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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Onomatopoeia – die Laute hinter den Wörtern hören

Kommentar Kommunikation in der Medizin

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  • corresponding author Claudia Schlegel - Berner Bildungszentrum Pflege, Bern, Schweiz
  • author Cathy Smith - Center for Education - Division of Training & Simulation, Baycrest, Toronto, Kanada
  • author Keiko Abe - Aichi Medical University, Japan
  • author Roger Kneebone - Imperial College London, Faculty of Medicine, Department of Surgery & Cancer, London, UK

GMS J Med Educ 2021;38(7):Doc123

doi: 10.3205/zma001519, urn:nbn:de:0183-zma0015194

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001519.shtml

Eingereicht: 19. März 2021
Überarbeitet: 15. Juli 2021
Angenommen: 17. August 2021
Veröffentlicht: 15. November 2021

© 2021 Schlegel et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Einleitung

Ein Patient schildert gegenüber einer Ärztin: „Ich bin gestolpert und habe ein schreckliches Knacken in meinem Knöchel gehört. Ich schrie: aua, aua! Und jemand kam und half mir“. „Aua“ und „Knack“ sind Beispiele für Onomatopoeia – Wörter, die wie die Dinge klingen, die sie beschreiben. In jeder Sprache gibt es diese mimetischen Wörter, die oft verwendet werden, um einen persönlichen Eindruck und ein emotionales Empfinden auszudrücken. Sie gelten in der Alltagssprache als unverzichtbar. In der Tat kann Onomatopoeia dazu beitragen, Ereignisse besser zu erklären, Emotionen anschaulicher zu beschreiben und dem Empfänger oder der Empfängerin ein besseres Verständnis von Absicht und Bedeutung zu vermitteln [1].

Onomatopoeia ist ein literarisches Hilfsmittel – wie die Metapher – das etwas aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen überträgt. Im Falle der Onomatopoeia klingt das „Etwas“ wie das Geräusch, das die verbale Äusserung verursacht: beispielsweise das Öffnen einer Flasche mit kohlensäurehaltigem Getränk (fizz) oder den Schrei einer Gans (honk). Diese „geräuschähnlichen“ Wörter werden auch als echoartig bezeichnet, in Anlehnung an das mythologische Echo [2]. Einige echoartige Wörter, die wir alle kennen, sind hush, growl, clash, gulp, screech, moan, laugh und chortle, wobei der letztgenannte Begriff von dem britischen Autor Lewis Carroll (1832-1898) kommt, von dem auch Alice’ Abenteuer im Wunderland [2] stammt.

Als international zusammengesetzte Gruppe von Lehrenden der Medizin- und Pflegeausbildung, die über eine Expertise im Bereich von Simulationen verfügen, sind wir durch eine japanische Kollegin auf die Bedeutsamkeit von Onomatopoeia aufmerksam geworden. Diese Bedeutsamkeit von mimetischen Wörtern im Umgang mit Patientinnen und Patienten hat uns angeregt, das Thema weiter zu untersuchen. Wir erfuhren, dass in Japan mehr als tausend allgemeine mimetische Wörter in Gebrauch sind [3]. Während der Diskussion stellten wir uns die Frage, wie das Wissen über Onomatopoeia bei Patientinnen und Patienten in deren klinischen Praxis angewendet werden kann.

Da Schmerzen in den meisten Ländern der häufigste Grund für ärztliche Konsultationen sind [4], nahmen wir als Ausgangspunkt eine Untersuchung von mimetischen Wörtern für Schmerzen in verschiedenen Kulturen.

Wir entdeckten, dass stimmliche Reaktionen auf den Ausdruck von Schmerz in einigen Ländern phonetisch ähnlich zu sein scheinen, mit sprachübergreifenden Analogien wie „ow“ im Englischen, „aua“ in Deutschland, „ahia“ in Italien oder „aiyo“ im Chinesischen [5]. Bei diesen Wörtern handelt es sich um einfache Laute, die wenig artikulatorische Kontrollen erfordern und gleichzeitig die Lautstärke maximieren, sodass sie bei Schmerzen leicht und effektiv eingesetzt werden können. In anderen Ländern sind die mimetischen Wörter zur Beschreibung von Schmerzen jedoch nuancierter und anschaulicher. In Japan zum Beispiel bezeichnet „gan gan“ starke Kopfschmerzen, „zuki zuki“ bezieht sich auf Rückenschmerzen oder auf Schmerzen in verschiedenen anderen Körperteilen.

Ein Kollege aus Togo, Westafrika, erklärte, dass auch in seinem Land verschiedene mimetische Wörter zur Beschreibung unterschiedlicher Arten von Schmerzen verwendet werden können. Er nannte einige Beispiele: „gbo gbo“ bezeichnet Kopfschmerzen, „poupoupou“ steht für pulsierende Schmerzen. Wie Japan ist auch Togo ein Land, in dem Onomatopoeia weit verbreitet ist und verstanden wird.

Obwohl die offizielle Sprache in Togo Französisch ist, ist das Land mehrsprachig, es werden über 40 Sprachen und Dialekte gesprochen. Manche Patientinnen und Patienten beherrschen das Französische nicht ausreichend, um ihre Anliegen in dieser Sprache präzise zu formulieren. Ärztinnen, Ärzte und Pflegende wiederum können nicht alle in Togo gesprochenen Sprachen und Dialekte sprechen und verstehen, sodass das Beherrschen von mimetischen Wörtern bei der Diagnose eine große Rolle spielt. Die Laute dieser Wörter überschreiten die traditionellen Sprachgrenzen und vermitteln Bedeutungen, die allgemein verstanden werden. Diese Aussage deckt sich mit dem bekannten Bouba/Kiki-Effekt, bei dem Menschen aus verschiedenen Kulturen und unterschiedlichen Sprachen Zeichnungen zweier Formen (eine weiche, runde und eine zackige, eckige) vorgelegt werden, die sie jeweils mit den erfundenen Klängen „bouba“ oder „kiki“ verbinden sollen. Fast alle assoziieren „bouba“ mit der runden und „kiki“ mit der gezackten Form [6].

Manchmal wird angenommen, dass Onomatopeia nur Kindern vorbehalten ist, die noch keinen ausgefeilten Wortschatz haben. Tatsächlich gibt es in japanischen Kinderreimen viele mimetische Wörter. Kasai [7] analysierte alle diese in „Kodomo-no-Uta 200“ (einer Sammlung japanischer Kinderreime) und fand heraus, wie Onomatopoeia in Kinderliedern sowie im Spiel aussieht. So hat Onomatopoeia die Fähigkeit, mehrere Arten der Sinneswahrnehmung anzusprechen, um Informationen aus einem Kontext oder einer Situation zu erfassen, die durch herkömmliche Wörter nicht vermittelt werden können. Kinder, deren Wortschatz noch nicht so umfangreich ist, haben eine lebhafte Vorstellungskraft und können diese Welt durch Onomatopoeia leicht erfahren.

Wir stellen jedoch die Aussage, dass Onomatopoeias nur für Kinder bestimmt sind, in Frage, und argumentieren, dass eine gezielte Verwendung von Onomatopoeia, zum Beispiel zur Beschreibung von Schmerzen in Ländern wie Japan und Togo, eine andere Interpretation erfordert. In der Tat spielt das Lehren um das Verständnis für Onomatopoeia im japanischen klinischen Umfeld eine wichtige Rolle. In den medizinischen Fakultäten ist das Lehren von Onomatopoeia ein fester Bestandteil, bei der die Methodik mit standardisierten/simulierten Patientinnen und Patienten (SP) zur Anwendung kommt [3]. SP-basierte Szenarien werden unter Einbezug von mimetischen Wörtern gestaltet. SP werden darin geschult, diese Wörter in den Begegnungen mit den Studierenden zu verwenden. Die Lernenden sind angehalten, den SP genau zuzuhören, deren Anliegen aufzunehmen und mimetische Wörter mit der gleichen Präzision zu interpretieren wie eine formelle Sprache. Das lässt sich am Beispiel einer japanischen Patientin illustrieren, die mit starken Kopfschmerzen zum Arzt oder zur Ärztin geht. Anstatt den Ausdruck „starke Kopfschmerzen“ zu verwenden, erklärt sie, dass ihre Schmerzen zunächst leicht waren und sich zu „gan gan“ (starken) Schmerzen entwickelten. Die Studierenden müssen nun „gan gan“ als starke Kopfschmerzen interpretieren und der Patientin die erforderliche Behandlung zukommen lassen.


Diskussion

Wir weisen darauf hin, dass Onomatopoeia als eine intuitive Ausdrucksform verstanden werden soll, die oft kultur- und/oder sprachspezifisch ist. Patientinnen und Patienten teilen damit ihre Anliegen an Gesundheitsdienstleister mit. Sorgfältig gestaltete Begegnungen mit SPs, wie sie in Japan entwickelt wurden, bieten den Studierenden ausgezeichnete Gelegenheiten, um mimetische Äusserungen zu erkennen und zu verstehen. Wenn sich Fachpersonen des Gesundheitswesens der Feinheit und Präzision mimetischer Wortäusserungen bewusst sind, können sie Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten besser verstehen und eine angemessene Behandlung anbieten. In der heutigen Zeit, in der Gesichter von Patientinnen und Patienten – bedingt durch die Covid-Pandemie – hinter einer Maske verborgen sind, nimmt die Fähigkeit des Zuhörens und Interpretierens an Bedeutung zu. Diese Kompetenz müssen Gesundheitsdienstleister unter Beweis stellen. Ungeachtet der Pandemie bedeutet jedoch die zunehmende Globalisierung und die Migration von Menschen zwischen verschiedenen Sprachkulturen, dass das Erkennen und Interpretieren von Onomatopoeia zu einer immer wichtigeren diagnostischen Fähigkeit für medizinische Fachpersonen, insbesondere für Kinderärzte und -ärztinnen, werden kann, die sie beherrschen müssen, um zu verstehen, was Patientinnen und Patienten mitzuteilen versuchen. Daher sollten im Lehrplan für Gesundheitsdienstleister Lernsettings mit SPs geplant und aufgenommen werden, mit Schwerpunkt auf die Verwendung von Onomatopoeia.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Flyxe M. Translation of Japanese onomatopoeia into Swedish. Africa Asia. 2002;2:54-73.
2.
Taylor RB. The amazing language of medicine. New York: Springer International; 2017. DOI: 10.1007/978-3-319-50328-8 Externer Link
3.
Abe K. International perspective on word describing symptoms - Use of Onomatopoeia to Enhance Emotional Expression during Medical Encounters in Asian Countries ASPE General Interest. Altamonte Springs: ASPE; 2018.
4.
Debono DJ, Hoeksema LJ, Hobbs RD. Caring for patients with chronic pain: pearls and pitfalls. J Am Osteopath Assoc. 2013;113(8):620-627. DOI: 10.7556/jaoa.2013.023 Externer Link
5.
Sakamoto M, Ueda U, Doizaki R, Shimuzu Y. Communication Support System Between Japanese Patients and Foreign Doctors Using Onomatopoeia to Express Pain Symptoms. J Adv Comp Intell Intell Inform. 2014;18(6):1020-1025. DOI: 10.20965/jaciii.2014.p1020 Externer Link
6.
Ramachandran V, Hubbard E. Synaesthesia - A Window Into Perception, Thought and Language. J Cons Stud. 2001;8(12):3-34.
7.
Kasai K. A Study of Onomatopoeia in Japanese Children's Songs. Bull Hosen. 2012;3:33-43.