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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Clinician Scientists? Medical Scientists? Clinician und Medical Science Educators!

Leitartikel Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland; GMS Journal for Medical Education, Schriftleiter, Erlangen, Deutschland
  • corresponding author Götz Fabry - Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Abt. für Med. Psychologie, Freiburg/Brg, Deutschland; GMS Journal for Medical Education, stellv. Schriftleiter, Erlangen, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(5):Doc78

doi: 10.3205/zma001077, urn:nbn:de:0183-zma0010778

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001077.shtml

Eingereicht: 7. November 2016
Überarbeitet: 10. November 2016
Angenommen: 11. November 2016
Veröffentlicht: 15. November 2016

© 2016 Fischer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Die Universitätsmedizin in Deutschland ist unverzichtbar. Daran besteht kein Zweifel. Der Wissenschaftsrat hat in seiner am 21.10.2016 veröffentlichten Stellungnahme „Perspektive der Universitätsmedizin“ [1] zu Recht festgestellt, dass die Universitätsmedizin mit „ihrem singulären Aufgabenverbund von Forschung, Lehre und Krankenversorgung […] die Schnittstelle von Wissenschafts- und Gesundheitssystem“ bildet (S. 17).

Die Patienten sollen nach modernsten Regeln der ärztlichen Kunst bestmöglich behandelt werden. Dazu braucht es Innovation, die nur durch Forschung entsteht. Aber es braucht auch und unverzichtbar Lehre, um das neue Wissen weiterzugeben. Und um ein gemeinsames Fundament aus Wissen, Können und Haltungen dafür zu schaffen, dass für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung wiederum relevante Forschungsfragen entstehen können: Translationale Forschung vom Reagenzglas zum Patientenbett und zurück. Ein wichtiger Kreislauf, der ins Stocken zu geraten droht, weil die medizinischen Grundlagenforscher in der Regel keine Ärzte mehr sind und die klinisch tätigen Ärzte nicht mehr genug forschen.

Ohne eine translationale Forschung, die die Grundlagenmedizin mit der klinischen Medizin verbindet, können die zentralen Funktionen der Universitätsmedizin nicht wahrgenommen werden, so der Wissenschaftsrat: „Wissenschaftlich und klinisch tätige Universitätsmedizinerinnen und -mediziner benötigen verlässliche Freiräume und Bedingungen, in denen sie im klinischen Kontext an spezifischen fachbezogenen wie fächerübergreifenden Themen arbeiten können. Nur unter dieser Voraussetzung können die spezifischen Potenziale der Universitätsmedizin für Translation, also für die zur Umsetzung der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung und in die Krankenversorgung erforderlichen Interaktionen, erschlossen werden“ (S. 16) [1].

Da die akademischen Karrierewege aber aus organisatorischen und finanziellen Gründen immer unattraktiver würden, sei die Entwicklung differenzierter forschungsorientierter Karrierewege unabdingbar. So fordert der Wissenschaftsrat für 5 bis 8% der an den Universitätsklinika tätigen Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten die Etablierung eines „Clinician-Scientist“ Karriereweges - so wie es schon lange auch von der ständigen Senatskommission der DFG vorgeschlagen wird [2]. Außerdem sollen die nicht-ärztlichen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Grundlagenforschung bessere und langfristige Karriereoptionen in der Universitätsmedizin als „Medical Scientists“ eingeräumt bekommen. Hier ist neben den unklaren Karriereperspektiven jenseits einer Professur insbesondere die niedrigere Vergütung im Vergleich zu Ärztinnen und Ärzten ein Problem. Klare Vorschläge zur akademischen Zukunftssicherheit, deren Umsetzung im Umfeld der unter hohem Kostendruck arbeitenden Universitätsklinika gar nicht leicht sein wird, die aber gut begründet und nachvollziehbar sind. Ohne Forschung gibt es keine Verbesserungen in der Patientenversorgung. Ohne zur Forschung motivierte junge Forscherinnen und Forscher mit entsprechenden Karriereaussichten gibt es keine zukunftsfähige Universitätsmedizin.

Und wie sieht es diesbezüglich mit der Lehre aus? Woher kommen Lehrinnovationen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch-didaktisch auf der Höhe der Zeit sind? Wie und von wem werden die medizinischen Curricula so weiterentwickelt, dass sie die Absolventen umfassend und zukunftssicher auf die ärztliche Tätigkeit vorbereiten? Wer qualifiziert die Lehrenden für ihre sich verändernden Aufgaben etwa im Hinblick auf die kompetenz-orientierten Curricula? Wie wird sichergestellt, dass die Erkenntnisse aus der Bildungsforschung in eine evidenzbasierte Lehrpraxis einfließen?

Zur Lehre schreibt der Wissenschaftsrat nur kurz aber unmissverständlich: „In der Medizin bedarf es wie in anderen Fachgebieten gezielter Maßnahmen zur Professionalisierung, Qualitätsentwicklung und -sicherung der Lehre. Sie müssen an allen universitätsmedizinischen Standorten institutionell verankert sein und evidenzbasiert weiterentwickelt werden. Zur Erfüllung professioneller Standards in der Lehre gehören die Berücksichtigung der Lehrbefähigung bei der Auswahl und die fortlaufende fachdidaktische Qualifizierung der Lehrenden, außerdem die systematische Evaluation der Lehrveranstaltungen durch die Studierenden“ (S. 42) [1].

Wer aber soll die Lehre in dieser geforderten Weise gestalten und weiterentwickeln? Wäre nicht auch hierfür gerade für die klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte ein strukturierter Karriereweg zu wünschen und zu fordern – der „Clinician Educator“? Und wie müsste eine solche Position ausgestaltet werden? Der „Clinician Educator“ ist keine neue Idee im angloamerikanischen System [3] aber auch dort wird um die erfolgreiche Ausgestaltung dieses Karriereweges gerungen [4] und es gibt sehr unterschiedliche Ausprägungen an den Medical Schools. Aber sicher darf der „Clinician Educator“ eben nicht mit den an einigen medizinischen Fakultäten etablierten Lehrprofessuren oder „Lecturern“ verwechselt werden, die z.T. einfach nur quantitativ mit 16 oder 18 Semesterwochenstunden viel Lehre „wegschaffen“ sollen.

Der Karriereweg des „Clinician Educators“ sollte bereits in den ersten Jahren der klinischen Weiterbildung gezielt wählbar sein und ein klar definiertes Anforderungs- und Aufgabenprofil haben, das sich auf die Koordination und Innovation von Lehre ebenso beziehen kann wie auf die didaktische Qualifikation von Lehrenden. Eine neben der Weiterbildung zum Facharzt oder zur Fachärztin zu erwerbende medizindidaktische Qualifikation könnte stufenweise und verbindlich erfolgen und einen Abschluss als Master of Medical Education (MME) beinhalten. Die Zahl der Masterprogramme wächst weltweit sehr schnell [5] und im deutschsprachigen Raum sind durch die Masterprogramme in der Schweiz und in Deutschland in den letzten 10 Jahren über 350 Absolventinnen und Absolventen dieser Studiengänge entsprechend qualifiziert worden.

Diese „Clinician Educator“-Stellen mit der Möglichkeit zur Verstetigung könnten z.B. anteilig durch die jeweilige Klinik und das Studiendekanat oder ein Instituts für Medizindidaktik und Bildungsforschung finanziert werden. Analoge Karrierewege sind natürlich auch für die grundlagenwissenschaftlichen Fächer in Gestalt eines „Medical Science Educators“ wünschenswert, da sich für die Lehre in diesen Disziplinen gerade in kompetenzorientierten Curricula wichtige Fragen ergeben, die erneut neben der inhaltlichen auch eine entsprechende methodisch-didaktische Expertise erfordern. Wenn jede Fakultät ein bis zwei dieser Clinician bzw. Medical Science Educators pro Jahr weiterbilden würde, könnte das wesentlich und nachhaltig zur Professionalisierung der Lehre in der deutschen Universitätsmedizin beitragen.

Das GMS Journal for Medical Education (JME) will zu dieser Entwicklung als international sichtbares Open-Access-Journal aus dem deutschsprachigen Raum heraus einen sichtbaren Beitrag leisten als Plattform für Ausbildungsforschung und Qualitätssicherung in der medizinischen Lehre.

Es geht darum, dass in der deutschen Universitätsmedizin nicht nur die Forschung und der Forschungsnachwuchs unter die Räder zu geraten drohen. Die Lehre hat gegenüber der Krankenversorgung und der vom Wissenschaftsrat zu Recht eingeforderten Freiräume für Forschung immer wieder das Nachsehen. Lehre ist aber untrennbar mit Forschung verbunden – sonst träte sie inhaltlich auf der Stelle. Der Karriereweg eines „Clinician“ oder „Medical Science Educators“ steht aber dazu keineswegs im Widerspruch sondern unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit, das Alleinstellungsmerkmal Lehre in der Universitätsmedizin gegenüber reinen Forschungsinstitutionen oder anderen Krankenhäusern der Maximalversorgung weiterzuentwickeln.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Wissenschaftsrat. Perspektiven der Universitätsmedizin. Drs. 5663-16. Weimar: Wissenschaftsrat; 2016. Zugänglich unter/available from: http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5663-16.pdf Externer Link
2.
Ständige Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Etablierung eines integrierten Forschungs- und Weiterbildungs-Programms für Clinician Scientists" parallel zur Facharztweiterbildung. Bonn: Deutsche Forschungsgemeinschaft; 2015. Zugänglich unter/available from: http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/2015/empfehlungen_clinician_scientists_0415.pdf Externer Link
3.
Levinson W, Branch WT Jr, Kroenke K. Clinician–educators in academic medical centers: a two-part challenge. Ann Intern Med. 1998;129(1):59-64. DOI: 10.7326/0003-4819-129-1-199807010-00013 Externer Link
4.
Castiglioni A, Aagaard E, Spencer A, Nicholson L, Karani R, Bates CK, Willett LL, Chheda SG. Succeeding as a clinician educator: useful tips and resources. J Gen Intern Med. 2013;28(1):136-140. DOI: 10.1007/s11606-012-2156-8 Externer Link
5.
Tekian A, Harris I. Preparing health professions education leaders worldwide: a description of masters-level programs. Med Teach. 2012;34(1):52-58. DOI: 10.3109/0142159X.2011.599895 Externer Link