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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Der Vorhersagewert der Abiturdurchschnittsnote und die Prognose der unterschiedlichen Zulassungsquoten für Studienleistung und -kontinuität im Studiengang Humanmedizin – eine Längsschnittanalyse

Forschungsarbeit Humanmedizin

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  • corresponding author Guni Kadmon - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät, HeiCuMed Chirurgie, Heidelberg, Deutschland
  • Franz Resch - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät, HeiCuMed Chirurgie, Heidelberg, Deutschland
  • Roman Duelli - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät, HeiCuMed Chirurgie, Heidelberg, Deutschland
  • Martina Kadmon - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät, HeiCuMed Chirurgie, Heidelberg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(2):Doc21

doi: 10.3205/zma000913, urn:nbn:de:0183-zma0009138

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000913.shtml

Eingereicht: 21. November 2011
Überarbeitet: 1. März 2014
Angenommen: 2. April 2014
Veröffentlicht: 15. Mai 2014

© 2014 Kadmon et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die HZB Qualifikation und die Wartezeit sind die wichtigsten Zulassungskriterien für das Medizinstudium in Deutschland. Seit der Novellierung der Approbationsordnung und der Einführung von Reformcurricula wurde der Vorhersagewert der HZB Qualifikation und der Wartezeit nicht ausführlich untersucht. Ebenso fehlen detaillierte Daten über die Studienprognose der unterschiedlichen Zulassungsquoten.

Ziel: Untersuchung des Vorhersagewerts der Abiturdurchschnittsnote und des Alters für Studienleistung und Kontinuität im Verlauf eines reformierten Medizinstudiums.

Methodik: Die Studie umfasste Studierende der Abiturbesten-, AdH- und Wartezeitquote sowie des Nachrückverfahrens von drei Kohorten. Die Beziehung zwischen Studienleistung bzw. Studienkontinuität und der Abiturdurchschnittsnote, dem Studieneintrittsalter und der Zulassungsquoten-Zugehörigkeit wurde bis zum PJ-Beginn statistisch untersucht.

Ergebnisse: Die Studienleistung und die Studienverzögerungsrate im vorklinischen Studienabschnitt standen in einem signifikanten Zusammenhang mit der Abiturdurchschnittsnote. Dagegen hing die Studienabbruchsrate mit dem Studieneintrittsalter zusammen. Die Studierenden der Abiturbesten- und AdH-Quote erreichten die besten Studienleistungen und niedrigsten Studienabbruchsraten. Das Leistungsniveau der nach Wartezeit sowie im Nachrückverfahren zugelassenen Studierenden war niedriger, und mehr als 20% von ihnen brachen das Studium während des vorklinischen Studienabschnitts ab, die Hälfte davon aufgrund von Leistungsschwäche. Die Studienleistungen aller Zulassungsgruppen waren jedoch sehr variabel, und nur ca. 35% der Studierenden einer jeden Zulassungsgruppe traten das PJ in der Regelstudienzeit an.

Diskussion: Die Abiturnote und das Alter haben unterschiedliche prognostische Bedeutungen für Studienleistung und -kontinuität. Auf die Prognose in der Gruppe der Studierenden der Wartezeitquote wirken sich beide Faktoren negativ aus. Die Studienprognose der Nachrücker ist ebenso problematisch wie die der Wartezeitquote. Zusätzliche Auswahlinstrumente erscheinen notwendig, um potentiell fähige Studierende unabhängig von der Abiturnote zu erkennen und ein Nachrückverfahren zu vermeiden.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, Auswahlverfahren, Abitur


Einleitung

Studierendenzulassung in Deutschland

Die Zulassung zum Studiengang Humanmedizin in unterschiedlichen Zulassungsquoten und damit das Studieneintrittsalter werden in Deutschland nach wie vor maßgeblich von der Abiturdurchschnittsnote bestimmt. Eine Besonderheit des deutschen Zulassungsrechts besteht darin, dass die Auswahl Medizinstudierender über zwei alternative Wege erfolgt, über ein zentrales und ein lokales Auswahlverfahren; beide beinhalten die Auswahl von Studierenden in der Wartezeitquote oder im Nachrückverfahren, welche die regulären leistungsbezogenen Zulassungskriterien nicht oder unzureichend erfüllen.

Nach Zulassung der bevorzugt auszuwählenden Bewerber, werden 20% der verbleibenden Studienplätze in der Abiturbestenquote zentral durch die Stiftung Hochschulstart in der Regel an Bewerber mit der Abiturdurchschnittsnote 1,0 vergeben. Weitere 20% der Studienplätze werden ebenfalls zentral Bewerbern nach Wartezeit zugeordnet, welche die Kriterien für die direkte Zulassung nicht erfüllen und häufig eine Abiturdurchschnittsnote schlechter als 2,0 haben. Im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH), das dem zentralen Zulassungsverfahren nachgeschaltet ist, erfolgt die Vergabe der restlichen 60% der Studienplätze nach hochschuleigenen Kriterien. Nach dem AdH-Hauptverfahren, unbesetzte Studienplätze werden in einem Nachrückverfahren vergeben. Da viele AdH-Bewerber dann schon anderweitig zentral vermittelt sind, werden im Nachrückverfahren Bewerber zugelassen, die ursprünglich weit unten auf der AdH-Rangliste standen und deren Zulassungskriterien einen geringeren Studienerfolg erwarten lassen. Schwerpunkt der vorliegenden Studie ist der Studienverlauf der Studierenden dieser unterschiedlichen Zulassungsgruppen.

Das Zulassungsinstrument Schulabgangsnoten

Die voruniversitäre Leistung, gemessen an Schul- oder Collegeabschlussnoten, ist das vorrangige Studierendenauswahlinstrument für medizinische Studiengänge weltweit [1], [2]. Universitäten, die zusätzliche Auswahlkriterien anwenden, z. B. in Australien [3], Großbritannien [4], [5], Schweden [6], oder Israel [7], führen ebenfalls eine Vorauswahl der Bewerber anhand ihrer voruniversitären Leistung durch.

Schulabschlussnoten gelten als die verlässlichsten Prädiktoren für Erfolg im Medizinstudium und haben Validitätskoeffizienten zwischen 0,26-0,58 [2], [8], [9], [10], [11]. Ihr relativ hoher prognostischer Wert wurde auch für andere Studiengänge [8], [9] sowie für nicht-akademische Berufe [12] dokumentiert.

Die prognostische Validität der deutschen Abiturdurchschnittsnote für den Erfolg im Medizinstudium wurde Ende des 20. Jahrhunderts vorrangig in Bezug auf den ersten Abschnitt des Staatsexamens ausführlich [9], [13], später nur noch in kleinerem Umfang [8], [2] untersucht. Sie lag bei Werten um 0,5 [14].

Informationslücken

Seit der Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) vom 27. Juni 2002 und der damit verbundenen Etablierung von Reformcurricula [15] wurde der prädiktive Wert der Abiturdurchschnittsnote nicht mehr intensiv untersucht. Es ist fraglich, ob früher veröffentlichte prognostische Werte für die Abiturdurchschnittsnote gegenwärtig noch zutreffen. Der Vorhersagewert der Abiturdurchschnittsnote für die Lernleistung im gesamten Studienverlauf und insbesondere im klinischen Studienabschnitt ist noch kaum erforscht: Nur selten wurde wie von Ferguson und seinen Mitarbeitern [16] die Leistung in den fakultätseigenen Prüfungen als Endpunkt berücksichtigt. Die Noten im ersten Versuch einer Prüfung wurden in keiner uns bekannten Arbeit gezielt zur realistischen Darstellung der fortlaufenden Studienleistung herangezogen. Ferner wurde die differenzielle prognostische Rolle der Abiturdurchschnittsnote und des Studieneintrittsalters unter Berücksichtigung der vom deutschen Zulassungsrecht bedingten Verknüpfung dieser Variablen noch nicht ausreichend aufgeklärt.

Bisherige Untersuchungen der prädiktiven Stärke der Abiturdurchschnittsnote unterschieden nicht detailliert zwischen den direkt, im Nachrückverfahren oder nach Wartezeit zugelassenen Studierenden und berücksichtigten nicht den möglichen Zusammenhang zwischen Studienleistung und Studienkontinuität.

Ziel der vorliegenden Längsschnittuntersuchung ist es deshalb, den prädiktiven Wert der Abiturdurchschnittsnote und des Studieneintrittsalters für Studienleistung und -kontinuität während der gesamten Studienzeit des reformierten Curriculums HeiCuMed (Heidelberger Curriculum Medicinale) zu untersuchen. Analysiert wird der Fortschritt von 720 Studierenden, die nach der Hochschulreform 2004 das Studium begannen. Als Maßstäbe für Studienerfolg dienen die Studiendauer und die Leistung im ersten angegangenen Versuch der jeweiligen fakultätsinternen Prüfungen.


Methoden

Studienteilnehmer und Einschlusskriterien

Studienteilnehmer waren Studierende der Humanmedizin an der Medizinischen Fakultät Heidelberg mit einer deutschen Hochschulzugangsberechtigung (Abitur), die ihr Studium in den Wintersemestern 2005/2006, 2006/2007 und 2007/2008 begannen. Eingeschlossen wurden Studierende der AdH-, Abiturbesten- und Wartezeitquote sowie die im Nachrückverfahren zugelassenen Studierenden (NRV-Gruppe). Auch Studierende im Zweitstudium und diejenigen, die aufgrund eines Klageverfahrens zum Studium zugelassen worden waren, wurden eingeschlossen, jedoch wegen der kleinen Fallzahlen nicht im Rahmen der Hauptanalyse ausgewertet.

Zulassungskriterien

Die Studierendenauswahl erfolgte je nach Zulassungsquote anhand folgender Kriterien:

  • Abiturbestenquote – Abiturdurchschnittsnote
  • Wartezeitquote – Wartezeit nach Wartesemestern
  • AdH-Quote und NRV-Gruppe – Abiturdurchschnittsnote und weitere „Bonuskriterien“:
    • Ausbildung und Berufserfahrung in medizinnahen Berufen (6,5% der zusammengefassten AdH-Quoten, 18,4% der zusammengefassten NRV-Gruppen aus den 3 Kohorten)
    • Erfolg in bildungsbezogenen Wettbewerben
    • freiwilliger sozialer Dienst (3,6% der zusammengefassten AdH-Quoten und 1% der zusammengefassten NRV-Gruppen aus den 3 Kohorten).
Ausschlusskriterien

Von der Analyse ausgeschlossen wurden:

  • Studierende, die aufgrund überdurchschnittlicher Leistung im Test für Medizinische Studiengänge (TMS) zugelassen wurden
  • Zulassungsgruppen mit sehr kleinen Fallzahlen (bevorzugt Zugelassene, Härtefälle, Losverfahren)
  • vorab Zugelassene, deren Erstzulassung vor der Einführung des AdH-Verfahrens 2005 und Beginn der Eingangsdatendokumentation durch die Fakultät erfolgte
  • ausländische Studierende.
Datenerhebung und Datenschutz

Die Arbeit wurde in Zusammenhang mit der Qualitätssicherung der Studierendenauswahl an der Medizinischen Fakultät Heidelberg durchgeführt. Geburtsdaten, Immatrikulations- und Exmatrikulationsdaten, fakultätsinterne Prüfungsnoten und das Datum des Bestehens des M1-Examens wurden aus der Datenbank der Fakultät extrahiert. Die Schulabschlussnoten der lokal zugelassenen Studierenden (AdH und NRV) und der zentral zugelassenen Studierenden, die sich auch für die AdH-Quote beworben hatten, wurden deren Bewerbungsunterlagen entnommen. Die Schulabschlussnoten der übrigen zentral zugelassenen Studierenden fehlten, da sie zur Zeit der Datenerhebung nicht mehr zugänglich waren. Die Daten wurden in MS Excel® tabellarisch dargestellt und für die Analyse anonymisiert, indem die Spalten mit persönlichen Daten – abgesehen vom Alter und Geschlecht – entfernt wurden. Die Arbeit wurde in Übereinstimmung mit der Erklärung von Helsinki und den gesetzlichen Datenschutzbestimmungen durchgeführt.

Beurteilung der Studienleistungen

Die Analyse der Studienleistungen basierte auf den Noten im jeweiligen ersten Versuch der fakultätseigenen Prüfungen. Es wird angenommen, dass der erste Prüfungsversuch die tatsächliche Lernleistung genauer abbildet als die Wiederholung von nicht bestandenen Prüfungen. Für jeden Studierenden und Studienabschnitt – Vorklinik und Klinik – wurde ein Mittelwert für die Prüfungsleistungen berechnet. Die Prüfungsergebnisse des klinischen Studienabschnitts wurden auf die akademische Notenskala von 1,0 (beste Note) bis 5,0 (nicht ausreichend) übertragen. Die Prüfungsergebnisse des vorklinischen Studienabschnitts basieren auf unterschiedlichen Punkteskalen, sodass sie standardisiert und auf die 1,0 bis 5,0-Skala umgerechnet wurden. Prüfungsergebnisse in der Form „bestanden/nicht bestanden“ wurden von der Analyse ausgeschlossen.

Beurteilung der Studienkontinuität

Der Studienabbruch wurde auf Basis des Exmatrikulationsdatums definiert. Da viele Prüfungen nicht zeitgebunden sind, wurden Regelstudienverlauf und Studienverzögerung anhand von drei Kriterien bestimmt: Bestehensdatum des M1-Examens, Bestehensdatum der fakultätsinternen Prüfung zur Erlangung des letzten Scheines (Scheinfreiheit) und Datum des PJ-Antritts. Die Gründe für Studienverzögerung und -abbruch wurden der Datenbank der Fakultät entnommen, sofern sie dokumentiert waren. Eine nahezu komplette Dokumentation liegt für den Faktor Leistungsschwäche vor.

Statistische Methoden

Die drei Kohorten wurden zusammengefasst. Basisstatistiken, Verteilungsanalysen, multiple und logistische Regressionsanalysen, Korrelations- und partielle Korrelationsanalyse nullter Ordnung nach Pearson, zweiseitiger χ2-Test für Proportionen, zweiseitiger t-Test mit Bonferroni Korrektur für mehrfache Vergleiche, Konfidenzintervalle gegebenenfalls mit bootstrapping und SNK-Test wurden in IBM SPSS® 19 und 21 berechnet. Quadratische Regression wurde in MS Excel® berechnet. Grafiken wurden in Excel erstellt und in Canvas® 10 (ACD Systems) nachbearbeitet.


Ergebnisse

Studieneintrittsalter

Die Studierenden der AdH- und Abiturbestenquote waren bei Studienbeginn durchschnittlich 20,5 Jahre, die Studierenden der NRV-Gruppe 22,3 Jahre alt. Die Studierenden der Wartezeitquote bildeten mit durchschnittlich 25 Jahren bei Studieneintritt eine deutlich ältere Gruppe (siehe Abbildung 1A [Abb. 1]).

Abiturnoten

Vierundneunzig Prozent der Studierenden der Abiturbesten- und 30% der Studierenden der AdH-Quote hatten die Abiturdurchschnittsnote 1,0. In der NRV-Gruppe und Wartezeitquote hatten insgesamt nur 9 der Studierenden die Durchschnittsnote 1,0. Im Durchschnitt brachten die Studierenden der Abiturbestenquote die besten, diejenigen der AdH-Quote etwas schlechtere, die Studierenden der NRV-Gruppe noch schlechtere und diejenigen der Wartezeitquote die schlechtesten Abiturergebnisse mit (siehe Abbildung 1B [Abb. 1]). Die Abiturdurchschnittsnote der Wartezeitquote lag mit 2,4±0,64 (Mittelwert±SD) im Bundesdurchschnitt.

Aufgrund der verfahrensbedingten Abhängigkeit der Zulassungsquote von der Abiturdurchschnittsnote bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Durchschnittsnote und dem Alter (Adjustierter Korrelationskoeffizient radj=0,534).

Studienleistung

Durchschnittlich erzielten die Studierenden aller untersuchten Zulassungsgruppen bessere Ergebnisse im klinischen als im vorklinischen Studienabschnitt. Mit Ausnahme der Wartezeitquote im klinischen Studienabschnitt waren ihre Noten jedoch schlechter als im Abitur (siehe Abbildung 1B [Abb. 1]). Die Studienleistungen von Männern und Frauen unterschieden sich weder im vorklinischen noch im klinischen Studienabschnitt signifikant voneinander. Die Studierenden verbesserten im klinischen Studienabschnitt ihre Noten durchschnittlich um 4,4 Zehntelnoten im Vergleich zum vorklinischen Studienabschnitt (p<0,001). Der Unterschied war am ausgeprägtesten in der NRV-Gruppe (7 Zehntelnoten), am geringsten in der Abiturbestenquote (3 Zehntelnoten) (siehe Abbildung 1B [Abb. 1]).

In beiden Studienabschnitten erreichten die Studierenden der Abiturbestenquote im Schnitt die besten Studienleistungen, dicht gefolgt von der AdH-Quote. Die durchschnittlichen Studienleistungen der NRV-Gruppe und der Wartezeitquote unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Sie waren im Schnitt sieben- bzw. acht Notenzehntel schlechter als die Studienleistungen der Abiturbesten in der Vorklinik und um zwei bzw. 3,6 Notenzehntel in der Klinik (siehe Abbildung 1B [Abb. 1]). Allerdings waren unter den Abiturbesten auch leistungsschwache Studierende und unter den Abiturienten mit schlechteren Abiturleistungen leistungsstarke Studierende, sodass sich die Spannweiten der Leistungen aller Alters- und Notengruppen überlappten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Die Leistungsspannweiten und die Variabilität zwischen den Zulassungsgruppen (siehe Abbildung 1B [Abb. 1]) und Einzelstudienteilnehmern (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) reduzierten sich im klinischen Studienabschnitt auffallend im Vergleich mit dem vorklinischen Studienabschnitt.

Relativer prognostischer Wert der Abiturdurchschnittsnote und des Alters

Abbildungen 1 [Abb. 1] und 2 [Abb. 2] weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Abiturdurchschnittsnote und dem Studieneintrittsalter sowie zwischen diesen beiden Variablen und der Studienleistung hin. Deshalb wurde mittels partieller Korrelation und multipler Regression der relative prognostische Wert der Abiturdurchschnittsnote und des Studieneintrittsalters für die Studienleistung untersucht (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Die Korrelation zwischen der Studienleistung und der Abiturdurchschnittsnote war geringfügig niedriger unter Kontrolle des Studieneintrittsalters. Dagegen reduzierte sich die Korrelation zwischen der Studienleistung und dem Studieneintrittsalter deutlich unter Kontrolle der Abiturdurchschnittsnote und war nicht mehr statistisch signifikant (siehe Abbildung 3A [Abb. 3]). Übereinstimmend mit diesem Befund zeigte die multiple Regression eine signifikante Beziehung zwischen Studienleistung und Abiturdurchschnittsnote, während die Beziehung zwischen Studienleistung und Studieneintrittsalter nicht signifikant war (siehe Abbildung 3B [Abb. 3]).

Studienkontinuität

Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich bis 4,5 Jahre nach dem regulären Termin des M1-Examens, 1,5 Jahre nach dem regulären Zeitpunkt der Scheinfreiheit und ein Jahr nach dem regulären Beginn des Praktischen Jahres der letzten – dritten – untersuchten Kohorte. Diese Zeitabstände verlängern sich jeweils um ein Jahr für die zweite und um zwei Jahre für die erste untersuchte Kohorte. Der Beobachtungszeitraum ermöglichte die sichere Dokumentation der Studienverzögerung.

Innerhalb des Untersuchungszeitraums erreichten 89,3% der Studierenden der AdH-Quote, 87,5% der Studierenden der Abiturbestenquote, 78,4% der Studierenden der NRV-Gruppe und 76,6% der Studierenden der Wartezeitquote das praktische Jahr (siehe Abbildung 4A [Abb. 4]). Sämtliche Studienabbrecher brachen das Studium während oder am Ende des vorklinischen Studienabschnitts ab, sodass die Anzahl der Studierenden, die das PJ erreichten, fast identisch war mit der Zahl der Studierenden, die das M1-Examen erfolgreich absolvierten (siehe Abbildung 4A [Abb. 4]).

Die Studienkontinuität in der Regelstudienzeit ergab ein differenzierteres Bild. Der Anteil der Studierenden der NRV-Gruppe und der Wartezeitquote, die das M1-Examen in der Regelzeit bestanden (knapp 60%), war um ein Viertel kleiner als der prozentuale Anteil der Studierenden der AdH- und Abiturbestenquote (siehe Abbildung 4B [Abb. 4]). Dagegen war der prozentuale Anteil der Studierenden der AdH- (34%) und Abiturbestenquote (43%), die den klinischen Studienabschnitt verzögerten, drei- bis vierfach höher als der Anteil der Studierenden der NRV-Gruppe (14,4%) und Wartezeitquote (10,9%). Insgesamt erreichte ein vergleichbarer Prozentsatz der Studierenden aller untersuchten Zulassungsgruppen die Scheinfreiheit (39-46%) bzw. das praktische Jahr (30-38%) in der Regelzeit (siehe Abbildung 4B [Abb. 4]).

Anteilsmäßig brachen mehr Studierende der NRV-Gruppe und der Wartezeitquote das Studium ab als Studierende der AdH- und Abiturbestenquote, während der Anteil der Studierenden der AdH- und Abiturbestenquote, die ihre Studienzeit verlängerten, größer war als in der NRV-Gruppe und der Wartezeitquote (siehe Abbildung 4C [Abb. 4]).

Die Proportion der Studierenden, die das Studium verzögern oder abbrechen, erlaubt es, die prognostische Wahrscheinlichkeit der Studienverzögerung und des Studienabbruchs einzuschätzen. Aufgrund der unterschiedlichen Größe der untersuchten Zulassungsgruppen (siehe Abbildung 4C [Abb. 4]) trugen sie nominal unterschiedlich zum Studierendenschwund bei (33 Studierende der AdH-Quote, 17 der Abiturbestenquote, 21 aus der NRV-Gruppe und 43 Studierende der Wartezeitquote über drei untersuchte Kohorten). Zusätzlich verließen ihre ursprüngliche Kohorte durch Studienverzögerung im vorklinischen Studienabschnitt 32 Studierende der AdH-Quote, 7 der Abiturbestenquote, 17 aus der NRV-Gruppe und 38 Studierende der Wartezeitquote.

Prädiktoren für Studienabbruch und -verzögerung

Der Vorhersagewert der Abiturdurchschnittsnote, des Studieneintrittsalters, der Zulassungsgruppenzugehörigkeit und des Geschlechts für Studienabbruch und -verzögerung wurde mittels binär logistischer Regression untersucht (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dabei zeigte sich, dass die Abiturdurchschnittsnote die Wahrscheinlichkeit für eine Studienverzögerung (odds ratio, OR=2,639) und das Studieneintrittsalter das Risiko für einen Studienabbruch (OR=0,854) im vorklinischen Studienabschnitt signifikant beeinflussen. Die Zulassungsgruppenzugehörigkeit hat sowohl einen signifikanten Einfluss auf das Studienabbruchsrisiko (OR=1,504) und die Studienverzögerung (OR=1,472) im ersten Studienabschnitt als auch auf die Studienverzögerung im klinischen Studienabschnitt (OR=0,874). Das Geschlecht schien die Wahrscheinlichkeit für Studienabbruch oder -verzögerung in keinem Studienabschnitt signifikant zu beeinflussen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Für eine differenziertere Analyse wurde die Bedeutung der Abiturdurchschnittsnote und des Studieneintrittsalters für Studienabbruch und -verzögerung im vorklinischen Studienabschnitt in den zusammengefassten Zulassungsgruppen, AdH- + Abiturbestenquote, NRV-Gruppe + Wartezeitquote, getrennt untersucht (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Abiturdurchschnittsnote hatte einen starken Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Studienverzögerung in beiden zusammengefassten Studierendengruppen (OR≥3,280), jedoch keinen signifikanten Einfluss auf den Studienabbruch. Das Studieneintrittsalter dagegen zeigte einen moderaten, aber signifikanten Einfluss auf beide Kriterien in der zusammengefassten Gruppe AdH- + Abiturbeste. In der zusammengefassten Gruppe NRV + Wartezeit beeinflusste das Studieneintrittsalter signifikant das Studienabbruchsverhalten, nicht jedoch die Studienverzögerung (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Zur Kontrolle der Ergebnisse der logistischen Regression wurden die Abiturdurchschnittsnoten und das Studieneintrittsalter der zusammengefassten Studierendengruppen untersucht, die das M1-Examen in der Regelzeit bzw. verzögert bestanden oder das Studium abbrachen (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]). Die Abiturdurchschnittsnoten der Studienverzögerer waren signifikant schlechter, die der Studienabbrecher nur geringfügig aber nicht signifikant schlechter als die Abiturdurchschnittsnoten der Studierenden, die das M1-Examen in der Regelstudienzeit absolvierten. Das Studieneintrittsalter der Studienverzögerer war dagegen geringfügig, das der Studienabbrecher deutlich höher als das Studieneintrittsalter der Studierenden, die das M1-Examen in der Regelstudienzeit absolvierten. Dieser Befund steht in Einklang mit dem Ergebnis der logistischen Regression, wobei jedoch positive aber nicht signifikante OR-Werte teilweise mit kleinen, marginal signifikanten Unterschieden in Abbildung 5 [Abb. 5] korrespondieren.

Gründe für Studienabbruch und -verzögerung

Der Studienabbruch von 19 der 43 Studienabbrecher der Wartezeitquote und die Verlängerung der vorklinischen Studienzeit durch 19 von 38 Studierenden derselben Zulassungsquote hingen mit Leistungsschwäche zusammen (siehe Abbildungen 6A und 6B [Abb. 6]). Leistungsschwäche war ebenso ursächlich für den Studienabbruch und die vorklinische Studienverzögerung von 15 der 38 Studierenden der NRV-Gruppe, 12 der 69 Studierenden der AdH-Quote und zwei der 24 Studierenden der Abiturbestenquote, die das Studium abbrachen oder den vorklinischen Studienabschnitt verzögerten (siehe Abbildungen 6A und 6B [Abb. 6]). Bei neun Studierenden wurde Krankheit als Ursache für Studienabbruch und Studienverzögerung dokumentiert.

Für die meisten Studienabbrecher wurde der Grund in der Datenbank der Fakultät nicht dokumentiert. Die Mehrheit dieser Studierenden verließ das Studium bereits im ersten Studienjahr, 25 von ihnen noch vor Mitte des ersten Semesters. Der Rest brach das Studium am Ende des zweiten Studienjahres ab (siehe Abbildung 6C [Abb. 6]). Die Mehrheit der Studierenden, die verzögert den klinischen Studienabschnitt begannen, hatte die vorklinischen Kurse in der Regelzeit absolviert, bestand aber das M1-Examen mit Verzögerung (siehe Abbildung 6B [Abb. 6]).

Studienverzögerung im klinischen Studienabschnitt, einschließlich zwischen der Erlangung der Scheinfreiheit und dem Beginn des Praktischen Jahres hing nur in wenigen Fällen mit Leistungsschwäche zusammen. Ein freies Semester für die Promotionsarbeit konnte als Zeitpuffer genutzt werden. Am häufigsten war ein Auslandsaufenthalt der Grund für die Studienzeitverlängerung. Zu den weiteren, jedoch nicht systematisch untersuchten Gründen zählten der Besuch zusätzlicher Wahlkurse, verlängerte Promotionsarbeit, Parallelstudium, familiäre Umstände und Unterhaltserwerb.

Weitere Zulassungsgruppen inländischer Studierender

In den drei untersuchten Kohorten waren 14 „Zweitstudium“-Studierende, die einen anderen Studiengang abgeschlossen hatten. Von diesen 14 Studierenden brachen sechs das Studium der Humanmedizin in der Vorklinik und eine im klinischen Studienabschnitt ab, drei weitere verlängerten ihre Studienzeit. Die im Studium verbliebenen Studierenden dieser Gruppe erreichten im Mittel die Note 2,7 im vorklinischen und 2,0 im klinischen Studienabschnitt.

Dreiundzwanzig Studierende erhielten ihren Studienplatz nach einem Klageverfahren. Von ihnen brachen sieben Studierende (30%) das Studium ab, fünf aufgrund von Leistungsschwäche in der Vorklinik oder dreimaligem Scheitern am M1-Examen. Acht Studierende (35%) verlängerten ihre Studienzeit, darunter drei aufgrund von Leistungsschwäche, zwei durch Verzögerung des M1-Examens, und zwei zugunsten der Promotionsarbeit. Die im Studium verbleibenden Studierenden dieser Gruppe erreichten im vorklinischen Studienabschnitt durchschnittlich die Note 3,1, in den klinischen Semestern die Note 2,1.


Diskussion

Die vorliegenden Daten legen nahe, dass

  • die Studienleistung und der vorklinische Studiendauer in den untersuchten Kohorten in direktem Zusammenhang mit der Abiturdurchschnittsnote steht, während der Studienabbruch eher mit dem Studieneintrittsalter zusammenhängt;
  • die Prognose der zum Studiengang Humanmedizin im Nachrückverfahren zugelassenen Studierenden für Studienleistung und -kontinuität ähnlich ist wie die Prognose der nach Wartezeit zugelassenen Studierenden; die Prognose beider Gruppen ist schlechter als die der Abiturbestenquote und der im AdH-Hauptverfahren zugelassenen Studierenden;
  • das Studienleistungsniveau im klinischen Studienabschnitt durchschnittlich höher ist als im vorklinischen Abschnitt;
  • die hohe Variabilität der Studienleistungen einer jeden Abiturnotengruppe weitere Zulassungsinstrumente erfordert, um die potentiell fähigen Bewerber erkennen zu können.
Abiturnote und Alter als Erfolgsprädiktoren

Nach der 20:20:60-Regelung (Abiturbeste:Wartezeit:AdH) der Zulassung ist die Schulabschlussnote der einzige Erfolgsprädiktor von 40% und der maßgebliche Erfolgsprädiktor von 60% der Medizinstudierenden. Die vorliegende Studie fokussiert deshalb auf die Untersuchung des prädiktiven Wertes der Abiturdurchschnittsnote und auf den Studienverlauf der unterschiedlichen Zulassungsgruppen. Die Ergebnisse stehen in Einklang mit früheren Berichten und zeigen, dass auch im reformierten Curriculum die Abiturdurchschnittsnote ein bedeutender Prädiktor für Studienleistung ist und dass ältere Studierende schwächere Leistungen erzielen als jüngere. Diese allgemeine Sachlage konnte in den untersuchten Kohorten deutlich weiter ausdifferenziert werden. Die Abiturdurchschnittsnote besitzt zwar eine signifikante prognostische Bedeutung für die prospektive Einschätzung von Studienleistung und -verzögerung, nicht aber für die Vorhersage des Studienabbruchs. Dem Studieneintrittsalter dagegen kommt eine signifikante prognostische Bedeutung für das Risiko des Studienabbruchs zu, für die Vorhersage der Studienleistung und -verzögerung hat es keine statistisch signifikante Bedeutung. Die schwächere Studienleistung älterer Studierender scheint deshalb im Kontext des deutschen Zulassungsrechts mehr mit ihren schlechteren Abiturnoten als mit ihrem Alter zusammenzuhängen.

Wartezeit und Studieneintrittsalter

Die zum Studium nach Wartezeit zugelassenen Studierenden haben in der Regel eine Ausbildung absolviert und bringen Berufserfahrung – häufig im Gesundheitswesen – mit. Viele medizinische Fakultäten, darunter 14 der 15 Fakultäten, die am TMS teilnehmen, bonieren Ausbildung oder Berufserfahrung in medizinnahen Berufen in ihrem AdH-Verfahren. Die Vorteile der Berufserfahrung für das Medizinstudium wurden nach unserem Wissen noch nicht systematisch untersucht. Es kann vermutet werden, dass Ärzte und Ärztinnen mit Vorerfahrung im medizinischen Bereich Vorteile haben, wenn sie eine medizinische Karriere in einem Bereich anstreben, den sie auch aus nicht-ärztlicher Perspektive bereits gut kennen.

Einige Studierende der Wartezeitquote erreichten durchaus gute Leistungen und absolvierten konsequent alle Kurse in der Regelstudienzeit. Es wäre vorteilhaft, solche Studierende schon unmittelbar nach Erreichen der HZB erkennen zu können. Im Allgemeinen ist die Studienprognose der Wartezeitquote sowohl aufgrund der Abiturnote als auch aufgrund des Alters ungünstiger als in den anderen Quoten.

Die Studienabbruchsrate in der Wartezeitquote war in der vorliegenden Studie mit über 20% ähnlich hoch wie in Hamburg [17]. Sie hing statistisch eher mit dem Alter und der Quotenzugehörigkeit als mit der Abiturdurchschnittsnote zusammen, obwohl bei knapp der Hälfte dieser Studienabbrecher der Studienabbruch in Verbindung mit Studienleistungsschwäche stand. Es ist möglich, dass die einen Studienabbruch bedingende Leistungsschwäche in dieser Gruppe mehr mit altersbedingten Lebensumständen als mit der früheren schulischen Leistung zusammenhing. In einer umfassenden Analyse der Ursachen für Studienabbruch zeigten Heublein und seine Mitarbeiter [18], [19], dass verzögerte Studienaufnahme ein maßgeblicher Risikofaktor für Studienerfolg und -kontinuität im Fach Medizin darstellt. Das Risiko ist besonders dann hoch, wenn sozioökonomische und familiäre Umstände eine Nebenerwerbstätigkeit auf Kosten der Lernzeit erfordern. Eine dem Studium vorangegangene Ausbildung kann außerdem die Entscheidung für eine berufliche Neuorientierung nach Studienabbruch erleichtern [ebd.].

Die Studienverzögerung im vorklinischen Studienabschnitt hing ebenfalls mit der Quotenzugehörigkeit zusammen, war jedoch im Gegensatz zum Studienabbruch eher mit der Abiturnote als mit dem Alter assoziiert. Der Anteil der Studierenden der Wartezeitquote, der sein Studium bereits in dieser frühen Studienphase verlängerte, war deutlich größer als in der AdH- und Abiturbestenquote. Wie der Studienabbruch war auch die Studienverzögerung in der Wartezeitquote fast zur Hälfte an Leistungsschwäche gekoppelt. Es ist deshalb plausibel, dass Leistungsschwäche unterschiedliche Ursachen hat, die einerseits mit altersbedingten Faktoren wie Nebenerwerbstätigkeit und andererseits mit den kognitiven Fähigkeiten zusammenhängen. Sollte sich diese Vermutung zukünftig bestätigen lassen, wäre es sinnvoll, auch bei Zulassung nach Wartezeit geeignete weitere Auswahlkriterien anzuwenden und zusätzlich potentiell fähige Wartezeitstudierende zu unterstützen, deren Studienerfolg eher durch ihre Lebensumstände eingeschränkt wird.

Die Studierenden der Wartezeitquote, die den klinischen Studienabschnitt erreichten, setzten ihr Studium ohne Ausnahme bis zum PJ fort. Der Studienverzögerungstrend kehrten sich um: Ein deutlich kleinerer Anteil der Studierenden in der Wartezeitquote verlängerte die klinische Studienzeit als Studierende in der Abiturbesten- und der AdH-Quote. Die Hauptgründe für Studienverzögerung in dieser Studienphase waren allerdings Auslandaufenthalte, Promotionsarbeiten, und der Besuch freiwilliger Wahlkurse. Ältere Studierende neigten vermutlich dazu, auf diese Möglichkeiten zu verzichten, um das Studium möglichst schnell abzuschließen.

Das Nachrückverfahren

Der Studienverlauf der Studierenden, die im Nachrückverfahren ausgewählt wurden, ähnelte in allen untersuchten Parametern – Studienleistung, -verzögerung und -abbruch – dem Studienverlauf der Wartezeitquote. Wie in der Wartezeitquote war auch bei den Nachrückern Leistungsschwäche ein häufiger Grund für Studienverzögerung und -abbruch im vorklinischen Studienabschnitt.

Die Nachrücker sind Studierende, die an keiner der deutschen medizinischen Fakultäten im Rahmen des innerkapazitären Zulassungsverfahrens vermittelt werden konnten. Ihr Studieneintrittsalter und ihre Abiturdurchschnittsnoten nehmen im Schnitt einen Platz zwischen den Abiturbesten/AdH-Quote und der Wartezeitquote ein. Ob die Unterschiede dieser Eingangsmerkmale zwischen der Nachrückergruppe und den in den Hauptverfahren Zugelassenen ausreichen, um den durchschnittlich schlechteren Studienverlauf der Nachrücker zu erklären, bleibt abzuklären. Möglicherweise spielt neben den kognitiven und altersbedingten Faktoren auch Motivation eine Rolle.

Die Befunde deuten an, dass das Nachrückverfahren das allgemeine Leistungsniveau der Studierendenkohorte senkt und die Zahl der Studienabbrecher vergrößert. Im Gegensatz zu der Wartezeitregelung ist das Nachrückverfahren nicht gesetzlich erforderlich. Es ist möglich, ein Nachrückverfahren zu vermeiden, zum Beispiel durch Einschränkung der Studienortspräferenz der Studienbewerber und durch eine möglichst genaue Einschätzung der Zulassungsüberbuchung im AdH-Hauptverfahren. Die Anwendung dieser Maßnahmen liegt im Ermessen der Hochschulen.

AdH- vs. Abiturbestenquote

Die Studierenden der AdH-Quote, die nach der Abiturdurchschnittsnote und zu einem kleinen Teil anhand von Bonuskriterien ausgewählt wurden, erreichten im Schnitt geringfügig schlechtere Studienleistungen als die Studierenden der Abiturbestenquote. Dieser Unterschied kann allein durch den Unterschied in den mitgebrachten Schulnoten erklärt werden. Dagegen war die Studienkontinuität der Abiturbesten etwas schlechter als die der AdH-Quote. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass einige Bewerber mit einer Abiturdurchschnittsnote von 1,0 bei der ersten Hochschulanmeldung unschlüssig in Bezug auf ihre Studienfachwahl sind. Diese Interpretationsmöglichkeit kann jedoch angesichts der kleinen Fallzahlen lediglich als eine Frage an die zukünftige Forschung gelten.

Zweitstudium und Klageverfahren

Die Analyse der Studienleistung und -kontinuität der Zweitstudium-Studierenden und der nach Klageverfahren zugelassenen Studierenden war durch die kleinen Fallzahlen eingeschränkt. Sie deckte jedoch einen Trend auf, der einer näheren Untersuchung bedarf. In beiden Gruppen befanden sich erfolgreiche Studierende. Im Allgemeinen ähnelten die Studienleistungen dieser Gruppen im günstigsten Fall denen der Wartezeitquote. Ihre hohen Studienabbruchs- und Studienverzögerungsraten lassen eine gegenüber der Wartezeitquote geringere Fähigkeit vermuten, das Studium konsequent zu verfolgen.

Klinik vs. Vorklinik

Die allgemeine Studienleistung der Studierenden aller Quoten war deutlich besser im klinischen als im vorklinischen Studienabschnitt. Der höchste Anstieg wurde durch die NRV-Gruppen und die Studierenden der Wartezeitquote erreicht, obwohl deren Leistung nach wie vor unter dem Niveau der Abiturbesten blieb. Zu diesem Anstieg können mehrere Faktoren, einschließlich des Ausscheidens der leistungsschwächsten Studierenden vor dem M1-Examen beigetragen haben. Es wurde mehrfach beschrieben, dass der Zusammenhang zwischen der schulischen und universitären Lernleistung im klinischen Studienabschnitt geringer ist als im vorklinischen Studienabschnitt [9], [20]. Zu der gesteigerten Studienleistung im klinischen Studienabschnitt dürften die stärkere Orientierung dieses Studienabschnitts am Berufsleben [21] sowie die Zufriedenheit mit dem Reformcurriculum des klinischen Studienabschnitts [22], [23], [24] beitragen. Evaluationen der Studierenden legen nahe, dass Interesse und aktive Teilnahme an Veranstaltungen die dominanten Faktoren sind, die zum besseren subjektiven Wissenserwerb im Reformcurriculum beitragen [25].


Schlussfolgerung

Der prognostische Erfolg der Studierendenauswahl zum Studiengang Humanmedizin nach Abiturdurchschnittsnote, der in der geltenden Gesetzgebung maßgebliche Bedeutung zukommt, ist durch mehrere Faktoren eingeschränkt:

1.
Die Abiturdurchschnittsnote klärt weniger als 30% der Varianz der Studienleistung auf, sodass die Streuung der Studienleistungen aller Abiturnotengruppen groß ist. Es wäre deshalb folgerichtig, potentiell erfolgreichen Kandidaten mit einem breiten Spektrum an Abiturnoten die Zulassung auf Kosten von potentiell schwächeren Abiturbesten zu ermöglichen. Dieses Ziel kann durch den Einsatz weiterer, abiturunabhängiger Auswahlinstrumente erreicht werden.
2.
Die Zulassung nach Wartezeit unter Verzicht auf jegliche Erfolgsprädiktoren ist problematisch. Andererseits erscheint auch der Verzicht auf potentiell fähige Medizinstudierende mit Lebens- und Berufserfahrung aber mittelmäßigen Abiturnoten wenig sinnvoll. Zweckmäßig wäre die Anwendung geeigneter Auswahlinstrumente auch bei Zulassung nach Wartezeit.
3.
Das Nachrückverfahren ähnelt der Zulassung nach Wartezeit in Bezug auf die Prognose für Studienleistung und -kontinuität und sollte, wenn möglich, vermieden werden.

Danksagung

Die Autoren sind Anna Kirchner, Dagmar Schweinfurth, Alexandra Keinert, Martina Damaschke und Dr. Ariunaa Batsaikhan für ihre hervorragende technische Unterstützung der Arbeit sehr dankbar. Anna Kirchner gebührt weiterer Dank für ihre stets geduldige Beratung bezüglich des Studierendenauswahlverfahrens.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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