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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Vergleichende Erhebung zum Unterricht in ärztlicher Gesprächsführung - was rechtfertigt die Erstellung einer Rangliste?

Leserbrief Humanmedizin

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  • corresponding author Martin Lischka - Medizinische Universität Wien (MUW), Department für med. Aus- und Weiterbildung (DEMAW), Wien, Österreich

GMS Z Med Ausbild 2011;28(1):Doc09

doi: 10.3205/zma000721, urn:nbn:de:0183-zma0007210

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2011-28/zma000721.shtml

Eingereicht: 17. Oktober 2010
Überarbeitet: 17. Oktober 2010
Angenommen: 22. November 2010
Veröffentlicht: 4. Februar 2011

© 2011 Lischka.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Leserbrief

Der Artikel von Koch et al. [1] springt durch eine ranglistenförmige, vergleichende Punktebewertung der Lehrangebote zu kommunikativen und sozialen Kompetenzen an vielen deutschsprachigen Fakultäten ins Auge. Die Weckung der Aufmerksamkeit für diese Thematik ist sicherlich zu begrüßen. Schaut man genauer hin, ergibt sich aber eine Reihe von Fragen zu Konzeption, Methode, Ergebnissen, Ungereimtheiten, widersprüchlichen Aussagen und zu den (nicht) verwendeten Quellen und Belegen. Die große Bedeutung des Themas erfordert daher einen kritischen Diskussionsbeitrag.

Konzeption

Der Artikel bezieht sich zunächst auf eine Reihe von Standards zur Arzt-Patienten-Kommunikation und hebt insbesondere die Bedeutung des Basler Consensus Statement [2] für den deutschen Sprachraum hervor. Dieses beschreibt fünf große Kompetenzbereiche, die in 19 Themen und 131 Lernziele unterteilt werden. Diese Struktur spielt - trotz des ausführlichen Bezugs - in der gegenständlichen Arbeit jedoch keine weitere Rolle. Im Erhebungsinstrument ist nur die dichotome Fragestellung enthalten, ob Lernziele definiert werden (freie Kommentare dazu werden nicht publiziert). Angesichts der Orientierung an „Kompetenzen“ im Basler Konsensus und in dieser Arbeit muss man die Grundsatzfrage stellen, welche Bedeutung die Beschreibung von Merkmalen des Lehrangebots überhaupt hat, wenn kein Bezug zu den Kompetenzen hergestellt wird bzw. werden kann.

Angaben zur Entwicklung des Fragenkatalogs fehlen, sodass unklar bleibt, welche Überlegungen zur Auswahl der angeführten didaktischen Methoden und deren zahlenmäßiger Bewertung geführt haben. Es bleibt unklar, mit welcher Begründung die absolute Zahl der in einem Curriculum angebotenen Lehrveranstaltungen in die Bewertung eingeht. Sind zehn kurze Lehrveranstaltungen am Studienanfang mehr wert als sechs umfangreiche und curricular sinnvoll verortete? Auch bei anderen Merkmalen, die für eine Punktebewertung der eingesetzten Didaktik verwendet werden, bleibt offen, wie die Gewichtung begründet wird. Ist der Einsatz von Realpatienten in einer (jeder?) Lehrveranstaltung – ohne weitere didaktische Begründung - wirklich viermal so hoch anzusetzen wie die Verwendung von Lehrfilmen? Es bleibt auch offen, ob die Adressaten der Erhebung über die beabsichtigte Publikation eines Rankings informiert waren.

Methodik

Auf dem Niveau von Nominalskalen erhobene Daten werden für Mittelwertberechnungen verwendet, was – in Verbindung mit dem nicht publizierten Rationale für die Entwicklung des Erhebungsinstruments – eine quantitativ begründbare Rechtfertigung für die Sichtbarmachung des „methodischen Niveaus“ der Lehrveranstaltungen und für die Erstellung einer Rangliste nur vortäuscht.

Ergebnisse

Neben den aus konzeptionellen und methodischen Gründen kritisch zu bewertenden Ergebnissen fällt auf, dass das vermutlich einfachste, quantitativ zu erfassende Datum (der zeitliche Gesamtumfang des einschlägigen Pflichtunterrichts) bei der Punktevergabe nicht berücksichtigt werden konnte, weil „nicht an allen Standorten vergleichbare Daten über den zeitlichen Umfang in Minuten verfügbar waren.“ (Die Frage nach dem „Umfang in Minuten“ ist im Erhebungsinstrument nicht enthalten; dort wird nach – erfahrungsgemäß unterschiedlich gehandhabten - „Semesterstunden“ gefragt.) Im Vergleich dazu erscheint es nochmals fragwürdig, mit welcher Verlässlichkeit und welcher inhaltlichen Bedeutung Ergebnisse zu Entscheidungsfragen wie „Schulung Lehrpersonal – ja/nein?“ oder „Prüfung – ja/nein?“ u.a.m. in der Punktebewertung enthalten sind.

Auffallend sind auch Widersprüche zwischen Angaben in der Zusammenfassung und im Text. So heißt es zusammenfassend, dass bei der Planung anscheinend „selten lernzielorientiert und literaturbasiert vorgegangen wird“, während im Text darauf hingewiesen wird, dass für 98% der Lehrveranstaltungen Lernziele spezifisch definiert würden. (Fragen zum Literaturbezug sind im Erhebungsinstrument allerdings gar nicht enthalten.) Die in der Zusammenfassung als Gegenstand der Erhebung erwähnte longitudinale Struktur und der zeitliche Umfang finden sich im Text nicht, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen.

Diskrepanzen zum Erhebungsinstrument findet man auch an anderen Stellen. Im Fragebogen und in Tab. 2 werden „Lehrfilme“ genannt, während im Text von „Videoanalysen“ als Unterrichtsmittel die Rede ist. Damit mag die Analyse von Lehrfilmen gemeint sein, man könnte darunter aber (wohl eher) auch die Analyse von Videos verstehen, die von übenden Teilnehmern aufgenommen wurden.

Ungereimtheiten, Widersprüche

Auf verschiedene Detailfragen kann hier nicht eingegangen werden. Es wäre aber interessant herauszufinden, warum gerade im Kommunikationsbereich so engagierte Fakultäten wie z.B. Heidelberg nicht angeführt werden (siehe „Kommunikations- und Interaktionstraining in der Medizin MediKIT“, zuletzt in [3]). Die Erklärung für das Fehlen einzelner Fakultäten erscheint hier nicht zufriedenstellend. Auch dürfte die in der Methodik für Deutschland angegebene Zahl von 34 Fakultäten nicht stimmen.

Quellen und Belege

Einleitend werden wichtige Standards zum Thema zitiert. Belege für die Gestaltung des Erhebungsinstruments fehlen aber zur Gänze. Letztlich wird der interessierte Leser nochmals enttäuscht, wenn er sich für weiterführende Angaben zu dem am Schluss der Arbeit bestens bewerteten Berliner Reformstudiengang interessiert und als Zitat nur eine 15 Jahre (!) alte Übersicht zur Durchführung von OSCEs findet. (In der Arbeit selbst wird auf die an den verschiedenen Standorten verwendeten Prüfungsmethoden nicht eingegangen.)

Ausblick

Das in der Ärzteausbildung lange vernachlässigte Thema „Kommunikation“ verdient größte Aufmerksamkeit und Förderung. Als zentrale ärztliche Kompetenz wird es weiter an Bedeutung gewinnen. Detaillierte Vorschläge für die curriculare Gestaltung liegen auch für den deutschen Sprachraum vor [4]. Den AutorInnen ist sehr wohl zuzustimmen, dass der untersuchte Gegenstand derzeit ein sehr heterogenes Bild abgibt und es angesichts der aktuellen Entwicklung in Zukunft möglich sein sollte, Daten zu jetzt noch nicht erfassten bzw. erfassbaren Aspekten zu erheben. Dabei sollte jedenfalls geklärt werden, ob die Erstellung einer Rangliste überhaupt ein adäquater Zugang zur Thematik ist – siehe Bedenken gegen und Kautelen für „Rankings“ [5] – und wie man, welches Ziel immer man dann verfolgt, zu belastbaren Daten kommt. Eine gut nachvollziehbare Darstellung der Entwicklung und des erreichten Standes, wie sie vor kurzem für Großbritannien publiziert wurde [6], wäre auch für den deutschen Sprachraum in hohem Maß zu wünschen.


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Roch K, Trubrich A, Haidinger G, Mitterauer L, Frischenschlager O. Unterricht in ärztlicher Gesprächsführung – eine vergleichende Erhebung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. GMS Z Med Ausbild. 2010;27(3):Doc48. DOI: 10.3205/zma000685 Externer Link
2.
Kiessling C, Dieterich A, Fabry G, Hölzer H, Langewitz W, Mühlinghaus I, Pruskil S, Scheffer S, Schubert S. Basler Consensus Statement „Kommunikative und soziale Kompetenzen im Medizinstudium“: Ein Positionspapier des GMA-Ausschusses Kommunikative und soziale Kompetenzen. GMS Z Med Ausbild. 2008;25(2):Doc83. Zugänglich unter/available under: http://www.egms.de/static/de/journals/zma/2008-25/zma000566.shtml Externer Link
3.
Eicher Ch, Herman K, Roos M, Schultz JH, Engeser P, Szecsenyi J. Feedbacktraining für Lehrärzte in der Allgemeinmedizin. GMS Z Med Ausbild. 2010;27(1):Doc09. DOI: 10.3205/zma000646 Externer Link
4.
Bachmann C, Hölzer H, Dieterich A, Fabry G, Langewitz W, Lauber H, Ortwein H, Pruskil S, Schubert S, Sennekamp M, Simmenroth-Nayda A, Silbernagel W, Scheffer S, Kiessling C. Longitudinales, bologna-kompatibles Modell-Curriculum „Kommunikative und Soziale Kompetenzen“: Ergebnisse eines interdisziplinären Workshops deutschsprachiger medizinischer Fakultäten. GMS Z Med Ausbild. 2009;26(4):Doc38. DOI: 10.3205/zma000631 Externer Link
5.
Boulton G. University Rankings: Diversity, Excellence and the European Initiative, League of European Research Universities Advice Paper Nr 3 June 2010. Leuven: LERU Office; 2010. [13.10.2010]. Zugänglich unter/available under: http://www.sauvonsluniversite.com/IMG/pdf/LERU_AP3_2010_Ranking.pdf Externer Link
6.
Hargie O, Boohan M, McCoy M, Murphy P. Current trends in communication skills training in UK schools of medicine. Med Teach. 2010;32:385 – 391. DOI: 10.3109/01421590903394603 Externer Link