gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Famulaturreife: Eine Idee auf dem Prüfstand

Forschungsarbeit Humanmedizin

Suche in Medline nach

  • corresponding author Christoph Stosch - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Köln, Deutschland; Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Interprofessionelles Skills Lab und Simulationszentrum, Köln Deutschland
  • Alexander Joachim - Universität zu Köln, Fachschaft Medizin, Köln, Deutschland
  • Joahnnes Ascher - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Interprofessionelles Skills Lab und Simulationszentrum, Köln Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2011;28(3):Doc41

doi: 10.3205/zma000753, urn:nbn:de:0183-zma0007534

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2011-28/zma000753.shtml

Eingereicht: 30. Juni 2009
Überarbeitet: 19. April 2011
Angenommen: 27. April 2011
Veröffentlicht: 8. August 2011

© 2011 Stosch et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Mit dem Modellstudiengang Humanmedizin hat die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln begonnen, die praktische Ausbildung, deren erster Schritt die „Famulaturreife“ ist, systematisch zu planen. Dabei wurden die handlungsleitenden Strukturen, entlang derer das Curriculum entwickelt wurde, auf Experteneinschätzung basierend entworfen. Dieses Vorgehen wurde nun einer Validierung unterworfen.

Material und Methode: Sowohl Studierende als auch Lehrende wurden mit einem Fragebogen zur Ausbildung in Praktischen Fertigkeiten konfrontiert, um das Konstrukt „Famulaturreife“ zu bestätigen.

Ergebnisse und Diskussion: Das Kölner Ausbildungsprogramm zur „Famulaturreife“ kann insgesamt empirisch durch die Tätigkeiten der Studierenden im Rahmen der Famulatur sowie durch die Einschätzung seitens der ausbildenden Ärzte bestätigt werden. Der subjektiv durch die Studierenden bewertete Nutzen ist steigerungsfähig. Hier kann, neben kleineren Programmverbesserungen, am ehesten eine überregionale Gesamtstrategie für die Etablierung von curricular geplantem Fertigkeitstraining nachhaltig Abhilfe schaffen.

Schlüsselwörter: Fertigkeitstraining, Curriculumsentwicklung


Einleitung

Zum Wintersemester 2003/2004 wurde an der Universität zu Köln der Modellstudiengang Medizin „4C“ (Competence-based Curriculum Concept Cologne) eingeführt [1], [2], [3]. Ergänzend zu den Zielvorstellungen der Approbationsordnung für Ärzte [4] ist das spezifische Profil des Modellstudiengangs im sog. Leitbild Lehre festgelegt [5]: „Kölner Absolventen haben

  • die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, um die wichtigen und häufigen Erkrankungen sowie akut lebensbedrohliche Situationen zu erkennen und deren Behandlung einzuleiten;
  • legen Verhaltensweisen und Einstellungen an den Tag, welche ihrer Akzeptanz durch Patientinnen und Patienten und Angehörigen der Heilberufe, sowie dem Ansehen der Ärzteschaft in der Gesellschaft förderlich sind;
  • sind willens und geeignet, eine eigenverantwortliche und wissenschaftlich fundierte Weiterbildung in Allgemeinmedizin, aber auch in einer klinischen Disziplin oder einem Grundlagenfach ihrer Wahl aufzunehmen.“

Diese Zielvorgabe wird im Wesentlichen durch die folgenden, neuen Studienelemente [1], [2] in Kombination mit traditionellen Fach- und Querschnittsveranstaltungen umgesetzt:

  • interdisziplinäre Kompetenzfelder (insgesamt 88, mit 5-12 Stunden Unterrichtszeit zu wichtigen und häufigen Themen der ambulanten und stationären Versorgung; Kompetenzfelder 1-24 im 1. Studienabschnitt)
  • Studienbegleitende Patientenbetreuung („StudiPat“) in welcher Studierende ab dem 1. Studiensemester in Praxen für Allgemeinmedizin mit jeweils einem Patienten für die ersten vier Studienjahre in Kontakt gebracht werden
  • Organisation von klinischen Blockpraktika ab dem 5. Studiensemester
  • Angebot eines Wahlcurriculums am Ende eines jeden Semesters über Wahlpflichtblöcke
  • wissenschaftliche Qualifizierung über zwei Projekte, in denen die Studierenden sich in wissenschaftliche Themen einarbeiten sollen
  • Fertigkeitstraining im KISS (Kölner Interprofessionelles Skills Lab und Simulationszentrum).

Das KISS ist eine zentrale Einrichtung des Studiendekanats und dient dem Erlernen und selbstständigen Üben praktischer ärztlicher Tätigkeiten in allen Outcome-Bereichen nach Harden [6], [7]. Entgegen der in der deutschsprachigen Diskussion tradierten, prozessualen Unterteilung von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen, geht die Outcome-basierte Ausbildung von der Definition des Endzustandes (=outcome oder an anderer Stelle und begrifflich unscharf „kompetenzbasiert“ [8], [9]) aus. Hier werden drei unterschiedliche Ebenen zur Curricularentwicklung diskutiert (aufeinander aufbauend): „Doing the right thing“ meint dabei die Ebene des Wissens und der Fertigkeit, Anforderungen im klinischen Alltag zu erfüllen. Die zweite Stufe („Doing the things right“) meint die emotionale, analytische und kreative Intelligenz, die richtigen Dinge richtig einzusetzen (Reflexion 2. Ordnung). Auf einer dritten Ebene steht die Person und deren zukünftige Entwicklung im Mittelpunkt („The right one doing it“): die professionelle Rolle in der sozialen und gesellschaftlichen Realität. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren immer mehr Curricularentwicklungen aus diesem Blickwinkel heraus betrieben, konsekutiv auch die Anpassung an Akkreditierungskriterien im englischsprachigen Raum gefordert [10]. Dies erstaunt allerdings angesichts des sehr dünnen bis fehlenden Wirksamkeitsnachweises insbesondere mit Blick auf die 3. Ebene „Attitudes“ und „Professionalism“ [11].

Basierend auf diesen Entwicklungsprinzipien und adaptiert an die Notwendigkeiten der ärztlichen Ausbildungsordnung werden die klinischen Fertigkeiten und Fähigkeiten in Köln in drei großen Bereichen unterrichtet: Notfallkompetenz, Gesprächstraining und „Technische Skills“. Diese Elemente ziehen sich in einer Lehr-Lern-Spirale durch das gesamte Studium, wobei als Lehrziel nach fünf Semestern die sog. Famulaturreife erreicht werden sollte und nach zehn Semestern die „PJ-Reife“. In Tabelle 1 [Tab. 1] sind die Unterrichtsinhalte des Fertigkeiten-Trainings bis zur Famulaturreife nach Semestern dargestellt.

In einem sich anschließenden formativen OSCE (Objective Structured Clinical Examination, vgl. Harden und Gleeson [12]) im 5. Studiensemester mit sechs Stationen erhalten die Studierenden ein Feedback über die praktischen Fertigkeiten auf einem deutsch-englischen Zertifikat: die Famulaturreife.

Das Programm vom ersten Studiensemester bis zur Famulaturreife ist auf Expertenwissen basierend in einer Arbeitsgruppe der Studienkommission der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln beginnend mit dem Wintersemester 2003/2004 und unter Beteiligung verschiedener Fachrichtungen (Anästhesie, Psychosomatik, Transfusionsmedizin, Innere Medizin) entlang des im Delphi-Verfahren festgelegten „Leitbild Lehre“ [5] erarbeitet worden. Um dieses Vorgehen retrospektiv einer Validierung zu unterziehen, wurden zwei Fragestellungen untersucht:

  • Welche Fertigkeiten verlangen die betreuenden Klinikärzte und niedergelassenen Ärzte von den Famulierenden?
  • Wie häufig konnten die Studierenden im Rahmen der Famulatur welche Fertigkeiten anwenden und welche Vorteile brachte die Famulaturreifeprüfung ggf. dabei aus ihrer Sicht?

Material und Methoden

Zur Erhebung unter den Lehrenden wurde ein halbstandardisierter, maschinenlesbarer Fragebogen erstellt, dessen Inhalte auszugsweise1 in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt sind. Die Entwicklung der Fragen bezog sich im Wesentlichen unmittelbar auf die vorangegangene Programmplanung im KISS. Offene Fragen wurden zur Ergänzung herangezogen. Der Fragebogen wurde nach einem Prätest zum Fragenverständnis durch zehn zufällig ausgewählte Studierende an die Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Akademischen Lehrkrankenhäuser und der Lehrpraxen in Köln, sowie an die Leitenden Ärzte der Uniklinik Köln per Post versendet.

Zur Erhebung unter den Studierenden wurde ein vom oben genannten Fragenkatalog abgeleiteter, halbstandardisierter, maschinenlesbarer Fragebogen erstellt, der sich an der Lehrwirklichkeit orientiert. Dabei stand in der Befragung der Studierenden nicht deren Einschätzungen der Wichtigkeit von Inhalten des Fertigkeitstrainings sondern die Angabe über die Häufigkeit der Anwendung („empirische Relevanz“) im Rahmen der Famulaturen im Vordergrund (Fragebogen in Auszügen2 siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).

Beide Fragebögen beziehen sich sowohl auf das Lehr-/Lernangebot im Skills Lab KISS als auch auf die in der Famulatur de facto geforderten Fertigkeiten. Zudem wurden hier auch soziodemographische Daten wie Alter und Geschlecht, Studiensemester und Anzahl der Famulaturwochen erfragt sowie nach einer abgeschlossenen Ausbildung im medizinischen Bereich gefragt. Mit einer Gruppe von 14 Studierenden wurde für die Studierendenbefragung ein Prätest durchgeführt. Es wurde allen Studenten und Studentinnen der Zielgruppe (siebtes Fachsemester) der Fragebogen zugeschickt.

Die ausgefüllten Bögen wurden mit Hilfe des Programms Remark® digitalisiert. Anschließend wurden die Daten mit Microsoft Excel® 2003 ausgewertet. Im Folgenden werden Mittelwerte und Standardabweichungen angegeben. Die Grafiken wurden mit Microsoft Excel® 2003 erstellt. Die Auswertung der offenen Fragen erfolgte durch qualitative, strukturierende Inhaltsanalyse nach Mayring [13].


Ergebnisse

Erhebung unter Ärztinnen und Ärzten: 36 von 80 (45%) der an die Krankenhäuser, sowie 77 der 140 (55%) an die niedergelassenen Allgemeinmediziner in Lehrpraxen der Universität zu Köln verschickten Fragebögen wurden ausgefüllt und zurückgesandt. Eine Nacherfassung fand aufgrund der Anonymisierung nicht statt. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt die Einschätzung der Notwendigkeit bzw. Wichtigkeit verschiedener Fertigkeiten für eine Famulaturreife durch die Lehrenden. Während alltägliche Maßnahmen wie etwa die Händedesinfektion oder das Messen von Blutdruck und Puls eine hohe Wertung erfahren, werden die selteneren oder in dem Stadium als zu früh empfundenen Fertigkeiten „abgewertet“ (Legen einer Magensonde oder eines ZVK). Dabei lassen sich signifikante Unterschiede zwischen niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sowie den in der Klinik tätigen Ärztinnen und Ärzten lediglich in den Bereichen Blutabnahme, i.v.-/i.m.-Injektionen sowie Nahttechniken finden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Es zeigt sich, dass insbesondere die für die Stationsroutine erwünschten Tätigkeiten durch die Klinikärzte einen signifikant höheren Zuspruch erhalten.

Menschliche Qualitäten werden von den Klinikern und Praxisärzten unterschiedlich häufig genannt: während hier in den Praxen mit 64% der Nennungen die Fähigkeit zur „Empathie“ als häufigstes Kriterium genannt wurde, fordern dieses nur 36% der Kliniker. Von beiden Gruppen gleichermaßen werden mit jeweils 20% „Zuhören können / Umgang mit dem Patienten“ bzw. „Interesse am Patienten“ genannt.

Ergänzungsvorschläge bzgl. Fertigkeiten und Fähigkeiten, die in das Angebot im KISS hinsichtlich der Ausbildung zur Famulaturreife aufgenommen werden sollten, werden insgesamt nur vereinzelt genannt (z.B. „EDV-Kenntnisse“, „Wundversorgung“ oder „Teamfähigkeit“) und lassen daher keine einheitliche Betrachtung zu.

Erhebung unter den Studierenden: Der Fragebogen wurde an 140 Studierende versandt. Es wurden 75 ausgefüllt zurückgegeben, was einer Rücklaufquote von 54% entspricht. Unter den 75 antwortenden Famulierenden befanden sich 24 männliche und 45 weibliche Studenten (sechs Bögen ohne Angabe des Geschlechts) mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahren. 59 Studierende befanden sich im siebten, sieben im achten und drei in höheren Semestern. Sieben Studierende gaben eine abgeschlossene Ausbildung im medizinischen Bereich an, davon drei Rettungssanitäter (häufigste Nennung). Nur fünf der retournierten Bögen waren durch Studierende des Regelstudiengangs ausgefüllt worden. Daher wurde auf einen Vergleich der Angaben von Modell- bzw. Regelstudiengangsangehörigen verzichtet.

In Abbildung 1 [Abb. 1] sind die Angaben der Studierenden zur Häufigkeit in der Famulatur anzuwendender Fertigkeiten den Einschätzungen der Notwendigkeit bzw. Wichtigkeit dieser Fertigkeiten durch die Lehrenden gegenüber gestellt. Es zeigt sich, dass Häufigkeit und Notwendigkeit (Wichtigkeit) in einigen Fällen deutlich divergieren (insbesondere bei Notfallsituationen). Während die Lehrenden die Ausbildungen in den Untersuchungstechniken für ausgesprochen sinnvoll halten (1,4±0,9), empfinden die Studierenden dies deutlich weniger (2,9±1,7).

In den Freitext-Fragen zu Verbesserungsvorschlägen zum Skills-Training vor der Famulaturreife wurde durch die Studierenden u.a. folgendes geäußert:

  • bessere Vermittlung des Stoffes (neun Nennungen).
  • mehr Möglichkeiten zum Üben und Wiederholen (fünf Nennungen)
  • Üben an realen Personen (drei Nennungen)
  • Erlerntes selbst üben statt dem Dozenten zuschauen (drei Nennungen)
  • kleinere Gruppen (zwei Nennungen).

Obwohl anamnestische Fertigkeiten, wie in Abbildung 1 [Abb. 1] ersichtlich, als relevant und häufig durchgeführt beschrieben werden beschrieben werden (aber immerhin 16% konnten eigenen Angaben zufolge in den Famulaturen keine Anamnese üben), beurteilen die Studierenden selbst den Lerneffekt des Anamnese- und Gesprächskurses als eher moderat (von 2,9±1,7 bis 3,1± ,4, s. Frage 7b in Tabelle 3 [Tab. 3]). Dies ist konsistent mit den durch die Ärzte geforderten verstärkten Trainings der Anamnese (1,7±1,1; s. Frage 10 in Tabelle 2 [Tab. 2]).

Das nach der OSCE-Prüfung im 5. Semester ausgestellte Zertifikat sollte ebenfalls durch die Studierenden beurteilt werden: sie beurteilten das hiermit verbundene Feedback zu ihren praktischen Leistungen als eher mäßig hilfreich (3,4±1,7 auf einer 6-Punkte Likert-Skala mit 1=maximal hilfreich und 6=überhaupt nicht hilfreich). Als noch geringer wurde der Nutzen des Zertifikats für die Bewerbung um einen Famulaturplatz beurteilt (4,7±1,8). Dies korrespondiert mit der Angabe der Ärzte, die nur zu 6% angaben, das Zertifikat überhaupt zu kennen.


Diskussion

Mit dieser Studie sollte die expertenbasierte Ausbildungsplanung hinsichtlich praktischer Fertigkeiten der ersten fünf Studiensemester im Modellstudiengang Humanmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln empirisch validiert werden. Zur Validierung der Ausbildungsziele wurden sowohl die Studierenden als auch die Lehrenden befragt und diese Ergebnisse miteinander verglichen. Zudem wurden die Studierenden nach ihrem subjektiven Gewinn durch einen Teil der Ausbildung im KISS befragt.

Im Großen und Ganzen lässt sich das Ausbildungsziel der „Famulaturreife“, wie es für Köln postuliert wurde, anhand der Daten der Studierenden und Lehrenden bestätigen:

Es zeigt sich, dass die im Skills Lab explizit gelehrten Fertigkeiten zur Famulaturreife in der Tat in den Famulaturen überwiegend häufig Anwendung finden. Auch der Umgang mit Infusionen, der nicht ausdrücklicher Inhalt des Fertigkeitstrainings ist, wird sozusagen „en passant“ mit dem Legen von Venenverweilkanülen gemeinsam vermittelt. Interessanterweise sehen sich die Studierenden häufiger mit den Themen „Ultraschall- und EKG-Diagnostik“ konfrontiert als vermutet. Hier kann überlegt werden, ob programmatisch nachgebessert werden muss, um dem Bedarf in den Famulaturen nachzukommen. Auf der anderen Seite werden diese Unterrichtsinhalte des klinischen Studienabschnittes zu einem späteren Zeitpunkt eingehender unterrichtet. Das entspricht dann auch der Einschätzung der befragten Ärzte, die beide Fertigkeiten nicht zu den für die Famulatur notwendigsten zählen (Ultraschall noch weniger nötig als EKG).

Die aufgedeckten Divergenzen zwischen der durch die Lehrenden eingeschätzten Notwendigkeit einerseits und der von Studierenden genannten, erlebten Häufigkeit von in den Famulaturen angewandten, notfallmedizinischen Kompetenzen lassen sich zwanglos dadurch erklären, dass diese Fertigkeiten zwar in bestimmten Situation immens wichtig (ggf. lebensrettend), in der Realität aber fast nie durch die Studierenden anzuwenden sind. Bemerkenswert sind Abweichungen in der von den Studierenden angegebenen Häufigkeit der Anwendung der Techniken zur körperlichen Untersuchung von der Einschätzung der Notwendigkeit laut ausbildender Ärzte: Diese werden in der Rangreihenfolge durch die Lehrenden an 2. Stelle und durch die Studierenden erst an 5. Stelle geführt. Zwar kann der methodische Ansatz, die Häufigkeit der Anwendung klinischer Fertigkeiten auf Seiten der Studierenden mit der Notwendigkeitseinschätzung der Lehrenden zu vergleichen als problematisch angesehen werden. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die Studierenden zu diesem Zeitpunkt -erstes bis zweites klinisches Semester- über nur geringe Einschätzung zur Notwendigkeit einer Fertigkeit verfügen, wohl aber die Häufigkeiten anhand der eigenen Erfahrung wiedergeben können. Die Häufigkeiten des Einsatzes von Fertigkeiten in den Famulaturen durch die Lehrenden schätzen zu lassen, scheint ebenfalls unsicher, da die Einschätzung aufgrund von Arbeitsbelastung und Betreuung eines Famulanten durch verschiedene Ausbilder nicht valide sein kann. Eine Vorstellung über die Notwendigkeit bestimmter Fertigkeiten für die klinische Tätigkeit der Famulanten aber besitzen alle Ärzte.

Die Unterschiede zwischen der eingeschätzten Notwendigkeit in der Bereichen „Blutabnahme“, „i.v.-/i.m.-Injektion“ und „Nahttechniken“ durch Klinikärzte einerseits und niedergelassene Kollegen andererseits verwundern angesichts der jeweiligen Tätigkeitsfelder wenig. Hier ist aber zu beachten, dass die Praktische Ausbildung auf beide Situationen, eine Famulustätigkeit im stationsärztlichen und im niedergelassenen Alltag, vorbereiten muss.

Wenn auch der Nutzen des größten Teils der in der Ausbildung vermittelten Fertigkeiten durch die Ergebnisse unserer Befragung bestätigt wird, gibt ein kleiner Teil, wie zum Beispiel das Katheterisieren der Harnblase, welches offensichtlich eine eher geringe Relevanz im klinischen Alltag eines Famulanten hat (Rangreihenfolge Platz 15 von 18 Items aller Fertigkeiten nach Abbildung 1 [Abb. 1]), Raum für Reorganisation: im Fokus dieser Vermittlungseinheit liegt mittlerweile der Umgang mit „sterilen Flächen“ und dies wird am Beispiel der Harnblasenkatheterisierung vermittelt.

Interessant ist die doppelt so häufige Nennung der Kategorie „Empathie“ in den Freitextantworten auf die Frage nach menschlichen Qualitäten der Studierenden in den Augen der klischeehaften Vorstellung vom Alltag im Krankenhaus einerseits und in der Hausarztpraxis andererseits, liegt ein Erklärungsansatz hierfür in der Heterogenität der in der Qualitativen Inhaltsanalyse verwendeten Kodierung, bei der unter „Empathie“ auch Forderungen wie „Demut“ (dem Patienten gegenüber) subsumiert wurden. Wie dem auch sei gibt dies im Weiteren Anlass insbesondere über die Vermittlung von „Einstellungen“, wie sie auch im Leitbild Lehre (s.o.) genannt sind und der dritten Ebene des „Outcome-basierten“ Lernens (Professionalisierung [6]) entsprechen, nachzudenken; denn Empathie gilt als eine Voraussetzung für gelungene Arzt-Patienten-Interaktion. Zwar konnte – als erster Schritt auf dem Weg zu einer reflektierteren Arzt-Patienten-Interaktion – schon früher für das „Erstsemestertutorium Medizinpsychologie“ (heute: „Einführung in die Bio-Psycho-Soziale Medizin“ als Auftaktveranstaltung für die Vermittlung der Gesprächskompetenz) gezeigt werden, dass die Denkrationale der Studierenden nachhaltig in Richtung eines multidimensionalen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit gelenkt wird [14], [15], [16], [17]. Einer komplexen Einstellungsmodulation3, wie im Leitbild Lehre [5] gefordert, entspricht dies allerdings noch nicht (s. hierzu auch [6]). In sofern kann der Hinweis in den Freitexten der Ärzte als Hinweis auf Unzulänglichkeiten der bisherigen Bemühungen, eine adäquate Arzt-Patienten-Kommunikation zu lehren, interpretiert werden. In diesem Zusammenhang lässt die Einschätzung der Studierenden des Modellstudiengangs, in der Ausbildung der Arzt-Patienten-Kommunikation noch nicht ausreichend trainiert zu sein, allerdings auch die Interpretation einer nunmehr reflektierteren Tätigkeitsausführung in Kenntnis der Prozedur und ihrer „Gefahren“ zu. Insbesondere weil die Qualität der Selbstangaben der Studierenden als Quelle fraglich ist, muss diese Fragestellung allerdings durch weitere Studien bearbeitet werden. Der mögliche Hinweis indes, dass eine intensivere Beschäftigung mit der praktischen Ausbildung (zunächst) auch zu einer unvermuteten Verunsicherung führen kann, darf nicht unerwähnt bleiben.

Da ein geordnetes Curriculum im Bereich des Fertigkeitstrainings in Deutschland nicht zum Ausbildungsstandard gehört (und in der aktuellen ÄAppO nicht explizit gefordert wird), verwundert es nicht, dass die Ergebnisse der Frage nach der Nützlichkeit des OSCE-Zertifikats am Ende der Ausbildungsphase in Semester fünf keinen subjektiven Nutzen für die Studierenden erkennen lassen. Ob das alleine dem Umstand geschuldet ist, dass diese Zertifizierung in den Kliniken und Praxen bislang noch zu wenig bekannt ist oder ob die Studierenden das Zertifikat bei ihrer Famulaturbewerbung erst gar nicht erwähnen, können unsere Daten nicht beantworten. Interessanterweise ergeben die (vereinzelten) Erfahrungsberichte von Famulierenden im Ausland ein anderes Bild.

Auch wenn an der Wahrnehmung eines Zugewinns durch das Fertigkeitstraining in der Vorklinik mit dem Ziel einer Famulaturreife offensichtlich noch gearbeitet werden muss (der Nutzen des OSCE-Feedbacks kann ggf. durch fertigkeitsbereichsbezogene Auswertungen – Hygiene-Skills, feinmotorische Skills, u.a. – gesteigert werden), scheint das Konstrukt an sich viabel und valide. Der Erfolg des Konzepts insgesamt und mithin die positive Wahrnehmung bei den Studierenden kann sich aber erst im Kanon der bundesweiten Ausbildungsdebatte um den gerade entstehenden Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog [18] voll entfalten: ob eine Übertragbarkeit dieses Konzepts der Famulaturreife (und darauf basierend der PJ- und Weiterbildungsreife) möglich ist, wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt zeigen lassen. Die Entwicklung von an die lokale Ausbildung angepassten Trainingsprogrammen für ärztliche Fertigkeiten jedenfalls steckt im deutschsprachigen Raum eben immer noch in den Kinderschuhen und muss vielfältig weiter betrieben werden. Die Idee der Famulaturreife kann hierzu zumindest einen konzeptionellen Rahmen liefern.


Anmerkung

1 Darüber hinaus enthielt der Fragebogen an die Lehrenden einstellungsbezogene Fragen zur generellen Trainierbarkeit von Fertigkeiten sowie zur unterschiedlichen Performanz der Studierenden aus Regelstudiengang (nach 8. ÄAppO) und Modellstudiengang (nach 9. ÄAppO). Auf diese Fragen wird im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen, da die Unterscheidung von Regel- und Modellstudiengangsstudierenden für die Befragten offensichtlich nicht möglich war.

2 Darüber hinaus beinhaltete der studentische Fragebogen eine Einschätzung der eigenen Kompetenz im Vergleich zu Regelstudierenden (Studierende nach alter Studienordnung bzw. 8. ÄAppO). Diese Fragen wurden aufgrund des geringen Rücklaufs nicht weiter untersucht.

3 Siehe am Leitbild Lehre in der Studienordnung Humanmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln entwickelte Ausbildungsziele (§ 1 Abs. 3 „Einstellungen“) [5]:

  • Bereitschaft, die ethischen Prinzipien der Medizin in Praxis und Forschung anzuwenden;
  • Respekt und Ehrlichkeit gegenüber Patientinnen und Patienten und Kolleginnen und Kollegen;
  • Realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen sowie Bereitschaft, daraus angemessene Konsequenzen zu ziehen;
  • Verantwortungsbereitschaft und Genauigkeit;

Danksagung

Besonderer Dank gilt Frau Imke Wietoska, Frau Marlen E. Sauer und Frau Charlotte M. Schober, die an der Erstellung der Datenbasis der Umfragen im Rahmen ihres wissenschaftlichen Projektes mitgewirkt haben. Herrn PD Dr. Jan Matthes danke ich herzlichst für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Masterarbeit im Rahmen des MME-D.


Literatur

1.
Stosch C, Novak DC, Herzig S. Competence-based Contextualised Curriculum Cologne (4C®): The evolution of the new first year students in Cologne. (Abstract) Annual Conference of the Association for Medical Education in Europe in Edinburgh, UK, 05.-08.09.2004. Edinburgh: AMEE Abstract Book; 2004. S.25-26.
2.
Herzig S, Stosch C, Kruse S, Eikermann M, Mosges R. The Competence-based Curriculum Concept of Cologne (4C) – a curriculum mapping procedure to integrate discipline, problem, and outcome-based learning. (Abstract) Annual Conference of the Association for Medical Education in Europe in Edinburgh, UK, 31.08-03.09.2003. Edinburgh: AMEE Abstract Book. 2003. S.71. Zugänglich unter/available from: :http://www.amee.org/index.asp?lm=49 Externer Link
3.
Stosch C, Lehmann K, Herzig S. Time for Change – Die Implementierung des Modellstudiengangs Humanmedizin in Köln. ZFHE. 2008;3(3):36-47.
4.
Bundesministerium für Gesundheit. 9. Novelle der Approbationsordnung für Ärzte. Bundesgesetzbl. 2002;Teil I (Nr. 44):2405-2435.
5.
Universität zu Köln. Amtliche Mitteilungen der Universität zu Köln. Studienordnung für den Studiengang Medizin an der Medizinischen Universität zu Köln mit dem Abschluss der Ärztlichen Prüfung vom 13.08.2008. Köln: Universität zu Köln; 2008. S,67.
6.
Harden RM, Crosby JR, Davis MH. AMEE-Guide No. 14: Outcome-based-education: Part 1 – An introduction to outcome based education. Med Teach. 1999;21(1):569-584. DOI: 10.1080/01421599979969 Externer Link
7.
Veloski J Boex J R, Grasberger MJ, Evans A, Wolfson DB. Systematic review of the literature on assessment, feedback and physicians’ clinical performance: BEME Guide No. 7. Med Teach. 2006;28(2):117-128. DOI: 10.1080/01421590600622665 Externer Link
8.
Bradley, EH, Cherlin E, Busch SH, Epstein A, Helfand B, White WD. Adopting a Competency-Based Model: Mapping Curricula and Assessing Student Progress. J Health Adm Educ. 2008;25(1):37-51.
9.
Litzelman DK, Cottingham AH. The New Formal Competency-Based Curriculum and Informal Curriculum at Indiana University School of Medicine: Overview and Five-Year Analysis. Acad Med. 2007;82(4):410-421. DOI: 10.1097/ACM.0b013e31803327f3 Externer Link
10.
Davis DJ, Ringstedt C. (2006): Accreditation of Undergraduate and Graduate Medical Education: How Do the Standards Contribute to Quality? Adv Health Sci Educ. 2006;11(3):305-313. DOI: 10.1007/s10459-005-8555-4 Externer Link
11.
Davis MH, Amin Z, Grande JP, O'Neill AE, Pawlina W, Viggiano TR, Zuberi R. Case studies in outcome-based education. Med Teach. 2007;29(7):712-722. DOI: 10.1080/01421590701691429 Externer Link
12.
Harden RM, Gleeson FA. Assessment of clinical competence using an objective structured clinical examination (OSCE). Med Educ. 1979;13(1);41-54. DOI: 10.1111/j.1365-2923.1979.tb00918.x Externer Link
13.
Flick U, von Kardorff E, Keupp H, von Rosenstiel L, Wolff S. Handbuch Qualitative Sozialforschung. 2. Aufl. Beinheim: Psychologie Verlags Union; 1995. S 209 ff.
14.
Obliers R, Heindrichs G, Köhle H. Konzeption und Evaluation eines problemorientierten Erstsemester-Tutoriums in der Medizinpsychologie. In Senf W, Heuft G (Hrsg). Gesellschaftliche Umbrüche - individuelle Antworten: Aufgaben für die psychosomatische Medizin. Frankfurt: VAS - Verlag für Akademische Schriften; 1995. S261-282.
15.
Heindrichs G, Obliers R, Köhle K. Welche Fähigkeiten fördert Problemorientiertes Lernen bei Studierenden der Medizin? Evaluation eines Erstsemester-Tutoriums, Medizinische Psychologie’? Psychother Psychosom Med Psychol. 1999;49(6):208-213.
16.
Obliers R, Schwan R, Koerfer A, Köhle K. Fördert problemorientiertes Lernen die Verbindung von biologischen und psychosozialen Krankheitskonzepten? Med Ausbild. 2000;17:131.
17.
Obliers R, Koerfer A, Köhle K. Integrationspotenziale problemorienten Lernens. In: von Troschke J (Hrsg). Innovative Ansätze zur Lehre in den psychosozialen Fächern in der ärztlichen Ausbildung. Freiburg: Universität Freiburg, Abteilung für Med. Soziologie; 2002.
18.
Hahn EG, Fischer MR. Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin (NKLM) für Deutschland: Zusammenarbeit der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und des Medizinischen Fakultätentages (MFT). GMS Z Med Ausbild. 2009;26(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000627 Externer Link
19.
Shumway JM, Harden RM. AMEE-Guide No. 25: The assessment of learning outcomes for teh competent and reflective physician. Med Teach. 2003;25(6):569-584. DOI: 10.1080/0142159032000151907 Externer Link