnehmung und Sehwahrnehmung. Es werden 4 Bereiche je Untertest beurteilt, im Bereich Sprache 5. Wie die Beobachtung erfolgen soll, ist pro Beobachtungsitem beschrieben und erläutert. Das entsprechende Material wird pro Beobachtungsitem mit Alternativen angegeben, zum Teil auch mit Bildmaterial und Kassette zur Verfügung gestellt. Die Kriterien sind für Kinder im 4. Lebensjahr erstellt, Altersnormen sind festgelegt. Die Beobachtungsbögen sind so gestaltet, dass mit einfachen Mitteln, alltagsnah und spielerisch, deutliche Abweichungen von dieser Altersnorm sicher festgestellt werden können. Kinder mit altersentsprechenden Ergebnissen werden von denen, die kontrollbedürftig sind und von denen, die zur weiteren ärztlichen Abklärung empfohlen werden, unterschieden. Der Beobachtungszeitraum ist auf 6-12 Wochen nach Aufnahme in die Einrichtung festgelegt. Kontrollbeobachtungen sollen frühestens nach 3 Monaten, spätestens nach 4 Monaten erfolgen. Migrantenkinder sind in diesem Verfahren ausgenommen. Den ErzieherInnen wurde das Screening vorgestellt und erläutert; im Verlauf wurden sie zur Durchführbarkeit, Praktikabilität und Akzeptanz befragt.

Ergebnisse

In einem Pilotprojekt haben 12 städtische Einrichtungen an dem Verfahren teilgenommen und 90 Kinder gescreent. 46,7% waren männlich, 53,3% weiblich. Das Alter der Kinder lag zwischen 36 Monaten und 48 Monaten.

31,1% der Kinder haben in allen Bereichen altersgemäße Ergebnisse, 25,6% der Kinder wurde eine ärztliche Abklärung empfohlen. 43,3% der Kinder wurden kontrolliert, 43,6% dieser Kinder zeigten nach der Kontrolle auch altersgemäße Ergebnisse, insgesamt somit 50% aller Kinder. 9 der kontrollbedürftigen Kinder konnten allerdings nicht nachgescreent werden wegen Krankeit oder Wechsel der Einrichtung. 40% der Kinder wurde somit insgesamt zu einer ärztlichen Abklärung geraten. Im Vergleich der Unterteste zeigen knapp 70% der auffälligen Kinder Probleme entweder allein im Bereich Sprache oder in Kombination mit dem Bereich Sprache.

81,1% aller Kinder haben den Bereich Hörwahrnehmung bestanden, 70% den Bereich Sehwahrnehmung, 61% den Bereich Motorik, 85,5% den Bereich Alltagfertigkeiten und 56,7% den Bereich Sprache.

Zur Durchführbarkeit gaben sich die ErzieherInnen im Verlauf gegenseitig wichtige Hinweise und entwickelten Ideen zur individuellen Anwendung gemäß den örtlichen Gegebenheiten, größere Probleme entstanden in der Testphase nicht. Schwierig war, Kinder möglichst nicht in Krankheitsphasen trotzdem in einer begrenzten Zeitphase zu beurteilen. Die Akzeptanz wurde von den ErzieherInnen als groß angegeben. Keine Einrichtung hat die Studie abgebrochen.

Diskussion

Die Screeningergebnisse zeigen insgesamt, dass viele dreijährige Kinder Entwicklungsauffälligkeiten vor allem im Bereich Sprache zeigen, was mit anderen Testergebnissen in der Literatur grundsätzlich übereinstimmt. Der Prozentsatz der Auffälligkeiten überrascht. Demgemäß wird das Beobachtungssceening insbesondere im Bereich Sprache derzeit validiert, die ersten Ergebnisse hierzu zeigen allerdings eine hohe Übereinstimmung mit den Screeningergebnissen. Die Akzeptanz bei den ErzieherInnen war hoch, ebenso die Nachfrage aus anderen Einrichtungen. Die ErzieherInnen empfinden durch die Beobachtungskriterien größere Sicherheit bei der Beurteilung der Kinder und beim Elterngespräch. Vorbehaltlich der Validierungsergebnisse und danach möglicher Testanpassungen scheint das Screening grundsätzlich zum Einsatz in Kindergärten und Kindertageseinrichtungen geeignet, um Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten früh einer weiteren ärztlichen Abklärung zuzuführen.


Literatur

1.
Hellbrügge T (Hrsg.): Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik, 2.-3. Lebensjahr (MFED 2-3). 4. korrig. u. erw. Auflage. München: Deutsche Akademie für Entwicklungsrehabilitation, 1994
2.
Borstel M : Untersuchungsverfahren zur Differentialdiagnose von Störungen der Sprachentwickung. In: Pascher W, Bauer H (Hrsg.): Differentialdiagnose von Sprach- Sprech- und Stimmstörungen. Etition Wötzel, Frankfurt, 1998, 249-260
3.
Heinemann, M., Höpfner, C.: Screening-Verfahren zur Erfassung von Sprachentwicklungsverzögerungen (SEV) im Alter von 31/2 bis 4 Jahren bei der U8. Kinderarzt 33, 1635-1638