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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wissenschaftliches Denken und Handeln: Unabdingbare Basis der Medizinischen Ausbildung

Leitartikel Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Martin R. Fischer - Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • corresponding author Götz Fabry - Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Abt. für Med. Psychologie, Freiburg/Brg., Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(2):Doc24

doi: 10.3205/zma000916, urn:nbn:de:0183-zma0009165

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000916.shtml

Eingereicht: 9. Mai 2014
Überarbeitet: 9. Mai 2014
Angenommen: 9. Mai 2014
Veröffentlicht: 15. Mai 2014

© 2014 Fischer et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Leitartikel

Die vorliegende Ausgabe der ZMA widmet sich einer Reihe von zentralen Themen der medizinischen Ausbildungsforschung: Das Spektrum der Beiträge reicht von der Studierendenauswahl in Human- [1] und Zahnmedizin [2] über die Auseinandersetzung mit Körperspenden im Anatomieunterricht [3] bis hin zur Untersuchung der Frage, in welcher Weise sich ein Curriculum auf das kritische klinische Denken auswirkt [4]. Die Etablierung von Skills Lab in der Tiermedizin [5] findet sich ebenso, wie ein Beitrag zu einen studentischen Tutorentraining mit Zertifikat [6] und die Beschreibung der Etablierung eines postgradualen Masterstudienganges in der Zahnmedizin [7]. Welbergen et al. beschreiben und evaluieren mit dem sogenannten Facharztduell ein innovatives Informationskonzept zur Weiterbildung für Medizinstudierende [8].

Das breite Spektrum der Beiträge, das Themen vom ersten Studientag bis hin zur postgradualen Weiterbildung aus Human-, Zahn- und Tiermedizin umfasst, unterstreicht eindrucksvoll die Bandbreite der ZMA. Erfreulicherweise findet sich in dieser Ausgabe auch ein studentischer Kommentar, der ein derzeit intensiv diskutiertes Thema aufgreift, die Wissenschafts- und Forschungskompetenz in der ärztlichen Ausbildung [9]. In diesem Zusammenhang stellen sich einige wichtige Fragen:

  • Besteht eine Diskrepanz zwischen Anforderungen an die Studierenden und der Ausbildung zum wissenschaftliches Denken und Handeln?
  • Wie forschungsorientiert ist die Lehre an unseren Fakultäten?
  • Begeistern wir unsere Studierenden in ausreichendem Maße für die Forschung?
  • Wieviel konkurrenzfähige Forschung ist an einer Fakultät zwingend erforderlich, um dauerhaft gute Lehre anzubieten?

Diese Fragen gewinnen dramatisch an Bedeutung vor dem Hintergrund der intensiven Debatte um die Qualität der Ausbildung an neuen medizinischen Fakultäten europäischer Trägerhochschulen auf deutschem Boden. Neuestes Beispiel dieser sogenannten Franchise-Fakultäten ist die nach österreichischem Recht akkreditierte Fakultät der Privaten Medizinuniversität Salzburg (PMU) am Städtischen Klinikum Nürnberg.

Medizin ist eine angewandte Wissenschaft, die die Erkenntnisse der Natur-, Lebens- und Sozialwissenschaften zum Wohle des Patienten nutzt. Wissenschaftliches Denken und Argumentieren gehört dafür zu den zentralen Kompetenzen, die im Hochschulstudium an Universitäten nicht nur in der Medizin sondern in allen Fächern gefördert werden sollen. Wissenschaftliches Denken lässt sich anhand einer beschränkten Anzahl epistemischer Modi und epistemischer Aktivitäten beschreiben und erfassen [10]. Zentral ist darin die Unterscheidung zweier Zieldimensionen, einer Erkenntnis- und einer Nutzendimension, die orthogonal aufeinander stehen und entlang derer sich unterschiedliche Kontexte wissenschaftlichen Denkens einordnen lassen. Die reine Grundlagenforschung ist dabei dadurch charakterisiert, dass sie den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn an sich voranbringen will, ohne dass sich daraus unmittelbare Anwendungsmöglichkeiten in einem Praxisfeld ergeben müssen. Im Gegensatz dazu, will die reine anwendungsorientierte Forschung wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, ohne damit zwingend zur Theoriebildung oder zum besseren Verständnis beizutragen [11].

In den Extremen findet sich demnach einerseits wissenschaftliches Denken, das reine Erkenntnisziele verfolgt. Als von Studierenden zu erwerbender Kompetenz handelt es sich um Wissen, Fertigkeiten und Haltungen, die eine Beteiligung am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess eines Faches ermöglichen. Im anderen Extrem findet sich zweitens wissenschaftliches Denken, welches wissenschaftliche Konzepte, Methoden und Befunde anwendet, um reine Nutzenziele zu erreichen. Studierende sollen lernen, die Konzepte und Erkenntnisse eines Fachs bei der Lösung von Problemen der Praxis einzusetzen, also beim evidenzbasierten Entscheiden und Problemlösen. Beide Modi wissenschaftlicher Herangehensweise müssen nach ihren je eigenen Spezifika (z.B. im Hinblick auf die Art ihrer Gegenstandserfassung, ihres Geltungsanspruchs und ihrer diskursiven Verfahren) verstanden und als Kompetenz erworben werden. Die Medizin umfasst Forschung und Innovation in allen Schattierungen zwischen Erkenntnis- und Nutzenzielen. Diese Vielfalt ist eine Stärke der Medizin, die wir den Studierenden zukünftig noch besser mit wissenschaftsbasierter und forschungsorientierter Lehre nahebringen können. Dafür bieten forschungsstarke medizinische Fakultäten ideale Voraussetzungen.

Die laufenden intensiven Diskussionen der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der AWMF und der Fakultäten um die Entwurfsfassungen des Nationalen Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) und Zahnmedizin (NKLZ) zeigen deutlich, wie wichtig aber auch wie schwierig eine gemeinsame Besinnung auf die ärztlichen Kompetenzen des wissenschaftlichen Denkens und Handelns ist [http://www.nklm.de]. Genau diese Klärung und Besinnung liegt aber im Herzen der medizinischen Ausbildung und ist zentral für ein hochwertiges Curriculum und eine gute medizinische Versorgung. Wir brauchen mehr Wissenschaftskompetenz im Studium und mehr Nachwuchsförderung für die Forschung. Ohne Wissen und kritische Reflektion kann kein ärztliches Handeln auskommen. NKLM und NKLZ haben weit über die ärztliche Approbationsordnung hinaus eine Wissenschaftskompetenz definiert, die die Teilkompetenzen des lebenslangen Lernens, des Lehrens, der kritischen Bewertung von neuer Evidenz aber auch die Innovation im Sinne neuer studentischer Forschung erfasst. Der Weg hin zu einem Konsens und zur tatsächlichen Umsetzung ist noch weit. Ziel der Veröffentlichung von NKLM und NKLZ ist der Fakultätentag in Kiel 2015.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Kadmon G, Resch F, Duelli R, Kadmon M. Der Vorhersagewert der Abiturdurchschnittsnote und die Prognose der unterschiedlichen Zulassungsquoten für Studienleistung und -kontinuität im Studiengang Humanmedizin - eine Längsschnittanalyse. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc21. DOI: 10.3205/zma000913 Externer Link
2.
Kothe C, Hissbach J, Hampe W. Prediction of practical performance in preclinical laboratory courses - the return of wire bending for admission of dental students in Hamburg. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc22. DOI: 10.3205/zma000914 Externer Link
3.
Weyers S, Noack T. "Psychosoziale Aspekte der Körperspende und des Präparierkurses": Ein Unterrichtsangebot mit dem Ziel, Studierende in ihrer Auseinandersetzung mit dem Präparierkurs zu unterstützen. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc16. DOI: 10.3205/zma000908 Externer Link
4.
Gehlhar K, Klimke-Jung K, Stosch C, Fischer MR. Wirken sich unterschiedliche medizinische Curricula auf das selbst eingeschätzte klinische Denken von Studierenden aus? GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc23. DOI: 10.3205/zma000915 Externer Link
5.
Dilly M, Tipold A, Schaper E, Ehlers JP. Etablierung eines Skills Labs in der Tiermedizin in Deutschland. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc20. DOI: 10.3205/zma000912 Externer Link
6.
Fellmer-Drüg E, Drude N, Sator M, Schultz JH, Irniger E, Chur D, Neumann B, Resch F, Jünger J. Einführung eines Curriculums zur medizindidaktischen Qualifizierung von studentischen TutorInnen mit Abschlusszertifikat. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc19. DOI: 10.3205/zma000911 Externer Link
7.
Ratzmann A, Ruge S, Ostendorf K, Kordaß B. Konzeption postgradualer Masterstudiengänge am Beispiel des Weiterbildungsstudiengangs "Zahnärztliche Funktionsanalyse und -therapie". GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc18. DOI: 10.3205/zma000910 Externer Link
8.
Welbergen L, Pinilla S, Pander T, Gradel M, von der Borch P, Fischer MR, Dimitriadis K. Das FacharztDuell: Innovative Karriereplanung in der Medizin. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc16. DOI: 10.3205/zma000909 Externer Link
9.
Mileder LP. Medical students and research: Is there a current discrepancy between education and demands? GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc15. DOI: 10.3205/zma000907 Externer Link
10.
Fischer F, Kollar I, Ufer S, Sodian B, Hussmann H, Pekrun R, Neuhaus B, Dorner B, Pankofer S, Fischer MR, Strijbos JW, Heene M, Eberle J. Scientific Reasoning and Argumentation: Advancing an Interdisplinary Research Agenda in Education. Frontline Learn Res. 2014 [in press]
11.
Stokes DE. Pasteur's quadrant: Basic science and technological innovation. Washington (DC): Brookings Institution Press; 1997.