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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

"Psychosoziale Aspekte der Körperspende und des Präparierkurses": Ein Unterrichtsangebot mit dem Ziel, Studierende in ihrer Auseinandersetzung mit dem Präparierkurs zu unterstützen

Projekt Humanmedizin

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  • corresponding author Simone Weyers - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Medizinische Soziologie, Düsseldorf, Deutschland
  • author Thorsten Noack - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Geschichte der Medizin, Düsseldorf, Deutschland
  • author Gerd Rehkämper - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Zentrum für Anatomie, Düsseldorf, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(2):Doc16

doi: 10.3205/zma000908, urn:nbn:de:0183-zma0009081

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000908.shtml

Eingereicht: 4. Oktober 2013
Überarbeitet: 7. Januar 2014
Angenommen: 27. Januar 2014
Veröffentlicht: 15. Mai 2014

© 2014 Weyers et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel: Der "Präparierkurs" ist ein essentieller Teil der vorklinischen medizinischen Ausbildung. An der Medizinischen Fakultät Düsseldorf wurde eine kursbegleitende Veranstaltung entwickelt mit dem Ziel, die Erfahrungen der Studierenden gemeinsam mit diesen zu reflektieren und sie in ihrer Auseinandersetzung mit dem Körperspender und der Präparation zu unterstützen. Ziel des Manuskriptes ist die Darstellung des Unterrichtskonzeptes.

Methode: Es wurde besonderer Wert auf den Austausch in der Peer-Gruppe gelegt. Die Reflexion erfolgte im Rahmen einer Vorlesung, einem Kleingruppenseminar und einem online Tagebuch als Kernstück. Abschließend erfolgte eine Evaluation der Veranstaltung.

Ergebnisse: Ca. ein Sechstel der Studierenden nutzte das online Tagebuch. Ausgewählte Tagebucheinträge werden hier dargestellt. Ebenfalls ein Sechstel der Studierenden nahm an der Evaluation teil. Diese Studierenden empfanden das Angebot als sehr hilfreich, um sich auf den Präparierkurs vorzubereiten.

Diskussion: Ein solches Unterrichtsangebot könnte den Anfang eines longitudinalen Unterrichtsangebotes bilden, um den adäquaten Umgang mit dem Thema Sterben und Tod zu fördern.

Schlüsselwörter: Präparierkurs, psychosoziale Unterstützung


Hintergrund und Ziel

Der Kursus der makroskopischen Anatomie, allgemein Präparierkurs genannt, ist ein essentieller Teil der vorklinischen medizinischen Ausbildung. Der Präparierkurs ist naturwissenschaftlich geprägt, d.h. die präparierten Strukturen werden in einem Ursache-Wirkungs-Denken auf ihre Funktion hin analysiert. Er kann also wesentlich dazu beitragen, dass die Studierenden den Bau des menschlichen Körpers ‚begreifen‘. Darüber hinaus kann er Teamarbeit und Gemeinschaft fördern, die frühzeitige Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Tod begünstigen und – bei angemessener Reflektion - die Entwicklung einer im positiven Sinne professionellen Haltung bahnen [6].

Immer wieder ist über die Notwendigkeit des Präparierens kontrovers diskutiert worden [4], [6]. Die Diskussion soll an dieser Stelle nicht wiederholt oder vertieft werden. In jedem Fall stellt der Präparierkurs ein einschneidendes Erlebnis dar. In einer Gesellschaft, in der zumeist nicht mehr im Kreis der Familie, sondern in Institutionen gestorben wird, werden viele Studierende erstmalig mit einem toten Menschen konfrontiert. Die Gefühle und Einstellungen im dauerhaften Kontakt mit der Leiche des Körperspenders sind relativ gut untersucht [3]. Dabei zeigt sich, dass viele Studierende mit Befürchtungen, aber auch mit Neugier und Stolz in den Kurs hineingehen. Die meisten können sich jedoch rasch an die außergewöhnliche Situation gewöhnen.

Allerdings sind mehrere Aspekte an den ablaufenden Adaptations- und Identifikationsprozessen sorgfältig zu beleuchten:

1.
Der Präparierkurs kann eine ungünstige berufliche Sozialisation begünstigen, wenn die Studierenden bestimmte Umgangsweisen mit sich selbst und mit ihrem Gegenüber unreflektiert einüben. Ein Beispiel sind Schuldgefühle, die angesichts des kulturellen Tabubruchs und trotz der didaktischen, berufsvorbereitenden und allgemein heuristischen Legitimation des Präparierkurses und der Freiwilligkeit der Körperspende entstehen. Ein anderes Beispiel sind Versagensängste, die rationalisiert und affektiv isoliert werden, wodurch der Ausbau selbstachtsamer Haltungen gehemmt wird. Solche Umgangsweisen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten im späteren ärztlichen Handeln depersonalisiert und auf einen Objektstatus reduziert werden [5]. Umgekehrt, könnten die Fähigkeiten zur Gestaltung einer empathischen Beziehung zum Patienten bereits im Präparierkurs gefördert werden. Die Student-Körperspender-Beziehung kann ein Vorbild für die spätere Arzt-Patienten-Beziehung sein und sollte entsprechend bewusst gestaltet werden.
2.
Einer kleineren Anzahl von Studierenden gelingt es nicht, die psychosozialen Anforderungen des Kurses zu bewältigen. Diese Studierenden fühlen sich durch die Präparationen nachhaltig schwer belastet [1], [2]. Bei einigen Studierenden führt dies sogar zur Aufgabe des Medizinstudiums.
3.
Studierende verfügen nicht immer über die Kompetenz und die Bereitschaft, ihre Ängste ausreichend zu verbalisieren und Unterstützung zu erfragen [8]. Anonymisierte Befragungen zeigen, dass sich ein erheblicher Teil der Studierenden begleitende Maßnahmen zur Stressprävention im Zusammenhang mit dem Präparierkurs wünscht [3]. Eine solche Begleitung scheint an den deutschen medizinischen Fakultäten jedoch vergleichsweise selten angeboten zu werden.

Im Wintersemester 2012/13 wurde daher an der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf eine kursbegleitende Veranstaltung entwickelt und erstmalig angeboten. Ziel war, die Erfahrungen der Studierenden gemeinsam mit diesen zu reflektieren und sie in ihrer Auseinandersetzung mit dem Körperspender und der Präparation zu unterstützen.

Die Reflexion erfolgte im Rahmen von zwei Vorlesungsstunden, einem Kleingruppenseminar und einem online Tagebuch. Hierbei wurde besonderer Wert auf den Austausch in der Gruppe der Mitstudierenden ("Peer-Gruppe") gelegt. Sie ist im Prinzip die einzige Bezugsgruppe der Studierenden, welche die gleichen Erfahrungen der Grenzüberschreitung macht und Normen teilt, die in der restlichen Gesellschaft tabuisiert sind, wie etwa die Zerlegung eines toten Körpers. Sie kann schon durch den Austausch dieser Erfahrungen emotionale Unterstützung gewähren.

Die nachfolgenden Abschnitte des Manuskriptes beschreiben das Unterrichtskonzept und die Abfolge der Einheiten. Im Ergebnisteil werden ausgewählte Einträge des online Tagebuches dargestellt sowie die Ergebnisse der Evaluation des Unterrichtskonzeptes. Abschließend wird das Pilotprojekt kritisch diskutiert.


Methode

Vorlesung und Seminar

Vor der ersten Stunde im Präpariersaal und ca. sieben Wochen später wurde jeweils eine Vorlesungsstunde in die begleitende anatomische Vorlesungsreihe integriert. In der ersten Vorlesungsstunde wurden die Studierenden zunächst gebeten, sich selbst einige Minuten mit folgenden Fragen auseinander zu setzen: “Was wissen Sie über den Präparierkurs und von wem? Was sind Ihre Erwartungen?” Hiernach besprachen die Studierenden diese Aspekte in Murmelgruppen. Nach dieser Reflexionsphase folgte ein Kurzvortrag zum Körperspendewesen an der Medizinischen Fakultät Düsseldorf. In groben Zügen wurden Motivationen von Körperspendern dargestellt, der Prozess von der Kontaktaufnahme bis zur Überführung und Aufbewahrung der Körperspenden beschrieben sowie einige Daten und Zahlen zum Standort gegeben.

Am selben Abend bot das interdisziplinäre Team von Lehrenden ein Seminar an, in dem sich die Studierenden unabhängig vom Präparierkurs mit dem Thema Sterben und Tod auseinandersetzen konnten. In Eigenreflexion, Murmelgruppen und Plenumsgesprächen schilderten die Studierenden ihre persönlichen Erfahrungen. Diese Reflexionen ergänzten die Dozenten durch sozialpsychologische Aspekte, etwa über die gesellschaftlichen Veränderungen des Sterbens. Erst am nächsten Tag traten die Studierenden in den Präparierkurs ein.

Online Tagebuch

In den kommenden Tagen und Wochen nahmen die Studierenden ihre Tagebuch-Einträge vor. Auf der E-Learning-Plattform der Universität Düsseldorf war hierzu ein Instrument angelegt worden, in welchem die Studierenden sich fakultativ zu zwei Zeitpunkten – direkt zu Beginn des Kurses und drei Wochen später – anonym und im Freitext mit folgenden Fragen auseinandersetzen konnten:

  • Welche Gefühle hatten Sie vor Beginn des Kurses bzw. im weiteren Verlauf und warum (z.B. Stolz, Neugier, Interesse, Scheu, Angst, Desinteresse, Ekel)?
  • Welche Erlebnisse im Kurs waren für Sie emotional bedeutsam und warum?
  • Wie würden Sie Ihre Beziehung zu dem Leichnam beschreiben, den Sie präparieren?
  • Wie haben sich die Erfahrungen im Kurs bisher bzw. im weiteren Verlauf auf Ihren Alltag ausgewirkt (z.B. Wahrnehmung anderer Menschen, Tagesstruktur, Körperhygiene, Nacht- und Tagträume)?
  • Welche Reaktionen haben Sie bisher bzw. im weiteren Verlauf bei Ihren Kommilitonen wahrgenommen? Wo gab es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
  • Wie haben die Erfahrungen im Kurs sich bisher bzw. im weiteren Verlauf auf Ihre Berufsmotivation ausgewirkt?

Zusätzlich wurden Geschlecht, Berufserfahrung im Gesundheitswesen und das Einverständnis der Studierenden zur Darstellung der Einträge erfragt. Die individuellen Einträge waren für Kommilitonen nicht sichtbar.

Die Auswertung und Darstellung der Tagebucheinträge erfolgte nicht im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie. Vielmehr wurden von zwei Personen nach Augenschein typische Äußerungen identifiziert, die als repräsentativ für die Peer-Gruppe gelten können. Im Sinne der Gewährung sozio-emotionalen Rückhalts sollten diese Zitate deutlich machen, dass die individuellen Eindrücke kollektive Erfahrungen darstellen – die Studierenden also nicht alleine sind.

Da nur sehr wenige Einträge zum zweiten Zeitpunkt vorgenommen wurden, wurde auf die Auswertung und Darstellung dieser Einträge verzichtet. In der zweiten Vorlesungsstunde sieben Wochen später wurden dann die ausgewählten Tagebucheinträge dargestellt und diskutiert (siehe Ergebnisteil).

Evaluation

Am Ende der zweiten Vorlesungsstunde wurden die Studierenden gebeten, Empfehlungen zur weiteren Gestaltung des Unterrichtsangebotes zu geben. Zu diesem Zweck ließen sie ein mit Antworten versehenes Blatt am Ende der Vorlesung zurück. Wiederum wurden von zwei Personen nach Augenschein typische Äußerungen identifiziert und im Rahmen der internen Nachbereitung diskutiert.


Ergebnisse

Tagebuch

Das online Tagebuch war das Kernstück des Unterrichtsangebotes. Von den insgesamt 393 Teilnehmern des Präparierkurses nutzten 67 Studierende (17%) das Angebot in den ersten Tagen der Veranstaltung. Entsprechend der Geschlechterverteilung im Studierendenjahrgang waren weibliche Studierende überrepräsentiert (49 vs. 14 Männer, 4 fehlend). Ebenfalls überrepräsentiert waren Studierende ohne Berufserfahrung im Gesundheitswesen (52 vs. 13 Berufserfahrene, 2 fehlend).

Die Darstellung und Diskussion der Tagebucheinträge in der Vorlesung erfolgte anhand der o.g. Leitfragen, wobei die Originalzitate (hier kursiv) visualisiert und mit mündlichen Ausführungen der Dozenten wie folgt ergänzt wurden:

a) Haltungen und Erwartungen vor Beginn des Präparierkurses

Ein Drittel der Tagebuch führenden Studierenden (n=22) berichtete von einer Aufregung im Vorfeld des Kurses, die sich jedoch rasch legte. Neun Studierende benannten diesen Teil der Ausbildung ausdrücklich als Privileg.

Beispiel: „Ich hatte mich immer sehr auf den Präparierkurs gefreut und war kurz davor sehr aufgeregt. Ich hatte ein wenig Angst, nicht mit der Situation zurechtzukommen, aber es war dann doch ganz anders als erwartet: es war zwar im ersten Moment seltsam einen toten Menschen zu präparieren, wurde aber dann doch recht schnell zur Normalität und die Neugier überwog sowieso von Anfang an!“

b) Emotional bedeutsame Ereignisse zu Beginn des Präparierkurses

Einige Studierende (n=10) berichteten von der Besonderheit des Momentes, in dem der Leichnam ausgepackt wurde, und von der Herausforderung des ersten Blickkontaktes mit dem Körperspender.

Beispiel: „Das Auspacken der Körperspenderin war ein sehr bedeutsamer Augenblick, denn da haben wir den Körper kennengelernt, der uns die nächsten Monate in unserem Studium begleitet und uns indirekt dabei hilft, unsere Fertigkeiten zu erlernen und die menschliche Anatomie zu verstehen.“

Für wenige (n=4) schien jedoch nur der Beginn des Kurses mit Aufregung verbunden, danach überwog das Interesse. Allerdings wurde auch moniert (n=1), dass zu wenig Zeit zum ‚Ankommen im Kurs‘ gegeben werde. Der soziale Rückhalt der Tischgruppe wurde von Einigen (n=4) als besonders wichtig hervorgehoben.

c) Verhältnis zum Leichnam

Bezüglich der Beziehung zum Leichnam wurde das ganze Kontinuum zwischen Distanz und Nähe geschildert, von einer sachlichen und unpersönlichen Haltung bis hin zu einer häufigen Beschäftigung oder partiellen Identifikation mit der toten Person.

Beispiel: „Ich würde sagen, dass wir eher noch Fremde sind. Ich würde gerne wissen, wie alt sie war, warum sie sich zur Körperspende angemeldet hatte und wie sie gestorben ist.“

Vereinzelt (n=6) wurde die Hypothese formuliert, dass eine Beziehung zur Leiche des Körperspenders, d.h. die Herstellung von Nähe, kontraproduktiv sei. In sehr distanzierender Weise beschrieb eine Person die Präparation des Fettgewebes als ekelerregend und sah sich im Nachteil mit anderen Studierenden, die schlanke Leichen präparierten. Ein Drittel der Studierenden (n=22) äußerte Dankbarkeit und Respekt gegenüber ihrer Körperspenderin bzw. „ihrem“ Körperspender.

d) Auswirkungen auf den Alltag

Ein Drittel (n=23) der Befragten war der Auffassung, dass der Präparierkurs ihren Alltag nicht beeinflusse. Andere Studierende berichteten über eine häufigere Körperhygiene (n=8) und über veränderte Essgewohnheiten (n=2). Vor allem bei lebensälteren Menschen im persönlichen Umfeld wurde schamvoll an Ähnlichkeiten mit den Körperspendern gedacht (n=3).

Beispiel: „Man besucht den Tod – jeden Tag aus Neue. Und der Tod besucht mich auch. Er schließt nicht die Tür hinter sich, wenn ich den Saal verlasse. Er läuft einem hinterher und trägt einem das hinterher, was man doch lieber im Saal lassen würde. […] Er folgt mir in meine Träume. Aber es führt auch dazu, dass man sich mit dem Tod in einer anderen Weise, als man das sonst tut, auseinandersetzt.“

e) Wahrnehmung der Reaktionen bei Kommilitonen

Einige Studierende (n=5) beschrieben den großen Respekt vor dem Leichnam und der Tätigkeit des Präparierens. Die Situation wurde als außergewöhnlich wahrgenommen. Thematisiert wurden häufig (n=22) Versagensängste (Angst vor dem Unbekannten; Angst, sich nicht überwinden zu können, den Anforderungen gerecht zu werden). Bei einigen überwogen diese Ängste, einige gingen mit der Situation sehr sachlich (n=21) um, andere wiederum freuten sich auf das „Präppen“ (n=9). Einige (n=9) beschrieben das Abtragen des subcutanen Fettes und den Fixationsgeruch als negative Erfahrung.

Beispiel: „Ich habe bereits eine Ausbildung gemacht und kam daher in dieser Zeit auch des Öfteren mit Toten bereits in Berührung. An meinem Tisch sind die meisten ein wenig jünger und haben noch keine Erfahrung mit Toten gemacht. Gemeinsam haben wir, dass wir alle Respekt gegenüber der Körperspenderin haben und mit Ernsthaftigkeit bei der Sache sind. Aufgefallen ist mir auch, dass keiner Hemmungen gezeigt hat, als wir sie ausgepackt haben.“

f) Berufsmotivation

Von den 67 Tagebucheinträgen vermitteln zwei Drittel (n=44) den Eindruck, dass der Kurs sich positiv auf die Berufsmotivation der oder des Studierenden auswirke. Die Veranstaltung sei psychisch und physisch anstrengend, aber auch eine Hürde, an der man wachsen könne. Die Komplexität des Körpers wurde von einigen (n=9) als faszinierend geschildert. Eine Person brachte die Furcht zum Ausdruck, diese komplexen Strukturen durch ärztliche Unachtsamkeit später zu verletzen.

Beispiel: „Bislang haben mir die Erfahrungen im Kurs bewiesen, dass ich mich für den richtigen Berufsweg entschieden habe und dass dies wirklich das ist, was ich lernen will und was mich interessiert. Zeitweise ließ mich aber die Fülle von Informationen auch etwas zweifeln, ob ich den Ansprüchen wirklich gewachsen bin.“

g) Sonstige Bemerkungen

Eine Person bewertete die praktische Arbeit des Präparierens explizit als hilfreich beim Lernen der anatomischen Strukturen. Drei Studierende wünschten sich ausdrücklich mehr psychosoziale und ethische Begleitangebote und wiesen auf einen möglicherweise verstärkten Bedarf der künftig noch jüngeren Erstsemester hin, der aus der Verkürzung der Schulzeit resultiert.

Evaluation

Die Rückmeldung der Studierenden (n=60) zum hier beschriebenen Unterrichtsangebot war insgesamt sehr positiv. Die an der Evaluation teilnehmenden Studierenden empfanden das Angebot fast unisono als sehr hilfreich, um sich auf den Präparierkurs vorzubereiten. Viele regten an, den Unterrichtsumfang auszubauen und das Angebot, etwa im Rahmen von Seminaren, verpflichtend zu machen. Viele Studierende wandten jedoch ein, dass die zeitliche Platzierung ungünstig sei, da zeitnah Lernstoff und Klausuren bewältigt werden müssten, so dass sie nicht in dem gewünschten Umfang teilnehmen konnten.


Diskussion und Ausblick

Das hier beschriebene Unterrichtsangebot hatte zum Ziel, die Erfahrungen der Studierenden im Präparierkurs gemeinsam mit diesen zu reflektieren und sie in ihren Auseinandersetzungen mit der Körperspenderin und dem Körperspender sowie der Präparation zu unterstützen. Der vorliegende Beitrag stellte das Vorgehen, ausgewählte Ergebnisse und Bewertungen dar.

Einschränkend muss gesagt werden, dass die begrenzte Teilnahme der Studierenden keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen zulässt. Darüber hinaus weist die Gruppe möglicherweise eine Verzerrung auf, etwa indem vor allem die besonders belasteten Studierenden das Angebot nutzten, da sie hiervon im Sinne einer Entlastung profitierten wollten.

Es kann jedoch konstatiert werden, dass die Tagebucheinträge der Studierenden prinzipiell die eingangs erwähnte Evidenz unterstreichen. Zunächst überwiege zwar der Stress, rasch setze jedoch eine Gewöhnung ein. Vereinzelt berichteten Studierende von einer schwer zu ertragenden Belastung durch den Präparierkurs. In diesen Fällen sollte dringend eine professionelle Unterstützung angeboten werden.

Aufgrund ihrer eigenen Tagebucheinträge konnte den Studierenden deutlich gemacht werden, wie schwer die Regulation zwischen objektivierender Distanz und einer Empathie ermöglichenden, aber auch Angst machenden Nähe zur Körperspenderin und zum Körperspender fällt – eine Problematik, die die Studierenden in ihrer Ausbildung wie auch später in ihrer professionellen Rolle als klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte begleiten wird. Studien sowie die persönliche ärztliche Erfahrung zeigen, welche Not bei Studierenden und Berufseinsteigern im Umgang mit dem Thema Sterben und Tod bislang besteht und wie inadäquat die Unterstützung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen bislang ausfällt [7]. Dies sollte durch eine frühzeitige Integration von Reflexionsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien im Studium aufgefangen werden.

Idealerweise könnte das hier beschriebene, nach der Pilotphase zu optimierende Unterrichtsangebot den Anfang einer Reflexions- und Lernspirale bilden, die sich vom Präparierkurs über das Kranken- bis hin zum Sterbebett durch das Studium zieht, um den adäquaten und im positiven Sinne professionellen Umgang mit dem Thema Sterben und Tod zu fördern.

Die Evaluation der Studierenden unterstreicht den Bedarf an einem solchen Begleitangebot zum Präparierkurs und die Not


Danksagung

Wir danken Fatjon Ndregjoni und Kathrin Heper für die Unterstützung im Prozess der Datenaufbereitung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Aufklärung und Einwilligung

Das Ethikvotum der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität wurde erteilt.


Literatur

1.
Bernhardt V, Rothkötter HJ, Kasten E. Psychische Belastungen durch die Dissektion am Leichnam im anatomischen Präparierkurs bei Erstsemestern des Studienfachs Medizin. GMS Z Med Ausbild. 2012;29(1):Doc12. DOI: 10.3205/zma000782. Externer Link
2.
Dinsmore C E, Daugherty S, Zeitz HJ. Student responses to the gross anatomy laboratory in a medical curriculum. Clin Anat. 2001;14(3):231–236. DOI: 10.1002/ca.1038. Externer Link
3.
Egbert S. Aspekte der Sozialisation zum Arzt: Eine empirische Studie über Auswirkungen der praktischen Makroanatomie auf Medizinstudierende und deren Einstellung zu Sterben und Tod. Unveröffentlichte Dissertation. Gießen: Universität Gießen; 2005.
4.
Lippert H. Sind Präparierübungen an der Leiche noch zeitgemäß? Dtsch Arztebl. 2012;109:35-36, A 1758-1759.
5.
Lippert H. Wie human ist die Humananatomie? In: Anatomische Gesellschaft (Hrsg). Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft. Ausgabe 79. Berlin: Nabu Press; 1985. S. 21-30.
6.
Ochs M, Mühlfeld C, Schmiedl A. Präparierkurs: Grundlage ärztlichen Handelns. Dtsch Arzteblt. 2012;109(43):A 2126-2127.
7.
Rhodes-Kropf J, Carmody S, Seltzer D, Redinbaugh E, Gadmer N, Block SD, Arnold RM. This is just too awful; I just can't believe I experienced that …": Medical Students' Reactions to Their "Most Memorable" Patient Death. Acad Med. 2005;80(7):634-640. DOI: 10.1097/00001888-200507000-00005 Externer Link
8.
Shalev A, Nathan H. Medical students´ stress reactions to dissection. Isr J Psychiatry Relat Sci. 1985;22(1-2):121-133.