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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie kommt mehr "Familie" in die "Work-Life-Balance"? – Familienorientierung in der medizinischen Aus-, Weiterbildung und Berufstätigkeit

Kommentar Humanmedizin

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GMS Z Med Ausbild 2012;29(2):Doc22

doi: 10.3205/zma000792, urn:nbn:de:0183-zma0007921

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2012-29/zma000792.shtml

Eingereicht: 3. März 2011
Überarbeitet: 28. Juni 2011
Angenommen: 22. September 2011
Veröffentlicht: 23. April 2012

© 2012 De Ridder.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hochschulen stehen mehr denn je im Wettbewerb um kluge Köpfe. Die Themen „Vereinbarkeit von Beruf/Studium und Familie“ und „Work-Life-Balance“ haben daher in der jüngsten hochschulpolitischen Entwicklung an Dynamik und Triebkraft gewonnen: Hochschulen im Wettbewerb um exzellente Köpfe müssen sich schon vor dem Hintergrund des demographischen Wandels diesen für sie zum Teil noch neuen Herausforderungen stellen. Hohe Studienabbruchquoten unter Studierenden mit Kindern, steigender Mediziner(innen)mangel und deutliche Abwanderungsraten, hohe Kinderlosigkeit unter Akademiker(inne)n erscheinen dabei als Indikatoren für einen dringenden Handlungsbedarf hin zu einer familienorientierten Hochschul- und Fakultätsstrategie.

Wie aber können medizinische Fakultäten, Kliniken und (Lehr-)Krankenhäuser ein familienorientiertes Profil gewinnen? Welche Akteurinnen und Akteure, welche Handlungsfelder des Hochschulmanagements sind für die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen relevant? Welche exemplarischen Maßnahmen für eine familiengerechtere Gestaltung des Studien- und Arbeitsortes „Medizin“ könnten Erfolg versprechend sein?

Die Unterrepräsentanz von Frauen beim wissenschaftlichen Nachwuchs stellt darüber hinaus eine zusätzliche Herausforderung dar, für die eine innovative Hochschulpolitik weitere Maßnahmen entwickeln sollte, um zukunftsfähig zu sein. Nachwuchsförderungsstrategien und Familienorientierung sind demnach entscheidende Faktoren für eine zukunftsorientierte Hochschulpolitik. Diese Faktoren sollten deshalb als Führungsstrategien begriffen werden, um Maßnahmen einzuleiten, die das Profil der Hochschule dahingehend (um)gestalten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung ist dabei ein holistisches Konzept, das zu grundlegenden Reformen der Hochschulstrukturen führt, die im Folgenden skizziert und anhand von Beispielen illustriert werden sollen.

Schlüsselwörter: Work-Life-Balance, Familienfreundlichkeit, Medizinstudium, Studienorganisation, Gleichstellung


Einleitung

Die Themen „Vereinbarkeit von Beruf/Studium und Familie“ und „Work-Life-Balance“ haben im Bereich der Hochschulen deutlich an Dynamik gewonnen. Dies gilt insbesondere auch für das Medizinstudium mit seinen eher strikten Rahmenbedingungen und seinen hohen Präsenzphasen sowie Praxisanteilen.

Die Aufgabe der Hochschule besteht darin, strategische Konzepte und adäquate Maßnahmen zu entwickeln, die jenseits von individuellen Lösungsansätzen angesiedelt sind. Festzuhalten ist, dass ein holistischer Ansatz bei der Reformierung von Strukturen im Vordergrund steht, um den beschriebenen komplexen Herausforderungen zu begegnen. Es geht im Kern darum, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen, damit sich die Situation von Studierenden mit Familienverpflichtungen verbessert, da sich junge Medizinerinnen und Mediziner für die Vereinbarkeit von Studium bzw. Beruf mit Familie bisher vor allem auf individuelle Strategien stützen müssen; sie sind dabei zumeist auf sich allein gestellt. Die Entscheidung für eine Karriere in familienfreundlicheren Nachbarländern fällt umso leichter, wenn diese aufgrund von Angeboten der Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Studium und Familienleben eher ermöglichen und aktiv unterstützen.

Die Hochschulen sollten daher ein holistisches Konzept entwickeln, das die folgenden drei Dimensionen umfasst, um Gleichstellung und Familienfreundlichkeit zu erreichen:

  • stärkere Bindung und dauerhafte Sicherung vorhandener personeller Ressourcen in den medizinischen Fakultäten,
  • Identifizierung des Handlungsbedarfs in Bezug auf die Gestaltung der Übergangspassage vom Studium in die wissenschaftlichen Karrierewege und die fachärztliche Weiterbildung, da diese Phase weichenstellend für die berufliche Zukunft ist,
  • strategische Ausrichtung der Fakultäts- und Hochschulleitung auf die Themenfelder Gender/Familie/Work-Life-Balance an der Hochschule, damit verbunden auch die Entwicklung, die Umsetzung und das Controlling von geeigneten Maßnahmen.

Aus diesen Entwicklungsprozessen in den aufgeführten Dimensionen ergeben sich auch Konsequenzen für die Organisationsstrukturen der medizinischen Fakultäten. Diese müssen verändert werden, um im Wettbewerb mit anderen die klugen Köpfe und Talente im Medizinstudium zu gewinnen, diese auf ihrem Karriereweg begleiten und halten zu können.

Die Aussage des folgenden Artikels lautet dementsprechend: Das Thema „Gender, Familie und Work-Life-Balance“ gehört ganz nach oben auf die Agenda der Hochschulverantwortlichen, um die Gleichstellung und Familienfreundlichkeit voran zu treiben und als Wissenschaftsinstitution zukunftsfähig zu sein.


Ausgangslage und Problemskizzierung

Die 2010 von der Bundeskammer veröffentlichte Broschüre „Handbuch Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte“ stellt in der Einleitung folgende Aspekte heraus:

„Die Medizin steht vor ganz ungewohnten Herausforderungen: Hundert Jahre, nachdem seit 1909 endlich auch Frauen überall in Deutschland Medizin studieren dürfen, gelten sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts als die Zukunftsperspektive für die Aufrechterhaltung der flächendeckenden und guten medizinischen Versorgung der Bevölkerung“ (Bühren) [1].

Aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten deutlich sinken. Als arbeitsmarktpolitische Gegenmaßnahmen kommen neben der Erhöhung des Renteneintrittsalters, einer gezielten Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen auch strategische Überlegungen zu Vereinbarkeit von Familie und Studium in Betracht. An deutschen Hochschulen studieren 7% der Studierenden mit Kind.

Die Frage nach der Vereinbarkeit eines Medizinstudiums mit Familie ist darüber hinaus aufgrund des hohen Frauenanteils in diesem Studiengang relevant: Der Frauenanteil im Medizinstudium verzeichnet einen stetigen Zuwachs und liegt seit einigen Jahren bei über 60%. Vor allem bei angehenden Ärztinnen und Ärzten kommen Überlegungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereits im Studium auf. Daher ist es notwendig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Familiengründung bereits im Studium ermöglichen und fördern.

Die Themen „Vereinbarkeit von Beruf/Studium und Familie“ und „Work-Life-Balance“ haben aufgrund dieser Entwicklungen in der jüngsten hochschulpolitischen Entwicklung an Dynamik und Triebkraft gewonnen: Hochschulen im Wettbewerb um exzellente Köpfe müssen sich schon vor dem Hintergrund des demographischen Wandels diesen für sie zum Teil noch neuen Herausforderungen stellen. Zu berücksichtigen sind dabei auch die hohen Studienabbruchquoten unter Studierenden mit Kind, der steigende Mediziner(innen)mangel sowie eine fortbestehende Unterrepräsentanz von Frauen beim wissenschaftlichen Nachwuchs, bei dem ebenfalls dringender Handlungsbedarf besteht. Auf der anderen Seite steht die Befürchtung, dass die Bedingungen an den Hochschulen zu einer steigenden Abwanderungsrate von Akademiker(inne)n ins Ausland führen. Reformen an Hochschulen sollen auch der hohen Kinderlosigkeit von Akademiker(inne)n entgegenwirken. Die These dieses Artikels lautet, dass eine gleichstellungs- und familienorientierte Hochschulstrategie die aufgezeigten Problemfelder erfolgreich bewältigen kann. Dabei werden neben den im Reformprozess relevanten Ebenen und Treibern auch die zentralen Akteurinnen und Akteure genannt. Anhand von ausgewählten Hochschulbeispielen, bei denen Implementierungsprozesse bereits gelungen sind, wird der Praxisbezug hergestellt.

Handlungsleitend bei der Umsetzung sind dabei drei Dimensionen:

  • Rekrutierung und Bindung von Nachwuchswissenschaftler(inne)n an die Hochschule,
  • Gestaltung des Übergangs vom Studium zur Facharztausbildung oder in die wissenschaftliche Laufbahn,
  • Implementierung von familienfreundlichen Angeboten und Profilierung einer Familien- und Genderstrategie an der Hochschule.

Im nächsten Abschnitt werden die Anforderungen und Lösungsansätze skizziert.


Anforderungen

Wie können medizinische Fakultäten, Kliniken und (Lehr-)Krankenhäuser ein familienorientiertes Profil gewinnen? Welche Akteurinnen und Akteure, welche Handlungsfelder des Hochschulmanagements sind für die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen relevant? Welche exemplarischen Maßnahmen für eine familiengerechtere Gestaltung des Studien- und Arbeitsortes „Medizin“ könnten Erfolg versprechend sein?

Insbesondere das Medizinstudium mit seinen eher strikten Rahmenbedingungen und seinen hohe Anwesenheit erfordernden Praxisanteilen erweist sich als dringendes Handlungsfeld zur Vereinbarkeit von Studium, akademischen Karrierewegen und Familie: So werden die Medizinstudierenden von heute als künftige Ärztinnen und Ärzte die zukünftigen Rollen- und Leitbilder in der Medizin prägen. Bisher jedoch müssen sie für die Vereinbarkeit von Studium bzw. Beruf mit Familie individuelle Lösungen finden. Das ist für die Betroffenen eine große Belastung und in Zeiten des zunehmenden Ärztinnen- und Ärztemangels – aktuell konnten bundesweit rund 5.000 Stellen nicht besetzt werden – aus gesellschaftspolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen eine nachteilige Kompetenzverschwendung.

Vielmehr könnten medizinische Fakultäten, Kliniken und (Lehr-)Krankenhäuser in Zusammenarbeit mit Studierenden und Beschäftigten eigene nachhaltig wirkende Projekte entwickeln, dabei auch in anderen Bereichen erprobte Maßnahmen einführen und ausbauen. Fakultäten, Kliniken und Krankenhäuser – dies erscheint als eine conditio sine qua non – müssen sich insgesamt als moderne Ausbildungsstätten und Arbeitgeber verstehen und daraus dringend pragmatische Konsequenzen ableiten. Dies betrifft sowohl Studien- und Arbeitsorganisation, Personalmanagement und insbesondere die Hochschul- und Arbeitskulturen, die im Sinne einer ausgewogenen Work-Life-Balance überholungsbedürftig sind.

Familienfreundlichkeit ist somit nicht nur ein Thema der Chancengleichheit in einem Studienbereich, in dem der Frauenanteil in den letzten Jahrzehnten rapide gewachsen ist, sondern beinhaltet auch eine zwingende Notwendigkeit zur Restrukturierung ganzer Studien- und Arbeitsbereiche.


Lösungsansätze

Neben adäquaten Maßnahmen zur Förderung der Familienorientierung stellt sich die Frage, welche Organisationsstrukturen insbesondere medizinische Fakultäten aufweisen müssten, um im Wettbewerb mit anderen die klugen Köpfe und Talente im Medizinstudium zu gewinnen, auf ihrem Karrierewege begleiten und halten zu können.

Und vor allem: Welche Facetten der Hochschulpolitik müssen dann als strategische Führungsaufgabe erkannt und entwickelt werden?

Ein Erfolgsfaktor ist dabei, dass im Sinne des Gender Mainstreamings auch Männer zu einer aktiven Vaterschaft ermutigt werden. Dies bedeutet wiederum, dass insgesamt mehr Spielräume entwickelt werden könnten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Studium besser zu ermöglichen. Allerdings liegt hier der Akzent etwas anders als bei den Frauen: Das erfolgreiche „Outplacement“ der Männer in einen stärker an Familie orientierten Kontext ist gleichzeitig eine gute Voraussetzung dafür, dass deren Frauen ihre Karrierewege besser weiterverfolgen können.

Vor diesem Hintergrund geht es für die Medizinischen Fakultäten und Fachbereiche – nicht nur an baden-württembergischen Hochschulen – insbesondere um drei Dimensionen:

  • Zum einen müssen die vorhandenen personellen Ressourcen in den Fakultäten stärker „gebunden“ und damit dauerhaft gesichert werden. Neben attraktiven Angeboten konkurrierender Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ist es hier die trotz aller bereits vorhandener Maßnahmen und Unterstützungsangeboten noch mangelnde Vereinbarkeit von Familie, Studium und Karriere, die zu einem gewissen „Schwund“ (Studienabbruch, Abwanderung von Mediziner(inne)n) führt.
  • Verstärkt ins Problembewusstsein rücken sollte zudem die Übergangspassage vom Studium in die wissenschaftlichen Karrierewege und die fachärztliche Weiterbildung.
  • Ferner sollten sich die strategische Planung und die operative Umsetzung durch eine systematische Wissenschaftsstrategie dem Gender Mainstreaming und der Familienorientierung verschreiben und dabei attraktive Akzente für Studierende, Ärztinnen und Ärzte setzen. Zum anderen rückt die Förderung von Familien vom zentralen Thema der Gleichstellung nun als eigenständiges Thema stärker in den Mittelpunkt. Es geht dabei also auch um Familienförderung und insbesondere um eine Intensivierung der Familienorientierung in allen Studien-, Arbeits- und Wissenschaftsbereichen (insbesondere Studium, Forschung, Administration und Management, Service und Beratung).

Gefragt sind somit Lösungen, bei denen kurz-, mittel- und langfristige Ziele mit nachhaltiger Wirkung umgesetzt werden können. So sehr also einzelne Projekte und Maßnahmen ihre Berechtigung haben, so bleibt doch die unabdingbare Notwendigkeit bestehen, ein holistisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das klare strategische Perspektiven und Ziele aufweist.

Im folgenden Abschnitt werden erfolgreiche Beispiele aufgeführt, die ein holistisches Konzept veranschaulichen.


Beispiele für die familienfreundliche Umsetzung des Konzeptes „Familienfreundliche Hochschule“

Universität Yale

Beispielhaft für die Notwendigkeit der Fokussierung in Form einer Strategie kann etwa die Universität Yale angeführt werden. Neben einem Büro für Work-Life-Balance-Maßnahmen bietet die Hochschule den Beschäftigten und Studierenden ein umfangreiches Betreuungsangebot für die Familien und versteht es so, die Beschäftigten an sich zu binden. Damit gehört die Universität im Übrigen als einzige Hochschule zu den 100 führenden Unternehmen in den USA, die für ein familienfreundliches Klima vom Verband der „Working Mothers“ ausgezeichnet wurde. So wurde etwa ein Anstieg des Frauenanteils bei der Besetzung von Stellen erreicht. Demnach geht ein familienfreundliches Klima mit einer Förderung des Anteils von Frauen in Führungspositionen einher [http://working.yale.edu/features/yale-best-company-work-working-mother-magazine-believes-so]. Auch deutsche medizinische Hochschulen setzen auf das Thema Familienfreundlichkeit.

"Teilzeitstudium Medizin" – Goethe-Universität Frankfurt a.M.

2009 startete an der Goethe-Universität Frankfurt am Main das Modellprojekt „Teilzeitstudium Medizin“, das durch das Land Hessen gefördert wurde. Umgesetzt wurde ein Beratungsangebot für Studierende in besonderen Lebenslagen, speziell für Studierende mit Kindern. Die Kindertagesstätte des Klinikums bietet eine Betreuungsmöglichkeit an; dort hat sich das Instrument der Rückkehrgespräche für Mütter bewährt, die den Wiedereinstieg nach einer Betreuungszeit anstreben.

Medizinische Hochschule Hannover

Sowohl für Studierende als auch Ärztinnen und Ärzte, die an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) tätig sind, wurden bedarfsgerechte Kinderbetreuungsmaßnahmen konzipiert und ausgebaut.

Die Begründung für diese Maßnahmen wird in der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses gesehen: Eine medizinische Fakultät, die optimalen Nachwuchs für Forschung, Lehre und Krankenversorgung rekrutieren wolle, könne es sich nicht leisten, die Auswahl der Besten schon vorab dadurch einzuschränken, dass Menschen, die die Gründung einer Familie planten, keine Chance erhielten. Ferner wird die als extrem hoch eingeschätzte Mehrfachbelastung (Krankenversorgung, Lehrverpflichtungen, Forschung, Verfassen von Publikationen, Vorbereitung und Halten von Vorträgen etc.) von wissenschaftlich aktiven Ärztinnen als Begründung genannt [2].


Empfehlungen für mehr Familiengerechtigkeit

Um die Bedingungen an der Hochschule familiengerechter zu gestalten, sind folgende Rahmenbedingungen zu reformieren.

Erfordernisse

Mehr dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse für den akademischen Mittelbau schaffen [3]

Nachhaltig abgesicherte Lebens- und Arbeitsperspektiven haben Einfluss auf generative Entscheidungen potenzieller Eltern. Der heutige wissenschaftliche Nachwuchs jedoch lebt in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Um den akademischen Mittelbau zu stärken und ihm sichere Beschäftigungsperspektiven auch unterhalb der Ebene der Professur zu eröffnen, müssen verstärkt neue unbefristete Stellen eingerichtet werden. Zudem sollten verpflichtend anzubietende Tenure Track-Optionen für Juniorprofessuren sowie reine Lehrprofessuren eingeführt werden. All diese Maßnahmen würden die Hochschulen in ihrem Bemühen um eine verbesserte Qualität der Lehre im Bologna-Prozess und um die Sicherstellung von gut qualifiziertem und hochmotiviertem wissenschaftlichen Personal unterstützen.

Einheitlichen Wissenschaftstarifvertrag einführen

Der für die Beschäftigten in wissenschaftlichen Einrichtungen gültige Tarifvertrag der Länder TV-L wie auch der TVöD eröffnen wenig Gestaltungsspielraum für die Personalverantwortlichen. Die verschiedenen tarifvertraglichen Regelungen – mit ihren sehr unterschiedlich gehandhabten Einstufungen in entgeltsteigernde Erfahrungsstufen und den nur selten genutzten leistungsorientierten Zulagen – erschweren eine leistungsorientierte Personalentwicklungsplanung und sind mobilitätshemmend. Vielmehr führt in der Praxis ein berufstypischer Wechsel von einer Einrichtung zur anderen häufig zu finanziellen Einbußen. Zudem gibt es zurzeit unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten: In der einen Gruppe befinden sich diejenigen, die nach Überleitung in den neuen Tarifvertrag unbefristet Privilegien genießen, wie Sonderzuschläge für Verheiratete und Kinder; demgegenüber steht die zunehmend wachsende Gruppe der Neubeschäftigten, für die diese Regelungen nicht mehr gelten. Ein einheitlicher Wissenschaftstarifvertrag würde die Anerkennung von Berufserfahrung, die Vergleichbarkeit und Vergütung besonderer Leistungen, die Karriere- und Lebensplanung und die vielfach geforderte Mobilität erleichtern.

Nachteilige Altersgrenzen abschaffen

Der Ein- und Aufstieg im Wissenschaftssystem ist durch ein sehr enges Zeitkorsett reglementiert. Strikte Altersgrenzen bei der Vergabe von Stipendien und bei der Erstberufung auf eine Professur lassen dem wissenschaftlichen Nachwuchs kaum Spielraum für die Verwirklichung eines Kinderwunsches. Dies hat bisher vor allem Wissenschaftlerinnen in ihrem beruflichen Fortkommen stark beeinträchtigt. Um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft zu fördern, wäre es sinnvoll, die bestehenden Altersgrenzen abzuschaffen und zugleich Hausberufungen grundsätzlich zu ermöglichen.

Elternzeit für beide Elternteile attraktiv machen

Arbeitgeber gehen bei Wissenschaftlerinnen von einer eingeschränkten Verfügbarkeit aus, weil diese Mütter werden könnten. Dadurch bleiben ihnen oftmals interessante Berufs- und Karriereperspektiven verschlossen. Dem könnte durch weitergehende Anreize für Väter, das Elterngeld in Anspruch zu nehmen, begegnet werden. Dies könnte zum Beispiel durch eine Aufstockung der sogenannten „Vätermonate“ erfolgen. Eine solche Flexibilisierung des Elterngeldes sollte mit unterstützenden Maßnahmen zu einem Bewusstseins- und Kulturwandel sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite bezüglich der Vaterrolle in unserer Gesellschaft Hand in Hand gehen.

Arbeitsausfälle bei Elternzeit durch Fonds und Stellenpool auffangen

Zeitlich befristete Drittmittelprojekte und kleine Hochschuleinheiten sind darauf angewiesen, dass sie ihre Arbeiten zügig und fristgerecht durchführen. Für sie kann es ein Problem darstellen, wenn Beschäftigte infolge von Elternzeit und Betreuungspflichten zeitweise ausfallen. Einen Ausweg bietet die Einrichtung eines Fonds und eines zusätzlichen Stellenpools. Darüber können zum Beispiel Vertretungskräfte für Eltern finanziert und organisiert werden. Vorreiter ist hier die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit ihrer Projektförderung „Vertretungen während Mutterschutz und Elternzeit“. Sie ermöglicht Projektleitungen, Vertretungskräfte zu finanzieren, wenn Eltern infolge von Schwangerschaft und Elternzeit ausfallen oder ihre Arbeit zeitweilig unterbrechen. In diesem Kontext unterstützt die DFG auch die Teilzeitarbeit in den Projekten. Für den ausfallenden Arbeitsanteil können ebenfalls Mittel für eine Vertretungskraft beantragt werden [http:// www.dfg.de/dfg_im_profil/aufgaben/ chancengleichheit/massnahmen_details/ausgleich.html].

Befristungsregelungen für Eltern verbindlich machen

Das 2007 erlassene Wissenschaftszeitvertragsgesetz enthält – im Interesse einer verlängerten befristeten Beschäftigungsmöglichkeit für Eltern – eine familienpolitische Komponente. § 2 Abs. 1 Satz 3 WissZeitVG sieht hierzu vor, dass sich die zulässige Befristungsdauer in der Qualifizierungsphase bei Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind verlängert. Sie wird beiden Elternteilen unabhängig voneinander eröffnet. Die zu betreuenden Kinder müssen keine leiblichen Kinder sein, sondern müssen im Haushalt der antragstellenden Personen leben. Allerdings eröffnet die familienpolitische Komponente lediglich eine Option zur Vertragsverlängerung und bedarf deshalb des Einvernehmens mit dem jeweiligen Arbeitgeber. In der Praxis wird die familienpolitische Komponente bislang viel zu selten genutzt. Hier muss es im Interesse der Eltern zu Verbesserungen kommen.

Mehr bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote etablieren

Kinder von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind in den meisten Hochschulen nicht sichtbar. Ihre Betreuung findet meist fernab vom Arbeitsplatz ihrer Eltern statt, die dadurch oft einen erheblichen Mehraufwand haben. Eine an den Bedürfnissen von Kindern und Eltern orientierte Maßnahme ist die Einrichtung von hochschuleigenen Kindertagesstätten. Hilfreich wäre dabei, die Betreuungsangebote sehr viel stärker zu flexibilisieren und den in der Wissenschaft üblichen Arbeitszeiten anzupassen. Dazu gehören erweiterte Öffnungszeiten (bis abends 20.00 Uhr), Wochenenddienste, Serviceangebote in den Schulferien oder wenn Eltern an Tagungen teilnehmen. Denkbar ist auch der Aufbau eines Generationennetzwerkes zur Schulkinder- und Hausaufgabenbetreuung oder die Etablierung eines Babysitterpools für die Kurzzeitbetreuung von Klein- und Schulkindern. Förderlich sind zudem kleine infrastrukturelle Maßnahmen, wie das Einrichten von Wickel- und Stillzimmern sowie das Aufstellen von kindergerechten Stühlen in den Mensen. Um die Qualität der Kinderbetreuungsangebote abzusichern, wäre zudem die Einrichtung einer bundesweiten Koordinierungsstelle sinnvoll, die „best practice“ und Qualitätsstandards für alle Hochschulen bereitstellt.

Handlungsfelder

Unter Berücksichtigung aktueller Analysen [4] sowie nationaler (etwa aus den Audits zur Familienorientierung und zum Diversity Management) [5] und internationaler Erfahrungen lassen sich aktuell zunächst folgende Bereiche als Handlungsfelder für ein Gesamtkonzept identifizieren:

1.
Organisationsstrukturen
2.
Studienorganisation
3.
Kommunikation und Beratung für Frauen/Familien
4.
Personalentwicklung und Arbeitsorganisation
5.
Familienmonitoring
6.
Optimale Infrastruktur für Familien/Frauen
7.
Fakultätskultur und Rahmenbedingungen

Im Folgenden sollen hier Beispiele für die einzelnen Handlungsfelder genannt werden:

1. Organisationsstrukturen

  • Verantwortlichkeit auf Leitungsebene der medizinischen Fakultät
  • Vernetzung und Einrichtung von jährlichen Gesprächsterminen der medizinischen Fakultäten der Hochschulen, ggf. auch unter Teilnahme des Ministeriums
  • Schaffung und Ausbau von Stabsstellen für das Thema Gender Mainstreaming und Familie bei Leitungen der Fakultät, Kliniken und Krankenhäusern (ähnlich den Work-Life-Balance-Büros an amerikanischen Hochschulen im Personalbereich/Human Resources (Beispiel: Stanford oder Yale)
  • Einrichtung einer geschlechterparitätisch besetzten Kommission für Familienorientierung (z. B. in Finnland, Norwegen, Schweden, Island (vgl. Husu 2007)
  • Motivierung zum Einsatz hochschuleigener Ressourcen für die Umsetzung familienorientierter Konzepte und Maßnahmen, Vernetzung und Kooperation mit Kommunen, Verbänden, Organisationen, Unternehmen; Entwicklung von Sponsoring- und Fundraising-Vorhaben (Beispiel: Stanford. Hier wurden drei Stellen im Work-Life-Office geschaffen (für ca. 15.000 Studierende und ca. 1.800 Beschäftigte)
  • Berücksichtigung der besonderen Situation von Betreuenden und Erziehenden

2. Studienorganisation

  • Überprüfung von Studienformaten, -ordnungen und Prüfungsregelungen auf Familienorientierung: z. B. Blended und E-Learning-Angebote, folgenloser Prüfungsrücktritt während Schwangerschaft und Mutterschutz; nicht bestandene Prüfungsleistungen während des Mutterschutzes könnten dann als nicht unternommen gelten; die attestierte Krankheit eines Kindes wird in modularisierten und gestuften Studiengängen der Krankheit der/s zu Prüfenden gleichgestellt
  • Anpassung der Curricula an die familienorientierten Bedarfe
  • Teilzeitstudium
  • Flexibilisierung der Zeitregime von Vorlesungszeiten: flexible Kurswahl jeweils innerhalb des vorklinischen bzw. klinischen Studienabschnitts, Angebot von Kursen gleichen Inhalts zu verschiedenen Uhrzeiten, Angebot von Sonderkursen für Studierende mit Kindern, Zusatz-Kurstage zum Ausgleich von versäumten Kurstagen
  • Mentoring-Angebot, speziell zu „Studieren mit Kind“
  • genderspezifische Laufbahnberatung im Studium: niedrigschwellige Angebote, durch die Studierende ihre diffusen Berufsbilder konkretisieren und Fragen zur Vereinbarkeitsproblematik stellen können; Gespräche zu Rollenmodellen in der Medizin
  • Mitbringen von Säuglingen in Kurse, die nicht mit Gefahrenstoffen arbeiten (bei Bedarf)
  • unbürokratische Beurlaubung von Studierenden mit der Möglichkeit, während dieser Zeit Prüfungsleistungen zu erbringen; flexiblere Unterbrechung des Praktischen Jahres (PJ) und Anrechenbarkeit von abgeleisteten Arbeitseinheiten bei Unterbrechung

3. Kommunikation und Beratung für Frauen/Familien

  • Optimierung der Internetinformation der Fakultät zur Familienorientierung
  • Institutionalisierung der Beratung in den Einrichtungen, bspw. durch die Ansiedelung von Work-Life-Büros im Bereich Human Resources, um so eine umfassende und kompetente Beratung der Studierenden und Mitarbeiter(innen) gewährleisten zu können (Eltern-Service-Büros, Welcome-Einrichtungen)
  • Aufbau eines gemeinsamen Internetportals zur Familienorientierung für die medizinischen Fakultäten, zentrale Anlaufstelle unmittelbar an der Fakultät, am Klinikum bzw. Krankenhaus
  • Einführungs- und Informationsveranstaltungen (semesterweise) für Studierende und Beschäftigte mit Kind(ern)
  • regelmäßiger Erfahrungsaustausch der Studierenden mit Kindern: Studium, PJ etc.

4. Personalentwicklung und Arbeitsorganisation

  • Flexibilisierung lebensphasenbezogener Arbeit und Sabbaticals: längerfristige Anpassung von Arbeitszeiten an unterschiedliche Lebensumstände, etwa durch Einführung von bezahlten (durch Ansparmodelle) oder unbezahlten Auszeiten von Erwerbstätigkeit
  • Jobsharing bei Qualifikationsstellen: Schaffen von Qualifikationsstellen durch das Splitten einer Professur, bessere Aufteilung der Arbeitsbelastung
  • Unterstützung aktiver Vaterschaft: Fakultäten, Kliniken und Krankenhäuser könnten ein positives Image von Elternzeit für Väter etwa anhand der Publizierung positiver Rollenbilder fördern; auch die Bereitstellung von Informationsmaterial, das unmittelbar Väter adressiert, wäre lohnend; unterstützende Rolle der Vorgesetzten
  • Planung und Begleitung von Elternzeit (Aufgabe der direkten Vorgesetzten, Thema für Führungskräfteentwicklung; dabei sind unterschiedliche Phasen der Elternzeit/Familienorientierung (auch Pflege von Angehörigen) zu berücksichtigen, die differenzierte Information und Planung sowie Kontakthalte- und Wiedereinstiegsmaßnahmen (Kinderbetreuung, Neuerungen am Arbeitsplatz, Qualifizierungsbedarf, Feed-Back-Gespräche) bedürfen)
  • Bedarfs- und Zufriedenheitsbefragung der Beschäftigten (insbesondere auch der Nachwuchswissenschaftler(innen) in Bezug auf Familienorientierung und Work-Life-Balance)
  • Dienstbesprechungen, Visiten und Fortbildungen während gesicherter Betreuungszeiten
  • Ferienbetreuung für Schulkinder
  • Teilzeitarbeit auch für Väter: bei traditioneller Rollenverteilung wird der Wunsch nach TZ-Arbeit zugunsten eines verstärkten Engagements in der Familie fast ausschließlich als „weibliches“ Anliegen interpretiert, während traditionell eingestellte Führungspersonen ihre männlichen Kollegen in Anstellungs- und Qualifikationsgesprächen nicht auf dieses als eher „unmännlich“ geltende Thema ansprechen; somit ist eine systematische Sensibilisierung von Führungspersonen gefragt

5. Familienmonitoring

  • fakultätsspezifische, später auch landesweite Übersicht über die ergriffenen Maßnahmen zur Familienorientierung an medizinischen Fakultäten
  • Entwicklung und Bearbeitung einer Checkliste „Familienorientierung“: Definition der Mindeststandards

6. Optimierung der Infrastruktur für Familien

  • Ausweitung und Flexibilisierung der Kinderbetreuung(szeiten): KiTa/Krippe/Hort mit höchster Flexibilität, mindestens aber bessere Abstimmung zwischen Arbeits- bzw. Studienzeiten einerseits und Betreuungszeiten andererseits
  • Institutionalisierung der Notfallbetreuung, Vermittlung von Tagesbetreuung
  • Eltern-Kind-Räume; Stillräume; Familienorientierung in den Mensen (Ausstattung, Mobiliar)
  • spezielle Labore für werdende Mütter oder entsprechende Unterstützungsprogramme

7. Fakultätskultur und Rahmenbedingungen

  • Entwicklung eines explizit familienfreundlichen Medizin-Leitbildes
  • Sensibilisierung von Führungskräften für das Thema „Familienorientierung“: alle Professor(inn)en sind neben ihrer Funktion als Lehrende und Forschende immer zugleich auch Führungskräfte; hier bedarf es also der Auflösung des Leitbilds der „selbstlosen, altruistischen Mediziner(innen)“
  • Vorbildfunktion der Leitungsebene (Chefärzte und Chefärztinnen, ärztliche Direktor(inn)en durch Akzeptanz von Familienkarrieren und eigenes Vorleben)
  • Berücksichtigung der Sozial- und Familienkompetenzen bei der Auswahl von Führungskräften: hierzu bedarf es der Entwicklung von Leitfäden für Einstellungsverfahren; zudem sollten Bewerber(innen) gezielt aufgefordert werden, bei der Darstellung ihrer Sozial- und Führungskompetenzen Aspekte der Familienorientierung aufzuzeigen
  • Information der Bewerber(innen)/Kandidat(inn)en bei Stellenbesetzungs- und Berufungsverfahren über familienorientierte Angebote der Fakultät bzw. der Hochschule

Fazit: Wie kommt mehr „Family Life“ in die „Work-Life-Balance“?

Zunächst einmal bedarf es einer veränderten Sicht auf die Notwendigkeit einer familienorientierten Studien- und Arbeitsorganisation an medizinischen Fakultäten, Kliniken und (Ausbildungs-)Krankenhäusern. Impliziert ein modernes Personalmanagement, das alle Potenziale einbinden will, bereits den Blick auf Beschäftigte als individuelle Persönlichkeiten in unterschiedlichen Lebensphasen, so gilt dies in gleicher Weise für das Medizinstudium und die fachärztliche Aus- und Weiterbildung. Dies bedeutet mittel- und langfristig nicht nur, dass die genannten Einrichtungen Maßnahmen zur Familienorientierung einführen und ausbauen müssten, sondern dass Hochschul- und Arbeitskultur nachhaltig verändert werden sollten. Hier liegt auch die strategische Verantwortung der Fakultäts- und Krankenhausleitungen, die mit der Entwicklung eines zeitgemäßen familienorientierten Leitbildes, das die Work-Life-Balance in der Medizin zum Thema macht und mit anderen gleichstellungspolitischen Fragen verknüpft, einen Mentalitätswechsel in der Vereinbarkeits- und Geschlechterfrage einleiten sollte.

Von Führungskräften, ganz gleich ob als Leitungspersonen in Kliniken oder als Professor(inn)en in medizinischen Fakultäten, wiederum muss zukünftig stärker erwartet werden, dass sie Sozialkompetenz zeigen, dass sie das strategische Ziel „Familienfreundlichkeit“ nicht nur akzeptieren, sondern auch internalisieren und umsetzen sowie eigene Führungsrollen und -erfahrungen reflektieren. Dies bedeutet ganz konkret, dass Leitungspersonen und Führungskräfte offen bei Problemen der Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie sein müssen und die Bereitschaft mitbringen sollten, einen Interessensausgleich zu schaffen. Von ihnen wird erwartet, dass sie mit viel Mut zur Veränderung Entscheidungen im Sinne eines Interessensausgleichs treffen und entsprechend steuernd und konfliktregulierend in Teamprozesse eingreifen können. Im Sinne eines lebenslangen Lernens ("Lifelong Learning") gehören daher Informations- und Schulungsangebote für Führungskräfte und ihre Beschäftigten ganz oben auf eine „Agenda zur Familienfreundlichkeit“.

Dass diese Aufgabenvielfalt dabei jedoch auch von der Wissenschaftspolitik, von Kassen und Verbänden ideell und finanziell gestützt werden muss, um eine zielgenaue ressourcengestützte Strukturentwicklung betreiben zu können, liegt auf der Hand.

Denn: nur wenn Eltern- und Schwangerschaft sowie Pflege von Angehörigen als natürliche Lebensereignisse und nicht als Störfaktoren der klinischen Organisationsabläufe anerkannt werden, die Bedürfnisse von Medizinstudierenden, Ärztinnen und Ärzten wahrgenommen und in familienorientierte Konzepte einfließen, sie keine Karriereeinbußen mehr befürchten müssen, können strukturelle Anpassungsleistungen dazu führen, dass die talentiertesten Köpfe unter den (jungen) Mediziner(inne)n gewonnen und dauerhaft gebunden werden können und zugleich ihre Abwanderung in (europäische) Länder mit weitaus familienfreundlicheren Studien- und Arbeitsbedingungen gebremst werden kann.

Auf struktureller Ebene gehört dazu die Änderung des Mutterschutzgesetzes auf Bundes- und Landesebene. Ebenso ist eine Abkehr von männlich geprägten Arbeitskarrieren und Arbeitszeiten erkennbar, da der Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung zunimmt. Diese Abkehr sei ebenfalls in Bezug auf die Karrierelaufbahnen im universitären Bereich festzustellen. Als Konsequenzen für die Hochschule ergibt sich daraus die Forderung nach einer Veränderung der strukturellen Rahmenbedingung zur Herstellung von Vereinbarkeit von Studium/Karriereentwicklung und Familienleben durch die Einführung von Teilzeitmodellen in Studium und Weiterbildung oder die zeitliche Umstrukturierung der klinischen Lehrpläne nach Teilzeitmodellen (jetzt im Block oder ganztags bzw. später Nachmittag).

Hilfreich wäre sicherlich auch eine Reform der Mutterschutzbestimmungen.

Es entsteht der Eindruck, dass die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsel nötig und erwünscht ist, wie die dargestellten Empfehlungen und Forderungen zeigen. Wichtig ist dabei, dass ein holistisches Konzept hinter einer neuen Orientierung steht. Familienfreundlichkeit ist schließlich ein umfassender Ansatz, der Studierende und Beschäftigte adressiert. Die Botschaft „Mehr Familienfreundlichkeit wagen!“ ist leicht verständlich, die Konsequenzen und Implikationen hingegen sind komplex.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Bühren A, Schoeller AE. Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte. 1. Auflage. Bonn; Bundesärztekammer; 2010. S.11-14. Zugänglich unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Handbuch_Familie_Arbeitsplatz.pdf Externer Link
2.
Schoeller AE. Krankenhaus: Exemplarische Kinderbetreuungsmodelle. In: Bühren A, Schoeller AE (Hrsg). Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte. 1. Auflage. Bonn: Bundesärztekammer; 2010. S.58-69. Zugänglich unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Handbuch_Familie_Arbeitsplatz.pdf Externer Link
3.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Referat Chancengerechtigkeit in Bildung und Forschung. Kinder - Wunsch und Wirklichkeit in der Wissenschaft. Forschungsergebnisse und Konsequenzen. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung; 2010. S.24-26.
4.
Liebhardt H, Fegert JM. Medizinstudium mit Kind: Familienfreundliche Studienorganisation in der medizinischen Ausbildung. Z Berat Studium. 2010;2:50-55.
5.
Kienle A, Simon B. Beruf und Familie: Zertifizierung von familienfreundlichen Einrichtungen im Gesundheitswesen. In: Bühren A, Schoeller AE (Hrsg). Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte. Bonn: Bundesärztekammer; 2010. S.97-102. Zugänglich unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Handbuch_Familie_Arbeitsplatz.pdf Externer Link