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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Akzeptanz medizinischer Trainingsfälle als Ergänzung zu Vorlesungen

Forschungsarbeit Humanmedizin

  • author Alexander Hörnlein - Universität Würzburg, Fakultät für Mathematik und Informatik, Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Angewandte Informatik, Würzburg, Deutschland
  • author Alexander Mandel - Universität Würzburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Würzburg, Deutschland
  • author Marianus Ifland - Universität Würzburg, Fakultät für Mathematik und Informatik, Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Angewandte Informatik, Würzburg, Deutschland
  • author Edeltraud Lüneberg - Universität Würzburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Würzburg, Deutschland
  • author Jürgen Deckert - Universität Würzburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Würzburg, Deutschland
  • corresponding author Frank Puppe - Universität Würzburg, Fakultät für Mathematik und Informatik, Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Angewandte Informatik, Würzburg, Deutschland Externer Link

GMS Z Med Ausbild 2011;28(3):Doc42

doi: 10.3205/zma000754, urn:nbn:de:0183-zma0007549

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2011-28/zma000754.shtml

Eingereicht: 10. September 2010
Überarbeitet: 23. März 2011
Angenommen: 23. März 2011
Veröffentlicht: 8. August 2011

© 2011 Hörnlein et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung: Medizinische Trainingsfälle sind in der studentischen Ausbildung inzwischen weit verbreitet. In den meisten Publikationen wird über die Entwicklung und die Erfahrungen in einem Kurs mit Trainingsfällen berichtet. In diesem Beitrag vergleichen wir die Akzeptanz von verschiedenen Trainingsfallkursen, die als Ergänzung zu zahlreichen Vorlesungen der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg mit sehr unterschiedlichen Nutzungsraten eingesetzt wurden, über einen Zeitraum von drei Semestern.

Methoden: Die Trainingsfälle wurden mit dem Autoren- und Ablaufsystem CaseTrain erstellt und über die Moodle-basierte Würzburger Lernplattform WueCampus den Studierenden verfügbar gemacht. Dabei wurden umfangreiche Daten über die Nutzung und Akzeptanz erhoben.

Ergebnisse: Im Zeitraum vom WS 08/09 bis zum WS 09/10 waren 19 Kurse mit insgesamt ca. 200 Fällen für die Studierenden verfügbar, die pro Semester von ca. 550 verschiedenen Medizinstudenten der Universität Würzburg und weiteren 50 Studierenden anderer bayerischer Universitäten genutzt wurden. Insgesamt wurden pro Semester ca. 12000 Mal Trainingsfälle vollständig durchgespielt zu denen ca. 2000 Evaluationen von den Studierenden ausgefüllt wurden. In den verschiedenen Kursen variiert die Nutzung zwischen unter 50 Bearbeitungen in wenig frequentierten Fallsammlungen und über 5000 Bearbeitungen in stark frequentierten Fallsammlungen.

Diskussion: Auch wenn Studierende wünschen, dass zu allen Vorlesungen Trainingsfälle angeboten werden, zeigen die Daten, dass der Umfang der Nutzung nicht primär von der Qualität der verfügbaren Trainingsfälle abhängt. Dagegen werden die Trainingsfälle in fast allen Fallsammlungen kurz vor den Klausuren extrem häufig bearbeitet. Dies zeigt, dass die Nutzung von Trainingsfällen im Wesentlichen von der wahrgenommenen Klausurrelevanz der Fälle abhängt.

Schlüsselwörter: Blended Learning, Trainingsfall, Problembasiertes Lernen, Akzeptanz-Evaluation, Autorensystem, CaseTrain


Einleitung

Medizinische Trainingsfälle sind inzwischen weit verbreitet. Berichte über den erfolgreichen Einsatz in verschiedenen Domänen finden sich z.B. in der Neurologie [11], Rheumatologie [14], [12], Hämatologie [7], Pädiatrie [6], Inneren Medizin [1], Allgemeinmedizin [10] usw. Die Veröffentlichungen beziehen sich jedoch meist nur auf eine Domäne. In verschiedenen Befragungen hat sich gezeigt, dass Studierende Trainingsfälle zu allen Veranstaltungen wünschen. Genügt es dann, den Studierenden gute Trainingsfälle zur Verfügung zu stellen, wobei die Nutzungsrate hauptsächlich von der wahrgenommenen Qualität der Trainingsfälle abhängt? In diesem Beitrag vergleichen wir die Akzeptanz von Trainingsfallkursen, die als Ergänzung zu verschiedenen Vorlesungen an der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg eingesetzt wurden, um Erfolgsfaktoren zu identifizieren, z.B. ob die Nutzungsrate von der Qualität der Fälle, dem Schwierigkeitsgrad, der Einfachheit der Bedienung, der Bearbeitungsdauer oder von der Klausurrelevanz und Anzahl verschiedener Trainingsfälle im Kurs abhängt. Die Rahmenbedingungen in verschiedenen Kursen sind vergleichbar: Seit 2007 wurde über ein aus Studiengebühren finanziertes fakultätsübergreifendes Blended Learning Projekt an der Universität Würzburg eine einheitliche Infrastruktur zur einfachen Entwicklung und zum Einsatz von Trainingsfällen geschaffen. Zusätzlich wurde auch die inhaltliche Entwicklung mit begrenzten Mitteln für alle interessierten Fächer finanziert. Nach einem Jahr waren Fälle in 19 medizinischen Kursen entwickelt und den Medizinstudierenden in klinischen Semestern verfügbar gemacht. Um zufällige Schwankungen in einem Semester zu vermeiden, wird über einen Zeitraum von zwei bis drei aufeinanderfolgenden Semestern gemittelt.


Methoden

Ein typischer Trainingsfall besteht aus einer Folge von aufeinander aufbauenden Informations- und Frageabschnitten mit einer Fallbesprechung am Ende. In Informationsabschnitten werden multimediale Patientendaten präsentiert, in Frageabschnitten wird nach Verdachtsdiagnosen und ggf. Therapien, Bildinterpretationen, Untersuchungs¬anforderun¬gen sowie allgemeinem Hintergrundwissen gefragt. Dazu stehen verschiedene Frageformate wie Multiple-Choice-, Long-Menu-, Wort-, Zahl- und Textfragen bereit, deren Antworten automatisch bewertet werden, um den Studierenden als Benutzer direktes Feedback zu geben (bei Textfragen wird statt einer Bewertung nur die Musterlösung gezeigt, hier können die Studierenden sich selbst bewerten). Während im Normalfall die Fallpräsentation linear verläuft, kann bei Untersuchungsanforderungen davon abgewichen werden, indem nur die Patientendaten der Untersuchungen gezeigt werden, die der Benutzer tatsächlich angefordert hat.

Die Trainingsfälle wurden mit dem Autoren- und Ablaufsystem CaseTrain [4] erstellt. Basierend auf Erfahrungen mit den Vorgängersystemen D3Trainer [13] und d3web.Train [5] sowie mit Casus [2], Campus [8], [3], Docs and Drugs [9], und anderen wurde in CaseTrain besonderer Wert auf eine einfache Autorenoberfläche, die Dozenten ohne spezielle Einarbeitung verstehen, und eine intuitiv bedienbare Ablaufoberfläche für die Studierenden gelegt (vgl. [15]). Die Autorenoberfläche besteht aus dem Textverarbeitungssystem WORD, mit dem Fälle in einer Tabellenstruktur eingegeben und über eine Web-Applikation (CaseTrain Manager) hochgeladen, geparst, begutachtet und freigegeben werden, indem sie in den Kursen der Moodle-basierten Würzburger Lernplattform WueCampus zugänglich gemacht werden. Die Ablaufoberfläche ist in Adobe-Flash programmiert, um Probleme mit unterschiedlichen Browsern zu vermeiden. Die Bildschirmoberfläche ist jeweils dreigeteilt: Links ein großer Informationsabschnitt, dazu eine Frage rechts oben mit ihren Antwortalternativen rechts unten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Eine ausführliche Beschreibung von CaseTrain findet sich in [4].

Mit CaseTrain wurden in 19 klinischen Fächern Trainingsfälle erstellt. Da die Falleingabe mit einem Textsystem (WORD) erfolgt, bestand die typische Vorgehensweise darin, dass ein Dozent den Fallinhalt skizziert und eine studentische Hilfskraft den Fall redaktionell überarbeitet, ggf. mit Bildern oder Videos anreichert, und - nach Prüfung durch den Dozenten – über eine Web-Schnittstelle hochlädt. Einige Kurse wurden mit Mitteln der virtuellen Hochschule Bayern (VHB) erstellt, in diesem Fall hat in der Regel ein Arzt die Fälle erstellt. Die Fälle wurden den Studierenden über die Würzburger Lernplattform WueCampus bereitgestellt, welche außerdem u.a. den Upload von Folien und anderen Unterrichtsmaterialien zur Vorlesung ermöglicht sowie gute Kommunikationsmöglichkeiten für die Kursteilnehmer bereitstellt. Der Dozent kann entscheiden, ob Bearbeitungsstatistiken der Studierenden anonymisiert oder personalisiert erfasst werden, wobei die meisten die personalisierte Erfassung wählen, da diese es den Studierenden ermöglicht, eine persönliche Statistik über ihren Erfolg bei den Fallbearbeitungen einzusehen. Mit automatischen Aufzeichnungen werden pro Fallsitzung das Datum, die Bearbeitungsdauer und die Antworten auf die Fragen erfasst. Falls nicht alle Fragen beantwortet wurden, wird der Fall in Tabelle 1 [Tab. 1] als „abgebrochene Bearbeitung“ gezählt. Bei vollständigen Bearbeitungen wird aufgrund der automatischen Bewertung der Antworten und einem Score der Bearbeitungserfolg berechnet. Bei nicht anonymisierten Fallbearbeitungen kann zwischen der Erstbearbeitung und späteren Bearbeitungen eines Benutzers unterschieden werden, und der Anteil der vollständigen, nicht erfolgreichen Erstbearbeitungen zu allen vollständigen Erstbearbeitungen wird als Indikator für den Schwierigkeitsgrad der Fälle berechnet. Neben diesen automatisch ermittelten Daten werden am Ende jeden Falles den Benutzern drei Fragen zur Evaluation gestellt: je eine Schulnote für den Fallinhalt und die Systembedienung sowie die Möglichkeit eines Freitext-Kommentars. Die Evaluation wurde bewusst sehr einfach gehalten, um eine hohe Rücklaufquote zu erreichen.


Ergebnisse

Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt Nutzungsdaten der verschiedenen medizinischen Kurse mit folgenden Informationen: Anzahl angebotener Trainingsfälle, Anzahl verschiedener Nutzer, Anzahl von vollständigen und abgebrochenen Fallbearbeitungen sowie vollständige Bearbeitungen pro angebotenem Fall, durchschnittliche Bearbeitungsdauer vollständiger Bearbeitungen in Minuten, Anzahl von ausgefüllten Evaluationsfragebögen mit Durchschnittsschulnoten für Inhalt und Bedienung, den durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad als Prozentsatz vollständiger, nicht erfolgreicher Erstbearbeitungen aller Fälle sowie ob Fallbearbeitungen im Kurs verpflichtend waren. Bei 13 Kursen werden die Daten als Durchschnittskurs aus den drei Semestern Winter¬semester 2008/2009, Sommersemester 2009 und Wintersemester 2009/2010 gemittelt; bei 6 mit „*“ gekennzeichneten Kursen als Durchschnittskurs aus nur zwei Semestern gemittelt (meist mit Start im SS 09). Durch die Bildung eines Durchschnittskurses aus mehreren Semestern kann von zufälligen Schwankungen in einem Semester abstrahiert werden, daher sind die Daten aussagekräftiger, als wenn nur die Daten eines einzelnen Semesters ausgewertet werden. Die Zusammenfassung von mehreren Kursen zu Akzeptanzklassen auf der Basis der Nutzungshäufigkeit dient ebenfalls dazu, durch Bildung von Mittelwerten zufällige Schwankungen bei einzelnen Kursen auszugleichen.

Wir messen die Akzeptanz der Fälle nach der Anzahl vollständiger Fallbearbeitungen und haben die Kurse in fünf Akzeptanzklassen eingeteilt (> 1000, 200-1000, 100-200, 50-100, <50 Fallbearbeitungen), um zu überprüfen, ob die Akzeptanzklassen mit Fall- oder Kurseigenschaften korrelieren. Dabei sind in den beiden oberen Akzeptanzklassen auch die Anzahl der Fallbearbeitungen pro Fall am höchsten (mit Ausnahme des Kurses Geriatrie, der nur einen Fall hat). Es zeigt sich, dass die Akzeptanzklassen 1 bis 4 relativ einheitliche Noten bei Bedienung und Inhalt zwischen 1,9 und 2,1 haben und nur die sehr kleine Akzeptanzklasse 5 deutlich bessere Noten hat. Dagegen gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Schwierigkeitsgrad der Fälle und den Akzeptanzklassen, da die beiden oberen Akzeptanzklassen einen niedrigeren Schwierigkeitsgrad als die drei unteren Akzeptanzklassen haben. Die Fälle der Akzeptanzklassen 2 und 4 haben eine etwa doppelt so lange Bearbeitungsdauer wie die Fälle der Akzeptanzklassen 1 und 3. Die Anzahl der Fälle pro Kurs korreliert etwas mit der Häufigkeit der Fallnutzung, da die Kurse der Akzeptanzklasse 1 auch die meisten Fälle anbieten. Bei den übrigen Akzeptanzklassen 2 bis 5 ist dagegen kein klarer Zusammenhang zwischen Anzahl der Fälle und Häufigkeit der Nutzung zu erkennen.

Weiterhin haben wir für jeden Kurs den Zeitverlauf der Benutzung untersucht. Hier zeigt sich in allen Kursen ein sehr auffälliges Muster, das im Semester einen überragenden Spitzenwert hat, nämlich an dem Tag, bevor die Klausur geschrieben wird (bzw. - falls die Klausur am Nachmittag stattfindet - am Vortag und am Tag der Klausur). Wie zeigen hier exemplarisch zwei Kurven für einen stark frequentierten und einen weniger stark frequentierten Kurs (Infektiologie in Abbildung 2 [Abb. 2], Geriatrie in Abbildunhg 3 [Abb. 3]), wobei wir aus Gründen der Übersichtlichkeit den Verlauf nur in 2 Semestern darstellen (SS09 und WS 09/10). Die Anzahl der abgeschlossenen Bearbeitungen ist in der Infektiologie in der Woche vor der Klausur im SS 09 (16.7 – 23.7.) mit 2420 fast drei Mal so groß wie im restlichen Sommersemester zusammen (827; vom 15.4. – 15.7.). Im WS 09/10 sind die entsprechenden Zahlen 2083 abgeschlossene Bearbeitungen in der Klausurwoche im Vergleich zu 485 im restlichen Wintersemester. Das gleiche Muster, nur auf wesentlich niedrigerem Niveau zeigt sich auch in der Geriatrie, in der in der jeweiligen Klausurwoche fast drei Mal so viele Fälle vollständig bearbeitet werden wie im restlichen Semester.

Lediglich in einem Kurs, der klinischen Immunologie/Rheumatologie, zeigt sich ein anderes Bearbeitungsmuster (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Hier ist das Verhältnis der vollständigen Bearbeitungen in der Klausurwoche zum restlichen Semester ungefähr 1:1 (im SS09 3739 zu 3562 Fallbearbeitungen und im WS 09/10 2767 zu 2701 Fallbearbeitungen). Ein weitere Besonderheit dieses Kurses ist, dass das erfolgreiche Lösen von 10 - 20 Trainingsfälle verpflichtend ist (s. letzte Spalte in Tabelle 1 [Tab. 1]), wobei ein mehrmaliges Bearbeiten eines Falles erlaubt ist (bis SS 09 20 Trainingsfälle, ab WS 09/10 nur noch 10 Trainingsfälle, wobei das erst unmittelbar vor der Klausur geprüft wurde). Eine Hypothese ist, dass die Studierenden ihre Pflicht im Laufe des Kurses erfüllen und dann in der Woche vor der Klausur die Fälle noch einmal wiederholen, was das spezielle Bearbeitungsmuster erklären könnte. Um alternativ zu prüfen, ob die Fälle wegen der Verpflichtung oder freiwillig durchgearbeitet wurden, haben wir untersucht, wie viele Studierende als „Minimalisten“ nur so viele Fälle lösen, wie sie müssen. Im WS08/09 gab es 36, im SS 09 nur 8 und im WS09/10 16 Minimalisten, die höchstens 2 Fälle mehr gelöst haben als sie mussten, d.h. im Schnitt etwa 15% Minimalisten. Die übrigen 85% haben überwiegend alle verfügbaren Fälle gelöst, viele auch mehrfach. Ein weiteres Indiz, dass die hohe Akzeptanz der Fallbearbeitung nicht in erster Linie von der Verpflichtung zum Lösen der Fälle abhängt, ist, dass die Anzahl der Fallbearbeitungen im WS08/09 und im WS09/10 ungefähr gleich war, obwohl im WS09/10 nur 10 statt 20 Fälle verpflichtend waren. Die Spitzenwerte in der Woche vor der Klausur zeigen auch hier, dass die Studierenden die Fallbearbeitung als sehr gute Vorbereitung zur Klausur wahrnehmen.


Diskussion

Die eingangs gestellte Frage, ob es für eine große Akzeptanz genügt, den Studierenden gute Trainingsfälle zur Verfügung zu stellen, wobei die Nutzungsrate hauptsächlich von der wahrgenommenen Qualität der Trainingsfälle abhängt, muss aufgrund der Daten mit „nein“ beantwortet werden. Es gibt keine Korrelation zwischen der durchschnittlichen Evaluationsnote für Inhalt und Bedienung der Fälle mit der Häufigkeit der Fallbearbeitungen. Die fünfte Akzeptanzklasse von Kursen mit der kleinsten Anzahl bearbeiteter Fälle erhält sogar die besten Bewertungen, aber besitzt wegen der geringen Anzahl von Nutzern und Evaluationen nur eine geringe Aussagekraft. Auch die Länge der Bearbeitungszeit ist kein Indikator für die Häufigkeit der Fallnutzung. Daraus kann natürlich nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, das die Qualität der Fälle grundsätzlich keinen Einfluss auf die Bearbeitungshäufigkeit hat, sondern wir interpretieren die Ergebnisse eher so, dass die Qualität der Fälle aus Sicht der Studierenden in praktisch allen Kursen als gut empfunden wurde und somit nicht als Erklärung für die unterschiedliche Nutzungshäufigkeit dienen kann. Dagegen scheint der Schwierigkeitsgrad der Fälle einen Einfluss auf die Fallnutzung zu haben: wenn der Prozentsatz der Fälle, die die Studierenden nicht auf bei der Erstbearbeitung lösen können, relativ hoch ist, ist die Nutzungshäufigkeit im Durchschnitt eher niedrig. Eine Erklärung könnte sein, dass die Studierenden in der Vorlesung nicht das Wissen vermittelt bekommen haben, dass sie zur Falllösung brauchen, d.h. das die Fälle nicht sehr gut auf den Vorlesungsinhalt abgestimmt sind.

Obwohl allgemein bekannt ist, dass Medizinstudierende sich sehr gezielt auf Prüfungen vorbereiten und entsprechend die Bearbeitung von Trainingsfällen vor Prüfungen steigt, hat uns die Eindeutigkeit und Stärke des Zusammenhangs zwischen der Fallbearbeitungsfrequenz und dem Klausurzeitpunkt doch überrascht. In der Infektiologie und den meisten anderen Kursen werden in der Woche vor der Klausur drei Mal so viele Trainingsfälle bearbeitet wie in der gesamten restlichen Vorlesungszeit von ca. 14 Wochen, d.h. die Nutzungshäufigkeit ist in dieser Woche um ca. den Faktor 40 höher als in einer durchschnittlichen Woche. Dieses Muster zeigt sich bei allen Akzeptanzklassen, d.h. bei Kursen mit hoher und geringer Fallnutzung. Lediglich die klinische Immunologie/Rheumatologie bildet eine Ausnahme. Da dies auch der einzige Kurs ist, in dem die Bearbeitung eines Teils der Fälle verpflichtend war, und andererseits gezeigt wurde, das ca. 85% der Kursteilnehmer wesentlich mehr Fälle lösen als sie müssen, könnte man die Verpflichtung als einen Anreiz sehen, die Fälle schon deutlich vor der Klausur (erstmalig) zu lösen.

In unseren Daten können wir außer dem Schwierigkeitsgrad der Fälle keinen Parameter finden, der die unterschiedliche Nutzungshäufigkeit der Trainingsfälle erklärt. Neben möglicherweise unterschiedlichem Interesse der Studierenden an den Fächern ist eine naheliegende Hypothese, dass die Fälle umso häufiger bearbeitet werden, je höher ihre wahrgenommene Prüfungsrelevanz ist. Dies würde auch erklären, warum zu schwierige Fälle seltener durchgespielt werden, wenn die Vermutung stimmt, dass das ein Indiz für eine reduzierte Übereinstimmung zwischen Fallinhalt und Vorlesungsinhalt und damit auch Prüfungsinhalt ist. Die wahrgenommene Klausurrelevanz kann wiederum von unterschiedlichen Faktoren abhängen, z.B. davon, wie stark die Dozenten, ggf. auch Kommilitonen, das Lösen von Trainingsfällen als Vorbereitung für die Klausur empfehlen, wie gut die oben angesprochene Kongruenz von Vorlesungs-, Prüfungs- und Fallinhalten ist, welche Lernalternativen die Studierenden haben und wie attraktiv diese sind, wie gut sich verschiedene Lernalternativen ergänzen, wie stark die Fächer für das Studium gewichtet werden, welche generellen Lern- und Prüfungsvorbereitungsstrategien Studierende haben usw. Eine genauere Untersuchung dieser möglichen Faktoren und des Zusammengangs mit Eigenschaften der Trainingsfälle wäre sehr interessant, aber würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dazu müssten sehr viel mehr Daten zum Lern- und Prüfungsvorbereitungsverhalten der Studierenden erhoben werden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es nicht reicht, den Studierenden einfach bedienbare und qualitativ gute Trainingsfälle anzubieten, um eine hohe Nutzungsrate zu erreichen. Trainingsfälle werden hauptsächlich kurz vor der Klausur bearbeitet, daher scheint die wahrgenommene Klausurrelevanz entscheidend für die Nutzungsrate zu sein.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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