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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Internet-Diskussionsforen als Teil eines studentenzentrierten Lehrkonzepts in der Pharmakologie

Projekt Humanmedizin

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  • Michael Sucha - Technische Universität München, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, München, Deutschland
  • Stefan Engelhardt - Technische Universität München, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, München, Deutschland
  • corresponding author Antonio Sarikas - Technische Universität München, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2013;30(1):Doc2

doi: 10.3205/zma000845, urn:nbn:de:0183-zma0008456

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000845.shtml

Eingereicht: 31. Mai 2012
Überarbeitet: 30. Juli 2012
Angenommen: 12. September 2012
Veröffentlicht: 21. Februar 2013

© 2013 Sucha et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung und Ziele: Das World Wide Web eröffnet neue Möglichkeiten, Online- und Präsenzlehre zu vernetzen und Studierende aktiv in die Lehre einzubinden. In dieser Projektvorstellung beschreiben wir den Einsatz von Internet-Diskussionsforen als Teil eines studentenzentrierten Lehrkonzepts in der Pharmakologie und diskutieren Vor- und Nachteile anhand von Evaluations- und Literaturdaten.

Methode und Ergebnisse: Studierende im praktischen Jahr (PJ) mit Wahlfach Pharmakologie übernahmen die Moderation eines Internetforums, das allen Studierenden die zeit- und ortsunabhängige Diskussion pharmakologischer Fragen aus Online- und Präsenzlehre ermöglichte. Evaluationsergebnisse von Forumsteilnehmern und PJ-Studierenden belegten den didaktischen Nutzen von Internetforen für die Pharmakologieausbildung.

Schlussfolgerung: Internet-Diskussionsforen bieten eine effektive Möglichkeit, Studierende aktiv in die Lehre einzubinden und den Lernerfolg von Online- und Präsenzlehre zu fördern.

Schlüsselwörter: Web 2.0, Peer-Teaching, E-Learning, praktisches Jahr, Internetforum


Einleitung

Die zunehmende Verbreitung des Internets und computerbasierter Technologien hat zu einer rasanten Zunahme von E-Learning-Angeboten an medizinischen Hochschulen geführt [1]. Neue kollaborative Elemente des World Wide Webs wie Wikis, Blogs oder Internetforen kommen dem Lernverhalten der Generation Y („Digital Natives“) entgegen [2] und eröffnen interessante Möglichkeiten, Online- und Präsenzlehre zu vernetzen und Studierende aktiv in die Lehre einzubinden.

In dieser Projektbeschreibung stellen wir den erfolgreichen Einsatz eines Internet-Diskussionsforums als kommunikative Schnittstelle in einem studentenzentrierten Lehrkonzept für Pharmakologie vor und diskutieren Vor- und Nachteile anhand aktueller Literatur- und Evaluationsdaten.


Projektbeschreibung

Didaktisches Konzept und Ziele

Im Wintersemester 2010/11 wurde am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Technischen Universität München (TUM) ein studentenzentriertes Lehrkonzept eingeführt mit dem Ziel, die fachliche und kollaborative Kompetenz von Studierenden stärker einzubinden und zu fördern. Hierfür wurde ein Peer-Teaching-Konzept realisiert, das auf mehreren Ebenen verfolgt wird [3], [4]: Studierende im praktischen Jahr (PJ-Studierende) mit Wahlfach Pharmakologie recherchieren und verfassen Fallbeispiele zu praxisrelevanten Aspekten der Pharmakologie und Toxikologie. Bei Bedarf wird fachspezifische Expertise durch Konsultation von PJ-Studierenden anderer Fachgebiete eingeholt (PJ-Netzwerk). Die so konzipierten Fallstudien können von allen Studierenden im Internet (http://www.pharmacases.de) abgerufen werden. Eine mehrstufige Qualitätskontrolle durch die Studierenden (Diskussion innerhalb des PJ-Netzwerks, anonyme Feedbackfunktion auf der Webseite) und Dozenten überprüft kontinuierlich Qualität und Aktualität des E-Learning-Materials.

Um die Diskussion pharmakologischer Fragestellungen zu fördern, wurde ein Internet-Diskussionsforum in die Webseite implementiert, das von den PJ-Studierenden mit Wahlfach Pharmakologie moderiert und fachlich betreut wurde. Zentrales Lernziel für die beteiligten PJ-Studierenden war – neben der Vertiefung des pharmakologischen Fachwissens und Einübung wissenschaftlicher Recherche und Formulierung – insbesondere die Förderung kollaborativer Fähigkeiten, wie sie im ärztlichen Berufsalltag, zum Beispiel im Rahmen von Konsilanfragen, gefordert sind.

Das Forum war allen an der TUM immatrikulierten Studierenden und den Dozenten zugänglich. Als primäre Anlaufstelle für Fragen aus Präsenz- und Onlinelehre des Instituts hatte es die Funktion einer zentralen kommunikativen Schnittstelle zwischen Studierenden, PJ-Studierenden und Dozenten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Umsetzung und Inhalt

Foren sind virtuelle Räume im Internet, die dem Austausch von Informationen und Meinungen dienen [5]. Dabei findet der kommunikative Ablauf im Gegensatz zu Chats asynchron, das heißt nicht in Echtzeit, statt.

Als technische Plattform des Diskussionsforums Pharmakologie wurde das Portalsystem myTUM/elevateIT der Technischen Universität München verwendet, das auf den Open-Source-Produkten Zope (http://www.zope.org) und Plone (http://www.plone.org) basiert. Die Beiträge („Postings“) der Nutzer wurden im Forum zu Themen („Threads“) zusammengefasst und in chronologischer Reihenfolge dargestellt.

Die Moderation des Diskussionsforums und die fachliche Beantwortung der Forumseinträge erfolgte durch Studierende im praktischen Jahr als Teil der Ausbildung im Wahlfach Pharmakologie. Hierfür erhielten die PJ-Studierenden zu Beginn des Tertials eine Einführung in die Grundlagen wissenschaftlicher Recherche durch die Dozenten. Alle Forumsbeiträge der PJ-Studierenden wurden vor Publikation im Forum einem Peer-Review innerhalb des PJ-Netzwerks unterzogen oder mit dem betreuenden Dozenten diskutiert. Nach der Veröffentlichung im Forum konnten die Beiträge von allen Nutzern direkt kommentiert werden.

Die Studierenden wurden in den Präsenzveranstaltungen des Instituts regelmäßig motiviert, Fragen, die nicht vor Ort geklärt werden konnten, zeitnah im Forum zu posten. Darüber hinaus waren alle E-Learning-Fälle direkt mit dem Diskussionsforum verlinkt. Ab dem Wintersemester 2011/12 erfolgte auch die Nachbesprechung der Prüfungen im Fach Klinische Pharmakologie/Pharmakotherapie ausschließlich online im Forum.

Nutzungsdaten und Evaluation

Das Internetforum verzeichnete 3945 Besucher seit Freischaltung am 01.12.2010, was einem Durchschnitt von 225 Besuchern pro Monat entspricht. Aktuell (Stand: 15.05.2012) enthält das Forum 327 Beiträge in 158 Themen. 36,7% aller Beiträge stammen von Studierenden des ersten bis dritten klinischen Studienjahres, 45,9% von PJ-Studierenden mit Wahlfach Pharmakologie und 17,4% von Dozenten. Die Zahl der Beiträge pro Nutzer variierte von ein bis 23 (Mittelwert 2,4).

60% der PJ-Studierenden mit Wahlfach Pharmakologie bearbeiteten mehr als zehn Beiträge im Tertial. Die mittlere Recherchedauer für eine Anfrage lag zwischen 16 und 60 Minuten.

Evaluation

Um den didaktischen Nutzen des Internetforums für die Pharmakologieausbildung sowie das Nutzerverhalten zu ermitteln, wurde eine Online-Umfrage unter den aktiven Forumsteilnehmern (Studierenden im ersten bis dritten klinischen Studienjahr) sowie den beteiligten PJ-Studierenden (Wahlfach Pharmakologie) durchgeführt. Die Daten wurden mit der Formularsoftware Google Docs & Spreadsheets (http://docs.google.com) erhoben und ausgewertet. An der Umfrage beteiligten sich 17 von 50 aktiven Forumsteilnehmern (34%) und 5 der 6 PJ-Studierenden (80%).

Die Mehrheit der aktiven Forumsteilnehmer beurteilte den didaktischen Nutzen des Internetforums für die Pharmakologielehre als „hoch“ (47%) oder „sehr hoch“ (24%). Als wichtigste Faktoren hierfür wurden die Zeit- und Ortsunabhängigkeit der Teilnahme (94%), die Zugriffsmöglichkeit auf alte Forumsbeiträge (94%) sowie die im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen geringere Hemmschwelle, Fragen zu stellen, (82%) genannt (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Die meisten Studierenden nutzten das Forum vor allem in Lernphasen und während des Selbststudiums sowie zur unmittelbaren Prüfungsvorbereitung (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

65% der Forumsteilnehmer waren mit der Antwort der PJ-Studierenden „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“, 88% wünschten sich ein vergleichbares Forumsangebot auch für andere Fächer. Als repräsentative Einzelkommentare wurde unter anderem angeführt, dass das Forum sich gut in ein Gesamtkonzept aus Präsenz- und Onlinelehre einfügt, vom dem der Studierende profitieren würde (siehe Abbildung 4).

Die PJ-Studierenden gaben einen hohen Lernerfolg durch die fachliche Moderation des Internet-Diskussionsforums an (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]) und befürworteten mehrheitlich (80%) die Betreuung des Internetforums als Teil der Ausbildung im praktischen Jahr. Der didaktische Nutzen der Forumsbetreuung für den Erwerb von Fachwissen wurde von 80% der PJ-Studierenden als „hoch“ beurteilt. 60% gaben einen „hohen“ oder „sehr hohen“ Lernerfolg in Bezug auf wissenschaftliche Arbeitsweise an, während die Verbesserung stilistischer Fähigkeiten nur eine untergeordnete Rolle spielte (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Repräsentative Freitextkommentare der PJ-Studierenden zur Betreuung des Forums sind in Abbildung 4 [Abb. 4] dargestellt.


Diskussion

Obwohl Internet-Diskussionsforen bereits seit Anfang der 1990er Jahre verbreitet sind [4], sind Einsatzmöglichkeiten und didaktisches Potential für die Ausbildung von Medizinstudenten nur Gegenstand weniger medizindidaktischer Studien [6].

In der Literatur werden als für die Lehr- und Lernsituation vorteilhafte Eigenschaften von Internetforen unter anderem die hohe zeitliche und örtliche Flexibilität der Kommunikation und die Dauerhaftigkeit der Beiträge genannt, die eine vertiefte Diskussion und Reflexion fördern [6], [7]. Ein weiterer Faktor, der auch in der von uns durchgeführten Umfrage von der Mehrheit der Studierenden angegeben wurde, ist die geringere Hemmschwelle, in Internetforen Fragen zu stellen. Dieser „online disinhibition effect“ [8] erleichtert auch zurückhaltenden Studenten eine aktive Teilnahme, wodurch die Entstehung eines „egalitären Lernumfelds“ [6] gefördert wird.

Eine häufige Problematik von Internetforen ist die geringe Teilnehmerzahl sowie hohe Passivität der Teilnehmer [9]. Für eine aktive Diskussionskultur ist eine „kritische Masse“ an aktiven Teilnehmern erforderlich, die im universitären Umfeld oftmals nur durch die zeitintensive Moderation durch Lehrpersonal erreicht wird [6], [10], [11].

Der Einsatz von Studierenden im praktischen Jahr als Peer-Teacher stellt eine praktikable und didaktisch sinnvolle Alternative dar, Studierende verschiedener Ausbildungsniveaus in eine aktive fachbezogene Diskussion einzubinden.Die im Vergleich zu Dozentenunterricht geringere kognitive Distanz in einer Peer-Teaching-Konstellation fördert die aktive Beteiligung und intrinsische Lernmotivation [12]. Das häufig geäußerte Bedenken, studentische Lehre führe zu schlechteren Ergebnissen als Dozentenlehre, konnte durch Studien nicht belegt werden [13], [14]. Die hohe Zufriedenheit der Forumsteilnehmer mit der fachlichen Betreuung durch die PJ-Studierenden im Diskussionsforum Pharmakologie (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]) steht in Einklang mit diesen Befunden. Weiterführende quantitative Studien müssen zeigen, ob sich diese subjektive Einschätzung der Forumsteilnehmer auch im objektivierbaren Lernerfolg der Studierenden widerspiegelt.


Schlussfolgerung

Internet-Diskussionsforen sind eine didaktisch wertvolle und einfach zu realisierende Ergänzung zur Online- und Präsenzlehre. Sie ermöglichen insbesondere in einem Peer-Teaching-Kontext die aktive Einbindung der Studierenden in die Lehre.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Fischer MR. E-learning in medical education, graduate and continuing medical education. Status and prospects. Med Klin (Munich). 2003;98(10):594-597. DOI: 10.1007/s00063-003-1302-9 Externer Link
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