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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

DEGAM-Leitlinien als App für Mobiltelefone – Einsatz, Anregungen und Nutzen für den Lernprozess von Studierenden im Fach Allgemeinmedizin

Forschungsarbeit Humanmedizin

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GMS Z Med Ausbild 2013;30(1):Doc6

doi: 10.3205/zma000849, urn:nbn:de:0183-zma0008498

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000849.shtml

Eingereicht: 28. Juni 2012
Überarbeitet: 3. Januar 2013
Angenommen: 11. Januar 2013
Veröffentlicht: 21. Februar 2013

© 2013 Waldmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung: Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) zu häufigen und wichtigen Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis sind ein zentraler Inhalt der Lehre im Fach Allgemeinmedizin. Durch die Autoren wurden sie als App für Mobiltelefone aufbereitet und stehen somit nun Hausärzten und Studierenden jederzeit zur Verfügung. Die vorliegende Studie untersucht die Fragestellung: Wie bewerten Studierende den Nutzen dieser Anwendung für ihren Lernprozess im Fach Allgemeinmedizin?

Methodik: Die Kurzversionen der 15 DEGAM-Leitlinien wurden als (Smartphone-Betriebssystem-unabhängige) Web-App mit Möglichkeit der Offline-Nutzung umgesetzt und Studierenden in Kurs, Blockpraktikum, Wahlfächern und PJ (Praktisches Jahr) Allgemeinmedizin angeboten. Die Evaluation erfolgte durch eine strukturierte Befragung über die Feedbackfunktion der Moodle-Lernplattform www.elearning-allgemeinmedizin.de mit Likertskalen und Freitextkommentaren.

Ergebnisse: Der Evaluations-Rücklauf kam von 14 (25%) der 56 studentischen TesterInnen aus dem Kurs Allgemeinmedizin (9), dem Blockpraktikum (1), dem PJ (1) und Wahlfächern (4). Die App selbst sehen die Studierenden als Mehrwert zur Print/PDF-Version. Sie nutzen sie häufig und erfolgreich in Nischenzeiten und vor/während/nach Lehrveranstaltungen. Neben allgemeinem Interesse / Kennenlernen der Leitlinien und Lernen wird sie zum Nachschlagen konkreter (theoretischer) Fragestellungen eingesetzt, weniger im Zusammenhang mit Patientenkontakten. Interesse und Kenntnis der Leitlinien wird durch die App gefördert, insgesamt ist die Anwendung für die Bedürfnisse dieser Usergruppe gut geeignet.

Diskussion: Die Leitlinien-App wurde von Studierenden sehr positiv bewertet: Als moderne Form, ihnen die Leitlinien näher zu bringen und ihre Kenntnisse zu erweitern, gerade auch durch den flexiblen Einsatz in Nischenzeiten und das attraktive Medium Smartphone. Letzteres verhindert aber auch eine verbindliche Curriculare Implementierung in der Pflichtlehre, da nicht alle Studierenden Smartphones nutzen. Sie ist eine sinnvolle Ergänzung mit Mehrwert zu den bereits bestehenden Lernangeboten und unterstützt die Evidenz basierte Lehre im Fach Allgemeinmedizin – die nicht nur für die universitären Kurse, sondern auch für Famulaturen geeignet ist.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, Leitlinien, Medizinische Ausbildung, Mobile Learning, App


Einleitung

Häufige und wichtige Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis sind Themen der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) [1] und auch zentraler Inhalt der Lehre im Fach Allgemeinmedizin. An vielen Universitäten werden deshalb die DEGAM-Leitlinien in der Lehre eingesetzt, da sie übersichtlich Evidenz basierte, relevante und aktuelle Informationen sowie Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie zusammenfassen. Dabei orientieren sie sich nicht an fertigen Diagnosen, sondern an Beschwerdebildern (z. B. Halsschmerz, Husten, Ohrenschmerz).

Die DEGAM-Leitlinien – welche als PDF-Dokumente unter http://www.degam-leitlinien.de auch frei im Netz verfügbar sind – bestehen aus den ausführlichen Langfassungen (ca. 50 – 290 Seiten lang), den zweiseitigen Kurzversionen und weiteren Materialien wie Patienteninformationen, Informationen für Medizinische Fachangestellte, etc.

Sämtliche Leitlinien in Papierform mitzuführen, ist für den Einsatz in der Lehre und der Praxis wegen des Materialumfangs unpraktikabel. Daher bereiteten die Autoren die Kurzversionen der aktuell 15 Leitlinien als App für Mobiltelefone auf, wodurch diese auf dem – meist ständigen Begleiter – Smartphone Hausärzten und Studierenden jederzeit zur Verfügung stehen [1]. Zeitgleich zum internationalen Release der SIGN-App (Scottish Clinical Guidelines App [http://www.sign.ac.uk/guidelines/apps/index.html]) im April 2011 wurde die DEGAM-App für studentische und hausärztliche Tester kostenlos unter [http://www.elearning-allgemeinmedizin.de] bereit gestellt.

Die Lehre im Fach Allgemeinmedizin findet in unterschiedlichen Lehrveranstaltungen statt (kleinere Abweichungen je nach Universität): Der Kurs Allgemeinmedizin besteht aus Vorlesung und Seminaren, wobei überwiegend kein direkter Patientenkontakt stattfindet. In vielen Universitäten werden die DEGAM-Leitlinien explizit im Kurs Allgemeinmedizin gelehrt. Das Blockpraktikum Allgemeinmedizin wurde durch die letzte Änderung der Approbationsordnung für Ärzte [2] auf eine Mindestdauer von 2 Wochen fest gelegt und findet bis auf wenige Ausnahmen in hausärztlichen Praxen statt. Hier im Eins-zu-Eins-Setting mit einem Lehrarzt / einer Lehrärztin erhalten Studierende einen praktischen Einblick in die hausärztliche Tätigkeit, der Einsatz der DEGAM-Leitlinien ist dabei oft individuell von den Lehrenden abhängig. Im Praktischen Jahr, dem PJ Allgemeinmedizin, das ebenfalls in einer Einrichtung der hausärztlichen Versorgung stattfindet und durch die letzte Änderung der Approbationsordnung einem zunehmenden Teil der Medizinstudierenden zur Verfügung gestellt werden muss [2], spielen die DEGAM-Leitlinien meist eine wichtige Rolle: Zum einen in den begleitenden Seminaren als auch bei der abschließenden M2- Prüfung. In verschiedenen Wahlfächern können die Leitlinien auch eine mehr oder weniger zentrale Rolle einnehmen (z.B. „Online-Kurs Leitlinien Allgemeinmedizin“ oder „Hausärztliche Beratungsanlässe“).

Der Schwerpunkt dieser Veröffentlichung liegt auf der Beschreibung von der Nutzung durch und dem Nutzen der DEGAM-Leitlinien-App für Studierende der Medizin in den verschiedenen allgemeinmedizinischen Lehrveranstaltungen.

International konnte gezeigt werden, dass schon die Nutzung von PDAs (Personal Digital Devices) durch Medizinstudierende insgesamt gut angenommen wurde und einen Nutzen für den Lernprozess zu haben schien – bei insgesamt eher deskriptiven Studien ließ sich jedoch keine starke Evidenz dafür finden [3]. Die PDAs wurden zunehmend durch Smartphones abgelöst, die sich einer weiten Verbreitung bei Medizinstudierenden und Ärzte erfreuen – mit deutlich steigender Tendenz [4], [5], [6]. Auch die Nutzung in der Lehre nimmt zu: Wurden sie früher eher von Medizinstudierenden in höheren Semestern genutzt, sind sie jetzt bei allen Studierenden gleichermaßen zu finden [4], [5], [6]. In Übersichten, welche Apps im Gesundheitswesen genutzt werden, sind bei Medizinstudierenden vor allem Apps zur Diagnosefindung und Therapie sowie zum Nachschlagen von Medikamenten beliebt, außerdem – besonders bei nicht-klinischen Semestern – Apps zur Wiederholung des Lernstoffs [7], [4], [5], [6]. National und international wünschen sich Studierende weitere Apps zum Lernen, Nachschlagen und als Entscheidungshilfe in klinischen Situationen [3], [8], [7], [4].

Apps mit den Leitlinien einer deutschen Fachgesellschaft oder den Nationalen Versorgungsleitlinien liegen zwar vor u.a. [https://www.aerzteblatt.de/archiv/128463/App-Leitlinien-Innere-Medizin], [5], eine Befragung von Studierenden zum Nutzen dieser Anwendungen für die universitäre Lehre in diesen Fächern lässt sich jedoch nicht finden.

Die vorliegende Untersuchung soll konkret den Einsatz einer Leitlinien-App in der medizinischen Ausbildung beschreiben, wie die App von den Studierenden angenommen und genutzt wird, wie hilfreich sie für den Lernprozess und die Auseinandersetzung mit Leitlinien ist, und welche Vorschläge Studierende zur Verbesserung der Nutzung der App und zum Einsatz in der Lehre in dem Fach haben.

Fragestellung

Wie bewerten Studierende den Nutzen der DEGAM-Leitlinien-App für ihren Lernprozess im Fach Allgemeinmedizin? Welche Anregungen haben sie für einen Einsatz in der Lehre?


Methoden

DEGAM-Leitlinien als App

Es wurde für die Umsetzung die Form der Web-App gewählt, die über den integrierten Browser der mobilen Endgeräte aus dem Internet geladen und so ohne Installation genutzt werden kann. Sie ist somit unabhängig vom Betriebssystem und kann von jedem Smartphone und PC dargestellt werden, meist ist auch eine offline-Nutzung möglich.

In der DEGAM-Leitlinien-App sind alle aktuell 15 Leitlinien von der Startseite aus direkt erreichbar (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Kurzfassungen wurden Wort für Wort übernommen und – um es für die kleinen Smartphone-Bildschirme lesbar zu machen – in kleinere Abschnitte herunter gebrochen mit Unterüberschriften, welche über ein Inhaltsverzeichnis direkt ansteuerbar und auch untereinander verlinkt sind.

Abhängig von den Inhalten der Leitlinien (z. B. verschachtelte Tabellen) wurden auch aufklappbare Untermenüs, zoom-bare Diagramme, Flussdiagramme, interaktive Entscheidungsbäume sowie statische und dynamische Algorithmen verwendet (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Im April 2011 wurde die erste Fassung der App für den Einsatz in Studium und Praxis freigegeben, das letzte (3.) Update erfolgte am 1. März 2012.

Rekrutierung der Tester

Studentische TesterInnen

Studierende wurden im Seminar und der Vorlesung des Kurses Allgemeinmedizin, sowie in den Wahlfächern „Online-Kurs Leitlinien“ und „Hausärztliche Beratungsanlässe“ über die App informiert. Zusätzlich wurde eine Info-Email über die Kursverteiler aller allgemeinmedizinischen Kurse auf der Lernplattform der Universität Ulm verschickt. Universitätsübergreifend wurden die Teilnehmer der PJ-Plattform Allgemeinmedizin [6] per Email zum App Testen eingeladen und Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten gebeten, ihre Studierenden zu informieren.

Test-User

Alle, die sich für die App interessierten, konnten sich auf http://www.elearning-allgemeinmedizin.de für die App registrieren und erhielten kostenlosen Zugang zur Anwendung. Dafür wurden sie gebeten, nach einigen Wochen Nutzung anonym ein strukturiertes Feedback auszufüllen (der Link dazu lag den Zugangsdaten bei). Eine verbindliche Regelung mit Sanktionen bei Nicht-Abgabe des Feedbacks bestand nicht. Es folgten drei weitere Aufrufe / Erinnerungen zur Evaluation per Email (Juli 2011, April 2012, Juli 2012).

Feedback / Evaluation

Die Evaluation erfolgte über die Feedback-Funktion der Moodle-Plattform mit Likertskalen und Freitextkommentaren. Dabei wurden folgende Daten und Informationen erfasst:

  • Demographische Daten (Alter, Geschlecht, Studierende / Ärzte)
  • Kommentare zur App (Einrichtung, Gestaltung, Übersichtlichkeit)
  • Wann, wo und wofür die App genutzt wurde
  • Interesse an Leitlinien und Kenntnisse der Leitlinien vorher/hinterher
  • Eignung für die eigenen Bedürfnisse, Positives, Kritik und Anregungen
  • Anregungen für den Einsatz in der Lehre

Der Fragebogen wurde induktiv auf der Basis bisheriger Evaluationen erstellt und nach erfolgreicher Testung durch vier Studierende und zwei Hausärzte unverändert übernommen.


Ergebnisse

Nutzer, Rücklauf und Demographische Daten
  • 89 Studierende haben sich die Zugangsdaten zur App schicken lassen (Registrierung).
  • 56 Studierende haben die App herunter geladen.
  • 14 studentische Evaluationen wurden abgegeben (das entspricht einem Rücklauf von 25%).

Die demographischen Daten der studentischen Tester, welche die Evaluation ausgefüllt haben, sind Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen.

Nutzung von Smartphone und Leitlinien vorher

Ein großer Teil der Studierenden nutzte das Smartphone schon vorher viel für „berufliche“ Zwecke, also für das Studium, die Leitliniennutzung hingegen war recht unterschiedlich und deutlich seltener – siehe Tabelle 2 [Tab. 2].

Download und Gestaltung der App

Rückmeldungen zum Download, der Installation, der Übersichtlichkeit und der Gestaltung der App sind in Tabelle 3 [Tab. 3] aufgeführt – alle Aspekte erreichten durchschnittliche Bewertungen zwischen 1,4 und 2,0. Ebenfalls dort aufgeführt ist die Einschätzung auf die Frage nach dem Mehrwert der Anwendung im Vergleich zur Papier-/digitalen Form der Kurzversionen der Leitlinien, und ob sie eine sinnvolle Ergänzung seien, was deutlich bestätigt wurde.

Die Bewertungen mit 6-stufigen Likertskalen entsprechen mit den Abstufungen von 1 (= „sehr ansprechend / sehr übersichtlich / …“) bis 6 (= „gefällt mir nicht / konnte mich gar nicht zurechtfinden / …“) in etwa den uns in Deutschland bekannten Schulnoten. Daher wird der errechnete Durchschnitt der Antworten auch als „Note“ bezeichnet.

Einsatz-Szenarien

Wie nützlich / hilfreich die Anwendung in verschiedenen Einsatzszenarien von den Testern bewertet wurde, ist in den Tabellen 4 [Tab. 4] und 5 [Tab. 5] abzulesen:

„Wann“, also in welchem Zusammenhang die Anwendung angewendet wurde und ob sie da als hilfreich empfunden wurde, wird in Tabelle 4 [Tab. 4] dargestellt. Dabei wurde die Nutzung im Rahmen von Patientenkontakten und vor allem auf Hausbesuchen selten angegeben (bei Hausbesuchen 3 von 14 Testern) und mit 3,0 respektive 5,3 schlecht bewertet. Im Gegensatz dazu wurde die Nutzung in Nischenzeiten und im Rahmen von Lehrveranstaltungen häufig (12 bzw. 13/14) und mit 2,0 respektive 2,1 gut bewertet.

Das „Wofür“ wird in Tabelle 5 [Tab. 5] aufgeführt. Dabei war die Nutzung zum Lernen / zur Fortbildung, zum allgemeinen Nachschlagen und bei konkreten theoretischen Fragestellungen sowie zur Vor- und Nachbereitung von Veranstaltungen sehr häufig und wurde gut bewertet („Note“ 1,6 – 1,9). Die Nutzung bei konkreten Fragestellungen zu Patienten wurde seltener angegeben und etwas schlechter beurteilt (7/14, „Note“ 2,4).

Interesse an Leitlinien und Kenntnis der Leitlinien

Studierende schätzten ihr Interesse an Leitlinien vor der Nutzung der App als mäßig ein („Note“ 2,9), ihre Kenntnis der Leitlinien als schlecht („Note“ 4,4) – siehe Tabelle 6 [Tab. 6]. Alle erlebten eine positive Veränderung durch die Anwendung der App - siehe Tabelle 7 [Tab. 7].

Gesamturteil

Abschließend wurde noch nach der Gesamtbeurteilung der Anwendung gefragt: Insgesamt ist die Anwendung für die Bedürfnisse der Tester hilfreich („Note“ 2,1, 14/14). Sie konnte ihnen die Leitlinien näher bringen („Note“ 1,7, 14/14) – siehe Tabelle 8 [Tab. 8].

Freitextantworten

Es wurden verschiedene Fragen mit Möglichkeit zur Freitextantwort aufgenommen:

  • „Folgendes finde ich positiv an dieser Anwendung:“
  • „Folgendes finde ich negativ, es sollte an dieser Anwendung verbessert werden:“
  • „Was würden Sie sich noch wünschen, damit diese Anwendung Ihnen noch mehr nutzen könnte? Wie könnte diese Anwendung für die Nutzung in der Praxis / im Studium optimiert werden? Haben Sie insgesamt noch Anregungen?”

Die Antworten und Kommentare dazu werden an den entsprechenden Stellen in der Diskussion aufgeführt.


Diskussion

Methodenkritik und Limitationen

Eine Schwäche dieser Erhebung ist die geringe Zahl an Rückmeldungen, die sich auch durch drei Erinnerungen per Email nicht wesentlich erhöhen ließ. Die Aussagekraft ist dadurch reduziert, jedoch lassen sich durchaus Tendenzen erkennen. Durch die geringe Zahl an Rückmeldungen entsteht eine gewisse Selektion: Die Wahrscheinlichkeit, dass eher Interessierte (oder besonders Verärgerte) antworten, ist dadurch erhöht. Da die Anwendung momentan ein freiwilliges Zusatzangebot darstellt und auf mögliche Einsatzszenarien getestet werden soll, waren gerade auch die Interessierten und Kritischen als Zielgruppe dieser Erhebung interessant.

Zwei Hauptprobleme, welche zu der geringen Zahl an Studierenden geführt hat, die trotz Interesse, aktiver Anforderung und Zusendung der persönlichen Zugangsdaten die App nicht heruntergeladen haben, konnten in einer weiteren Befragung identifiziert werden: Diese waren zum einen der Zugang zur App über ein persönliches Login auf einer Plattform, zum andern der ungewohnte „Download“-Weg der Web-App, der sich vom gewohnten App-Store-Prozedere wesentlich unterscheidet [9].

Durch Erstellung nativer Apps und die Bereitstellung eines freien Zugangs ohne persönliche Registrierung könnten dieses Barrieren überwunden werden, allerdings sind dafür noch finanzielle (Kosten für Programmierung) und rechtliche Hürden (Copyright-Auflagen) zu überwinden.

Diese Erhebung ist keine abschließende Evaluationsstudie, für die eine größere Zahl an Rückmeldungen notwendig gewesen wäre, sondern es handelt sich um eine Machbarkeits-, eine Pilotstudie, in der auch die qualitative Beschreibung einen großen Raum einnimmt, nämlich wie diese App von Studierenden eingesetzt werden kann, und eine Ideensammlung, welche Szenarien sich Studierende dafür in der Lehre vorstellen können. Die Auswertung erfolgt also auch zu einem wichtigen Teil qualitativ, und da können auch geringere Fallzahlen Anregungen geben.

Zielgruppe und Nutzer

Diese Anwendung, in der die Kurzversionen der DEGAM-Leitlinien Eins-zu-Eins für den kleinen Smartphone-Bildschirm aufbereitet wurden, ist für Studierende der Medizin und für Ärzte in Weiterbildung bis Fachärzte erstellt worden, die sich mit der Patientenversorgung im Rahmen der Primärversorgung (Studium, Theorie, Praxis) beschäftigen.

Die bisherige Nutzung des Smartphones im beruflichen / universitären Umfeld wurde von „gar nicht“ bis „sehr viel“ angegeben, wobei deutlich mehr regelmäßige Nutzer als Smartphone-Neulinge dabei waren. Dies deckt sich mit den Erhebung von Schulz et al. 2012 [7], die eine hohe Smartphone-Nutzung von Studierenden der Zahn- und Humanmedizin und den zunehmenden Wunsch nach mehr eLearning-Angeboten von 89% der Befragten beschrieben. Die hohe Nutzung von Smartphones und die Forderung von Medizinstudierenden nach mehr Apps für ihren Lernprozess werden auch international im Survey von Payne et al. dargestellt [8], und Mosa et al. beschreiben, dass vor allem jüngere ÄrztInnen und Studierende PDAs (Personal Digital Assistants) nutzten, die jetzt von Smartphones abgelöst werden [4].

Die Nutzung von Leitlinien bisher tendierte laut Angaben der Studierenden jedoch eher in Richtung „weniger“ (der Durchschnittswert als vereinfachendes Schulnoten-Äquivalent lag bei 3,6), die Kenntnisse von (DEGAM-) Leitlinien wurde als noch schlechter eingestuft („Note“ 4,4), wobei durchaus Interesse an Leitlinien bekundet wurde („Note 2,9“) – ein gewisses Interesse musste bestanden haben, denn sonst hätten sich die Studierenden nicht als Tester gemeldet und die App auf ihr Smartphone geladen.

Installation und Rückmeldungen zur App

Download und Installation dieser (ungewohnten) Web-App funktionierte bei dieser Smartphone-geübten Gruppe weitgehend problemlos und sowohl Übersichtlichkeit als auch Gestaltung wurden gut bewertet. Bei den „Noten“ 1,6 respektive 2,0 fließen auch noch Evaluationen zum Zeitpunkt der ersten App-Version von April 2011 mit ein, auf deren Anregung hin („etwas mehr Farbe bitte“) die farblichen und gestalterischen Verbesserungen der 2. und 3. Version durchgeführt wurden.

Nutzung der Anwendung

Die Gelegenheiten, wann Studierende die Anwendung genutzt haben, waren vor allem „In Nischenzeiten wie Warten, in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc.“ und „Vor / während / nach (Lehr-) Veranstaltungen“. Dies deckt sich mit den theoretischen Überlegungen von Lemos et al., die bei der Erstellung Ihres Konzepts „Wie kann mLearning (mobile Learning) die Qualität der medizinischen Lehre verbessern?“ die Nutzung von Leerlaufzeiten zum Lernensowie die Möglichkeit, Umgebungsinformationen mit einzubeziehen (situiertes Lernen) propagieren [10]. Auch Mosa et al. beschreiben diesen Einsatz von Apps bei Medizinstudierenden zum Lernen und Nachschlagen in Nischenzeiten, in denen kein Lehrbuch zur Verfügung steht [4].

Bei der Nutzung in Nischenzeiten und im Rahmen von Veranstaltungen wurde die Anwendung als hilfreich bewertet („Noten“ 2,0 bzw. 2,1). Die Nutzung bei diesen Gelegenheiten ist auch einer der Gründe, warum alle Studierenden der Anwendung einen deutlichen Mehrwert zur Papierversion und den PDFs der Kurzfassungen der Leitlinien bescheinigten („Note“ 1,6).

„Ich habe die LL immer dabei und spare mir jede Menge Papierkrieg. Zum schnellen Nachschlagen ideal.“
„Immer mit dabei, Printversion müsste sonst immer mitgeschleppt werden“

Zur Nutzung im Rahmen von Patientenkontakten oder Hausbesuchen gab es nur wenige und sehr unterschiedliche Antworten, was auch durch fehlende Patientenkontakte der meisten rückmeldenden Studierenden erklärt werden kann (nur 2 in Kursen mit Patientenkontakt: 1 im Blockpraktikum und 1 im PJ).

Dieser Hintergrund spiegelt sich auch darin wieder, wofür die Anwendung genutzt wurde, nämlich „Allgemeines Interesse, Kennenlernen und Nachschlagen der Leitlinien“, „zum Lernen und zur eigenen Fortbildung”, „Für eine Veranstaltung (Aufgaben, Vor- und Nachbereitung)“ und zum „Nachschlagen einer konkreten (theoretischen) Fragestellung“. Teilweise wurde sie auch zum „Nachschlagen einer konkreten Fragestellung bei einem Patienten“ genutzt, wobei da auch die virtuellen Patienten des „Online-Kurses Leitlinien Allgemeinmedizin“ eingeschlossen wurden. Wie hilfreich und nützlich die App für diese erst genannten Anwendungsszenarien war, wurde mit „Noten“ zwischen 1,6 und 1,9 bewertet, bei konkreten Fragestellungen bei Patienten reichten die Bewertungen von 1 bis 6 bei nur wenigen Antworten („Note“ 2,4).

(Zwei Personen – beide in Kursen ohne Patientenkontakt – haben bei jeder Evaluationsfrage eine Bewertung abgegeben, obwohl sie explizit aufgefordert worden waren, nur die Fragen zu bewerten, die auf sie zutreffen: Beide bewerteten relativ häufig Items mit „6“ wie z.B. „Nutzen bei Hausbesuch“, „Nutzen vor / während / nach Patientenkontakten“. Es liegt nahe, dass mit diesen schlechten Bewertungen eigentlich „nicht zutreffend“ gemeint war. Da aber schon aus rein wissenschaftstheoretischer Sicht die Aussagen der Studienteilnehmenden ernst genommen werden müssen, wurden diese negativen Bewertungen dennoch nicht aus der Auswertung heraus genommen und fließen auch in die „Durchschnittsnoten“ mit ein.)

Einfluss der Anwendung auf Interesse und Kenntnis von Leitlinien

Nachdem das Interesse an und die Kenntnisse von Leitlinien vor der Nutzung der Anwendung als eher gering beurteilt wurden (s.o.), wurde bei beiden Kriterien eine Verbesserung durch die Anwendung angegeben. Dies spiegelte sich auch in den Freitextantworten wider:

„Ich finde es gut, dass es die LL als App gibt. Da es ja doch ein sehr trockenes Thema ist, ist die Kombi mit dem Smartphone doch optimal, um das Interesse zu wecken.“

Insgesamt hatte die Anwendung den Nutzern die Leitlinien näher gebracht („Note“ 1,7) und wurde als „hilfreich für ihre Bedürfnisse“ („Note“ 2,1) bewertet. Da die Leitlinien prüfungsrelevant sind, ist diese positive Beurteilung der App durch Studierende ein starkes Argument, diese Anwendung in die Lehre zu integrieren.

Anregungen für den Einsatz in der Lehre

Die Studierenden gaben gerade die praktischen Anteile der universitären Lehre als geeignete Einsatzszenarien für die Anwendung an:

„Die Anwendung ist sehr gut geeignet für den Online-Kurs LL. Auch eine Anwendung im Blockpraktikum und im PJ kann ich mir sehr gut vorstellen.“
„Hinweis als Nachschlagemöglichkeit Blockpraktikum, Vorbereitung Blockkurs Allgemeinmedizin“

Aber auch für die theoretischen Kurse ist sie geeignet:

„Habe die Anwendung genutzt, um mich auf Vorlesungen oder Kurse vorzubereiten. … gute Möglichkeit, um sich vor dem Unterricht noch mal die wichtigsten Dinge in Erinnerung zu rufen.“

Sie sahen aber auch die Einsatz-Beschränkungen:

"Einen 'erzwungenen' Einsatz in Vorlesung oder im Seminar des Kurssemesters halte ich für schwierig, da zum einen bei weitem nicht jeder über ein Smartphone verfügt, zum anderen ein 'Benutzungszwang' bei Gruppenarbeiten nicht zielführend wäre.“

In Hinblick auf die Änderung der Approbationsordnung vom 11.5.2012 mit Einführung der Pflicht-Famulatur Allgemeinmedizin [2] bietet sich die Anwendung auch an:

„Man könnte die App bestimmt auch sehr gut bei einer Famulatur in der Praxis benutzen.“

Positive Kommentare zur Anwendung

Die App an sich kam gut an als innovative Anwendung:

„Ich war von der DEGAM-Leitlinien-Anwendung sehr angetan. Endlich mal ein Schritt in die richtige Richtung und weg von den staubalten Systemen.“
„Ich habe die LL immer dabei und spare mir jede Menge Papierkrieg. Zum schnellen Nachschlagen ideal.“

Und sogar für die Anwendung am PC, wo auf den größeren Monitoren die PDFs der Kurzfassungen gut lesbar wären, wurde von Studierenden ein Mehrwert gesehen – ein Vorteil, der sich auch auf Tablets / iPads erstreckt:

„Hierfür [Bearbeiten von Patientenfällen am PC] war die Anwendung sehr hilfreich, da nicht die einzelnen Leitlinien mühsam durchsucht werden mussten, sondern alles sortiert und übersichtlich vorlag. Die wichtigsten Punkte sind hervorgehoben, was schnell zu den gesuchten Lösungen führte.“
„Informationen optisch sehr angenehm aufbereitet und man wurde von den Informationen nicht so erschlagen, wie es bei den "vollgestopften" Kurzversionen der Leitlinien der Fall ist.“

Gelobt wurden vielfach die Aufmachung und die Übersichtlichkeit:

„Die optische Aufmachung ist sehr ansprechend und die Informationen sind leicht zu finden und sehr übersichtlich dargestellt.“

(Auch wenn dieser Meinung vereinzelt widersprochen wurde:

„In der bisherigen Form finde ich die Anwendung relativ frei von Nutzen, da höchst unübersichtlich und schlecht strukturiert“.)

Kritik und Anregungen für die Verbesserung der Anwendung

Bei den ersten Versionen wurde „mehr Farbe“ gefordert, was bereits umgesetzt wurde. Eine beklagte Textlastigkeit liegt jedoch in den Vorlagen (die Kurzversionen der Leitlinien wurden Wort für Wort übernommen, Abbildungen gibt es außer Flussdiagrammen keine). Gewünschte interaktive Algorithmen sind ebenfalls abhängig von den Vorlagen und konnten sehr gut bei der neuesten Leitlinie „Brustschmerz“ umgesetzt werden.

Bisher wurde vor allem von Hausärzten, die die Leitlinien regelmäßig anwenden, eine Ergänzung mit den Langfassungen der Leitlinien angeregt. Aber auch von studentischer Seite kam dieser Wunsch:

„Außerdem wäre es schön, wenn Patienteninformationen, Langfassungen und etwaige zusätzlichen Informationen, die bisher nur aus der Web-App heraus verlinkt sind, zusammen mit der App für den Offline-Gebrauch gespeichert werden könnten.“

Außerdem wurde mehrfach die Anregung für eine Suchfunktion gegeben:

„eine Suchfunktion wäre gut um Dinge schneller zu finden“

Als native Apps in App-Stores eingestellt würde der Zugang für Studierende vereinfacht und ein sicherer Offline-Betrieb gewährleistet werden.


Ausblick

Die Umsetzung vieler der von den Studierenden gegebenen Anregungen ist bereits angedacht:

  • Die Erstellung nativer Apps (iOS, Android), evtl. auch Hybrid-Apps für andere Betriebssysteme
  • Eine Umsetzung der Langfassungen, Patienteninformationen und weiterer Materialien
  • Einrichtung einer Suchfunktion und Lesezeichenfunktion

Eine Vereinfachung des Zugangs zur App wird kommen, damit diese für das Medizinstudium und die Lehre im Fach Allgemeinmedizin geeignete Anwendung als Zusatzangebot allen Studierenden zur Verfügung steht und sie dann auch auf ihrem weiteren Berufsweg begleiten kann.


Stichwortartige Zusammenfassung

Leitlinien-App
  • Kommt gut an bei denen, die es genutzt (und Feedback gegeben) haben
  • Gutes und modernes Medium, um Leitlinien bekannter zu machen und Interesse zu wecken
  • Übersichtlich und immer dabei, gut für die Bedürfnisse der Studierenden geeignet
Einsatz in der Lehre
  • Nutzung in „Nischen“-Zeiten, zu Lehrveranstaltungen und zum allgemeinen Auffrischen der Kenntnisse, Einsatz zum Nachschlagen von theoretischen und konkreten Fragen
  • Nur als Zusatzangebot, da nicht alle Studierenden Smartphones besitzen – obwohl auch der Einsatz auf PCs wegen der übersichtlichen Strukturierung der Inhalte als Mehrwert zu den PDFs gesehen wurde
  • Sinnvolle Ergänzung zu bereits bestehenden Nachschlag- und Lernangeboten; unterstützt die evidenzbasierte Lehre im Fach Allgemeinmedizin
  • Interesse an und Kenntnis der Leitlinien werden durch App gefördert

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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Waldmann UM, Weckbecker K. DEGAM-Leitlinien als App für Mobiltelefone – Einsatz in der hausärztlichen Praxis und erstes Feedback. In: 45. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Forum Medizin 21. Salzburg, 22.-24.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11fom012. DOI: 10.3205/11fom012 Externer Link
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