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2. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

21.02.2014, Kassel

Über diesen Kongress

Editorial

Forschende Praxis als Hebammenkunst
Rainhild Schäfers

Der Titel unserer 2. Internationalen Fachtagung hat im Vorfeld bei Praktikerinnen1 wie auch Wissenschaftlerinnen für Verwunderung gesorgt. Praktikerinnen sahen in dem Titel so etwas wie Verrat an ihrem Beruf, denn Hebammenkunst sei doch von Tradition und Erfahrung getragen und habe mit Forschung wenig zu tun. Ganz im Gegenteil bedrohe doch ihrer Meinung nach die Forschung eher die Hebammenkunst. Wissenschaftlerinnen hingegen fragten sich, ob sie sich überhaupt aufgefordert fühlen sollten, einen Abstract zu dieser Fachtagung einzureichen – sei doch mit dem Titel nur die Praxis aufgefordert von ihren (Forschungs-) Projekten zu erzählen.

Es stimmt positiv, dass die Fachtagung bereits durch die Wahl des Tagungstitels zur Diskussion anregt. Immerhin ist die Diskussion Zeichen einer fachlichen Auseinandersetzung und eine gelungene Fachtagung zeichnet sich nun mal auch durch eben diese aus. Dennoch wird durch die unterschiedlichen Interpretationen des Tagungstitels auch deutlich, dass der Weg zu einem gelungenen Theorie-Praxis-Transfer oder auch Praxis-Theorie-Transfer gerade erst beschritten wurde. Forschung und  Praxis dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. So hat die Hebammenforschung bereits ihren Ausgangspunkt in der Praxis, denn dort entsteht im Umgang mit den Frauen und ihren Familien während der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit ein Großteil der Forschungsfragen. Hier liegt eine große Stärke, denn es ist in der medizinischen Forschung eine Besonderheit sich mit Fragen, die im Umgang mit Patientinnen/Klientinnen und damit mit ihnen gemeinsam entstehen, wissenschaftlich auseinanderzusetzen. In der Regel liegt der Ausgangspunkt einer medizinischen Fragestellung eher in der Maßnahme an sich als im Umgang mit Patientinnen/Klientinnen.

Als Beispiel für eine Hebammenforschungsperspektive sei der Beitrag von Judith Scholler-Sachs und Wilfried Schnepp genannt, die sich mit dem Schwangerschaftserleben nach der Diagnose eines Gestationsdiabetes (GDM) beschäftigt haben. Die Forschung zum Screening auf GDM an sich darf als umfassend bezeichnet werden. Wenig bis gar nichts findet man jedoch im deutschsprachigen Raum aus der Sicht der Frauen zu diesem Thema. Und dies obwohl die maßgebliche Bedeutung der Compliance an der Gesunderhaltung eines Menschen längst bekannt ist.

Jede Hebamme in der Praxis darf auch als Forscherin betrachtet werden, denn sie sammelt Erfahrungswissen als wesentlichen Bestandteil ihrer Hebammenkunst. Zudem formuliert sie als reflektierende Praktikerin Fragen, die sich aus ihrem Berufsalltag ergeben und die Ausgangspunkte großer Forschungsprojekte darstellen können. Gleichzeitig darf es aber auch als Hebammenkunst betrachtet werden, das Erfahrungswissen unter Einbezug der Hebammenexpertise zu systematisieren beziehungsweise die in der Praxis entstandenen Fragen innerhalb von Forschungsprojekten zu bearbeiten  und damit eine ganz spezielle Forschungsrichtung weiterzuentwickeln, die erst vor 15 Jahren in Deutschland ihre zarten Anfänge nahm. Diese Forschung geht wie die Praxis von einem primär physiologischen Lebensereignis und von den Bedürfnissen der Frauen in diesem Zusammenhang aus, wohlwissend dass hier die Basis für eine interventionsarme, ressourcenschonende und qualitativ hochwertige Geburtshilfe liegt. Gleichzeitig beschäftigt sich Hebammenforschung aber auch mit Rahmenbedingungen wie Ausbildung (Beitrag Nancy Stone) oder Arbeitsstrukturen (Beitrag Nina Reitis, Jean Rankin, Christine Färber), die hierfür erforderlich sind, und beleuchtet nicht zuletzt auch kritisch einzelne Prozessstrukturen (Beitrag Jessica Pehlke-Milde) und wie die eigentliche Hebammenforschung unter Berücksichtigung ethischer Kriterien gut gelingen kann (Beitrag Ute Lange und Julia Kümper).

In der heutigen Zeit ist Hebammenkunst nicht nur von Erfahrung und Tradition geprägt, sondern auch von einem tiefen Verständnis für die subjektiven Bedürfnisse der jeweiligen Frau und der kritischen Reflexion des eigenen Hebammenhandelns. Hebammenforschung bildet hierfür wie auch für die Anerkennung der Hebammenkunst die Basis. Die (forschende) Praxis ist dabei der unabdingbare Ausgangspunkt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß und gute Anregungen bei der Lektüre dieses Tagungsbandes.

 

Rainhild Schäfers

Für den Vorstand

1 Zur besseren Lesbarkeit wird die weibliche Form gewählt. Männliche Vertreter sind selbstverständlich mit gemeint und ebenfalls angesprochen.

Grußwort

Die HGH unterstützt die 2. Internationale Fachtagung!

Liebe Kolleginnen, liebe werdende Hebammen,

ich freue mich sehr, heute im Namen der Hebammengemeinschaftshilfe e. V. (HGH) ein paar Worte an Sie alle richten zu dürfen und bedanke mich bei dem Vorstand der DGHWi und den Organisatorinnen für die Ausrichtung des heutigen Tages.

Die Gründermütter der Hebammengemeinschaftshilfe würden sich die Augen reiben, wenn sie sehen könnten, wie weit ihr Wunsch nach Fort- und Weiterbildung für Hebammen gediehen ist. Eine Säule der HGH ist seit Beginn der 90er Jahre die Förderung der Forschung mit Hilfe des über lange Zeit jährlich durchgeführten Forschungsworkshop. Ziel war es, Kolleginnen zu ermutigen sich an Literatur heranzuwagen, Grundlagen im wissenschaftlichen Arbeiten zu vermitteln und von Hebammen aus anderen Ländern zu lernen, die hier viel weiter waren als wir. Hebammen suchten Anschluss in Studienbereichen wie Psychologie, Soziologie, Geschichte oder Erziehungswissenschaften, später dann das weite Feld der Pflegewissenschaften. Und heute studieren Hebammen ihr eigenes Fach, nämlich Hebammenkunde. Alle akademischen Abschlüsse in Midwifery sind Wirklichkeit.

Und da war es nur ein konsequenter Weg, eine Fachgesellschaft für Hebammenkunde zu gründen, nämlich die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften e. V. (DGHWi), zur Stärkung und Weiterentwicklung unserer Profession. Dass nun die DGHWi die Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erreichen möchte, bedeutet ein hohes Engagement des Vorstandes und dazu wünsche ich die nötige Kraft.

Aber was bedeutet das im Alltag der Hebammen im Kreißsaal oder bei den täglichen Touren durch Deutschlands Gemeinden und Städte? Wir werden anders wahrgenommen, werden gehört und gefragt: bei fachlichen Diskussionen und von der Politik. Bleibt dabei unsere Intuition auf der Strecke? Unser Bauchgefühl? Ich glaube nicht. Denn wir haben ja das Denken nicht aufgegeben.

Wissenschaftliche Ergebnisse sind wichtige Grundlagen unsers Handelns. Sie dürfen aber nicht den Blick auf die individuelle Situation einer Familie verstellen, genauso wenig, wie einzelne Erfahrungen für alle anderen Frauen zum Handlungsleitfaden werden können. Die Praxis wirft Fragen auf, die wir gerne methodisch untersuchen möchten und die Wissenschaft versachlicht die Praxis. Und dieses "Hand-in-Hand" arbeiten spiegelt sich im heutigen Programm wieder.

Was soll eine Hebammen sein oder können? Empathie, Intuition, handwerkliches Geschick, Organisationstalent, Gesprächsführung, gesunder Menschenverstand ... Diese Liste ließe sich sicher noch erweitern. Und was hat das mit Wissenschaft im eigentlichen Sinnen zu tun? Viel! Denn Sie kennen alle den Satz: Ich muss viel wissen, um wenig zu tun. Und darum passt diese Veranstaltung heute so gut.

Ich wünsche uns allen neue Erkenntnisse, Stärkung an unseren Wirkungsstätten und rege Diskussionen. Vielen Dank!

 

Ursula Jahn-Zöhrens

1. Vorsitzende der Hebammengemeinschaftshilfe
Bad Wildbad im Januar 2014

Keynote

A Safe Pair of Hands: Using midwifery research to give the best care to women and their families
Sichere Hände: Hebammenforschung nutzen, um Frauen und ihren Familien die bestmögliche Betreuung zu geben

Although midwifery is an old and venerable profession that dates back thousands of years, the concept of midwifery research is quite a new phenomenon that has only developed as an academic discipline in the past thirty years or so.

In my talk, I will consider what we mean when we talk about midwifery research, and why I think this research matters. I will give a very personal reflection on some key pieces of research that have changed my midwifery practice, and will also consider why some research findings do not appear to be implemented.

I will go on to highlight some of the findings from the Birthplace in England study, and will talk about the challenges in trying to implement some of these findings in practice. Finally, I will consider how we discuss research findings with women and why we need to continue building midwifery research, in order to ensure that we give the best possible care to women and their families.

Dr. Mary Stewart ist eine renommierte britische Hebamme, die die Life Study federführend leitet. Diese ist die bisher größte nationale Geburten-Kohortenstudie Großbritanniens. Mary Stewart war bereits 2007-2010 die führende Hebammenforscherin der "Birthplace in England" Studie, in welcher die Outcomes von geplanten Hausgeburten, von Geburten in verschiedenartigen hebammengeleiteten Einrichtungen und Geburten in geburtshilflichen Abteilungen verglichen wurden. Sie setzt sich aktiv für die Integration von Forschung in die Praxis ein und hat darüber hinaus ein aktives Interesse in qualitativer Forschung.

Mary verfügt über eine umfangreiche Publikationserfahrung. Sie hat das Buch ‘Pregnancy, Birth and Maternity Care: Feminist Perspectives’ herausgegeben, das inzwischen zu einem der obligatorischen Lehrbücher für die akademische Hebammenausbildung in Großbritannien avancierte und international bekannt ist. 

 

Dr. Mary Stewart

University College London, London, Großbritannien

 

Vita:
Current employment (since May 2013):
  • Lead research midwife, Life Study, Institute of Child Health, University College London
Previous employment (past ten years only):
  • September 2010 – May 2013: Senior lecturer in midwifery, King’s College London
  • August 2007 – August 2010: National lead research midwife, Birthplace in England Research Programme, National Perinatal Epidemiology Unit (NPEU), University of Oxford
Education:
  • 2001 – 2008: PhD – Midwives’ discourses on vaginal examination in labour
  • 1997 – 1999: M.Sc. in Women’s Studies
  • 1996 – 1997: B.Sc. (Hons – First class) in Professional Studies (Midwifery)
  • 1984 – 1985: Registered Midwife
  • 1977 – 1980: Registered Nurse