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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Bilaterale CI - Versorgung bei Kindern: Ergebnisse einer prospektiven Studie

Poster

  • corresponding author Anke Lesinski-Schiedat - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • Stephanie Rühl - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • Nora Dromgool jr. - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • Angelika Illg - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • H. Kuke - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • Bodo Bertram - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558
  • Thomas Lenarz - Medizinische Hochschule Hannover, HNO Klinik, 30625 Hannover, Fax: 05115325558

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP16

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp057.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Lesinski-Schiedat et al.
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Zusammenfassung

Der Erfolg der einseitigen Cochlea-Implantation (CI) und die zahlreichen Erfolge in der beidseitigen Anpassung von konventionellen Hörgeräten hat dazu geführt, dass auch die bilaterale CI Versorgung für Kinder in den Mittelpunkt des Interesse rückt. Erste Resultate in der bilateralen Versorgung bei Erwachsenen zeigen ein besseres Richtungshören und ein besseres Sprachverstehen im Störschall. In der hier dargestellten Studie wird nachzuweisen sein, inwiefern Kinder hinsichtlich ihres Sprachverstehens - besonders im Störschall - und des Richtungshörens von einer bilateralen Versorgung (NUCLEUS CI 24 M) profitieren. Die Studie wurde mit 2 Gruppen je 10 bilateral simultan implantierter Kinder (Gr. 1 vor dem 2. Lebensjahr, Gr. 2 zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr) und der jeweiligen unilateral implantierten Kontrollgruppe konzipiert. Das postoperative Sprachverstehen wird 3 Monate, 6 Monate und jährlich mit der sog. FDA Testbatterie, den Fragebögen nach MAIS und MUSS und einer Rgiometrie überprüft. Die Gesamtentwicklung detektiert eine regelmäßige neuropädiatrische Untersuchung. Bis April 2003 wurden 10 Kinder der Gruppe 1 und 5 Kinder der Gruppe 2 versorgt. Unabhängig vom Lebensalter akzeptierten alle Kinder beide Sprachprozessoren. 70% der Kinder der Gr. 1 zeigten gute Geräuschreaktionen. Hinsichtlich der lautsprachlichen Kommunikation machen die Kinder der Gruppe 2 bessere Fortschritte. Erste Ergebnisse zeigen gute Lokalisationsfähigkeiten aller Kinder. Die ersten Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass bilateral implantierte Kinder auch im jüngeren Alter eine hohe Akzeptanz beider Sprachprozessoren haben und gute Lokalisationsfähigkeiten zeigen. Es bleibt nachzuweisen, ob die Sprachentwicklung insgesamt und das Sprachverstehen im Störschall vergleichbare Erfolge zeigt wie bei den erwachsenen Patienten.


Text

Einleitung

Aufgrund der besseren Sprachperzeption im Störschall und des besseren Richtungshörens ist eine beidohrige Hörgeräteversorgung etabliert. Auch eine beidseitige CI (Cochlea Implantat) Versorgung hat bei Erwachsenen in prospektiven Studien ein besseres Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung zeigen können [1], [2]. Die hier darzustellende prospektive Studie, in der altersabhängig 20 Kinder simultan beidseitig mit einem Cochlea Implantat versorgt wurden, hat die Qualität der Sprachperzeption und Sprachproduktion, die kritische Periode der Entwicklung des binauralen Hörens sowie die Gesamtentwicklung der Kinder im Vergleich zu unilateral versorgten Kindern untersucht.

Methode und Material

Grundlage der Studie sind zwei Gruppen beidseits implantierter Kinder vor dem 2. Lebensjahr (Gruppe 1) und zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr (Gruppe 2). Alle Kinder werden simultan mit einem NUCLEUS 24M Contour CI versorgt. Sofern aus medizinischen Gründen eine unmittelbare simultane Versorgung nicht möglich wäre, würde die zweite Op innerhalb von weiteren 4 Wochen erfolgen. Kontrollgruppen mit jeweils zwei alterskorrelierten, einseitig versorgten Kindern mit und ohne kontralateraler Hörgeräteversorgung wurden in die Studie aufgenommen. Die Auswahlparameter ermöglichen match-pair Vergleiche und schließen Kinder mit Zusatzbehinderung aus. Die Gruppengröße umfasst bei allen 6 Gruppen 10 Patienten.

Die Überprüfung der Therapieergebnisse erfolgt 3 Monate, 6 Monate und dann jährlich postoperativ unter Einschluss von Fragebögen (MAIS, MUSS), Sprach- und Entwicklungstests (u.a. Reynell Skalen), Lokalisationstests und einer jährlichen neuropädiatrischen Untersuchung.

Bis Mai 2003 konnten 10 Kinder bis zum Alter von 2 Jahren (Gr. 1) und 4 Kinder bis zum Alter von 6 Jahren (Gr.2) beidseits implantiert werden. Das mittlere Alter zum Zeitpunkt der beidseitigen Implantation lag bei 1,2 Jahren bzw. 4 Jahren.

In den Vergleichsgruppen konnten jeweils 2 Kinder für die bimodale Versorgung in die Studie aufgenommen werden.

Ergebnisse

Alle Kinder wurden in komplikationsfreier Intubationsnarkose simultan implantiert. Bei postoperativ komplikationsfreiem Verlauf zeigte sich nach 3 Monaten eine gute Akzeptanz beider Sprachprozessoren, nach 3 Monaten eine gute und nach 12 Monaten eine optimale Geräuschaufmerksamkeit und -identifikation.

Im Vergleich zum präoperativen Lautsprachgebrauch und der Kommunikationsstrategie [Abb. 1] konnte bei den Kinder implantiert zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr keine wesentliche Verbesserungen bei den jüngeren Kindern allerdings klarer Zugewinn erreicht werden. Eine retrospektive Untersuchung der lautsprachlich orientierten Kommunikation von 69 vor dem 2. Lebensjahr unilateral versorgter Kinder zeigt eine gering bessere Entwicklung nach einem Jahr. Einen deutlichen positiven Unterschied zugunsten der bilateral implantierten Kindern (n=4) erweist der Vergleich mit den älteren, unilateral versorgten Kindern (n=254). Obwohl nach 3 Monaten bei den älteren Kindern bereits ein überdurchschnittlich gutes offenes Einsilberverstehen feststellbar ist, erreichen die Kinder, implantiert vor dem 2. Lebensjahr, 1 Jahr postoperativ mit einem Testalter von 2,2 Jahren ein sehr gutes Ergebnis [Abb. 2]. Im Vergleich zu den Gruppen mit einseitiger Versorgung ist das Einsilberverstehen mit bilateralem CI deutlich besser.

Bezüglich der Lokalisationsfähigkeit konnte nach 1 Jahr in 80% der Fälle altersunabhängig eine rechts - links Unterscheidung erreicht werden. Eine geradeaus Identifikation war nur in 40% möglich.

Diskussion

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass im Vergleich zur unilateralen Versorgung von Kindern vor dem 2. Lebensjahr bei einer simultanen, beidseitigen Versorgung kein höheres intra- oder postoperatives Risiko besteht. Das schnelle Gewöhnen an beide Sprachprozessoren sowohl bzgl. des Tragekomforts als auch der zeitgleichen Stimulation über nicht-synchronisierte Prozessoren zeigt indirekt den hohen Nutzen, den die Kinder aus dieser Versorgung haben. Das schlechtere Ergebnis in der geradeaus Identifikation im Vergleich zur rechts-links Lokalisation ist durch die große Zahl vor 2 Lebensjahr implantierter Kinder zu erklären. Auch Normal-hörende diesen Alters haben Schwierigkeiten eine solche Differenzierung durchzuführen.

Den generell hohen Nutzen einer CI Versorgung bei Kindern unabhängig vom Alter und der Versorgungsart zeigen die vergleichbaren Ergebnis in der Entwicklung der Lautsprache als Kommunikationsmedium sowohl bei uni- als auch bilateraler Versorgung. Allerdings wird bei der Analyse des offenen Sprachverstehens deutlich, dass bereits in einem sehr jungen Lebensalter (2 Jahre) der erhebliche zusätzliche Nutzen durch das zweite Implantat für die Sprachentwicklung seinen Niederschlag findet. Hier kann durchaus der These gefolgt werden, dass durch die bilaterale Stimulation in der für die Hörbahnreifung entscheidenden Phase eine qualitativ bessere Reifung auch der kreuzenden Bahnen erfolgt, als dies für die unilaterale Versorgung in der experimentellen Forschung nachgewiesen werden konnte [3].

Inwieweit eine bilaterale Versorgung bei Kindern älter als 2 Jahre unabhängig vom präoperativen Sprachverstehen mit Hörgeräten einen ebenso großen Zugewinn zur Folge hat, muss die sorgfältige Analyse aller bilateral versorgter Kinder im match-pair Vergleich mit unilateral versorgten zeigen.


Literatur

1.
Van Hoessel, RJM, Clark, G.M. (1997): Psychophysical studies with two binaural cochlear implant subjects. J Acoust Soc Am 102: 495 - 507
2.
Staller, S.J., Arcaroll, J.L., Parkinson, A.J. (2002): Clinical study of simultanous bilateral cochlear implantation - preliminary results. 6th European Symposium on pediatric cochlear implantation. 24.2. - 27.2.2002, Las Palmas, Spanien
3.
Reuter, G. (1997): Untersuchungen zur Aufhebung von neonataler akustischer Deprivation durch das Cochlea Implantat: Sinnnesersatz bei gehörlosen Kindern. Habilitationsschrift der MH-Hannover