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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Prävention und Gesundheitsförderung im Medizinstudium: Querschnittstudie zu Präferenzen, Haltungen und Vorkenntnissen von Studierenden

Forschungsarbeit Humanmedizin

  • corresponding author Andreas Klement - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle/Saale, Deutschland
  • author Kristin Bretschneider - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle/Saale, Deutschland
  • author Christine Lautenschläger - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Halle/Saale, Deutschland
  • author Andreas Stang - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Medizinische Epidemiologie, Halle/Saale, Deutschland
  • author Markus Herrmann - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland
  • author Johannes Haerting - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Halle/Saale, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2011;28(1):Doc17

doi: 10.3205/zma000729, urn:nbn:de:0183-zma0007292

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2011-28/zma000729.shtml

Eingereicht: 27. Mai 2010
Überarbeitet: 5. November 2010
Angenommen: 8. November 2010
Veröffentlicht: 4. Februar 2011

© 2011 Klement et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung: Der interdisziplinäre Querschnittsbereich „Prävention und Gesundheitsförderung“(Q10) wurde durch die neue Ärztliche Approbationsordnung 2004 in die medizinische Ausbildung eingeführt. Für eine effektive Unterrichtskonzeption sind Bestands- und Bedarfsanalysen der Zielgruppe erforderlich. Bisher ist jedoch zu präventionsbezogenen studentischen Präferenzen für Unterrichtsformate, Haltungen und selbst eingeschätzten Vorkenntnissen im deutschen Sprachraum wenig bekannt. Unsere explorierende Querschnitts-Erhebung bietet hierzu erste Daten.

Methoden: Medizinstudierende (n=220) des fünften Studienjahres an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurden vor Absolvierung des Q10-Curriculums mittels standardisierter Fragebögen befragt. Schwerpunkte der Befragung waren Selbsteinschätzungen von fachspezifischen Vorkenntnissen, bevorzugte Unterrichts- und Leistungsnachweisformen sowie Bedeutungseinschätzungen von Präventionsthemen und Gesundheitsrisiken. Die Erhebungsinstrumente umfassten Mehrfachantwortmöglichkeiten, 5-Punkt-Likert-Skalen und offene Fragen.

Ergebnisse: Es konnten 94 Fragebögen (42% Rücklauf) ausgewertet werden. Prävention und Gesundheitsförderung wurden von 68% als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ für die eigene ärztliche Tätigkeit gehalten. Die Befragten bevorzugten selbst bestimmte Lehr- und Lernstrategien und fallbezogene Unterrichtskonzepte und wünschten zu 78% überwiegend mündliche Leistungsnachweise. Eigene Vorkenntnisse zu präventionsrelevanten Themengebieten wurden niedrig eingeschätzt. Favorisiertes Lernziel war die Entscheidungsfindung im Arzt-Patienten-Verhältnis. Für die ärztliche Gesundheitsberatung wurden Lebensstilrisiken aus dem Bereich der Primärprävention und psychische Erkrankungen besonders häufig als „sehr wichtig“ eingeschätzt.

Fazit: Die studentische Relevanzeinschätzung des Themengebietes weist auf ein Motivationspotential hin, das durch eine geeignete Auswahl von Lehr- und Prüfungsformen für die effektive und praxisrelevante Vermittlung von Lehrinhalten nutzbar ist. Geringe Vorkenntnisse in der Selbsteinschätzung der Studierenden stellen besondere Anforderungen an die Unterrichtsentwicklung.

Schlüsselwörter: Curriculum, Gesundheitsförderung, Prävention, interdisziplinäre Lehre, Evaluation


Einleitung

Die novellierte Ärztliche Approbationsordnung (ÄAppO) führte seit 2004 erstmalig interdisziplinäre „Querschnittsbereiche“ in die ärztliche Ausbildung in Deutschland ein. Hierunter fiel als „Querschnittsbereich 10“ (Q10) auch „Prävention und Gesundheitsförderung“ als eigenständige Unterrichtsveranstaltung mit benotetem Leistungsnachweis [1]. Mit der neuen ÄAppO und Einführung der Querschnittsbereiche wurden hohe Erwartungen an eine Verbesserung der Qualität der medizinischen Ausbildung verknüpft, mit dem Ziel „das Medizinstudium durch Anpassung an die veränderten Anforderungen in der medizinischen Wissenschaft und in der gesundheitlichen Versorgung so wie durch grundlegende Verbesserung der berufspraktischen Ausbildung zu reformieren“ [2]. Querschnittsbereiche bieten hierfür mit ihrem fächerübergreifenden themenbezogenen Ansatz eine besondere Chance zur Verknüpfung klinischer Bezüge mit theoretischen Wissensgebieten [3].

Für die inhaltliche und methodische Konzeption der Querschnittsbereiche ließ der Gesetzgeber den Universitäten weitgehenden Freiraum. Hierdurch besteht eine große Chance zur zielgruppengerechten Gestaltung auf Basis regionaler Strukturen. Obwohl die Bedeutung präventiver Inhalte im Medizinstudium in Deutschland wie auch international von Politik und Hochschulen weitgehend übereinstimmend erkannt worden ist, besteht ein heterogenes Bild der Umsetzung an den Hochschulstandorten [4], [5], [6]. Erhebungen zu themenbezogenen Vorkenntnissen der Studierenden und deren präferierten Lehr- und Prüfungsformaten liegen für den deutschen Sprachraum nicht vor und konnten daher nicht in die Studienplanung bzw. Diskussion einbezogen werden. Erfahrungen aus England und den USA belegen jedoch, wie sinnvoll derartige Erhebungen sein können. So zeigte sich, dass der Einsatz von aus Sicht der Lehrenden innovativen Lehrmitteln mit denen die Studierenden keine Vorerfahrungen hatten, ein Hindernis für die effektive Wissensvermittlung darstellen kann [7]. Die von Studierenden bevorzugten Unterrichtsformate ändern sich, in der westlichen Hemisphäre überwiegt mittlerweile die „Generation ICH“, gekennzeichnet durch hohe Intelligenz aber auch die Abneigung gegenüber längeren Texten und dem Wunsch nach kleineren Unterrichtssegmenten, multimedialer Aufbereitung, problemorientierter Herangehensweise und interaktiven Anteilen [8]. Auch wenn die Wünsche der Studierenden allein nicht maßgebende Richtschnur der Curriculumsentwicklung sein können, zeigen internationale Erfahrungen: eine effektive Gestaltung von Lehrveranstaltungen kann wirksam unterstützt werden, wenn neben den fachlich vorgegebenen „WAS“-Inhalten auch das „WIE“ der Lehre unter Berücksichtigung studentischer Vorstellungen und Vorkenntnisse („custom tailored“) konzipiert wird [9], [10].

Basis unser Erhebung der studentischen Perspektive waren vorangegangene Gespräche zwischen Studierenden und Dozenten als „Feed Back“ zu Lehrveranstaltungen.

Ausgehend von unseren geplanten Curriculumsinhalten wurden die Studierenden zu ihren subjektiven Vorkenntnissen, Einschätzungen der Wichtigkeit unserer Lehrziele, präferierten Unterrichts- und Leistungsnachweisformaten und Relevanz von Präventionsthemen in der Medizin im Rahmen einer Querschnittserhebung unmittelbar vor dem Q10-Curriculum mittels standardisierter Fragebögen befragt.


Methoden

Die Studierenden (n=220) des fünften Studienjahres der MLU wurden während der Einführungsveranstaltung zum Querschnittsbereich Q10 mittels eines zweiseitigen standardisierten Fragebogens befragt. Neben soziodemographischen Daten (Alter, Geschlecht) wurde die Note der ärztlichen Vorprüfung erfragt. Der Fragebogen bestand aus sieben Fragenkomplexen, davon zwei zu bevorzugten Lernformen und Leistungsnachweisen mittels Kategorien-Auswahlfragen und zusätzlicher freier Antwortmöglichkeit. Fünf Fragenkomplexe zu Vorkenntnissen, Bedeutungseinschätzungen von Präventionsthemen, Gesundheitsrisiken und Inhalten von Gesundheitsberatungen behandelten die studentische Einschätzung zu jeweils 4-9 Aussagen mittels 5-Punkt-Likert-Skalen. Einheitlich wurde in den Likert-Skalen die Bewertung 1 als höchster Grad der Zustimmung und die Bewertung 5 als niedrigster Grad der Zustimmung einer Aussage formuliert. Hinsichtlich der Länge und des Designs des Fragebogens, der Auswahl und Reihenfolge der Fragen und Antwortkategorien wurden die einschlägigen Empfehlungen berücksichtigt und zuvor ein Konsens unter den beteiligten Hochschullehrern hergestellt [11].

Die Datenanalyse erfolgte mittels SPSS® (Version 12.0) für Häufigkeitsverteilungen, Mittelwertberechnungen (M), Standardabweichungen (SD) und Prävalenzdifferenzen (PD). Für die Beschreibung von Prävalenzdifferenzen im Zusammenhang mit Likert-Skalen wurde dichotomisiert, indem die Zustimmungsgrade “1“ und “2“ als „überwiegende Zustimmung“ zusammengefasst wurden. Prävalenzdifferenzen wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammen mit rohen 95%-Konfidenzintervallen (CI) in gerundeter Form ohne Dezimalstellen angegeben.


Ergebnisse

Von 220 eingeschriebenen Studierenden füllten 42% (n= 94) den Fragebogen vor Absolvierung des Q10 aus. Innerhalb der Fragebogenkategorien zeigten sich mit durchschnittlich 92 Antwortenden nur wenig fehlende Daten. Von den Antwortenden waren 65% weiblichen Geschlechtes (n=61). Das mittlere Alter der Studierenden lag bei 25,3 Jahren (SD=2,0). Der Mittelwert der Angaben zur Physikumsnote betrug 2,97 (SD=0,69).

Welche Lehr- und Lernformen und welche Form des Leistungsnachweises bevorzugen Sie?

Bei möglichen Mehrfachnennungen nannten die Studierenden als bevorzugte Lernform mit 75% Zustimmung (n=70) das Selbststudium, gefolgt von fallorientierten Lernen und Hospitationen mit 54 bzw. 49 Nennungen. Von 36 Studierenden wurden problemorientierte Lerngruppen bzw. von 34 Studierenden andere interaktive Lernformen wie Diskussion im Seminar genannt. Die Besprechung von Texten wurde mit 9 Nennungen am seltensten gewählt. Von der Möglichkeit der Freitexteingabe wurde dreimal Gebrauch gemacht – gewünscht wurde dabei „stärkerer Praxisbezug“ durch z.B. „mehr Bedside-Teaching“.

Bei den Angaben zu bevorzugten Lehr- und Lernformen unterschieden sich männliche und weibliche Studierende: Frauen nannten mit 77% häufiger als Männer mit 69% das Selbststudium (PD=8; CI=(-12,27)) und mit 55% gegenüber 45% bei den Männern die Hospitationen (PD=10; CI=(-11,32)). Die Besprechung von Texten wurde von Frauen mit 5% der Nennungen seltener bevorzugt als von Männern mit 18% (PD=-13; CI=(-28,1)). Unterschiede fanden sich auch in Abhängigkeit von der angegebenen Physikumsnote: Die Gruppe mit Angabe einer Note 1 oder 2 (n=19) erklärte zu 100% eine Präferenz des Selbststudiums gegenüber 67% in der Notengruppe 3-4 (n=71) (PD=33; CI=(22,44)). Dagegen wurde von der Notengruppe 3 bis 4 mit 62% das fallorientierte Lernen häufiger genannt als von der Notengruppe 1 bis 2 mit 47% (PD=-15; CI=(-40,11)).

Zum gewünschten Format des Leistungsnachweises (Auswahlfrage) ließen sich 90% (n=85) der abgegebenen Fragebögen verwerten. Es fand sich eine studentische Präferenz für „Referate mit Diskussion in der (Seminar-)Gruppe“ und anschließende schriftliche Ausarbeitung (36 Nennungen=42%) bzw. für ein „ärztliches Gespräch zur Gesundheitsförderung und anschließender Fallpräsentation in der Gruppe“ (31 Nennungen=36%) gegenüber 13 Nennungen (=15%) für die Durchführung einer Klausur. Andere Prüfungsformen (Freitexteingabemöglichkeit) bevorzugten fünf Studierende und nannten dabei mündliche Prüfungen oder Gruppenarbeiten.

Wie schätzen Sie Ihre Vorkenntnisse ein?

Der Mittelwert aller studentischen Selbsteinschätzungen zu neun unterschiedlichen Themengebieten und Kompetenzebenen des Q10 betrug 3,45 (SD=0,95, n=838). Zwischen 11-28% der Befragten bewerteten ihre Vorkenntnisse zu einzelnen Themen des Q10 wie „Verfahren zur Risikoeinschätzung“ oder „Gesundheitsberatung“ als gut oder besser. Dagegen bewerteten im Hinblick auf „Verfahren zur Risikoeinschätzung“ 60% und für die „Abwägung von Nutzen und Risiko bei Screeningprogrammen“ 48% der Studierenden ihre Vorkenntnisse als „ausreichend“ oder mangelhaft“. Verhältnismäßig kompetent schätzen sich die Studierenden mit Mittelwerten von jeweils um 3,1 in den Bereichen „Präventionsprogramme“, „Gesundheitsbildungsfunktion von Ärzten“ und „Identifizierung gesundheitsfördernder Faktoren“ ein. Die Kenntnis regionaler Gesundheitsziele in Sachsen-Anhalt wich deutlich von den übrigen Bewertungen ab: 57% der Befragten gaben mangelhafte Vorkenntnisse an (Mittelwert=4,4), dies bei einem Anteil der Studierenden mit Geburtsort in Sachsen-Anhalt von 26% (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Für wie wichtig halten Sie folgende Themen, um im Q10 mehr darüber zu erfahren?

Von allen studentischen Wichtigkeitseinschätzungen (n=744) zu den acht konzeptionellen Schwerpunkten des Q10 in Halle betrug der Mittelwert 2,6 (SD=0,9). Der Konzeptschwerpunkt „Entscheidungsfindung im Arzt-Patientenverhältnis“ wird mit einer mittleren Bewertung von 2,2 (SD=0,9) tendenziell wichtiger als die übrigen Themen eingeschätzt: 68% der Befragten halten es für „wichtig“ oder „sehr wichtig“ darüber im Q10 mehr zu erfahren, nur 8% halten dies für „weniger wichtig“ oder „unwichtig“.

Ein Anteil von 14-25% der Befragten hält die übrigen sieben konzeptionellen Schwerpunkte für „weniger wichtig“ oder „unwichtig“ – mit den niedrigsten Werten für „kritisches Lesen“ (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Von den acht angebotenen Präventionsthemen wurden sowohl bei Männern wie auch bei Frauen im Median 4 Themen als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ eingeschätzt. Weibliche Studenten werteten zu 51% „Bevölkerungsbezogene Präventionsansätze“ als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ gegenüber 33% bei ihren männlichen Kommilitonen (PD=18; CI=(-2,39)). Auch die „Bedeutung von Risikokommunikation“ wurde von 46% der Studentinnen gegenüber 34% bei Studenten häufiger als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ eingeschätzt (PD=12; CI=(-9 33)). Anders jedoch die Haltung zum „Kritisches Lesen“: dies bezeichneten 19% der Studentinnen gegenüber 48 % der Studenten als „wichtig“ oder sehr wichtig“ (PD=-29; CI=(-49,9)).

Für wie wichtig halten Sie die folgenden Gesundheitsrisiken?

Die Bedeutung von „Gesundheitsrisiken für eine ärztliche Gesundheitsberatung“ zeigte höhere Wichtigkeitseinschätzungen für Risiken aus dem Bereich der Primärprävention. Als „sehr wichtig“ sahen 64% (M=1,39, SD=0,5) der Befragten die Gesundheitsrisiken aus dem Bereich „Life Style (Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung, körperliche Aktivität)“ und 44% (M=1,6, SD=0,6) das Feld „Psychische Erkrankung oder Überlastung“ an. „Umweltbezogene Faktoren“ und „Genetische Veranlagung“ wurden (M=2,2, SD=0,9) für tendenziell weniger wichtig für ein Beratungsgespräch gehalten. Von männlichen Befragten hielten im Median 5 und bei Frauen im Median 6 Gesichtspunkte für „wichtig“ oder „sehr wichtig“ (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

In allen Kategorien von Gesundheitsrisiken bewerteten Frauen häufiger als Männer diese als „wichtig“ oder „sehr wichtig“: Die deutlichsten Unterschiede in geschlechtsabhängigen Bewertungen finden sich im Hinblick auf „Genetische Veranlagungen“ mit 73% vs. 51% (PD=22; CI=(2,43)), „Umweltbezogene Dispositionen“ mit 80% vs. 62% (PD=18; CI=(-2,37)) und „Soziales Umfeld“ mit 86% vs. 75% (PD=11; CI=(-6,28)).

Für wie wichtig halten Sie Prävention und Gesundheitsförderung?

Für ihr „eigenes Gesundheitsverhalten“ schätzten 53 von 94 Studenten (56%) den Themenbereich des Q10 als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein (M=2,4; SD=1,0). Die Relevanz der Q10-Themen für „meine eigene ärztliche Tätigkeit“ und die „Ärzteausbildung allgemein“ gaben 68% bzw. 62% der Antwortenden als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ an. Für das Fachgebiet der Allgemeinmedizin wurden „Prävention und Gesundheitsförderung“ von 89% der Antwortenden als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ gewertet (M=1,6; SD=0,7). Frauen schätzen im Median alle vier Themen als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein, während Männer dies im Median bei drei Themen angaben. Die deutlichsten Unterschiede in der Relevanzeinschätzung zwischen Männern und Frauen fanden sich für „meine ärztliche Tätigkeit“ mit 73% bei Studentinnen vs. 57% bei Studenten (PD=16; CI=(-4,37)) und für „mein eigenes Gesundheitsverhalten“ mit 67% vs. 36% (PD=31; CI=(11,52)).

Haltungen und Einstellungen: Wie beurteilen Sie folgende Aussagen?

Die Verteilung der Zustimmungsgrade zu fünf Präventionsthesen zeigt deutliche Unterschiede; auch zu komplexeren Formulierungen wurden häufig polarisierte Bewertungen abgegeben. Die als Gegensatzpaar konzipierten Aussagen „Entscheidungen im Arzt-Patientengespräch werden gemeinsam getroffen“ und „Gesundheitsrelevante Entscheidungen trifft der Arzt“ zeigen eine gegenläufige Zustimmungsverteilung: wird der ersten Aussage noch von 84% der Antwortenden „stimme ganz entschieden zu“ oder „stimme zu“ zugewiesen, wird die Gegenaussage von 49% mit „ stimme ganz und gar nicht zu“ oder „stimme nicht zu“ abgelehnt.

Es lehnten 79 Studierende (=83%) die Aussage „Kostenträger profitieren nicht von der Förderung präventiver Maßnahmen“ mit „stimme ganz und gar nicht zu“ ab. Die Effektivität des vorangegangenen Studiums zum Thema „Gesundheitsförderung“ wird mit einem mittleren Zustimmungswert von 3,4 (SD=0,8) und einem Anteil von 42% für „stimme nicht zu“ bzw. „stimme ganz und gar nicht zu“ beurteilt. Frauen und Männer bewerteten zustimmend bei im Median 2 von 4 angebotenen Aussagen (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

Hinsichtlich der Aussage „Gesundheitsrelevante Entscheidungen im Arzt-Patienten Gespräch trifft der Arzt“ stimmten Frauen mit 20% seltener zu als Männer mit 31% (PD=-11; CI=(-30,8)). Der Aussage „Jeder ist für sein riskantes Gesundheitsverhalten selbst verantwortlich“ wird von Studentinnen mit 52% seltener zugestimmt als von ihren männlichen Kommilitonen mit 60% (PD= -8; CI=(-29,13)).


Diskussion

Erhebungsumfeld und Limitationen der Studie

In einer Umfrage zum Stand der Umsetzung des Q10 an den medizinischen Fakultäten Deutschland aus dem Jahr 2007 wurden von Walter et al. die etablierten Q10-Lehrpläne und Lehrziele beschrieben. Mit dem Zeitpunkt und Umfang der Lehrveranstaltungen zum Q10 im fünften Studienjahr, einer erstmaligen Implementierung des Q10 zum Sommersemester 2004 und einer Kombination von Vorlesungen mit Seminarveranstaltungen ist das Untersuchungsumfeld an der MLU typisch für den Q10 in Deutschland [4]. Die vorliegende Studie hatte eine explorierende Zielsetzung; eine gesonderte Prä-Testung des Erhebungsinstrumentes fand nicht statt. Von der Möglichkeit zu Freitext-Eingaben auch zur Kritik des Fragebogens wurde selten Gebrauch gemacht. Ein geringer Anteil von `missing data´ (ca. 2%) in der Erhebung deutet jedoch auf eine ausreichende Bearbeitungszeit und Verständlichkeit der Frage- und Antwortmöglichkeiten hin. Die geringe Teilnehmerproportion von 42% erschwert die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, da über die „Nicht-Teilnehmer“ wenig bekannt ist. Geschlechts-, Vorprüfungsnoten- und Altersverteilung der Antwortenden wichen von allen eingeschriebenen Studierenden des Studienjahres jedoch nicht auffällig ab. Niedrige Power führt zu unpräzisen Effektschätzungen. Insbesondere bei der Betrachtung der Prävalenzdifferenzangaben zu geschlechtsbezogenen Unterschieden fällt auf, dass die Konfidenzintervalle den Wert „0“ mit einschließen, somit auch die Möglichkeit „es besteht kein Unterschied“ nicht ausgeschlossen werden kann.

Bevorzugte Lehr- und Lernformen und Leistungsnachweise

Die Bevorzugung des Selbststudiums als Lernform durch Studierende der MLU kontrastiert zu den in der Literatur als fächerübergreifenden studentischen Präferenzen genannten Praktika und Seminaren [11]. Studierende mit `besseren´ Physikumsnoten bevorzugen das „Selbststudium“; möglicherweise verfügen `Selbstlerner´ über ein höheres Maß an Abstraktionsvermögen und empfinden `Gruppendiskussionen´ als zeitaufwändig und weniger lerneffektiv. Eine mögliche Erklärung hierfür könnten negative Erfahrungen der Studierenden mit interaktiven Lehrkonzepten im Laufe des Studiums sein. Die von Studenten bevorzugten Lernformen beinhalten Konzepte fallorientierten Lernens – wie in Diskussionen von innovativen Lehrkonzepten für die Themen des Q10 in der internationalen Literatur empfohlen und positiv evaluiert [12], [13]. Die studentische Präferenz eines Leistungsnachweises in Form eines Referates kontrastiert mit einer selten gewünschten Klausur. Im Q10 stellen jedoch 86% der deutschen medizinischen Fakultäten eine Klausur – überwiegend im Multiple-Choice-Format, von diesen 87% als alleinigen Leistungsnachweis (4). Im Spannungsfeld beschränkter personeller Ressourcen und einer eingeschränkten Abbildbarkeit von präventionsrelevanten Fertigkeiten in Klausuren lassen sich möglicherweise mittels „Vortrag / Fallpräsentation im Seminar als Leistungsnachweis“ sowohl ökonomische Aspekte und studentische Präferenzen berücksichtigen.

Selbsteingeschätzte Vorkenntnisse

Ihrer Selbsteinschätzung nach erwarben die Studierenden der MLU bis zum fünften Studienjahr wenig präventionsbezogene Vorkenntnisse. Insbesondere Schlüsselkompetenzen der Präventionsarbeit mit klinischer Relevanz wie „Verfahren zur Risikoeinschätzung“ oder „Gesundheitsberatung“ wurden möglicherweise in vorangegangenen Ausbildungsabschnitten nicht ausreichend berücksichtigt. An der MLU und an 40% aller medizinischen Fakultäten wird der Q10 im fünften Studienjahr durchgeführt [4]. Denkbar ist, dass bei einer fächerübergreifenden Betrachtung von Lernzielen die Themenfelder des Q10 einen früheren und umfangreicheren Platz im Curriculum einnehmen sollten – derartige Untersuchungen liegen für den angloamerikanischen Sprachraum vor [14], [15]. Möglicherweise könnte aber auch eine bloße `Exposition´ der Studierenden zu präventionsrelevanten Themen bisher ohne „Lern“-Effekt geblieben sein, weil diese die individuelle Erfahrbarkeit von Präventionspraxis als didaktischen Mittel nicht anbot [16].

Wichtigkeit von Q10-Themen, Gesundheitsrisiken und Gesprächshaltungen

Studentische Wichtigkeitseinschätzungen exemplarischer Themenschwerpunkte des Q10 zeigten einheitlich niedrigere Werte auf als die deutschlandweit von den Q10-Veranstaltern (ebenfalls auf 5-Punkt-Skalen) erhobenen Bedeutungszuweisungen. Lediglich der Konzeptschwerpunkt „Entscheidungsfindung im Arzt-Patientenverhältnis“ wurde von Studenten näherungsweise als ähnlich „wichtig“ oder „sehr wichtig“ wie von den befragten Hochschullehrern eingeschätzt. Diese Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an einer motivierenden und effektiven Vermittlung der Relevanz von Q10-Themen vor und während des Querschnittsbereiches [4]. Eine systematische Planung fächerübergreifenden Unterrichtes sollte daher dessen Integration in den Längsschnitt des gesamten Curriculums umfassen und nicht bei der segmentalen Implementierung von Querschnittsbereichen stehen bleiben [17].

Ein Ausbildungsziel für den Q10 ist die Befähigung künftiger Ärzte zu einer kompetenten Gesundheitsberatung zur Prävention chronischer Krankheiten. Hierzu müssen Gesundheitsrisiken erkannt und eingeschätzt werden. Studierende bevorzugen jedoch `beratungsfähige´ Risiken aus der Primärprävention für die ärztliche Gesundheitsberatung. Nicht typischerweise `primärpräventive´ Risiken wie „Umweltbezogene Faktoren“ und „Genetische Veranlagung“ werden für tendenziell weniger relevant gehalten. Im Hinblick auf eine –nicht nur in der Primärversorgung bedeutsame- ärztliche Funktion als „health coach“ für chronisch kranke und multimorbide Patienten sollten daher im Q10 auch ausreichend sekundär- und tertiärpräventive Aspekte Berücksichtigung finden. Dies wird von den von Walter et al. befragten Hochschullehrern ähnlich beurteilt: zwischen 86 bis 97% haben derartige Themen als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ bewertet und in ihre Unterrichtskonzepte integriert [4]. In fall-zentrierten Unterrichtsmodellen zur Präventionsförderung mit obligatorischen Patientenkontakten kann eine Mischung der unterschiedlichen Präventionsebenen stattfinden und somit zusätzlich instruktiv wirken [18].

Das gesamte Q10-Themenfeld wird von den Studierenden erfreulich häufig als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ beurteilt; wobei weibliche Studierende besonders hervorragen. Dies deutet interessanterweise auf eine hohe Eingangsmotivation der Studierenden hin – wenngleich hiernach nicht explizit gefragt wurde. Aufgabe der Curriculumsentwicklung ist es diese Eingangsmotivation zu erhalten, für eine erfolgreiche Ausbildung zu nutzen und gleichzeitig eine Überstrukturierung und Überfrachtung des Curriculums zu vermeiden. Interessant wäre es, über das Themenfeld des Q10 hinaus, eine jahrgangs- und standortübergreifende Befragung Medizinstudierender zu Vorerfahrungen mit unterschiedlichen Unterrichtskonzepten durchzuführen.


Fazit

Als Lernform für den Q10 bevorzugen die Studienteilnehmer das Selbststudium, ergänzt durch fallorientiertes Lernen und Hospitationen. Für den Leistungsnachweises werden Seminarvorträge zu Literaturthemen oder als Fallpräsentationen favorisiert; Klausuren finden wenig Zustimmung. Eigene Vorkenntnisse zu Q10-Themen werden niedrig eingeschätzt. Studienteilnehmer fokussieren im Hinblick auf Gesundheitsförderung auf `behandelbare Risiken´ und weniger auf sekundär- oder tertiärpräventive Aspekte. Das Themenfeld des Q10 erhält von den antwortenden Studierenden eine hohe Relevanz für das eigene Gesundheitsverhalten und eigenes ärztlichen Handeln zugewiesen. Trotz unserer relativ kleinen und monozentrischen Stichprobe ist eine hohe implizite Motivation der Studierenden erkennbar. Die vorgelegten Evaluationsergebnisse sehen wir als wertvolles Potential für die kontinuierliche Verbesserung unseres Lehrangebotes im Sinne eines geschlossenen Qualitätsmanagements in der Lehre und weiterführende –idealerweise standortübergreifende- Studien zur zielgruppenspezifischen Curriculumsentwicklung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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