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1. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen e. V. (DGESS)

Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e. V.

8. ? 10.11.2007, Prien am Chiemsee

Sind Essstörungen bei türkischstämmigen Patientinnen anders? Kulturbezogene Aspekte in der Diagnostik und Behandlung

Meeting Abstract

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Deutsche Gesellschaft für Essstörungen. 1. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen e.V. (DGESS). Prien am Chiemsee, 08.-10.11.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgess14

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgess2007/07dgess14.shtml

Veröffentlicht: 24. Oktober 2007

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Gliederung

Text

90 % der deutschen Wohnbevölkerung haben nach der Definition des statistischen Bundesamtes einen Migrationshintergrund. Die größten Gruppen sind die Russlanddeutschen und die Türken. Uns hat interessiert, wie sich diese Verteilung in der Bevölkerung auf die Behandlungsgruppe der essgestörten Patientinnen abbildet und ob sich daraus Implikationen für die Therapie dieser Patientengruppe ergeben.

Näher beleuchtet haben wir das an dem Beispiel der türkischen Patientinnen mit Essstörungen, die in der Parkland-Klinik stationär behandelt wurden. In den letzten fünf Jahren wurden 1.100 essgestörte Patientinnen behandelt. Türkische Patientinnen der 1., 2. und 3. Generation wurden identifiziert und mit anderen Nationalitäten verglichen.

2 % der türkischen Patientinnen gehörten der 1. Generation der Migranten an, 41 % gehörten der 2. Generation an, 18 % gehörten der 3. Generation an und 39 % konnten nicht sicher nicht sicher der 2. oder 3. Generation zugeordnet werden. Bei den erwachsenen essgestörten Patientinnen sind türkische Migrantinnen mit 9 % überrepräsentiert, der türkische Anteil verglichen mit Erwachsenen ist bei Jugendlichen fast 50 % geringer. Wir vermuten, dass türkische Jugendliche es schwerer haben als türkische Erwachsene in die stationäre Behandlung zu kommen.

Die meisten türkischen Migrantinnen, die bei uns wegen Essstörungen behandelt werden, sprechen fließend Deutsch und Türkisch, in den Familien wird meist türkisch gesprochen. Fast alle türkischen Patienten bekennen sich zur islamischen Religion, religiöse Minderheiten (z.B. Aleviten) sind überrepräsentiert. Familiäre Traditionen spielen eine wichtige Rolle. Die Patientinnen bewegen sich in Netzwerken, Familie und türkische Gemeinde haben einen großen Einfluss. Ein hoher Prozentsatz (oder deren Eltern) ist arbeitslos oder bekommt Sozialhilfe. Mädchen und Frauen haben sehr häufig (40-50 %) Gewalterfahrungen. Türkische Migrantinnen und Migranten besonders der 2. Generation stehen zwischen türkischer und deutscher Kultur, zwischen Tradition und Moderne. Diese Konflikte und die geschilderte sozial schwierige Lebenssituation werden sich auch in der Entwicklung einer Essstörung sowie in der Behandlung niederschlagen.

In der türkischen Kultur gibt es keine Tradition der Psychotherapie. Ärzte haben einen hohen Status, häufig ist jedoch auch der Gang zum Wunderheiler. Viele Patientinnen mit Essstörungen kommen daher nicht in Behandlung – und wenn sie in Behandlung kommen droht ein Therapieabbruch. Wichtigstes Therapieziel ist es daher, die Familie der Patientinnen in der Form einzubeziehen, dass eine Erlaubnis für eine psychotherapeutische Behandlung gegeben wird. Wir haben daher eine besondere Form der Einbeziehung der türkischen Familien entwickelt und stellen einzelne Punkte näher dar.

Türkische Patientinnen mit Essstörungen sind als eigene Gruppe identifizierbar. In dieser Patientengruppe existieren besondere psychosoziale Hintergründe, die in der Behandlung berücksichtigt werden sollten. Die Einbeziehung türkischer Angehöriger stellt eine Herausforderung dar, bringt aber einen vielfachen Nutzen für die Therapie.