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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Efferente Verbindungen der motorcorticalen Larynxarea

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  • corresponding author Kristina Simonyan - Abteilung Neurobiologie, Deutsches Primatenzentrum, Kellnerweg 4, 37077 Göttingen, Tel. 0551 3851 283, Fax 0551 3851 302
  • author Uwe Jürgens - Abteilung Neurobiologie, Deutsches Primatenzentrum, Kellnerweg 4, 37077 Göttingen, Tel. 0551 3851 250, Fax 0551 3851 302

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocP09

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp022.shtml

Veröffentlicht: 12. September 2003

© 2003 Simonyan et al.
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Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wurde das komplette efferente Projektionssystem der motorcorticalen Kehlkopfrepräsentation an drei Rhesusaffen (Macaca mulatta) untersucht. Zunächst wurde unter Vollnarkose der Motorcortex nach Orten abgesucht, deren elektrische Reizung zu Stimmlippenadduktion führte. Dann wurde in diese Orte der anterograde Tracer Biotin-Dextranamin injiziert. Nach einer Überlebenszeit von 7 Wochen wurden die Tiere perfundiert und die Gehirne immunhistologisch aufgearbeitet. Projektionen fanden sich vom Injektionsort in den angrenzenden Motorcortex, Prämotorcortex, in die der Broca-Area homologe Region, in den frontoparietalen Opercularcortex und den primären somatosensorischen Cortex sowie Teile des Präfrontalcortex, des unteren Parietalcortex, der Insel, des Gyrus cinguli und der motorischen Supplementärarea. Subcorticale Projektionen zogen zum Putamen, Caudatum und Claustrum des Endhirns und einer Reihe von Thalamuskernen (besonders Nucl. ventralis lateralis, ventralis posteromedialis, mediodorsalis, centrum medianum, centralis medialis und reuniens) sowie Zona incerta und Feld H (Forel) im Zwischenhirn. Im Hirnstamm fanden sich Terminalmarkierungen im Locus coeruleus, Nucl. subcoeruleus, Nucl. parabrachialis medialis, spinalen Trigeminuskern, Solitariuskern und Facialiskern. Alle genannten Strukturen stellen somit Gebiete dar, die möglicherweise direkt oder indirekt an der Lautgebung beteiligt sind.


Text

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit wird das komplette Projektionssystem des motorcorticalen Kehlkopfareales von Rhesusaffen (Macaca mulatta) präsentiert. Ziel der Arbeit war es, die der Stimmgebung zugrundeliegenden zentralnervösen Verschaltungen besser zu verstehen. Dazu sollten mit Hilfe eines anterograden Tracers die efferenten Projektionen der motorcorticalen Larynxarea dargestellt werden, einem Gebiet, für das auf Grund früherer funktioneller Untersuchungen Hinweise existieren, dass es an der Stimmkontrolle beim Sprechen und Singen beteiligt ist.

Die lokalisierte elektrische Reizung dieses Gebietes führt zu Stimmlippenbewegungen im Menschen und nicht-menschlichen Primaten [1], [2], [3]. Beim Menschen ist es auch möglich, Stimmgebung auszulösen [4].

Neurologische Untersuchungen an hirnverletzten Patienten haben gezeigt, dass Läsionen in diesem Gebiet zu Stimmstörungen (Dysphonie) und Sprechstörungen (Dysarthrie) führen.

Methode

Das Experiment wurde an 3 Rhesusaffen durchgeführt. Dies hat seinen Grund darin, dass die anterograde Tracing-Methode nicht am Menschen einsetzbar ist und andere Säuger als Primaten ausscheiden, da bei ihnen die Neuroanatomie zu sehr von der des Menschen abweicht, um als Modell für diesen dienen zu können. Den Tieren wurde unter Vollnarkose der Motorcortex freigelegt. Mittels lokalisierter elektrischer Reizung wurden Punkte gesucht, deren Aktivierung zu isolierten Stimmlippenbewegungen führten [5]. Mit Hilfe einer Mikroliterspritze wurde dann in diese Punkte der anterograde Tracer Biotin-Dextranamin injiziert [6]. Nach einer Überlebenszeit von 7 Wochen wurden die Tieren mit einer Überdosis an Narkosemittel eingeschläfert und perfundiert. Die Gehirne wurden freipräpariert und histologisch aufgearbeitet.

Ergebnisse

Die kräftigsten cortico-corticalen Projektionen ziehen vom Injektionsort in den ventralen und dorsalen Prämotorcortex, den primären Motorcortex, das Homolog zur Broca-Area, in den fronto- und parietoopercularen Cortex (inklusive sekundärem somatosensorischen Cortex), die granuläre Insel, Area 3a des primären somatosensorischen Cortex, die motorische Supplementärarea, den vorderen cingulären und dorsalen postarcuaten Cortex. Mittelstarke corticale Projektionen gehen in den ventrolateralen präfrontalen und lateralen orbitalen Cortex, Area 3b und 2 des primären somatosensorischen Cortex, die agranuläre und dysgranuläre Insel und den posteroinferioren Parietalcortex. Schwache cortico-corticale Projektionen enden in dem lateralen und dorsolateralen Präfrontalcortex, Area 1 des primären somatosensorischen Cortex und im Cortex innerhalb des intraparietalen Sulcus und posterioren Sulcus temporalis superior.

Von diesen Projektionen ist die Mehrheit bilateral mit ipsilateraler Dominanz. Die Kreuzung auf die kontralaterale Seite erfolgt jeweils im Corpus callosum.

Subcorticale Projektionen ziehen zum Putamen, Caudatum, Claustrum, Zona incerta, Feld H von Forel, und zu einer Reihe von Thalamuskernen.

Die kräftigsten der Thalamusprojektionen finden sich zum Nucl. ventralis lateralis, ventralis posteromedialis, inklusive parvocellulärem Teil, medialis dorsalis, centralis medialis, centrum medianum und reuniens. Projektionen ins Mittelhirn enden in der Formatio reticularis. Keine Projektionen gehen in den Nucl. ruber.

Im unteren Hirnstamm befinden sich Axonterminalen vorwiegend in der Formatio reticularis. Weitere Projektionen finden sich im Locus coeruleus, Nucl. subcoeruleus, parabrachialis medialis, Griseum pontis, spinalen Trigeminuskern, Solitariuskern und Nucl. facialis. Keine Projektionen finden sich zum Nucl. ambiguus und Nucl. retroambiguus.

Die Mehrzahl der subcorticalen Projektionen ist bilateral mit ipsilateraler Dominanz. Die Kreuzung auf die kontralaterale Seite erfolgt im Thalamus sowie im unteren Hirnstamm unmittelbar nach Austritt der Fasern aus der Pyramidenbahn.

Diskussion

Der laryngeale Motorcortex ist eng verbunden mit Arealen, die sowohl in, als auch entlang der Sylvischen Furche liegen und vom vorderen Präfrontalcortex bis zum hinteren Parietalcortex reichen. Diese Gebiete scheinen für unterschiedliche Organisationsstufen der Vokalisation verantwortlich zu sein, die von der Planung (Präfrontalcortex) über motorische Vorbereitung und Ausführung (prämotorischer und motorischer Cortex), bis zur propriozeptiven (Parietalcortex) und auditiven Rückkoppelungskontrolle (Gyrus temporalis superior) reichen. Die Projektionen in den mediofrontalen Cortex sind wahrscheinlich an der willkürlichen Initiierung von Lautäusserungen beteiligt. Die Mehrzahl dieser Gebiete zeigten mit modernen Bildgebungsverfahren (PET, fMRI) eine Aktivierung beim Sprechen.

Das, im Gegensatz zum Menschen, Fehlen einer direkten Verbindung vom Motorcortex zu den laryngealen Motorneuronen, lässt vermuten, dass diese Verbindung in den letzten wenigen Millionen Jahren entwickelt wurde, und dass möglicherweise diese Verbindung einen der Faktoren darstellt, der die Evolution der Sprache erst möglich gemacht hat.

Abkürzungsverzeichnis: [Abb. 1]. Abb.1: [Abb. 2]


Literatur

1.
M.H. Hast, J.M. Fischer, A.B. Wetzel, V.E. Thompson, Cortical motor representation of the laryngeal muscles in Macaca mulatta, Brain Res. 73 (1974) 229-240
2.
U. Jürgens, On the elicitability of vocalization from the cortical larynx area, Brain Res. 81 (1974) 564-566
3.
A.S.F. Leyton, C.S. Sherrington, Observation on the excitable cortex of the chimpanzee, orang-utan, and gorilla, Quart. J. Exper. Physiol. 11 (1917) 135-222
4.
O. Foester, Motorische Felder und Bahnen, in: O. Bumke, O. Foester (Eds.), Handbuch der Neurologie, Band VI, Springer, Berlin, (1936) 1-448
5.
G. Paxinos, X.-F. Huang, A.W. Toga, The rhesus monkey brain in stereotaxic coordinates, Academic Press, New York, 2000
6.
H.M. Brandt, A.V. Apkarian, Biotin-dextran. A sensitive anterograde tracer for neuroanatomic studies in rat and monkey, J. Neurosci. Meth. 45 (1992) 35-40