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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Langzeit MEG-Studie eines Cochlea-Implantat-Patienten : Quellenlokalisation und Plastizität später evozierter Komponenten

Poster

  • corresponding author Arne Knief - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster, Tel.: 0251 8356886 Fax: 0251 8356889
  • author Bernhard Roß - Institut für Experimentelle Audiologie, Universtiätsklinikum Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster, Tel.: 0251 8356885, Fax: 0251 8356882
  • author Andreas Wollbrink - Institut für Experimentelle Audiologie, Universtiätsklinikum Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster, Tel.: 0251 8352654, Fax: 0251 8356882
  • Michael Riebrandt - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster, Tel.: 0251 8356886, Fax: 0251 8356889
  • author Antoinette Lamprecht-Dinnesen - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Kardinal-von-Galen-Ring 10, 48129 Münster, Tel.: 0251 8356859, Fax: 0251 8356889
  • author Christo Pantev - Rotman Research Institute, Baycrest Centre for Geriatric Care, University of Toronto, 3560 Bathurst Street, Toronto, Ontario, M6A 2E1,CANADA, Tel.: +1 416-785-2500 ext. 2690

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP25

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp066.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Knief et al.
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Zusammenfassung

Die Versorgung ertaubter Erwachsener mit einem magnetlosen Cochlea-Implantat (CI) eröffnet die einmalige Möglichkeit, die plastische Reorganisation des auditorischen Kortex mittels Magnetoenzephalographie (MEG) zu erforschen. Es erfolgt im Gehirn eine Anpassung an ein neues, elektrisches Pulsmuster. Über zwei Jahre wurde in wiederholten Messungen ein CI-versorgter Patient untersucht. Es wurden mit Hilfe der MEG die evozierten auditorischen P1m und N1m Komponenten als Antworten auf Einzeltöne und einen Dauerton gemessen, dessen Frequenz zwischen zwei Werten wechselte. Die Quellen der Komponenten wurden mit dem Modell eines äquivalenten Stromdipols erfolgreich im zum CI kontralateralen auditorischen Kortex geschätzt. Die Quellen der N1m zeigten eine stabile Lokalisation über zwei Jahre. Die zeitliche Entwicklung der Amplitude und Latenz der P1m und der N1m wurde analysiert. Die Antwort auf den Frequenzwechsel im Dauerton trat später als die Antwort auf die Einzeltöne auf. Nach zwei Monaten konnte eine Verringerung der Latenz bis zu Normalwerten und ein Ansteigen der Amplitude in beiden Bedingungen beobachtet werden. Diese Studie zeigte eine trotz des Stimulationsartefaktes des CIs verlässliche Quellenlokalisation von evozierten Antworten. Die Charakteristik der N1m war in ihrer Entwicklung abhängig vom Stimulustyp. Die Ergebnisse deuten auf Unterschiede in der kortikalen Verarbeitung von Einzeltönen und komplexen Dauertönen und in der induzierten plastischen Reorganisation hin.


Text

Einleitung

Die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat (CI) ermöglicht es, ertaubten Erwachsenen wieder akustische Sinneseindrücke zu vermitteln. Das akustische Signal wird mit dem Sprachprozessor des CI-Systems in ein elektrisches Signal umgewandelt. Über im Innenohr implantierte Elektroden wird mit diesem Signal der Hörnerv stimuliert. Nach der der Implantation folgenden Habilitationsphase muss im Gehirn eine Anpassung an ein neues, elektrisches Pulsmuster erfolgen. Für die Untersuchung der plastischen Reorganisation im Hörkortex des Menschen stellt die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat daher ein annähernd ideales Modell dar. Das Cochlea-Implantat eröffnet die einmalige Möglichkeit, die plastische Reorganisation des auditorischen Kortex mittels Magnetoenzephalographie (MEG) [1] zu erforschen.

In vorangegangenen Elektroenzephalographie-Studien wurde für die N1-Komponente eine Entwicklung in ihrer Unterstruktur beobachtet [2]. Nach der Aktivierung des CI-Systems zeigte der frühe Anteil der N1 ein Verhalten wie bei Normalhörenden während spätere Anteile sich erst mit der Benutzung des Implantats entwickelten. In dieser Studie sollte in wiederholten Messungen die Entwicklung dieser Komponente über einen längeren Zeitraum und bei verschiedenen Stimuli erforscht werden. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurde ein mit einem magnetlosen CI versorgter Patient untersucht. Mit Hilfe der MEG wurde die evozierte auditorische N1m Komponente als Antwort auf Einzeltöne und einen Dauerton gemessen, dessen Frequenz zwischen zwei Werten wechselte.

Das Ziel war die Kenntnisse über die funktionelle Organisation und die Plastizität des auditorischen Kortex beim Menschen zu erweitern.

Methoden

Die Studie wurde mit einem progredient ertaubten männlichen Erwachsenen durchgeführt. Für einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren vor der Implantation profitierte er nicht mehr von Hörgeräten. Eine Kommunikation war nur noch über das Mundbild möglich. Er hatte einen Tinnitus unbekannter Ätiologie. Es wurde ein Implantat vom Typ Clarion 1.2 ICS (Advanced Bionics Corp., USA) ohne Magneten in die linke Cochlea implantiert. Das Elektrodenfeld war vom Typ Enhanced Bipolar und alle 16 Elektroden konnten in der Cochlea plaziert werden. Die Überträgerspule wird mit einem Hannover-Headset gehalten. Seit der Erstanpassung benutzt der Patient die simultane analogue stimulation (SAS) Strategie zur Sprachverarbeitung.

Es wurden 10 aufeinander folgende MEG-Messungen des Patienten über eine Periode von zwei Jahren durchgeführt. Gemessen wurde die zum Implantat kontralaterale Seite.

Im ersten Abschnitt einer Messung wurde ein 1 kHz Ton mit einer Anstiegs- und Abklingzeit von 10 ms und einer Gesamtlänge von 500 ms als Stimulus benutzt. Das Interstimulusintervall lag randomisiert zwischen 2,3 s und 2,8 s. Die Intensität wurde auf 40 dB über der individuellen Hörschwelle gesetzt. Im zweiten Abschnitt wurde ein kontinuierlicher Ton, dessen Frequenz für eine Dauer von 500 ms von 950 Hz nach 1050 Hz wechselte, in den Intensitäten 45 dB und 60 dB dargeboten. Der Frequenzwechsel wurde alle 2 s wiederholt. Für jede Stimulusbedingung wurden die Gehirnantworten auf 384 Stimuli in jeweils 3 Blöcken registriert.

Die Stimulationsartefakte wurden während der Messung durch einen Hochfrequenzschutz minimiert und nachträglich epochenweise eliminiert. Die Daten wurden mit einem Tiefpass von 24 Hz gefiltert und über alle Blöcke einer Stimulusbedingung gemittelt.

Die Quellen der Komponenten wurden mit dem Modell eines äquivalenten Stromdipols im zum CI kontralateralen auditorischen Kortex geschätzt. Für die weitere Analyse wurden die Quellorte im Intervall von 70 ms bis 140 ms nach dem Stimulusbeginn und mit einer Güte der Anpassung von größer als 90% gemittelt. Die Zeitreihen der einzelnen Kanäle wurden dann mit der Methode der source space projection auf den Ort der Quelle projiziert [1]. Die resultierende Zeitreihe gab dann das variierende Dipolmoment der Quelle wieder. Aus diesen Zeitreihen wurden dann die Latenzen und Amplituden der N1m-Komponente bestimmt.

Ergebnisse

Es konnten über zwei Jahre stabile Generatororte für die N1m gefunden werden. Sieben Tage nach der Erstanpassung war bei der Stimulation mit dem transienten Ton ein Komplex aus den Komponenten P1m, N1m und P2m sichtbar. Die Latenz der N1m (Abb. 1a [Abb. 1]) verringerte sich von 120 ms bis zu Werten bei 100 ms (Mittelwert 113 ms). Bei dem kontinuierlichen Ton mit Frequenzwechsel zeigte sich eine stärkere Änderung in der Latenz. Sie verringerte sich von 150 ms bis 120 ms nach zwei Jahren (Mittelwert 135 ms) für beide Intensitäten (Abb. 1b [Abb. 1]). Die nach zwei Jahren erreichten Werte waren jeweils mit Normalwerten vergleichbar.

Das Dipolmoment der N1m für die transiente Stimulation hatte über den Studienzeitraum einen mittleren Wert von 17 nAm und stieg von einer Amplitude um 15 nAm auf über 20 nAm an (Abb. 1c [Abb. 1]). Das Dipolmoment der P1m lag im Mittel bei 11,2 nAm und zeigte keinen Trend. Die Amplitude der N1m als Antwort auf den Frequenzwechsel war mit einem Maximum von 9,8 nAm geringer, stieg aber von 5 nAm bis nahezu 10 ms stärker an als in der transienten Stimulation (Abb. 1d [Abb. 1]). Verlässliche Parameter für die P1m konnten hier nicht erzielt werden.

Diskussion

Diese Studie zeigte trotz des Stimulationsartefaktes des CIs eine verlässliche Quellenlokalisation von evozierten Antworten. Die Quellen der N1m zeigten eine stabile Position über zwei Jahre. Bei den Latenzen und dem Dipolmoment konnte für beide Bedingungen - die Stimulation mit transienten und mit kontinuierlichen Tönen - eine Entwicklung festgestellt werden. Diese Entwicklung war stärker bei den kontinuierlichen Tönen unabhängig von der Intensität ausgeprägt. Diese Unterschiede deuten auf eine unterschiedliche kortikale Verarbeitung beider Stimulationstypen hin. Die plastische Reorganisation verläuft von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen - die Antwort auf den transienten Ton war am Anfang bei 120 ms im Vergleich zur Antwort auf den kontinuierlichen Ton bei 150 ms - hin zu vergleichbareren Mustern.

Die Stabilität in der Lokalisation der N1m, d. h. auch das Fehlen einer Wanderung der Generatororte deuten auf bestehende neuronale Verbindungen hin. Die Rekrutierung größerer Zellareale, wie sie sich in einem Anwachsen des Dipolmoments zeigten, findet allerdings erst in der Habilitationsphase statt.


Literatur

1.
Hämäläinen, M., Hari, R., Ilmoniemi, J., Knuutila, J., Lounasmaa, O. V. (1993) Magnetoencephalography - Theory, Instrumentation and Applications to Noninvasive Studies of the Working Human Brain. Reviews of Modern Physics; 65(2):413-97
2.
Pantev, C., Roß, B., Wollbrink, A., Riebandt, M., Delank, K. W., Seifert, E. und Lamprecht-Dinnesen, A. (2002) Acoustically and electrically evoked responses of the human cortex before and after cochlear implantation. Hearing Research; 171(1-2):191-5