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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Mehr begriffliche Klarheit im interprofessionellen Feld – ein Plädoyer für eine reflektierte Verwendung von Terminologien im nationalen und internationalen Handlungs- und Forschungsfeld

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

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  • author Anika Mitzkat - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • author Sarah Berger - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • author Scott Reeves - Kingston University & St George's, University of London, Centre for Health & Social Care Research, London, Großbritannien
  • corresponding author Cornelia Mahler - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(2):Doc36

doi: 10.3205/zma001035, urn:nbn:de:0183-zma0010355

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001035.shtml

Eingereicht: 29. Februar 2016
Überarbeitet: 10. März 2016
Angenommen: 18. März 2016
Veröffentlicht: 29. April 2016

© 2016 Mitzkat et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die bisher verwendeten Begrifflichkeiten der interprofessionellen Gesundheitsversorgung zeichnen sich durch eine gewisse definitorische Schwäche aus, die unter anderem durch eine unkritische Übernahme von Sprachkonventionen und mangelnder theoretischer Reflexion bedingt ist. Da begrifflicher Klarheit jedoch eine wesentliche Funktion in der Entwicklung und Profilierung eines Faches zukommt, stellt sich die Klärung und Definition der zu verwendenden Terminologie als Aufgabe der interprofessionellen Forschungsgemeinschaft dar. Eines der wichtigsten Journals für wissenschaftliche Fragestellungen im Gebiet der interprofessionellen Bildung und Versorgung (Journal of Interprofessional Care) hat in Anlehnung an konzeptionelle Überlegungen der Forschergruppen H. Barr et al. und S. Reeves et al. die Autorenrichtlinie um eine Terminologie ergänzt. Eine deutsche Übersetzung der darin vorgeschlagenen Begriffe wird in diesem Beitrag vorgestellt und vor dem Hintergrund der Herausforderungen einer möglichen Adaption für den deutschsprachigen Raum diskutiert. Ziel ist es, die sprachliche Kommunikation auf dem Praxis- und Forschungsfeld zu mehr Deutlichkeit zu verhelfen und eine zunehmende Sensibilisierung und Transparenz für konsentierte Definitionen und Terminologien zu fördern.

Schlüsselwörter: Terminology, interprofessional relations, interprofessional health care teams, cooperative behaviour


Über die Notwendigkeit von Begriffsklärungen

Die Notwendigkeit einer einheitlichen interprofessionellen Terminologie ist selbstverständlich und gleichzeitig komplex und herausfordernd [1], [2]. Man muss wissen, wovon man spricht. Aber wer muss dies wissen und wozu? Dies soll an der Begriffsklärung in der Medizin veranschaulicht werden und beispielhaft dargestellt werden, was dies für die Beschäftigung mit interprofessionellen Themen bedeuten kann.

In der Medizin (und anderen Professionen) ist der Unterschied zwischen dem fachlich-wissenschaftlichen und dem alltagspragmatischen Sprachgebrauch zu thematisieren. Im fach-wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich die Sprachgemeinschaft auf Regeln und Voraussetzungen geeinigt, die gegeben sein müssen um einem Begriff in korrekter Weise zu gebrauchen. Zu unterschieden sind dabei drei unterschiedliche Ebenen der sprachlichen Kommunikation in den Gesundheitsberufen [3]: Erstens, die nationale und internationale wissenschaftliche Kommunikation zwischen Fachleuten. Hier dürfen die termini technici, das heißt, die Fachbegriffe mit ihrer Gesamtheit der geltenden Regeln und Prämissen, allen an der Kommunikation beteiligten, als gegeben vorausgesetzt werden. (Bsp: Ist von „Interprofessioneller Teamarbeit“ die Rede, ist den Kommunikationsteilnehmern klar, welche Grundlagen/Konzepte hierfür gegeben sein müssen.) Zweitens, den klinisch-fachlichen Gebrauch der Begriffe, das heißt, eine verkürzte und vereinfachte mündliche oder schriftliche Kommunikation, meist unter Fachleuten. In der Regel dürfen hier die konzeptionellen Grundlagen des Begriffs vorausgesetzt werden. Gleichwohl ist zu beachten, dass jede Verkürzung mit einem Informationsverlust einhergehen und Missverständnisse provozieren kann, insbesondere dann wenn nicht sichergestellt ist, dass die Grundlagen vorliegen. (Bsp: Ein Tumorboard kann darüber informieren, interprofessionell zu arbeiten, was die Assoziation wecken mag, hier würden verschiedene Gesundheits- und Sozialberufe miteinander in enger Verzahnung und gegenseitiger Abhängigkeit problemorientiert arbeiten. Gleichwohl kann auch lediglich gemeint sein, dass unterschiedliche Professionen (unabhängig voneinander) einen Fall begutachten und ihre Perspektive in den Behandlungsprozess einfließen lassen. Als dritte Ebene lässt sich die Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien identifizieren. Es liegt auf der Hand, dass, gerade weil viele der Fachbegriffe auch eine alltagspragmatische Verwendung haben, auf dieser Ebene die Definitionen mitgeliefert werden müssen um eine zielführende und verständnisgenerierende Kommunikation zu ermöglichen. (Bsp: Ein Krankenpfleger, der dem Patienten gegenüber nicht von einem Ulcus ventriculi spricht, wegen dessen eine spezielle Kost angedacht ist, sondern eine Übersetzung und Erläuterung zum Magengeschwür gibt).

Festzuhalten ist also, dass begriffliche Schärfe wesentliche Funktionen in der Entwicklung und Profilierung eines Faches impliziert. Für das Handlungsfeld einer Profession bedeutet dies, dass Phänomene benannt und erkannt werden und entsprechend ihrer Bedeutung im Versorgungspfad berücksichtigt werden können. Für die Weiterentwicklung der Wissenschaft bedeutet dies, dass Phänomene konzeptionalisiert und so der weiteren (Be-)forschung zugänglich gemacht werden können.

Das Feld der interprofessionellen Bildung und Zusammenarbeit entwickelt sich aktuell stetig. Eine Voraussetzung für eine gelingende Kommunikation in Wissenschaft und Praxis ist die Verwendung einer einheitlichen Terminologie und Sprache. Aktuell gibt es im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Begrifflichkeiten, die nicht einheitlich verwendet werden [4].

Betrachtet man die unterschiedlichen Ebenen und Zwecke fachsprachlicher Kommunikation wird offensichtlich, dass sich begriffliche Klärungen keineswegs zwangsläufig selbst einstellen sondern vielmehr einer methodischen Terminologiearbeit durch den intensiven Diskurs unter Fachleuten bedürfen.

Im englischsprachigen Raum löste das Journal of Interprofessional Care (JIPC) die Diskussion um und die Forderung nach einer terminologischen Klärung [5], [6], [7] insofern ein, als dass es für die Veröffentlichung von Manuskripten im Journal of Interprofessional Care die Autorenrichtlinien um einen Abschnitt zu der zu verwendenden Terminologie ergänzt [http://www.tandfonline.com/action/authorSubmission?journalCode=ijic20&page=instructions#.Vsrd3CwwfGE Zugriff 29.02.2016]

Eine deutsche Übersetzung der vorgeschlagenen Terminologie wird in diesem Beitrag vorgestellt. Ziel ist es, die Diskussion im deutschsprachigen Raum anzuregen und so die sprachliche Kommunikation auf dem Praxis- und Forschungsgeld zu mehr Deutlichkeit zu verhelfen.


Exkurs: Die Herausforderung der Adaption internationaler Begriffe für den deutschsprachigen Raum

Als Vorbemerkung zur nachfolgenden Übersetzung sei erlaubt darauf hinzuweisen, dass sich für die Bezeichnung der unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen in Deutschland und im anglo-amerikanischen Raum unterschiedliche Sprachkonventionen herausgebildet haben. Diese stellen eine Herausforderung dar bei der Übersetzung und Adaptation ins Deutsche. Während der englische Begriff „health and social professions“ den Beruf der Ärztin dem Gesundheitsberuf subsummiert, ist es im deutschen Sprachraum üblich, von „Medizin und Gesundheits(-fach-)berufen“ zu sprechen. Die deutsche Ausdifferenzierung ist in zweierlei Hinsicht unglücklich. Zum einen mischt sie verschiedenen Kategorien, insofern sie eine Disziplin (Medizin) mit unterschiedlichen Praktiken (Gesundheitsberufe) gleichsetzt. Taxonomisch korrekt müsste die Differenzierung lauten: „Medizin und Gesundheitswissenschaften“ (für die Ebene der Diziplin) oder Arzt-und Gesundheitsberufe (auf der Ebene der Praxis). Zum zweiten ließe sich mit dieser Korrektur der Taxonomie fragen, inwiefern der ärztliche Beruf KEIN Gesundheitsberuf ist und somit nicht subsummiert werden sollte.

Darüber hinaus können die international unterschiedlichen Ausbildungs- und Versorgungsstrukturen zu Problemen in der Übersetzung führen. In vielen Ländern werden die meisten Gesundheitsberufe an den Hochschulen ausgebildet. Dies führt dann auch unter Umständen zu einem anderen Verständnis innerhalb der Versorgungsstrukturen.

Nachfolgend werden mit dem Begriff „Gesundheitsberufe“ die Berufe in der Medizin, Pflege, Therapie, Diagnostik etc. verstanden, so wie in dem Positionspapier des GMA-Ausschusses „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ dargelegt [8].


Deutsche Übersetzung der vom Journal of Interprofessional Care vorgeschlagenen Terminologie

Im Folgenden wird die Übersetzung der Begriffe und Definitionen aus dem Kapitel „Terminology“ aus den Autorenrichtlinien des Journal of Interprofessional Care (JIPC) vorgestellt. Die Begriffe wurden durch JM übersetzt und in einem iterativen Prozess von CM, SB und AM diskutiert und überarbeitet. Alle Beteiligten sind eng in den Studiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung B.Sc. sowie an interprofessionellen Lehrveranstaltungen mit der Humanmedizin an der Medizinischen Fakultät Heidelberg eingebunden (Terminologie siehe Anhang 1 [Anh. 1]).


Schlussfolgerungen

Um in dem zunehmen komplexer werdenden System der Gesundheitsversorgung interprofessionelle Strukturen etablieren und beforschen zu können ist eine gemeinsame Sprache unabdingbar.

Die vom Journal of Interprofessional Care vorgeschlagenen Begrifflichkeiten bringen Licht in das Dickicht der denkbaren Konstellationen unterschiedlicher Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung. Ein Vorteil liegt zweifelsohne in einer Klärung der häufig synonym verwendeten Begriffe der Disziplin und Profession einerseits und der Beschreibung der möglichen Beziehungen untereinander andererseits. Konzeptionell gehen die Begrifflichkeiten aber über eine reine Deskription hinaus insofern die Ausdifferenzierung von „Zusammenarbeit“, „Koordination“, „Netzwerk“ und „Teamarbeit“ auf die jeweilig erforderlichen Strukturen verweist: Für effektive und effiziente Teamarbeit muss eine Identifikation mit der Gruppe und ihren Zielen gegeben sein. Dies hat unmittelbare normative Auswirkungen auf interprofessionelle Lehre und Forschung, da vom bisherigen Stand der Forschung davon auszugehen ist, dass sich diese Identifikation nicht selbstverständlich einstellt sondern spezifische Kompetenzen sowie adäquate Strukturen erfordert, die nicht nur Auswirkungen auf die Patientenversorgung sondern auch auf gesundheitsökonomische und –politische Entscheidungen haben. Die Differenzierung in Bezug auf die Strukturen war eine Herausforderung bei der Übersetzung ins Deutsche.

Die Probleme bei der Adaption internationaler Terminologien für die deutschsprachige Forschung und Praxis wurden exemplarisch dargestellt. Die Herausforderung ist zum einen durch unterschiedliche Entwicklungen der Sprachkonventionen gegeben, zum anderen durch die Heterogenität nationaler Ausbildung- und Versorgungssysteme. Diese Unterschiede und spezifischen Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens sollte eine deutsche Terminologie der interprofessionellen Begrifflichkeiten berücksichtigen. Gleichzeitig spielt die internationale Vergleichbarkeit eine wichtige Rolle im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Evaluation interprofessioneller Lehre und Zusammenarbeit, die auch ihre Berücksichtigung finden sollte.

Als Lösungsvorschlag plädieren die Autoren für einen breiten Diskurs der erstmals vorgelegten Übersetzung und erhoffen sich eine zunehmende Sensibilisierung der Forschenden, Versorgenden, Lehrenden und Lernenden hinsichtlich der Verwendung der Begriffe.


Danksagung

Wir bedanken uns bei Johanna Mink für die Unterstützung bei der ersten Übersetzung der Terminologie.


Interessenkonflikt

Scott Reeves ist Chief Editor und Cornelia Mahler ist Associate Editor des Journal of Interprofessional Care.


Literatur

1.
Leathard A. Introduction. In: Leathard A (Hrsg). Interprofessional collaboration: From policy to practice in health and social care. Hove: Brunner-Routledge; 2003.
2.
Reeves S, Goldman J, Gilbert J, Tepper J, Silver I, Suter E, Zwarenstein M. A scoping review to improve conceptual clarity of interprofessional interventions. J Interprof Care. 2011;25(3):167-174. DOI: 10.3109/13561820.2010.529960 Externer Link
3.
Fangerau HS, Schulz S, Noack T, Müller I. Medizinische Terminologie - Ein Kompaktkurs. Berlin: Lehmanns Verlag; 2014.
4.
Mahler C, Gutmann T, Karstens S, Joos S. Terminology for interprofessional collaboration: definition and current practice. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(4):Doc40. DOI: 10.3205/zma000932 Externer Link
5.
Barr H. Interprofessional Education. Today, Yesterday and Tomorrow. A review. London: LTSN for Health Sciences and Practice; 2002. Zugänglich unter/available from: http://www.unmc.edu/bhecn/_documents/ipe-today-yesterday-tmmw-barr.pdf Externer Link
6.
Chamberlain-Salaun J, Mills J, Usher K. Terminology used to describe health care teams: an integrative review of the literature. J Multidisc Healthc. 2013;6:65-74. DOI: 10.2147/JMDH.S40676 Externer Link
7.
McCallin A. Interdisciplinary practice--a matter of teamwork: an integrated literature review. J Clinl Nurs. 2001;10(4):419-428. DOI: 10.1046/j.1365-2702.2001.00495.x Externer Link
8.
Walkenhorst U, Mahler C, Aistleithner R, Hahn EG, Kaap-Frohlich S, Karstens S, et al. Position statement GMA Committee--"Interprofessional Education for the Health Care Professions". GMS Z Med Ausbild. 2015;32(2):Doc22. DOI: 10.3205/zma000964 Externer Link