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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Motive für die Fachgebietswahl ehemaliger PJ-Studierender im Fach Allgemeinmedizin: Ergebnisse einer Querschnittsbefragung der Jahrgänge 2007 - 2012

Forschungsarbeit Humanmedizin

  • author Jens Abendroth - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Ute Schnell - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Thomas Lichte - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland
  • author Matthias Oemler - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • corresponding author Andreas Klement - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(1):Doc11

doi: 10.3205/zma000903, urn:nbn:de:0183-zma0009038

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000903.shtml

Eingereicht: 11. Juli 2013
Überarbeitet: 14. November 2013
Angenommen: 14. Januar 2014
Veröffentlicht: 17. Februar 2014

© 2014 Abendroth et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Bedeutung eines Wahltertials in der Allgemeinmedizin während des Praktischen Jahres (PJ-AM) auf die Fachgebietswahl von jungen Ärzten ist Gegenstand großen öffentlichen Interesses, aber bisher nicht ausreichend evaluiert. Längsschnittstudien zeigten den Einfluss einer Vielzahl von motivationalen Faktoren (z.B. „Work-Life-Balance“) aber nicht in Bezug auf das PJ-AM selbst. Daher führten wir eine Querschnittsbefragung zu Motiven für die Fachgebietswahl unter allen Absolventen des PJ-AM in Sachsen-Anhalt von 2007-2012 durch.

Methodik: Ein standardisierter Fragebogen wurde an 109 ehemalige PJ-Studierende gesandt. Der Fragebogen umfasste 29 Items zu drei Themenkomplexen (Persönliche Haltungen, Lebens- und Karrierekonzepte, Motive für die Fachgebietswahl) unter Verwendung von Ja/Nein-Einzel- und Auswahlfragen sowie Likert –Skalen. Korrelationsanalysen wurden mittels Kendall's Tau durchgeführt.

Ergebnisse: Der Fragebogen erreichte 97 Absolventen, von denen 45 (46%) antworteten. In der Rangliste der Motive für die Fachgebietswahl wurden die Familie (71%), Freizeit (66%) und Stellenangebote (48%) als bedeutsamer genannt als Einkommen (36%), Mentoren (20%), Status oder wissenschaftliche Interessen (20%). Nur 29% der Antwortenden gab an, dass das PJ-AM ihre Fachgebietswahl geändert habe. Besonders wenn die Fachgebietswahl bereits vor dem PJ-AM erfolgte, war der Einfluss der Einfluss des PJ-AM auf die Fachgebietswahl gering (r=-.5; p<.01). Bei den Absolventen, bei denen das PJ-AM die Fachgebietswahl veränderte, war dies positiv korreliert mit „neue Wahrnehmung“ des Faches (r=.36; p<.01). „Neue Wahrnehmung“ des Faches wiederum zeigte sich assoziiert mit einem positiven Einfluss des Lehrarztes im PJ-AM.

Schlussfolgerung: Für bezüglich der Fachgebietswahl “noch unentschiedene” Studierende bietet das PJ-AM die Möglichkeit, zu einer veränderten Wahrnehmung des Faches zu gelangen. Dies wiederum kann in einer Teilgruppe zu einer Beeinflussung der Fachgebietswahl führen. Die Effekte der Ausweitung der Plätze im PJ-AM sowie die Wirkung von Lehrärzten auf “noch unentschiedene” Studierende sollten sorgfältig evaluiert, in Lehrarztschulungen berücksichtigt und gezielt genutzt werden.

Schlüsselwörter: Praktisches Jahr, Allgemeinmedizin, Fachgebietswahl, Medizinstudium, Motivation


Einleitung

Die Bedeutung einzelner Ausbildungsabschnitte im Medizinstudium für die Fachgebietswahl späterer Absolventen ist Gegenstand intensiver Diskussionen in Wissenschaft und Politik. So gab es 2012 im Rahmen der Novellierung der Approbationsordnung die Überlegung, Studierende einen verpflichtenden Anteil des Praktischen Jahres in Allgemeinarztpraxen (PJ-AM) absolvieren zu lassen. Hierdurch sollten Absolventen zu qualifizierteren Entscheidungen für eine Fachgebietswahl befähigt werden. Allerdings sind die Motive der Fachgebietswahl durch Studierende sehr heterogen [13].

Die Darstellung von Einflüssen auf Prävalenz und Entwicklung von Motiven im Entscheidungsweg zur Fachgebietswahl zeigt, dass neben den wahrgenommenen Eigenschaften des Fachgebietes (insbesondere Patientenkontakt, technische Aspekte und Einkommen) zu erfüllende Bedürfnisse (persönlicher, gesellschaftlicher und der anderer Personen z.B. Familie) unmittelbar bedeutsam sind. Aber auch indirekte Einflüsse auf Motive, wie das Vergabeverfahren für Studienplätze, bestehende Institute für Allgemeinmedizin oder ethische Werte und Kultur der Ausbildungsstätte wirken bei der Fachgebietswahl und der Präselektion der `Wahlberechtigten´ mit [13], [17].

Ärzte in Weiterbildung mit Fachgebietswahl (oder -präferenz) Allgemeinmedizin zeigten sich schon in den ersten systematischen Erhebungen in den frühen 1990´er Jahren gegenüber denen mit anderen Weiterbildungszielen eher motiviert durch Patientenkontakt, vielfältige Patientenmerkmale und -probleme sowie Aufgaben in Prävention und Früherkennung [3]. Diese Befunde finden sich in aktuelleren Befragungen in der Schweiz und Deutschland bestätigt [9]. Hervorzuheben sind hier auch die Daten aus einer Längsschnittstudie [5], [4]. Es zeigt sich auch dort wie in anderen Arbeiten, dass motivierend für eine bestimmte Fachgebietswahl gerade frühzeitige [1] und praktische Erfahrungen in einem Fach [12], [20] wirken. Ein Interesse an eigener Forschungstätigkeit stellte in einer kanadischen Studie ein starkes Motiv für eine Fachgebietswahl mit spezialisierter Ausrichtung und gegen die Allgemeinmedizin dar [19]. In aktuellen [15], [17] wie älteren Befragungen [16] unter Medizinstudierenden und Ärzten in Weiterbildung zeigten sich weibliches Geschlecht, ausgeprägte familiäre Bindungen (insbesondere Ehe und eigene Kinder), ländlicher Hintergrund, und ein eher von Erwartungen an Freizeit, geregelte Arbeitszeiten und planbare Berufstätigkeit als an Karriere- oder Qualifizierungswünsche getragenes Motivationsmuster als Prädiktoren einer eher allgemeinmedizinisch orientierten Fachgebietswahl [5], [9], [17], [16], [18]. Zusammenhänge zwischen (geschlechtsunabhängigen) Persönlichkeitsmerkmalen und Fachgebietswahl konnten nicht nachgewiesen werden [3], [8]. Positive Prädiktoren für eine spätere Niederlassung als Allgemeinarzt sind – ähnlich wie bei der Fachgebietswahl - eigene Kinder, bestehende Partnerschaft, Möglichkeit der Teilzeittätigkeit, ein Mentoring – Programm und die persönliche Beziehung zu einem Allgemeinmediziner [4], [6], [18]. Allerdings können motivierende Faktoren auch miteinander konkurrieren und ggf. auch durch (aktuelle) Lebensentscheidungen überlagert werden, besonders wenn der Ort der Weiterbildung sich in einem städtischen Umfeld befindet und keine kontinuierliche Anbindung an ein Weiterbildungsprogramm gegeben ist [6]. Das PJ-AM hat möglicherweise über den Abgleich von individuellen Präferenzen und Motiven mit erlebter Berufsrealität am vorgelebten ärztlichen Vorbild einen erheblichen Einfluss auf die Fachgebietswahl [5], [4]. Jedoch wurden die Motive für die Fachgebietswahl im Hinblick auf das erlebte PJ-AM trotz der aktuell intensiven Debatte um die Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung und die Rolle der medizinischen Fakultäten bei der Versorgungssicherung noch nicht untersucht obwohl schon versorgungspolitische Konsequenzen mit teils erheblichem finanziellen Aufwand gezogen wurden [http://www.gesetze-im-internet.de/gkv-solg/BJNR385300998.html, zuletzt besucht am 24.01.2014]. Langfristig haben Untersuchungen in den USA einen Erfolg gezeigt, wenngleich auch hier nur etwa zwei Drittel der ehemals besonders Geförderten langfristig noch in der Allgemeinmedizin tätig waren [14].

Daher haben wir erfragt, welche Motive ehemalige Studierende des PJ-AM für ihre spätere Fachgebietswahl im Zusammenhang mit dem PJ-AM nennen und wie das PJ-AM die individuelle Fachgebietswahl beeinflusste.


Methodik

Durchgeführt wurde eine retrospektive pseudonymisierte Querschnittsbefragung an ehemaligen Studierenden der Universitäten Halle-Wittenberg sowie Magdeburg, welche von 2007 bis 2012 ein Wahltertial des Praktischen Jahres im Fach Allgemeinmedizin (PJ-AM) absolvierten. 29 Items zu 3 Skalen (Person, Lebenskonzept und Beruf, Entscheidungsprozess) wurden mittels single-choice, multiple-choice oder bipolarer Likert – Ratingskala (1= keine Zustimmung bis 5= volle Zustimmung) beantwortet. Der Fragebogen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) wurde neu entwickelt, da eine solche Befragung dieser Population so noch nicht erfolgte. Grundlage der Inhalte waren in ähnlichen Befragungen benannte Einflussfaktoren [9], [13], [15]. Aufgrund der geringen Stichprobengröße erschien eine Pilotierung über das Maß einer Expertenprüfung hinaus nicht zweckmäßig. Die Erfassung der Rohdaten erfolgte mittels EvaSys, die deskriptive Stichprobenbeschreibung und Analyse mittels IBM SPSS 20.0®. Aufgrund der Stichprobengröße erfolgte keine Subgruppenanalyse, jedoch eine Korrelationsanalyse mittels Kendall-Tau. In Folge des explorativen Charakters der Studie erfolgte keine Korrektur nach Bonferroni. Im Rahmen der Ergebnisbeschreibung und zur Vermeidung des Bias durch Tendenz zur Mitte wurden die Angaben „4“ und „5“ auf der Likert-Skala als Zustimmung oder „relevant“ und „1“ und „2“ als Ablehnung oder „nicht relevant“ gewertet.


Ergebnisse

Von 109 ehemaligen PJ-Studierenden konnte 97 der Fragebogen zugestellt werden, es wurde ein Rücklauf von 46 % erreicht (N=45). Geschlechts- und Altersverteilung der Antwortenden entspricht dem der Gesamtstichprobe weitgehend. Die Anzahl der PJ-Studierenden entspricht ca. 5% aller Absolventen im genannten Zeitraum. Bei einem Anteil von ca. 10% welche sich für das Fachgebiet Allgemeinmedizin entscheiden [eigene Daten, unveröffentlicht] ist hier von einer Selektion noch nicht entschlossener Studierender auszugehen. Die erhobenen Sozialdaten zeigt Tabelle 1 [Tab. 1], wobei fehlende Prozentpunkte zu 100% als ohne Angabe zu verstehen sind.

Der Rücklauf unter weiter zurückliegenden Jahrgängen war geringer, ebenso von Magdeburger Absolventen. Die Motive der Fachgebietswahl sind nach Häufigkeit der Nennung in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt. Vor allem in den Nennungen der Motive fortgeschrittener Weiterbildungsjahre ist zu bemerken, dass Familie und Freizeit im Vergleich zum Einkommen doppelt so häufig genannt werden. Nur 21% der Antwortenden erklären den Einfluss des Lehrers oder Mentors in der Praxis als relevant für die Fachgebietswahl.

Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt die Ergebnisse, welche auf Basis der Likert-Skala in „ja“ oder „Nein“ klassifiziert wurden. Fehlende Prozentpunkte enthalten die Wertung 3 als Gruppe der nicht Entschiedenen und wenige fehlende Angaben. Es zeigt sich, dass bei anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen nur in etwa 18% eine andere Fachgebietswahl erwogen worden wäre, eine familiäre Unabhängigkeit aber in 29% der Fälle einen verändernden Einfluss auf die Fachgebietswahl gehabt hätte. Etwa zwei Drittel der Antwortenden haben bereits die Fachgebietswahl abschließend getroffen, 86% streben eine ambulante Tätigkeit an. Auffällig ist, dass 27% der Antwortenden angeben, im PJ-AM kein positives Bild des Faches vermittelt bekommen zu haben. Nur in 30% der Fälle wird angegeben, dass das PJ-AM die Fachgebietswahl verändert habe, entsprechend wurde die Fachgebietswahl in 67% durch das PJ-AM als unterstützt berichtet (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).

In der Korrelationsmatrix (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]) finden sich deutliche Zusammenhänge zwischen der Unterstützung des Weiterbildungszieles durch das PJ-AM und positiven fachlichen und patientenbezogenen Erfahrungen im PJ-AM. Optisch hervorgehoben wurden die hier diskutierten Aspekte. Eine veränderte Wahrnehmung des Faches während des PJ-AM korrelierte positiv mit einer Veränderung des Weiterbildungszieles (r=.36, p<.05) und dem Einfluss des Lehrarztes (r=.33, p<.05). Auffällig ist, dass alle positiven Wahrnehmungen des PJ-AM einen Zusammenhang mit positiven Wahrnehmungen des Patientenkontaktes aufweisen (siehe Tabelle 4). Hier zeigt sich dass eine Unterstützung der Entscheidung für das Fachgebiet Allgemeinmedizin in hohem Maße von den Erfahrungen mit den Patienten abhing (r=.45, p<.05). Als weiterer wesentlicher Zusammenhang ist der wahrgenommene fachliche Erfolg hervorzuheben (r=.54, p<.05). Nachvollziehbar korrelierte die Veränderung des Weiterbildungszieles negativ mit der vorherigen Festlegung auf ein Weiterbildungsziel (r=-.5, p<.05).


Diskussion

Absolventen des PJ-AM trafen ihre Fachgebietswahl mehrheitlich bereits vor dem Praktischen Jahr. Zu einer Veränderung der Fachgebietswahl durch das PJ-AM kam es nur bei einem Drittel der Absolventen. Familie, Patienten und Mentoren sind die wesentlichen Motive der Fachgebietswahl.

Limitationen

Unsere Querschnitterhebung erfasste erstmalig für ein gesamtes deutsches Flächenland (Sachsen-Anhalt) mit zwei medizinischen Fakultäten Motive und Merkmale der Fachgebietswahl im Zusammenhang mit dem PJ-AM. Es existieren bereits für den deutschen Sprachraum validierte Erhebungsinstrumente zur Fachgebietswahl, diese fokussieren jedoch auf Studierende, nicht auf Absolventen und daher auch nicht auf den Einfluss des PJ-AM. Daher wurde ein selbst-konstruierter und nicht extern validierter Fragebogen eingesetzt. Die Studie kann daher und aufgrund geringer Fallzahl bei retrospektiver Befragung nur explorativen Charakter beanspruchen. Infolge der unter 50% Antwortenden von allen Befragten ist eine Selektionsbias wahrscheinlich und die Repräsentativität fraglich. Die relativ kleine Grundgesamtheit verringert zusätzlich erheblich die Aussagekraft von Subgruppenanalysen und Korrelationen.

Die Rangfolge der Motive zur Fachgebietswahl mit zuvorderst Familie und Freizeit und erst nachgeordnet folgenden beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bzw. Einkommen in unserer Erhebung deckt sich mit umfangreicheren Befragungen [15], [17], [16], [18]. Im Gegensatz zu einer aktuellen Erhebung unter Medizinstudierenden hatte aber das Geschlecht bei unseren Antwortenden keinen signifikanten Einfluss auf die Rangfolge der Motive [17]. Ebenfalls konnte der von Kiolbassa [9] gefundene Unterschied zwischen zukünftigen Allgemeinmedizinern und Weiterzubildenden anderer Fachgebiete hinsichtlich der Ansprüche an Freizeitanteile und Einkommen nicht dargestellt werden. Die Bedeutung einer persönlichen Beziehung zu einem Mentor aus dem gewählten Fachgebiet für die Fachgebietswahl wurde bereits mehrfach belegt [4], [7]. Allerdings scheint dies in unserer Befragung überwiegend für diejenigen zu gelten, deren Fachgebietswahl vor dem PJ-AM noch nicht feststand. Hier hängt mutmaßlich durch den Einfluss des Mentors eine veränderte Wahrnehmung des Fachgebietes mit einer Veränderung der Fachgebietswahl zusammen. Naheliegend ist, dass der Einfluss des Mentors es auch ermöglicht, das PJ in der Allgemeinmedizin als fachlich sinnvolle, wichtige oder gute Erfahrung wahr zu nehmen. Sowohl britische wie schweizerische Befunde bestätigen diese Interpretation und heben die Bedeutung des persönlichen Kontaktes zwischen Studierenden und Lehrarzt als „gelebtem Vorbild“ auch im Hinblick auf erlebbare Balance zwischen Arbeit und Lebensqualität hervor [4], [7].

Eine bemerkenswerte Einflussgröße auf die Fachgebietswahl ist die offenbar entscheidungsverstärkende Rolle des Patientenkontaktes, möglicherweise als Ausdruck einer qualitativ besonders guten Praxisanleitung durch den Mentor [3], [4]. Anzustreben ist daher auch eine sorgfältige Auswahl und didaktische Qualifizierung der Lehrärzte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die nachhaltige Tragfähigkeit der Fachgebietswahl bei zwei Dritteln der Absolventen des PJ-AM. Unsere Daten bestätigen amerikanische Langzeit-Daten, die zeigten, dass auch mit Programmen, welche intensiver die Niederlassung als Allgemeinarzt förderten, langfristig 68% der geförderten Absolventen im Fachgebiet gehalten werden konnten [14]. Nach Analyse der SwissMedCareer-Studie befanden sich 8 Jahre nach Abschluss des Studiums jedoch nur 38 % derer in Niederlassung als Allgemeinärzte, die ursprünglich diese Fachgebietswahl getroffen hatten [5], [4]. Eine Entscheidung für das PJ-AM zieht somit bei mindestens 30% der Absolventen nicht den erwünschten Effekt einer Fachgebietswahl oder Niederlassung in der Allgemeinmedizin nach sich. Benötigt werden vielmehr zusätzlich die derzeit vielfach geforderten stabilen wirtschaftlichen und sozialen Umfeldbedingungen insbesondere zur verbesserten Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben [16], [18].

Die in unserer Studie nicht erfassten Absolventen, welche die Fachgebietswahl Allgemeinmedizin treffen ohne das PJ-AM erlebt zu haben, bilden wohlmöglich eine frühzeitig beeinflusste Population, welche das PJ-AM für ihre Entscheidung nicht mehr benötigte oder wahrscheinlich hiervon nicht relevant beeinflusst wurde. In der Summe haben ca. zwei Drittel der Studierenden ihre Fachgebietswahl schon vor dem PJ getroffen, wodurch einerseits der Einfluss des Angebotes eines PJ-AM relativiert und andererseits die Bedeutung eines frühzeitigen und qualifizierten Kontaktes mit dem Fachgebiet im Studium unterstrichen wird [4], [7], [14]. Die wiederholt und anhaltend diskutierten Maßnahmen zur Gewinnung zukünftiger Fachärzte für Allgemeinmedizin während des Studiums sollten daher in ein Förderkonzept eingebettet werden, welches frühzeitig interveniert und die Lebenswirklichkeit und biographisch bedingten Prioritäten der werdenden Ärzte respektiert. Aus unserer Sicht hängt dabei sehr viel von der Motivationsfähigkeit und Authentizität des ärztlichen Vorbildes durch den Lehrarzt / Mentor ab – auch im Hinblick auf dessen vorgelebte Vereinbarkeit von Leben und Beruf sowie Berufszufriedenheit [2], [3], [5]. Die gegenwärtig anlaufende Ausweitung des Angebots an PJ-AM sollte daher durch Längsschnittuntersuchungen begleitet werden, um zu evaluieren ob und wodurch der gesellschaftlich und politisch gewollte Nutzen eintritt. Entscheidend ist dabei nicht nur, ob mehr angehende Ärzte zukünftig eine Fachgebietswahl für die ambulante ärztliche Versorgung insbesondere in der Allgemeinmedizin treffen, sondern wie Lehrärzte bei „noch unentschiedenen“ Studierenden diese Entscheidung beeinflussen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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