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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

E-Medikation: Der lange Weg von der Theorie in die Praxis

Editorial

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GMS Med Inform Biom Epidemiol 2017;13(2):Doc11

doi: 10.3205/mibe000178, urn:nbn:de:0183-mibe0001788

Veröffentlicht: 21. Dezember 2017

© 2017 Criegee-Rieck.
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Gliederung

Editorial

Derzeit hört man sie verstärkt wieder, die ungeduldigen Stimmen der Protagonisten des digitalen Fortschritts, denen die Transformation in unserem Gesundheitswesen zu langsam geht. Obgleich durch deren Software, so man sie nur erwerbe und einsetze, tausende von Menschenleben gerettet oder zumindest eine bessere Medizin verfügbar wäre.

Dem wäre zu entgegnen, dass Medizin egal ob *anachronistisch* oder mit digitaler Unterstützung praktiziert, sich vorrangig am Wohle und der Sicherheit des Patienten orientiert. Bei einer Arzneimitteltherapie handelt es sich bekanntermaßen um einen Hochrisikoprozess in der Medizin. Was bedeutet, dass die Therapie eines Patienten an jeder Stelle eines Medikationsprozesses fehlerfrei und damit so sicher wie möglich zu gestalten ist. Digitale Produkte jeglicher Art, die ihre Markt- bzw. Betriebstauglichkeit zumeist im praktischen Einsatz beim Kunden erhalten, gelangen hier an ihre Grenzen. Ein täglicher Hochrisikoprozess im Wettstreit mit jahrelanger Kleinarbeit, um Kinderkrankheiten auszuräumen, senkt nicht das Risiko für den Patienten, sondern erhöht es inakzeptabel.

Führte früher die unleserliche Schrift des Therapeuten auf dem Rezept zu einem Medikationsfehler, sind es im digitalen Zeitalter Ungewissheiten bei der Bedeutung einer Therapieinformation, die den Therapeuten zu einer fehlerhaften Maßnahme verleitet. Oder es ist, aus aktueller Perspektive, ein Sicherheits-Patch für das Betriebssystem eines Herstellers, der die für einen Arzneimittel-Rezeptdruck notwendigen Nadeldrucker weitgehend lahmlegt.

Jeder fachkundige Therapeut weiß, dass die Wirkung eines Fertigarzneimittels am Patienten nicht einzig aus den klinischen Eigenschaften der verwendeten chemischen Substanz abzuleiten ist. Insofern produziert die Informationstechnik mit ihrem Bedürfnis zur Informationsreduktion eine Ungewissheit für den Konsumenten. Denn sobald wichtige Merkmale eines Fertigarzneimittels der Vereinheitlichung auf eine Wirkstoffinformation geopfert werden, trifft der Therapeut mangels dieser Angaben eine zumindest suboptimale Entscheidung.

Kleine und große Herausforderungen dieser Art werden von medizinischen Experten, Prozessverantwortlichen und Medizininformatikern in mühevoller Kleinarbeit über Jahrzehnte hinweg ausgearbeitet und publiziert, um eine Arzneimitteltherapie auch künftig mittels digitaler Lösungen und Produkte sicher praktizieren zu können. Ein dynamisches, dem Zeitgeist entsprechendes Just do it! wäre mit Sicherheit hierbei der falsche Ansatz!

Dieses Sonderheft „E-Medikation in der Schweiz, Österreich und Deutschland“ veranschaulicht Ihnen in vier wissenschaftlichen Beiträgen wesentliche Teilbereiche der Digitalisierung des Medikationsmanagements. Jede der Arbeiten verdeutlicht dem geneigten Leser im Ansatz mit welchen Herausforderungen der Weg in die digitale Zukunft gepflastert ist und welche tragfähigen Lösungen gefunden und erarbeitet wurden.

Dabei wird ein internationaler Bogen gespannt, indem zunächst der Artikel von Kollmann und Kollegen die Entwicklung der e-Medikation als erste Anwendung der elektronischen Gesundheitsakte in Österreich (ELGA) aufzeigt [1]. Die Anwendung steht seit 2016 neben dem e-Befund als ELGA-Anwendung zur Verfügung.

Anschließend thematisiert der Artikel von Stroetmann die Herausforderungen und Lösungsansätze bei der eineindeutigen Identifikation von Arzneimitteln in verschiedenen europäischen Ländern [2].

Die Ergebnisse entstanden im Rahmen des Pilot-Projekts ‚Smart Open Services for European Patients‘ (epSOS). Dort wurde eine elektronische Infrastruktur getestet die den Zweck hatte, Dokumente mit Patienten-Notfalldaten sowie e-Rezepte zwischen ausgewählten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) auszutauschen.

Zwei weitere Beiträge schildern Projekte zum Bundeseinheitlichen Medikationsplan in Deutschland. Hoffmann und Kollegen veranschaulichen in ihrem Beitrag, welche organisatorischen und technischen Barrieren überwunden werden müssen, um einen elektronischen Datenaustausch zu ermöglichen. Dabei betrachten sie besonders das Ultrakurzformat (UKF) und HL7 FHIR [3]. Demgegenüber entwerfen Thoma und Kollegen ein Erhebungsinstrument, mit dem Optimierungspotenzial bezüglich Akzeptanz und Praktikabilität des Bundeseinheitlichen Medikationsplans erhoben werden und in die Gestaltung zukünftiger Versionen einfließen kann [4].

Letzthin erkennen Sie in jedem der nachfolgenden Beiträge, dass die Gewährleistung der Arzneimitteltherapiesicherheit und damit der Schutz des Patienten, oberste Maxime der dort forschenden Autorinnen und Autoren war. In diesem Sinne mag auch das Zitat des bekannten Aphoristikers Gabriel Laub verstanden werden: „Der Computer arbeitet deshalb so schnell, weil er nicht denkt!“


Literatur

1.
Kollmann A, Hameed AS, Sabutsch SW. Die Entwicklung der e-Medikation als ELGA-Anwendung in Österreich. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2017;13(2):Doc10. DOI: 10.3205/mibe000177 Externer Link
2.
Stroetmann KA. The univocal identification and safe dispensation of medicinal products across Europe – challenges and solution proposal. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2017;13(2):Doc09. DOI: 10.3205/mibe000176 Externer Link
3.
Hoffmann C, Meyer K, Elze R. Zur Interoperabilität des bundeseinheitlichen Medikationsplanes – vom „Ultrakurzformat“ zu HL7-Standards. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2017;13(2):Doc08. DOI: 10.3205/mibe000175 Externer Link
4.
Thoma M, Ludmann D, van de Sand L, Thun S. Fragebogenkonstruktion zur Evaluation von Praktikabilität und Nutzen des Bundeseinheitlichen Medikationsplans. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2017;13(2):Doc07. DOI: 10.3205/mibe000174 Externer Link