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GMS Zeitschrift für Hebammenwissenschaft

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)

ISSN 2366-5076

Prioritäre Themen für die Forschung durch Hebammen: Eine Analyse von Fokusgruppen mit schwangeren Frauen, Müttern und Hebammen

Originalarbeit

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  • corresponding author Gertrud M. Ayerle - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Halle (Saale), Deutschland
  • author Elke Mattern - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Halle (Saale), Deutschland

GMS Z Hebammenwiss 2017;4:Doc04

doi: 10.3205/zhwi000010, urn:nbn:de:0183-zhwi0000100

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zhwi/2017-4/zhwi000010.shtml

Eingereicht: 5. Juni 2017
Angenommen: 25. September 2017
Veröffentlicht: 15. Dezember 2017

© 2017 Ayerle et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Bereits bei der Festlegung von Forschungsprioritäten sollte die Sichtweise der Nutzerinnen berücksichtigt werden. In Deutschland fehlt bisher eine nationale Agenda für Hebammenforschung.

Ziel: Identifizierung potenzieller Themenbereiche für die Hebammenforschung in Deutschland, die sich auf die Erfahrung von Frauen und die Einschätzung von Hebammen stützen.

Methodik: Dieser Teil einer größeren hermeneutisch-interpretativen Studie stützt sich auf 14 Fokusgruppen, die in 5 Bundesländern stattfanden. Die 50 teilnehmenden Frauen und 20 Hebammen unterschieden sich in ihren Merkmalen, wie u.a. Alter, Bildung und Art der Hebammen-/fachärztlichen Versorgung. Potenzielle Forschungsthemen wurden in einer schrittweisen, progressiven Analyse aus den Daten abgeleitet.

Ergebnisse: Es ließen sich acht detailreiche Forschungsthemen identifizieren, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Hebammenbetreuung beinhalten. Sechs der Themenbereiche (Beruf der Hebamme, Kompetenz der Hebamme, Hilfebedarf der Frauen, Entscheidungen evidenzbasiert treffen, Beratung/Anleitung durch die Hebamme, Betreuung durch die Hebamme) stellen inhaltliche Aspekte der gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen dar. Dagegen benennen zwei Themenbereiche (Versorgungsdefizite und Versorgungsmodelle) eher strukturelle Defizite oder Potenziale.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse bilden eine empirische Grundlage für die Erarbeitung einer nationalen Forschungsagenda in Deutschland dar, die sich an den Bedürfnissen der Frauen orientiert.

Schlüsselwörter: Forschungsagenda, Forschungsthemen, Frauen, Präferenzen, Hebammenbetreuung


Hintergrund

Im Jahr 2011 empfahl der Gesundheitsforschungsrat, die Forschungstätigkeit zur Versorgung von schwangeren Frauen, Gebärenden, Wöchnerinnen und Müttern mit Säuglingen durch Hebammen weiter auszubauen [9], um die Handlungspraxis von Hebammen wissenschaftlich zu fundieren. Dafür ist – neben anderen Ausrichtungen – die Versorgungsforschung geeignet, die vier Bereiche umfasst: den Input (Bedarf, Inanspruchnahme), Throughput (Versorgungsstrukturen/-prozesse), Output (erbrachte Versorgungsleistungen) und das Outcome (Gesundheit/Lebensqualität) ([15] S. 4).

Um die Entwicklung, Überprüfung und Implementation evidenzbasierter Versorgungsleistungen durch Methodenkenntnisse zu unterstützen, entwickelte Cochrane Deutschland in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. und anderen Akteuren einen forschungsmethodischen Leitfaden, welcher als ersten Schritt die Ermittlung von versorgungsrelevanten Gesundheitsproblemen vorsieht [23]. Damit soll gewährleistet werden, dass keine unnütze Forschung (research waste) produziert [11], sondern Versorgungsprobleme, Interventionen und Outcomes untersucht werden, die für die Zielgruppen von vorrangigem Interesse sind. Auch Chalmers und Glasziou [4] und Chalmers et al. [3] fordern, dass bereits bei der Festlegung von Forschungsprioritäten – neben den Dienstleister/innen, die im unmittelbaren Versorgungsprozess Entscheidungen vorschlagen oder treffen – die Nutzer/innen der Versorgungsleistungen (users) selbst einbezogen werden [21]. Einen zielgerichteten Einsatz von Forschungsmitteln gebieten im weitesten Sinne das Recht der Klient/innen auf Selbstbestimmung (Autonomie) im Versorgungsgeschehen ([25] S. 15-8) und die ethische Abwägung von Kosten und Nutzen.

Zur Bündelung und inhaltlichen Ausrichtung der (Versorgungs-)Forschung durch Hebammen in Deutschland wäre es für Forschende hilfreich, sich an einer nationalen Agenda orientieren zu können. Auf der Basis einer systematischen Recherche1 (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) konnte festgestellt werden, dass bereits in Irland [2], Großbritannien [5][19], Australien [7][17], Afrika (Kenia, Malawi, Tansania, Uganda, Sambia und Zimbabwe) [12] und auf internationaler Ebene [20] Agenden für die Hebammenforschung erstellt wurden. Die meisten Studien zum „Agenda Setting“ [1] setzten Delphi-Verfahren ein [2][7][12][19], jedoch kamen auch ein einmaliger Survey [17][20] oder Diskussionsgruppen zur Anwendung [5]. Vier Studien befragten Hebammen [7][12][17][20], eine Studie schloss Hebammen und Auszubildende ein [19], während nur zwei Studien ausschließlich [5] oder zusätzlich Mütter [2] befragten.

Ein Blick in die Primärliteratur gibt Aufschluss über die Vielfältigkeit der konkreten Forschungsfragen und -aspekte; nachfolgend werden die teils ähnlichen und teils unterschiedlichen Ergebnisse der Studien in vier Forschungsthemen zusammengefasst und kurz skizziert: Aus Sicht der Hebammen waren die im Forschungsbereich Hebammenbetreuung Schwangerenvorsorge [7][12][19] Geburtsvorbereitung [19][20], Betreuung während der Geburt [2][7][17][19], Qualitätssicherung einschließlich Notfall- und Transfermanagement [12][19], postpartale Betreuung [7][17][19] sowie Evidenzbasierung und Bedeutung von Forschung für die Praxis [2][12][20] relevant. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf die Betreuung physiologischer Prozesse [20], eine Frau-zentrierte Betreuung und Kommunikation [2][17], die Dokumentation [12], die psychosozialen Faktoren [17] sowie besondere Zielgruppen [12][17][20] gelegt. Im Forschungsbereich Versorgungsmodelle thematisierten die Hebammen Systeme der Versorgung [2][19] und den Hebammenmangel [12] sowie im Forschungsbereich Hebammenberuf die Rolle der Hebamme [19], berufliche Aspekte [2][7][17] und das Management der Hebammentätigkeit [19]. Im Forschungsbereich Aus- und Fortbildung wurde die lebenslange Fortbildung [2][12] hervorgehoben.

Die befragten Mütter (users/user representatives) betrachteten im Forschungsbereich Hebammenbetreuung die Themen Schwangerenvorsorge [5], Betreuung während der Geburt (Latenzphase, Geburtseinleitung und Kaiserschnitt) [2][5] und postpartale Betreuung (insbesondere die Ernährung des Kindes) [2][5] als bedeutsam. Als forschungsrelevant wurden auch die Aspekte Frau-Zentrierung [2] und kontinuierliche Betreuung [5], partizipative Kommunikation [5] und evidenzbasiertes Assessment von Risiken [5] eingeschätzt. Die Forschungsbereiche Versorgungsmodelle [5], Beruf der Hebamme [2][5] und Aus- und Fortbildung [2] wurden nur wenig detailliert thematisiert.

Anders als die vier oben benannten Forschungsbereiche, beschreibt das „Framework for quality maternal and new-born care“ von Renfrew et al. [18], das auf der Grundlage von Reviews entwickelt wurde und internationale Gültigkeit beanspruchen will, die gesundheitliche Versorgung durch Hebammen auf fünf Ebenen: Praxis/Tätigkeiten (wie Information, Beratung, Gesundheitsförderung), die Organisation der Versorgung, die Werte der Hebamme, ihre philosophische Ausrichtung und die Leistungserbringer/innen (z.B. ihre Kompetenzen und interprofessionelle Kooperation).


Ziel und Forschungsfrage

In Deutschland hatte eine Erhebung der Versorgungs- und Forschungsprioritäten der Frauen und Hebammen zur Identifizierung ihrer vorrangigen Themen in der gesamten Breite der gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen bisher nicht stattgefunden. Diese Lücke wurde durch die Studie mit dem Titel „Präferenzen und Defizite in der hebammenrelevanten Versorgung in Deutschland aus Sicht der Nutzerinnen und Hebammen: Eine qualitative explorative Untersuchung“ geschlossen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte sie in den Jahren 2015-2016. Die Umsetzung der gesamten Studie basierte auf 4 Teilzielen: 1. die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen kennen zu lernen, 2. die Sichtweise der Hebammen hinsichtlich der Wünsche von Frauen im Versorgungsgeschehen zu ermitteln, 3. die Perspektiven beider Zielgruppen zusammen zu führen sowie 4. aus den zusammengeführten Daten prioritäre Themen für die Forschung zur gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen herauszuarbeiten. Die Forschungsfrage zum Teilziel 4, die in diesem Beitrag beantwortet wird, lautete: Welche vorrangigen Forschungsthemen lassen sich aus den subjektiven Sichtweisen der Frauen und Hebammen zu ihrer gesundheitlichen Versorgung ableiten?


Methodik

Design

In ihrer Gesamtheit untersuchte die Studie in Anlehnung an die Hermeneutik von Gadamer [8] explorativ und in zyklischem interpretativem Vorgehen die Versorgungspräferenzen und -defizite aus Sicht der Frauen und Hebammen. Die zentralen Prinzipien – Offenheit; Forschung als Kommunikation (Dialog mit dem Subjekt/Text); Prozesscharakter und Reflexivität (iterativer analytischer Prozess von den Einzelaussagen zu übergreifenden Sinnzusammenhängen und zurück); Explikation (Darlegung des Vorgehens) und Flexibilität [8][10] – ermöglichten es, die subjektiven Perspektiven sowie Einstellungen und Erfahrungen der Teilnehmerinnen in einem größeren Zusammenhang bzgl. ihres Inhalts, ihres Kontexts und ihrer Bedeutung auszuloten [16].

Zugang und Datenerhebung

Dazu wurden in mehreren Bundesländern 10 Fokusgruppengespräche (FG) mit insgesamt 50 Frauen und 4 mit 20 Hebammen geführt, digital aufgenommen und transkribiert. Das Forscherinnenteam informierte potenzielle Teilnehmerinnen durch Hebammen, Kliniken, soziale Netzwerke und relevante Verbände/Vereine. Die interessierten Frauen und Hebammen füllten vor der Einladung zum FG ein Formular aus, in dem neben wenigen soziodemografischen Angaben auch nach der Zufriedenheit mit der Hebammenbetreuung (Frauen) sowie nach der Berufserfahrung und den von ihnen angebotenen Leistungen (Hebammen) gefragt wurde. Diese Auskünfte dienten dem Zweck, die FG möglichst heterogen zusammen zu stellen. Um den Gesprächsfluss in den FG bestmöglich zu unterstützen, wurden sie klein (4-6 Personen) und hinsichtlich des Bildungsgrads homogen gehalten.

FG eignen sich für die Beantwortung der Fragestellung, da die Teilnehmerinnen im Gespräch ihre eigenen Sichtweisen vorbringen, die Gedanken und Erinnerungen der Gesprächsteilnehmerinnen anregen, reflektieren und dazu Stellung nehmen sowie ihre eigenen Auffassungen im Gesprächsverlauf schärfen können. Die Forscherinnen, die die jeweils ca. 2-stündigen FG moderierten, eröffneten das Gespräch mit offenen Fragen zu Erfahrungen der Frauen in ihrer gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen. Auch in den FG mit Hebammen wurde erfragt, welche Bedürfnisse und Wünsche die Frauen in ihrer Versorgung haben und wo sich Defizite auftun. Im Gesprächsverlauf wurde der Fokus, wenn nötig, durch immanente Nachfragen (W-Fragen) immer wieder auf die Forschungsfrage gerichtet [16]. Weitere Informationen zur Auswahl der Teilnehmerinnen sowie Durchführung der FG können der Publikation in BMC Pregnancy & Childbirth entnommen werden [13].

Stichprobe

Die beiden Stichproben schlossen 50 Frauen und 20 Hebammen aus fünf bzw. vier Bundesländern in Deutschland ein, darunter 15 schwangere Frauen (6 Erstgebärende, 8 Mehrgebärende, 1 unklar) und 35 Mütter mit Säuglingen (22 Erstgebärende, 13 Mehrgebärende), von welchen 9 einen Hauptschulabschluss oder geringeren Bildungsgrad hatten (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Von 15 Frauen, die eine Fehlgeburt oder ihr Kind zu einem späteren Zeitpunkt verloren hatten, besuchten 6 Frauen zum Zeitpunkt der Befragung eine Selbsthilfegruppe der „Leeren Wiege“. Sie und fünf Frauen, die in einem Mutter-Kind-Heim wohnten, bildeten jeweils eine eigene FG. Im Durchschnitt bewerteten die Teilnehmerinnen ihre Hebammenbetreuung mit der Note „gut“, allerdings waren auch Frauen darunter, die die Note 4 oder 5 vergaben (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Die Hebammen wiesen ein breites Spektrum an Qualifikationen, Berufsjahren und Tätigkeitserfahrung auf. Sie boten überwiegend Leistungen entsprechend des "Vertrags über die Versorgung mit Hebammenhilfe“ nach §134a SGB V [6] an (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).

Datenanalyse

In der Analyse zu den Teilzielen 1 und 2 der gesamten DFG-Studie wurden die FG der Frauen und der Hebammen getrennt analysiert. Im Arbeitsschritt 3 (Teilziel 3) führten die Forscherinnen die Sinneinheiten aus den vorigen Schritten zusammen, indem sie sie im größeren Kontext interpretierten und verdichteten (Ergebnisse siehe http://www.medizin.uni-halle.de/Hebammenversorgung). Dabei strebten sie ein mäßiges Abstraktionsniveau an, um den Facettenreichtum der Aussagen der Teilnehmerinnen und der extrapolierten Themen weitestgehend zu erhalten. Nachfolgend wird die Analyse zur Erreichung des Teilziels 4 dargestellt.

Wie in den vorangehenden Schritten nutzten die Forscherinnen die Software MAXQDA [22]. Sie stellten an die Ergebnistexte des Teilziels 3, die im Wesentlichen die Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen der Frauen hinsichtlich ihrer Betreuung durch Hebammen repräsentierten, die Frage, welche für die Frauen vorrangigen Forschungsthemen sich darin verbergen. In einem offenen und axialen Vorgehen [16] wurden die Texte von einer Forscherin (GA) codiert und progressiv ein Codebaum mit Forschungsthemen und dazu gehörigen Aspekten entwickelt. Die inhaltliche Stimmigkeit der 369 Codierungen und deren Zuordnung überprüfte die andere Forscherin (EM). In mehreren Synthese- und Differenzierungszyklen ließen sich inhaltlich verwandte Aspekte zusammenführen und große Themenbereiche in verschiedene Aspekte ausdifferenzieren. Die Autorinnen verständigten sich letztendlich gemeinsam auf inhaltlich zutreffende Bezeichnungen und Zuordnungen. In der Endfassung entstand ein Codebaum mit 8 potenziellen Forschungsbereichen mit jeweils 4-12 dazugehörigen Aspekten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Ethische Aspekte und Qualitätssicherung

Das gesamte Forschungsvorhaben erhielt ein positives Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle/Saale. Die erhobenen Daten und personenidentifizierenden Merkmale wurden pseudonymisiert und passwortgeschützt gespeichert.

Die methodische Qualität der gesamten Studie wurde mit dem Ziel einer möglichst hohen Treue zu den Sichtweisen der Teilnehmerinnen (im Sinne der Validität2 [8]), der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit der Interpretationsschritte sowie einer genauen Dokumentation des Vorgehens und der getroffenen Entscheidungen (im Sinne der Reliabilität2 [8]) folgendermaßen gestützt [24]: heterogene Qualifikationen und Vorerfahrungen im Forschungsteam sowie die Formulierung und Reflexion der eigenen Vorannahmen zum Thema [8]; eine offene Herangehensweise im parallelen Datenerhebungs- und Analyseprozess; Interpretationen des Datenmaterials, die reflektiv, iterativ, unabhängig voneinander vorgenommen und im Team konsentiert wurden; Überprüfung der Arbeitsschritte durch ein jeweils nicht direkt involviertes Teammitglied; sowie eine sorgfältige Dokumentation.


Ergebnisse

Durch eine fokusgruppenübergreifende Zusammenführung und Verdichtung der Sinninhalte (siehe Methodik) gelangten die Autorinnen zu den nachfolgenden Ergebnissen. Dabei werden keine O-Ton-Zitate als Beleg für eine valide Interpretation angeführt, da Inhalte in FG typischerweise über längere Passagen ausgeführt werden und Inhaltsfragmente an verschiedenen Stellen der Gesprächsverläufe auftauchen.

Die acht gewonnenen potenziellen Forschungsbereiche werden nachfolgend in vier Abschnitten erläutert. Die ersten sechs Themenbereiche (a, b, c) stellen inhaltliche Aspekte der gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen dar. Dagegen benennen die weiteren Themenbereiche (d) eher strukturelle bzw. systemische Defizite oder Potenziale. Auch wenn teilweise methodische Aspekte angesprochen werden, verkörpern sie an sich noch keine konkreten Forschungsfragen oder geben Hinweise auf spezielle Studiendesigns. Viele der benannten Forschungsthemen sind so komplex, dass zu einem Thema mehrere methodische Ansätze, ggf. aufeinander aufbauend [23], denkbar sind.

a. Beruf der Hebamme – Kompetenz der Hebamme

Zukünftige Forschung zum Thema Beruf der Hebamme kann aus Sicht der Frauen und Hebammen sowohl das Selbstverständnis der Hebamme und ihre beruflichen Rollen als auch die personale bzw. professionelle Beziehung zwischen Hebamme und Frau beleuchten. Dabei stehen für die Frauen die individuelle, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Frau abgestimmte Beratung, Anleitung und Betreuung im Vordergrund. Genau in dieser Klientinnen-Orientierung bestehen auf Seiten der Hebammen Herausforderungen, die sich auf den erforderlichen hohen Zeitaufwand und – angesichts des bestehenden Hebammenmangels – die zu gewährleistende Vertretung durch eine Kollegin beziehen. Weitere Herausforderungen sind die vorherrschende Routine, technisierte Geburtshilfe, parallele Betreuung von mehreren Frauen und Hierarchie in der Klinik. Angesichts der abnehmenden Tendenz, selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten zu können, könnten die mangelnde Attraktivität des Hebammenberufs und das Selbstverständnis der Hebamme von Interesse sein hinsichtlich der Rolle als Expertin, Mentorin, Fürsprecherin und primärer Ansprechpartnerin.

Forschung, die die Kompetenz der Hebamme thematisiert, sollte sich aus der Sicht der Frauen sowohl auf die Feststellung des individuellen Versorgungsbedarfs richten als auch auf die Beratung, wenn Mütter die Hebamme wegen Auffälligkeiten des Säuglings oder sensibler Themen ansprechen (z.B. unerwünschte Schwangerschaft, Bindungsschwierigkeiten, depressive Verstimmung). Schwangere Frauen wünschen sich die Evaluation von Maßnahmen für eine effektive Linderung ihrer schmerzhaften und (un-)typischen Schwangerschaftsbeschwerden. Sie fragen sich auch, welche Faktoren darüber entscheiden, eine physiologische Geburt zu erleben, und wie eine effektive Begleitung durch die Klinikhebamme aussehen könnte, um einer Frau eine selbstbestimmte Geburt zu ermöglichen. Ausgehend von den Erwartungen der Frauen, dass Hebammen ihre Grenzen kennen und eine angemessene Hilfe im Notfall ermöglichen, wäre zu untersuchen, welche Anzeichen und Strategien dafür zielführend sind. Für die postpartale Versorgung ist die Frage zu stellen, wie fundierte und detaillierte Kenntnisse der Hebamme zu alltagsbezogenen Fragen und Problemen rund um die Ernährung des Kindes (Stillen, Abstillen, Formula und Beikost) effektiv vermittelt und auf aktuellem Stand gehalten werden können.

b. Hilfebedarf der Frauen – Entscheidungen (evidenzbasiert) treffen

Das Forschungsthema Hilfebedarf sollte sich aus Sicht der Frauen auf praktische Hilfen und naturheilkundliche Mittel beziehen, die in der Schwangerschaft und im Wochenbett Beschwerden lindern. Weitere Aufmerksamkeit der Forschung verdient die Frage, wie von Hebammen der besondere Hilfebedarf von Frauen erkannt und adressiert werden könnte: z. B. von Mehrgebärenden, alleinerziehenden Frauen, Frauen mit gesundheitlichen Problemen, Frauen mit kognitiver Einschränkung oder Lernbehinderung, schwangeren Frauen mit Angst vor der Geburt, Müttern mit Bindungs- und Beziehungsschwierigkeiten, Frauen mit einer Fehlgeburt, aber auch Müttern nach dem Tod ihres Kindes. Zur (pränatalen) Förderung der Mutter-Kind-Bindung stellen sich die Fragen: Wie gelingt es, die Eltern in ihrer Beziehungsaufnahme zu ihrem ungeborenen Kind zu unterstützen und Feinfühligkeit zu entwickeln? Wie kann das Bonding nach einem Kaiserschnitt gefördert werden? – Darüber hinaus interessiert sowohl Frauen als auch Hebammen, wie unnötige (medizinische) Interventionen vermieden werden könnten.

Im Rahmen des Forschungsthemas Entscheidungen (evidenzbasiert) treffen sind Faktoren und Kontexte von Bedeutung, die zu einer eingeschränkten oder durch Dritte verweigerten Entscheidungsmöglichkeit der Frau führen, wie u.a. eine Risiko-Diagnose, mangelnde Evidenz oder Information über Entscheidungsoptionen, Erzeugung von Angst durch Hinweise auf mögliche Komplikationen, Loyalität der Frau mit ängstlichem Personal oder Fremdbestimmung. Es stellt sich die Frage, welche Interventionen zur Gestaltung des Entscheidungsprozesses sowie zur Verbesserung der Beratungskompetenz der Hebamme beitragen könnten. Schriftliche Informationen, die zu verschiedenen Themen (z.B. Mutterpass, Beckenboden, kindliche Regulationsstörungen, Prävention des plötzlichen Kindestods) evidenzbasiert erstellt werden, könnten hinsichtlich ihrer didaktischen Anwendung evaluiert werden.

Es wäre auch zu untersuchen, ob die Kompetenz akademisch qualifizierter Hebammen zur Einschätzung von Studien dazu führt, evidenzbasierte Maßnahmen anzuwenden und sich diesbezüglich auf Augenhöhe mit ärztlichen Teamkolleg/innen zu verständigen.

c. Beratung/Anleitung durch die Hebamme – Betreuung durch die Hebamme

Zukünftige Forschung könnte sich auf die Art und Weise der Beratung und Anleitung durch die Hebamme richten, wie Hebammen unterstützt werden könnten, proaktiv und situationsgerecht den individuellen Beratungsbedürfnissen von schwangeren Frauen und Müttern (z.B. zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen, Abpumpen von Brustmilch) nachzukommen und ihre Motivation zu stärken. Die Verbesserung der Beratungskompetenz in besonderen Situationen und damit verbundene Maßnahmen sind wichtige Forschungsthemen, die sich aus Sicht von Frauen mit einem geringen Bildungsgrad oder Frauen mit Lernbehinderung ergeben. Es sollten diejenigen Beratungsthemen vorrangig in den Blick genommen werden, die die Frauen irritieren oder verwirren, wie beispielsweise „Känguruhen“ versus SIDS-Prophylaxe oder das Thema Terminüberschreitung. Weiterhin könnten qualitätsorientierte Kriterien erarbeitet werden, die die Frauen bei der Einschätzung von Informationen aus Büchern, dem Internet oder Apps heranziehen könnten.

Unter den zahlreichen Forschungsthemen zur Kindesgesundheit sind beispielhaft zu nennen: die Grundbedürfnisse eines Neugeborenen bzw. Säuglings, die Versorgung des Kindes in den ersten Tagen postpartum und im Verlauf seiner Entwicklung, die Bindungsförderung, Erkrankungen und Besonderheiten des Kindes sowie die unterschiedlichen Kursangebote für Babys. Weitere Beratungsthemen zur Gesundheit der Frauen, die inhaltlich und didaktisch in den „Forschungsblick“ genommen werden sollten, sind körperbezogene Veränderungen und Ausscheidungen während der Schwangerschaft und Geburt, Empfehlungen für die Ernährung und Supplementierung, Anzeichen für eine Wochenbettdepression, Fragen zur Sexualität und zum Beckenboden sowie die Unterscheidung von Prävention, Screening und Pränataldiagnostik.

Der Informationsbedarf der Frauen über die Betreuung durch die Hebamme stellt eine eigene Forschungsthematik dar. Der erforderliche Umfang der Hebammenbetreuung und unterschiedliche Modelle der Umsetzung könnten in Forschungsarbeiten exploriert werden. Die Betreuungsmodelle könnten hinsichtlich ihrer Klientinnen-Orientierung, Nähe-Distanz-Dynamik in der Betreuung und Aktivierung des sozialen Netzes beleuchtet werden.

Die Art und Weise der persönlichen Anwesenheit der Hebamme, der Informationsvermittlung, der praktischen Anleitung und der emotionalen Unterstützung spielen für die Frauen eine wichtige Rolle. Diesbezüglich sind verschiedene Endpunkte (wie Gefühl der Überforderung, Entlastung von Ängsten und Sorgen, Körperwahrnehmung, Erreichen der gesteckten Ziele) sowie beeinflussende/vermittelnde Aspekte, wie Bemutterung, ausreichende Zeit und Mitbestimmung, für die Forschung relevant. Um im Alltag die Mobilisierung von familiären Ressourcen und Reduzierung von mütterlichem Stress zu erreichen, könnten Strategien zum Einbezug von Angehörigen in die Beratung und Betreuung evaluiert werden.

Ein wichtiges Thema ist für Frauen die Betreuung während der Geburt. Daher sollte untersucht werden, wie und mit welchen Mitteln Hebammen Frauen auch in der Klinik aktiv und vorausschauend begleiten können, um den Wehenschmerz zu bewältigen, unnötige Interventionen zu vermeiden und eine vaginale Geburt zu realisieren. Es müssen effektive Interventionen entwickelt und evaluiert werden, um bei der Geburt ihr Wohlbefinden und ihre Intimsphäre zu wahren. Empirische Studien sollten das Erleben bzw. Fehlen einer individuellen Hebammenversorgung bei besonderen Situationen in den Blick nehmen: einem Kaiserschnitt, vaginal operativen Interventionen, nach Verlust des Kindes sowie bei Bedarf einer Vermittlung an weitere fachliche Hilfe (z.B. Schreiambulanz, Ernährungsberatung, Seelsorge, Familienhebamme). Ob eine postpartale Reflexion der Geburt mit der Hebamme eine wirksame Maßnahme darstellt, um die Zufriedenheit mit der Geburt zu steigern und Erlebtes besser zu bewältigen, ist eine weitere Frage.

d. Versorgungsdefizite – Versorgungsmodelle

Das Forschungsthema Versorgungsdefizite erstreckt sich auf den eingeschränkten bzw. fehlenden Zugang zur Hebammenhilfe, die mangelnde Verfügbarkeit von Hebammenleistungen aufgrund des Hebammenmangels und der unterschiedlichen Leistungsangebote sowie auf Defizite in der ambulanten Versorgung und in der geburtshilflichen Abteilung. Aufgrund des bestehenden Versorgungsdefizits in der Latenzphase sollte empirisch untersucht werden, welche Implikationen und Folgen dieses Dilemma für die Frauen hat und welche Maßnahmen zu einer effektiven Hebammenversorgung in dieser Phase des Übergangs führen könnten.

Weitere Defizite treten in der interprofessionellen Kooperation sowie an den Schnittstellen des Versorgungssystems, intra- sowie transsektoral (z.B. zu Akteuren der Frühen Hilfen) auf. Daher könnten diesbezüglich Kommunikationsmuster, Handlungsorientierungen (z.B. Werte, Ziele) der beteiligten Professionen, die unklare Abgrenzung ihrer Kompetenzbereiche und mögliche Loyalitätskonflikte der Klientinnen erforscht werden. In Implementationsstudien könnten Interventionen für ein effektives interprofessionelles Schnittstellenmanagement vorrangig für Frauen mit besonderem Versorgungsbedarf überprüft werden, wie beispielsweise Frauen mit komplexen Problemen in der Schwangerschaft, Frauen mit geringer Lesekompetenz oder Lernbehinderung, psychisch erkrankte Frauen und Frauen in schwierigen sozialen und finanziellen Lebenssituationen.

Um eine flächendeckende Versorgung der schwangeren Frauen und Mütter durch Hebammen zu sichern, sollten – basierend auf bundesweit repräsentativ erhobenen Daten – neue Versorgungsmodelle entwickelt und evaluiert werden. Neue Konzepte für die interprofessionelle Ausbildung und Zusammenarbeit von Hebammen und Ärzt/innen könnten darauf hin untersucht werden, ob dadurch eine evidenzbasierte Versorgung in der Klinik realisierbar wird. Neue Tätigkeitsfelder und Modelle der Versorgung, wie die ambulante Betreuung von Frauen in der Latenzphase, Hebammensprechstunden in Familien- oder interdisziplinären Versorgungszentren (auch durch Familienhebammen), Wochenbett- und Geschwisterkurse, die Betreuung im Spätwochenbett, der Einbezug der Partner/innen der Frauen in die Betreuung sowie die Versorgung von Müttern mit besonderen Bedürfnissen (z.B. psychisch kranken Müttern) sollten (u.a. in strukturschwachen Gebieten) evaluativ begleitet werden.

Für neu zu entwickelnde Konzepte für Geburtsvorbereitungskurse ist inhaltlich-didaktisch ein Mindeststandard an kognitiven Informationen, praktischen Übungen und Reflexionen zur Selbstbestimmung der Frau zu definieren und zu evaluieren. Dabei sind strukturell auch eine flexible Organisation und die Aspekte wie Praktikabilität oder Einbindung der Partner zu berücksichtigen. Darüber hinaus könnte die Erfahrung in Peer-Gruppen (z.B. Hebammen-moderierte Peer-Gruppen) und deren Wirkung auf die Selbstbestimmung der Frauen empirisch untersucht werden.

Grundsätzlich müssten breit angelegte Konzepte und Strategien entwickelt und evaluiert werden, die die Informationsdefizite der Frauen – die unterschiedlichen Hebammenleistungen und Versorgungsmodelle betreffend – beheben und ihrem Recht auf Entscheidungsfreiheit Rechnung tragen. Diesbezüglich würde interessieren, wie digitale Medien in der Versorgung wirksam genutzt und wie durch Öffentlichkeitsarbeit zur gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen die Frauen spätestens in der Frühschwangerschaft erreicht werden könnten.

Weiteres Forschungspotenzial liegt in der Überprüfung unterschiedlicher (Hebammen-)Interventionen und der Erfassung von intendierten und nicht intendierten Auswirkungen. Diese Überprüfung könnte letztlich der Verbesserung der Versorgungsqualität der Frauen dienen, wie auch die Konsentierung von Qualitätsindikatoren und Standards sowie die Bildung von Hebammenteams oder überregionalen Hebammen-Netzwerken.

Für das Schnittstellenmanagement innerhalb des Gesundheitssystems und transsektoral (u.a. mit Akteuren der Frühen Hilfen) sind bedarfsgerechte Konzepte zu entwickeln und auszuwerten, die einerseits eine gute Informationsvermittlung (z.B. Checklisten, weitere Einträge im Mutterpass, Übergabeprotokolle), aber auch Maßnahmen vorsehen, um eine klare Abgrenzung von Hebammen- und ärztlichen Tätigkeiten zu erzielen.

In zukünftiger Forschung, die neue Versorgungsmodelle evaluiert, sollten explizit die Wünsche der Frauen berücksichtigt werden, die sich auf einen verbesserten Zugang zur Hebamme, der Ermöglichung einer kontinuierlichen Betreuung und der Option einer außerklinischen Geburt beziehen.


Diskussion

Methodische Aspekte

Die interpretativ-hermeneutische Vorgehensweise erwies sich als konstruktiv. Sowohl die heterogene Zusammensetzung der FG in mehreren Bundesländern als auch der Einschluss von Frauen mit geringem Bildungsgrad und besonderen Lebenssituationen stärken die Validität der Ergebnisse. Durch das mäßige Abstraktionsniveau blieben insgesamt relevante Details der Sichtweisen der Teilnehmerinnen erhalten. Die Tatsache, dass das Teilziel 4 der letzte Schritt einer Sequenz von vorherigen Analyseschritten war, ist einerseits methodisch schlüssig, andererseits aber – da hier nur die Methodik und Ergebnisse des Teilziels 4 vorgestellt wurden – müssen die Leser/innen auf eine andere Publikation zu den Ergebnissen der Teilziele 1 bis 3 verwiesen werden [13]. Der „lange Weg“ von den Rohdaten zu den Ergebnissen kann zwar dahingehend kritisch betrachtet werden, dass in mehreren Analyseschritten möglicherweise Verzerrungen in der Interpretation stattfinden. Jedoch waren die vorherigen Analyseschritte unverzichtbar, um zunächst aus den FG die Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmerinnen im jeweiligen Kontext herauszuarbeiten und anschließend daraus vorrangige Themen für die Forschung zur gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen abzuleiten.

Die zeitliche Beschränkung der Studie stellt eine Limitierung dahingehend dar, dass mit deutlich mehr Zeit für die Datenanalyse der Reflexionsgrad möglicherweise hätte vertieft werden können. Weiterhin ist denkbar, dass andere Forscherinnen in der Ableitung von Forschungsthemen vielleicht andere Formulierungen hätten finden oder zu einer anderen Zusammenfassung der Ergebnisse hätten gelangen können.

Inhaltliche Aspekte

Die Ergebnisse, d.h. die acht gewonnenen Forschungsthemen, stellen eine vorläufige Systematik dar, die sich vom theoretischen Rahmen „Framework for quality maternal and newborn care“, der von Renfrew et al. [18] beschrieben wurde, grundsätzlich unterscheidet. Zwar können die Themenbereiche unter a) inhaltlich der Framework-Ebene „Praxis/Tätigkeiten“ und die Themenbereiche unter d) der Framework-Ebene „Organisation der Versorgung“ zugeordnet werden. Aber die Themenbereiche Hilfebedarf der Frauen und Kompetenz der Hebamme repräsentieren Querschnittsaspekte, die in mehreren Framework-Ebenen impliziert sind. In einem zukünftigen Prozess zur Erarbeitung einer nationalen Forschungsagenda in Deutschland könnte allerdings dieser internationale theoretische Rahmen als Matrix herangezogen werden.

Die Ergebnisse repräsentieren Themen, die aus Sicht der befragten Frauen und Hebammen in Deutschland vorrangig sind [3][4][11]. Sie decken sich teilweise mit Themen, die in Agenda-Setting-Verfahren benannt wurden [2][7][12][17][19][20], wie die beruflichen Aspekte (inkl. der Aus- und Fortbildung), Versorgungsaspekte (Kompetenz der Hebammen, Betreuung), Hilfebedarfe (besondere Bedürfnisse, Entscheidungsprozesse) und systemischen Herausforderungen (Versorgungsdefizite, -modelle). Weitere Forschungsthemen, die für Frauen in Deutschland und im Ausland große Bedeutung haben, sind die Öffentlichkeitsarbeit, damit Frauen das Spektrum von Hebammenleistungen kennen, die Beratung und Anleitung durch die Hebamme, Interventionen zur Ermöglichung von evidenzbasierten Entscheidungen sowie der Einbezug von Angehörigen in die Betreuung [18]. Hebammen wissen zwar aus Erfahrung, dass Frauen die Betreuung durch eine Hebamme häufiger ab der zweiten Schwangerschaft wahrnehmen; neu ist allerdings, dass dieses Phänomen damit in Zusammenhang stehen könnte, dass Frauen nicht ausreichend informiert sind. Insbesondere der Fokus auf evidenzbasierte Entscheidungen und familienorientiertes Arbeiten ist in der gesundheitlichen Versorgung durch Hebammen in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Durch die Ergebnisse dieser Arbeit wird ihre Bedeutung für die Frauen als „Nutzerinnen der Versorgung“ hervorgehoben.

In ausländischen Studien [2][5] wird das Versorgungsdefizit von Frauen in der Latenzphase beschrieben, die in Deutschland sowohl in der Praxis als auch in der Forschung noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Die Forschung muss zeigen, welche zukünftigen Versorgungsmodelle das Dilemma für Frauen in der Übergangszeit von der Betreuung durch freiberuflich tätige Hebammen ohne geburtshilfliche Versicherung zur Betreuung in der Klinik auflösen können.

Des Weiteren deckte die Analyse den speziellen Hilfebedarf von vulnerablen Frauen auf, zu welchen insbesondere alleinerziehende Frauen, Frauen mit geringem Bildungsgrad oder in besonders belastenden Lebenssituationen sowie Mütter, die den Verlust ihres Kindes betrauern, zählen. Ihre Bedürfnisse müssen in zukünftiger Forschung dringend Beachtung finden. Es wäre beispielsweise zu untersuchen, inwieweit Angehörige oder das soziale Umfeld wirksam in die Versorgung einbezogen werden könnten. Problematisch in der Umsetzung könnten sich allerdings der derzeitige Hebammenmangel und die pauschalierte, d.h. wenig differenzierte Bezahlung von Hausbesuchen erweisen.

Hinsichtlich der intra- und transsektoralen Zusammenarbeit liegt der Fokus der Forschungsthemen insbesondere auf der interprofessionellen Ausbildung, dem Schnittstellenmanagement und der Verbesserung der Versorgungsqualität durch Hebammennetzwerke. Diese Aspekte könnten in neuen Modellen der Versorgung, wie Familien- oder interdisziplinären Versorgungszentren, evaluiert werden.

Andere Forschungsthemen, die für Frauen in Deutschland relevant sind, beziehen sich auf die Beratungskompetenz der Hebammen bei sensiblen Themen sowie auf die Versorgung von Frauen mit schmerzhaften Beschwerden und von Säuglingen mit Auffälligkeiten. Neben Forschung zur Wirksamkeit von Betreuungsmaßnahmen und der Implementierung von evidenz-basierten Interventionen könnte die Nützlichkeit von Fortbildungsinhalten und didaktischen Konzepten für die Praxis geprüft werden.


Schlussfolgerung

Diese Forschungsarbeit leitete Forschungsthemen aus den subjektiven Sichtweisen der Frauen und Hebammen zur gesundheitlichen Versorgung ab. Die Ergebnisse stellen eine empirische Grundlage für die Entwicklung einer nationalen Forschungsagenda dar, die sich an den Bedürfnissen der Frauen orientiert. Zukünftig ist dafür ein Konsentierungsprozess erforderlich, der neben Forscherinnen wiederum Nutzerinnen einschließt. Ein solches Fortsetzungsprojekt ist derzeit in Planung.


Anmerkungen

1 Um einen systematischen Überblick zu gewinnen, wurde eine Recherche in den Datenbanken PubMed, CINAHL, PSYNDEX, Web of Science Core Collection und MIDIRS am 10.03.2017 durchgeführt mit der Syntax "research OR Delphi study OR R&D" AND "agenda OR priority setting OR prioriti* OR schema OR program* OR criteria OR initiative OR national OR consensus" AND "midwi* OR maternity care" in Titel und Abstract. Von den erzielten Treffern, wurden diejenigen Veröffentlichungen eingeschlossen, die einen Prozess der Agenda-Erstellung für die Hebammenforschung auf überregionaler, nationaler oder internationaler Ebene beschrieben. Ausgeschlossen wurden Briefe, Kommentare, Reviews oder Studienprotokolle sowie Studien, die sich nur auf eine einzelne Einrichtung beschränkten oder Studien, die sich nicht (nur) auf die Hebammenforschung oder -tätigkeit bezogen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).



2 Die Gütekriterien Validität und Reliabilität werden hier nicht als klassische Gütekriterien der quantitativen Forschung, sondern als globale Konstrukte verstanden, die sich in der qualitativen Forschung anders konstituieren als in der quantitativen Forschung.

Förderung

Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell gefördert.

Interessenskonflikt

Die Autorinnen erklären, dass die DFG keinen Einfluss hatte auf das Studiendesign, die Datenerhebung und -analyse, die Abfassung des Manuskripts und die Entscheidung, das Manuskript zur Publikation einzureichen.

Sie erklären außerdem, dass Gertrud M. Ayerle und Elke Mattern Vorstandsmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. und Mitglieder des Deutschen Hebammenverbands e.V. (bzw. der entsprechenden Landeshebammenverbände) sind.


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