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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie könnte eine curriculare Verankerung des Themas Patientensicherheit aussehen? Eine Handreichung des Ausschusses für Patientensicherheit und Fehlermanagement der GMA

Artikel Patientensicherheit

  • corresponding author Jan Kiesewetter - Klinikum der LMU München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • Sabine Drossard - Städtisches Klinikum München GmbH, Klinikum Schwabing, Klinik für Kinderchirurgie, München, Deutschland
  • Rainer Gaupp - Albert-Ludwigs Universität Freiburg, Medizinische Psychologie und Soziologie, Freiburg, Deutschland
  • Heiko Baschnegger - Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement, München, Deutschland
  • Isabel Kiesewetter - Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinik für Anästhesiologie, München, Deutschland
  • Susanne Hoffmann - Universitätsklinikum Bonn, Institut für Patientensicherheit, Bonn, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(1):Doc15

doi: 10.3205/zma001162, urn:nbn:de:0183-zma0011622

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001162.shtml

Eingereicht: 30. März 2017
Überarbeitet: 30. August 2017
Angenommen: 20. September 2017
Veröffentlicht: 15. Februar 2018

© 2018 Kiesewetter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Das Thema Patientensicherheit steht im Zentrum des Interesses des Gesundheitswesens. Im Hinblick auf die Umsetzung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges für das Medizinstudium (NKLM) muss das Thema nun für die medizinische Lehre vorbereitet werden. Zur fachlich-inhaltlichen Orientierung wurde vom GMA-Ausschuss der Lernzielkatalog Patientensicherheit für das Medizinstudium (GMA-LZK) entwickelt. Für eine optimale Umsetzung des GMA-LZK wird eine longitudinale Einbettung in das bestehende Curriculum empfohlen. Das vorliegende Positionspapier soll als Hilfestellung zur Implementierung des GMA-LZK dienen und richtet sich an alle Personen, die Lehre zum Thema Patientensicherheit etablieren und im Curriculum verankern möchten. In diesem Zusammenhang werden zunächst Eckpunkte für eine strukturierte Standortanalyse beschrieben. Anhand dreier Best-Practice-Beispiele der Fakultäten Freiburg, Bonn und München wird aufgezeigt, welche unterschiedlichen Herangehensweisen zur Implementierung des GMA-LZK bereits genutzt werden. Abschließend wird dargestellt, welche methodischen Anforderungen sich für die Curriculumsentwicklung ergeben und welche fachlichen und methodischen Kompetenzen Lehrende mitbringen bzw. entwickeln müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Schlüsselwörter: Patientensicherheit, medizinische Ausbildung, Curriculumsentwicklung, Lernziele, Kompetenzen


Einleitung

Die medizinische Ausbildung steht im Rahmen des Masterplans Medizinstudium 2020 erneut vor weitreichenden Veränderungen, die für alle Fakultäten eine Herausforderung aber auch eine große Chance darstellen. Wie nie zuvor ist das Thema Patientensicherheit im Kontext der medizinischen Ausbildung angekommen. Es wird so bei Curriculumsreformen, gegenwärtig v. a. im Zuge der Umsetzung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges für das Medizinstudium (NKLM) mitgedacht und als Lehr- wie Lerninhalt integriert.

Patientensicherheit wirkt als Thema in alle Bereiche der Medizin hinein, ist aber weder einem einzelnen klinischen oder theoretischen Fach zugehörig noch institutionell durch eine Fachdisziplin direkt repräsentiert. Es stellt sich daher die Frage, wie eine strukturierte Implementierung der Lehrinhalte trotzdem gelingen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Thematik Patientensicherheit multiprofessionell und interdisziplinär alle Berufsgruppen, Hierarchieebenen und Fachrichtungen betrifft und aktuell schon an verschiedenen Stellen in das Curriculum hineinwirkt und zumeist implizit schon immer wirkte.

Das Ziel, das Thema Patientensicherheit strukturiert und umfassend in die Curricula zu integrieren, scheint zurzeit gut erreichbar – wohl wissend, dass die didaktische und inhaltliche Ausgestaltung von Lehreinheiten zur Patientensicherheit noch nicht abgeschlossen ist. Der GMA-Ausschuss für Patientensicherheit und Fehlermanagement begleitet diesen Prozess und kann bereits in vielen Fakultäten Bemühungen feststellen, Ausbildung zum Thema Patientensicherheit in das Studium der Humanmedizin zu integrieren.

Zur fachlich-inhaltlichen Orientierung wurde vom GMA-Ausschuss ein Lernzielkatalog Patientensicherheit für das Medizinstudium (GMA-LZK) entwickelt [1]. Dieser Lernzielkatalog adressiert explizit das Studium der Humanmedizin an deutschen Universitäten; ärztliche Weiter- und Fortbildung bleiben ausgeklammert. Insgesamt besteht der GMA-LZK aus 38 Lernzielen mit einer entsprechenden Kennzeichnung als Wissensziel, Haltungsziel und/oder als zu erlernende Fertigkeit. Alle Lernziele des GMA-LZK sind mit dem NKLM referenziert. Sie sind in drei aufeinander aufbauende Themenblöcke gegliedert, wodurch eine longitudinale Implementierung unterstützt wird. Im Gegensatz zu anderen Lernzielkatalogen enthält der GMA-LZK vergleichsweise wenige, aber praxisnahe und konkrete Lernziele, die das Basiswissen und die Basisfertigkeiten der angehenden Mediziner im Bereich Patientensicherheit abbilden [1].


Ziele und Gliederung

Die Ausgangslagen und Rahmenbedingungen für eine Curriculumsentwicklung sind an den Medizinischen Fakultäten sehr unterschiedlich. Wir gehen daher davon aus, dass verschiedene Varianten der Implementierung des Themas Patientensicherheit notwendig und möglich sind. Es gibt jedoch prinzipielle Aspekte und Fragen, die an jeder Fakultät eine wichtige Rolle einnehmen und die vor Implementierungsbemühungen allgemein und bezogen auf die Inhalte der Patientensicherheit im Speziellen geklärt werden sollten.

Wir richten uns daher mit diesem Positionspapier an alle Personen, die Lehre bzw. mit Bezug zur Patientensicherheit im Rahmen des GMA-LZK oder darüber hinaus etablieren und im Curriculum verankern wollen. Das vorliegende Positionspapier wurde vom Ausschuss für Patientensicherheit und Fehlermanagement in drei Workshops in München und Bern im Laufe der Jahre 2016 und 2017 erstellt. Am Ende der Lektüre soll der Leser

  • wissen, dass die Integration von Patientensicherheit in das Medizinstudium auf verschiedenen Wegen möglich ist und
  • eine Einschätzung vornehmen können, wie die Curriculumsentwicklung in der eigenen Fakultät ressourcengerecht und sinnvoll erfolgen kann.

Allgemeine Hinweise zur Implementierung des GMA-LZK

Zunächst erörtern wir einige allgemeine Hinweise bzw. Empfehlungen zur Implementierung des GMA-LZK. Grundsätzlich sollte sich das Vorgehen bei der Curriculumsentwicklung am iterativen Zyklus von Kern orientieren [2]. Wir empfehlen eine longitudinale Einbettung des Lernzielkatalogs Patientensicherheit in das bestehende Medizinstudium [2], [3], [4]. Longitudinale Curricula haben den Vorteil, dass Lehrinhalte mehrfach, auf jeweils höherem Niveau mit zunehmender Komplexität und mit unterschiedlichen Schwerpunkten vermittelt werden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Für das Thema Patientensicherheit kann den Studierenden so der Kontext von Patientensicherheit in verschiedenen klinischen Fächern im medizinischen Fächerkanon deutlich gemacht werden. Der Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und förderlichen Einstellungen für Patientensicherheit erfolgt schrittweise und dem Wissens- und Erfahrungsstand entsprechend.

Um ein Thema longitudinal umzusetzen, bedarf es einer strategisch ausgerichteten und systematischen Curriculumsentwicklung [3]. Auch wenn die longitudinale Integration des GMA-LZK in das medizinische Curriculum das präferierte Ziel ist, kann es sinnvoll sein, zunächst schrittweise vorzugehen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Damit der Lernzielkatalog formal als vollständig erfüllt gilt, sollten alle Lernziele durch Pflichtveranstaltungen abgedeckt sein. Die Gewichtung und Verteilung der Lernziele Patientensicherheit sollten sich an den im Lernzielkatalog angegebenen prozentualen Angaben für die einzelnen Themenblöcke orientieren. Innerhalb der einzelnen Themenblöcke werden immer Ermessensentscheidungen zwischen Qualität und Quantität nötig sein: Verzichtet man zugunsten einer didaktisch guten Umsetzung ausgewählter Lernziele auf die vollständige Umsetzung des GMA-LZK? Es gilt als Daumenregel: Je mehr Lernziele implementiert werden, desto wahrscheinlicher ist die Festigung der erwünschten Patientensicherheitshaltung, desto größer ist aber auch der Koordinationsbedarf über die einzelnen Lehrveranstaltungen hinweg [5]. Jedoch sollte hier die Erfüllung eines Lernzieles, nicht mit der einmaligen Darstellung der Lehrinhalte verwechselt werden.

Langfristig sollte neben der Transparenz der Lernziele und Lerninhalte auch deren Evaluation und Überprüfung frühzeitig mitgedacht werden. Aus diesem Grund wurde jedes Lernziel im GMA-LZK hinsichtlich der Kompetenzebenen Wissen, Fertigkeit und/oder Haltung konkretisiert. So wird ein kompetenzorientiertes Überprüfen der erreichten Lernziele möglich. Ein Beispiel für ein konkretes Lernziel, welches allein auf die Wissensebene ausgerichtet ist, wäre: „Der Student kennt die Differenzen zwischen "Schuld" und "Verantwortung" im Kontext des klinischen Handelns und kann somit diese benennen“ (Lernziel 1b im GMA-LZK) [1]. Hier würde sich beispielsweise ein Multiple Choice (MC) Test zur Überprüfung anbieten. Ein Beispiel für ein Lernziel, welches auf alle drei Ebenen – Haltung, Wissen und Fertigkeit – ausgerichtet ist, wäre das Lernziel zu Patientenidentifikation: “Der Student kennt die Prinzipien der Patientenidentifikation als aktiven Vorgang des Erkennens, Wiedererkennens und sich Vergewisserns. Der Student kennt diverse Möglichkeiten der Patientenidentifikation und kann diese anwenden.“ (Lernziel 3e im GMA-LZK) [1]. Die Überprüfung eines solchen Lernzieles könnte ein kleiner Teil innerhalb eines größeren Simulationsszenarios in einer OSCE-Prüfung (Objective structured clinical examination; objektive strukturierte klinische Prüfung) sein. Eine spezielle Herausforderung hinsichtlich ihrer Überprüfbarkeit stellen die Haltungslernziele dar. Diese können über einen längeren Zeitraum anhand von Fragebögen gemessen werden, z. B. mit dem Fragebogen zur Messung von Haltung und Bedürfnissen von Medizinstudierenden hinsichtlich Patientensicherheit (GAPSQshort) [6].


Wo stehen wir?

Vor der Veränderung eines Curriculums ist es zunächst wichtig zu klären, welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen eine Fakultät bezüglich des Themas Patientensicherheit mitbringt, um gezielte und sinnvolle Weiterentwicklungen anzustoßen. Mit einer gut durchgeführten Standortbestimmung kann sichergestellt werden, dass

  • geeignete Anknüpfungspunkte an den curricularen und fakultären Kontext gefunden werden sowie
  • Maßnahmen mit den richtigen Entscheidungsträgern abgestimmt sind und langfristige Implementierungen erfahren.

Für die Standortbestimmung haben wir Fragen formuliert, mit deren Hilfe ein möglichst vollständiges Bild der aktuellen Verankerung des Themas Patientensicherheit im jeweiligen Curriculum erarbeitet werden kann (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Mit Hilfe der Antworten kann eine Curriculumsentwicklung vorbereitet und strukturiert werden. Diese Fragen sollten nicht einfach nur nacheinander abgearbeitet werden. Sie beeinflussen sich gegenseitig und ergänzen einander, womit ein wiederholtes Durchgehen der Fragen lohnenswert ist.

Weiterhin sollten die bereits implementierten Veranstaltungen zum Thema Patientensicherheit sinnvoll in das Gesamtcurriculum eingebunden werden, um Dopplungen zu vermeiden und Lehrinhalte hinsichtlich ihrer Schwierigkeit und Komplexität sinnvoll aufeinander abzustimmen. Eine wichtige Hilfestellung und Orientierungsmöglichkeit bei der Curriculumsentwicklung bietet das sogenannte „Curriculum Mapping“, welches nicht zuletzt auch dem Nachweis einer erfolgreichen Curriculumsentwicklung dient.

Die Methode des Curriculum Mappings wurde in den 1990er Jahren entwickelt, um curriculare Inhalte und entsprechende Prüfungen zu integrieren [7], [8]. In seiner heutigen Form wird das Curriculum Mapping vor allem zur Identifikation von unnötigen Dopplungen, Inkonsistenzen, Schwächen und Lücken im Lehrplan verwendet. Ziel ist es, eine größtmögliche Transparenz für Dozierende und Studierende über Studienziele, -inhalte und Prüfungen zu schaffen, den „roten Faden“ über das Curriculum aufrecht zu halten. Nur wenn Lehrinhalte transparent sind, können sie auch sinnvoll thematisch und didaktisch aufeinander abgestimmt werden. Das Curriculum Mapping erfreut sich zunehmender Beliebtheit, da die Methode ad hoc einleuchtend und trivial erscheint. Dennoch verbergen sich dahinter eine Vielzahl an Methoden, Vorlagen und Ressourcen für die professionelle Weiterentwicklung von Lehrinstitutionen [8].

Bezogen auf das Thema Patientensicherheit empfehlen wir die Nutzung des GMA-LZK als Grundlage für eine Zielbestimmung bzw. als Minimalstandard, an dem sich ein Curriculum Mapping orientieren sollte. Fragen, welche im Rahmen eines Curriculum Mappings gestellt werden sollten, werden in Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführt.

Da die Änderung eines Curriculums immer auch die Frage nach der Koordination aufwirft, sollte im Zuge des Curriculum Mappings zumindest geklärt werden, ob und wie stark die steuernde Koordination der einzelnen Veranstaltungen erfolgt. Dabei gilt es u. a. zu berücksichtigen, ob Lehrveranstaltungen von einem Dozierenden alleine durchgeführt werden oder ob diese in ein größeres Lehrkonzept eines Faches (bspw. der Inneren Medizin) eingebettet sind.


Wo können und wollen wir hin?

In diesem Arbeitsschritt werden realistische, umsetzbare und überprüfbare Ziele für die curriculare Verankerung des Themas Patientensicherheit exploriert. Dies geschieht anhand von drei „Best-Practice-Beispielen“, die zeigen sollen, wie unterschiedlich die qualitativ gleichwertige Herangehensweise in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen in den Fakultäten sein kann - ohne dass die Qualität der einen besser oder schlechter sein muss als die einer anderen Herangehensweise. Lediglich die Strategien und kurzfristigen Ziele auf dem Weg zu einer Implementierung unterscheiden sich.

Freiburg – die „Dienstleistervariante“

An der Albert-Ludwigs Universität in Freiburg werden die Grundausrichtung und Verteilung der Lehrveranstaltungen im Studium der Humanmedizin zentral koordiniert. Den einzelnen Bereichen werden jedoch große Freiheiten in der konkreten Auswahl und Umsetzung der Lerninhalte zugesprochen, so dass neue Themenbereiche – wie die Patientensicherheit – vergleichsweise unkompliziert umgesetzt werden können. Das Thema Patientensicherheit wurde erstmals im Wintersemester 2014/2015 ganzheitlich in der medizinischen Lehre eingeführt: Durch eine Neuorganisation des Querschnittsbereichs 3 (Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem und öffentliches Gesundheitswesen) konnten wesentliche Lernziele zur Patientensicherheit umgesetzt werden. Seither werden grundlegende Kenntnisse zu den Themen Teamarbeit und Fehlermanagement durch das computerbasierte Tool „eLearning Patientensicherheit“ (ELPAS) vermittelt.

Für nachhaltige Effekte sowie die Entwicklung spezifischer Kompetenzen im Bereich Patientensicherheit sind jedoch weiterführende Angebote notwendig. Die (Weiter-)Entwicklung und Koordination der Lernmodule erfolgt im Sinne eines „internen Dienstleisters“ durch ein Team des Bereichs Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie in enger Kooperation mit den Lehrbeauftragten der einzelnen Fachrichtungen. Bei der longitudinalen Weiterentwicklung des ELPAS stehen inhaltlich die Sensibilisierung für das Thema sowie der spezifische Wissensaufbau im Vordergrund. Die Selektion der Inhalte wird maßgeblich durch die Lernziele des GMA-LZK gesteuert. Während im bereits bestehenden eLearning Basiskurs (ELPAS) die Themen Teamarbeit und Fehlermanagement im Überblick dargestellt werden und fächerunabhängig im Querschnittsbereich 3 verankert sind, gehen die nachfolgenden Vertiefungsmodule im Rahmen des Projekts ELPAS longitudinal (ELPAS-L) spezifisch auf besondere Aspekte der Patientensicherheit in verschiedenen ärztlichen Fachdisziplinen ein. So wird z. B. für den Kurs Chirurgie/Orthopädie ein ELPAS-L Modul entwickelt, das sich speziell mit der WHO-Checkliste für sichere Operationen beschäftigt [http://www.who.int/patientsafety/safesurgery/checklist/en/]. Im Rahmen des Kurses Pädiatrie wird dagegen ein besonderer Schwerpunkt auf die Kommunikation mit Eltern und Kindern sowie auf die korrekte Berechnung der Medikamentendosierungen gelegt. Auf diese Weise werden die Prinzipien des patientensicheren Handelns in einen fachspezifischen Kontext eingebunden, der den Wissenstransfer in die spätere Praxis erleichtert und die Anwendbarkeit der Prinzipien verdeutlicht. Darüber hinaus trägt die Einbindung des Themas in die „patientennahen Fächer“ dazu bei, der Patientensicherheit mehr Gewicht im Studium der Humanmedizin zu geben.

Durch die longitudinale, kontextspezifische Verankerung im zweiten Studienabschnitt wird das Thema Patientensicherheit zum „ständigen Begleiter“ im Studium. Nach dem „Low Dosage, High Frequency Ansatz“ [9] werden den Studierenden in zentralen klinischen Lehrveranstaltungen kurze Lernmodule zur Patientensicherheit angeboten. Diese Module setzen die Lernziele des GMA-LZK anhand fachspezifischer Beispiele um und bauen konsequent auf vorhandenem Vorwissen der Studierenden auf. Die Lernenden bearbeiten so in jedem Semester Fragestellungen zur Patientensicherheit jeweils aus einer neuen Perspektive. Ein einheitliches Logo Patientensicherheit erleichtert die Wiedererkennung.

Bonn – die kooperative Variante der Implementierung

An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ist das Medizinstudium durch eine dezentrale Koordination und Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen geprägt. Eine wichtige fachliche Ressource für das Thema Patientensicherheit wird durch das Institut für Patientensicherheit (IfPS) mit einem Lehrstuhl für Patientensicherheit gestellt. Für andere fächerübergreifende Lehrinhalte, wie z. B. professionelle Kommunikation, konsolidieren sich zunehmend zentral koordinierte Arbeitsgruppen. Ziel in Bonn ist eine schrittweise, longitudinale Verankerung des GMA-LZK im Medizinstudium, wobei die Lernziele des GMA-LZK stufengerecht vermittelt werden sollen. Aufgrund der dezentralen Koordination wird eine kooperative Implementierungsstrategie verfolgt: Wenn möglich, erfolgt die Kooperation mit anderen Arbeits- und Projektgruppen, so dass Patientensicherheitsthemen schrittweise durch das IfPS in vorhandene Lehrveranstaltungen integriert werden, sobald deren verantwortliche Lehrkoordinatoren Interesse bekunden oder Lehrveranstaltungen neu konzipiert werden. Auf diese Weise wurden bereits einzelne Lehreinheiten zur Patientensicherheit in zwei Querschnittsblöcken, im Blockpraktikum Pädiatrie und in einem PJ-Tertial implementiert. Eine Besonderheit stellt die Integration der Fächer Arbeitsschutz, Hygiene, Patientensicherheit und Recht dar [10]. Diese vier Fächer werden am Anfang eines jeden Studienabschnittes (Vorklinik, Klinik, PJ) innerhalb einer Lehrveranstaltung unterrichtet. Dabei werden abgestimmte Lehrinhalte zu ausgewählten Themenbereichen mit zunehmender Komplexität und entsprechendem Praxisbezug zum jeweiligen Studienabschnitt unterrichtet, z. B. zu Beginn des klinischen Studienabschnitts rechtliche, hygienische Aspekte bei der Blutentnahme unter Berücksichtigung von Arbeitsschutz und Patientensicherheit (Lernziel 3e im GMA-LZK, Patientenidentifikation) [1].

München – die Variante der longitudinalen Gesamtimplementierung

An der Ludwigs-Maximilian-Universität in München besteht im Studiendekanat bereits Vorerfahrung zur Curriculumsentwicklung durch die Implementierung eines longitudinalen Curriculums zum Thema Kommunikation sowie eines longitudinalen Curriculums zur Wissenschaftskompetenz. Durch die Unterstützung aus dem Studiendekanat und die Bereitstellung von Personalressourcen arbeitet man daran, eine Gesamtimplementierung eines Patientensicherheitscurriculums anzustoßen. Hierzu wurden bisher zwei entscheidende vorbereitende Schritte durchgeführt: Alle bisher bestehenden Veranstaltungen, die Lernziele zu Patientensicherheit erfüllen, wurden identifiziert. Außerdem hat eine Steuerungsgruppe, die sich der Implementierung verschrieben hat und in der Fakultät ausreichend sichtbar ist, den Fachbereichsrat um Zustimmung zur Einführung des Curriculums „MeCuM Patientensicherheit“ (Medizinisches Curriculum München - Patientensicherheit) gebeten. Innerhalb dieser Wartezeit werden die identifizierten Veranstaltungen abgeändert, ergänzt oder in eine den Lernzielen entsprechende Reihenfolge gebracht. Weiterhin wird an einem „Corporate Design“ gearbeitet, so dass die Einführung des Patientensicherheitscurriculums nach „innen“ (Mitarbeiter der Fakultät) und nach „außen“ (Studierende, andere Universitäten) als Erfolg wahrgenommen werden kann, den es beizubehalten lohnt. Im Zuge der o. a. Curriculumsentwicklung werden neue Veranstaltungen implementiert, überprüft und mit Hilfe der Steuerungsgruppe die Verantwortlichkeit an bestimmte Fächer verteilt, damit diese z. B auch. bei personellen Veränderungen langfristig bestehen bleiben. Neben diesen Aufgaben wird in München eng mit den Evaluationsbeauftragten und der Fachschaft zusammengearbeitet, um die Rückmeldungen der Studierenden über die Art und Weise der Umsetzung der einzelnen Veranstaltungen und den Zusammenhang zum Gesamtcurriculum einzuholen. Bei der Umsetzungsidee der longitudinalen Gesamtimplementierung besteht auf der einen Seite die Gefahr der „Zersplitterung der Lernziele“, also des geringen Zusammenhangs zwischen den Einzelveranstaltungen und dem übergeordneten Thema Patientensicherheit. Auf der anderen Seite bietet die Gesamtimplementierung die Möglichkeit, alle bestehenden Veranstaltungen „auf einmal“ zu erproben. Zudem kann eine positive Dynamik in der Fakultät, schnell große Sichtbarkeit bei Studierenden und Lehrverantwortlichen erzeugt und ein deutlicher Lernfortschritt bei den Studierenden erzielt werden.


Wie kommen wir dahin?

Wenn das Ziel die nachhaltige, curriculare Verankerung von Lehre zum Thema Patientensicherheit in den jeweiligen Fakultäten ist, so muss auch ein relevanter Teil der Organisation verändert werden: Daher ist jede Curriculumsentwicklung auch Fakultäts- bzw. Organisationsentwicklung [2]. Die kontinuierliche Anwendung von Methoden des Projektmanagementzyklus kann diesen Prozess unterstützen. Hilfreiche Fragen aus dem Projektmanagement sind in Tabelle 3 [Tab. 3] dargestellt.

Anforderungen an Lehrende zu Themen der Patientensicherheit

Aus der internationalen Fachliteratur sind verschiedene Anforderungen an Lehrende von Themen der Patientensicherheit bekannt, die auch bei der Curriculumsentwicklung berücksichtigt werden sollten: Lehrende sollten angehende Mediziner befähigen, sicherheitsbezogene Fertigkeiten unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes anzuwenden [11] und Leadership-Fähigkeiten zu entwickeln, um eigenständig Veränderungsprozesse zu initiieren [12]. Gemäß WHO sollten Lehrende dafür das gesamte Spektrum an Lehransätzen und -methoden nutzen [4]. Besonders für Lehrende im Bereich Patientensicherheit ist daher ergänzend zum GMA-LZK auch der Curriculum-Guide der WHO (2009) [5] zu empfehlen. Dieser enthält umfassendes Lehrmaterial in Form von didaktischen Instrumenten, Methoden sowie Prüfungsmaterialien zur inhaltlichen Ausgestaltung von Lehreinheiten. Einige dieser Lehrmethoden erfordern besondere Lehrkompetenzen, z. B. technische und gestalterische Kompetenzen für die Gestaltung von Simulationen oder Blended-Learning-Angeboten [13] und soziale wie persönliche Kompetenzen z. B. für die Nachbesprechung von Simulationen [14]. Da Aus-, aber auch Fort- und Weiterbildung im Thema Patientensicherheit idealerweise einem multiprofessionellen Ansatz folgt, benötigen Lehrende bestenfalls auch interprofessionelle (Lehr-) Kompetenzen [14], [15], [16].

Patientensicherheit ist und bleibt ein dynamisches Wissensfeld. Mit zunehmender Patientensicherheitsforschung werden sich neue Themen und Kompetenzen etablieren [17], die wiederum in die lokalen Curricula und alle Lernzielkataloge integriert werden müssen. Auf diese Entwicklungen sollten nicht nur Lehrende sondern auch Curriculumsplaner vorbereitet sein.


Fazit

Wir haben gezeigt, dass es für Curriclumsplaner verschiedene Strategien und viele Anknüpfungspunkte gibt, um das Thema Patientensicherheit systematisch im medizinischen Curriculum zu verankern und nachhaltig zu steuern. Die in diesem Artikel dargestellten Fragen können dabei helfen, den eigenen Standort zu bestimmen und ermöglichen eine Abschätzung über erforderliche personelle und zeitliche Ressourcen. Es existieren etablierte Techniken, die Planern und Planungsgruppen zur Verfügung stehen, um eine Curriculumsentwicklung zielgerichtet zu organisieren, sichtbar zu machen und zu begleiten.

Als Ausschuss bieten wir Curriculumsplanern die Möglichkeit der Vernetzung an, um sich einerseits fachlich-inhaltlich, andererseits aber auch zur Curriculumsentwicklung und Verankerung des Themas Patientensicherheit und letztlich einer Patientensicherheitskultur im medizinischen Curriculum auszutauschen. Wir sehen eine solche Vernetzung als Chance, Synergien zu nutzen und von - wie miteinander im Kontext eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zu lernen.


Anmerkung

Das Positionspapier wurde dem GMA-Vorstand vorgelegt und am 20.09.2017 von diesem verabschiedet.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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