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ISSN 2698-6388

Medikamentöse Behandlung der ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) im Erwachsenenalter in Deutschland

HTA-Kurzfassung

GMS Health Technol Assess 2010;6:Doc13

doi: 10.3205/hta000091, urn:nbn:de:0183-hta0000910

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/hta/2010-6/hta000091.shtml

Veröffentlicht: 7. September 2010

© 2010 Benkert et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.

Der vollständige HTA Bericht in deutscher Sprache ist verfügbar unter: http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta267_bericht_de.pdf


Zusammenfassung

Hintergrund

Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) handelt es sich um eine psychische Störung. Die betroffenen Personen sind in der Regel überaktiv, unachtsam und leichtfertig. Diese Erkrankung beginnt immer im Kindesalter, kann aber bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. Sie wirkt sich für die Betroffenen in nahezu allen Lebensbereichen aus. Die Lebensqualität ist häufig infolge der typischen Symptome und der hohen Rate an Begleiterkrankungen eingeschränkt.

Eine bewährte Form der Therapie ist die Behandlung mit anregend wirkenden Arzneimitteln. In erster Linie wird der Wirkstoff Methylphenidat eingesetzt. Er ist für die Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter in Deutschland nicht zugelassen. Das führt dazu, dass viele betroffene Erwachsene keine entsprechende Medikation erhalten.

Forschungsfrage

In dem vorliegenden Bericht (Health Technology Assessment [HTA]) werden die gewünschte Wirkung (Effektivität), die Wirkung in Zusammenhang mit den Kosten (Kosten-Effektivität) sowie ethische, soziale und rechtliche Gesichtspunkte bei der medikamentösen Behandlung von Erwachsenen mit einer ADHS betrachtet.

Methodik

In wissenschaftlichen Datenbanken wird im August 2009 eine systematische Literatursuche durchgeführt. Gefundene Literaturstellen müssen vorab definierten Kriterien entsprechen. Die Daten der Literaturstellen werden gezielt herausgesucht, bewertet und zusammenfassend beurteilt. Ergänzend wird eine Handsuche durchgeführt.

Ergebnisse

Insgesamt erfüllen 19 Studien, davon neun kontrollierte Studien, mit zufälliger Verteilung der Versuchspersonen bezüglich der Behandlung, fünf Metaanalysen (Untersuchung von zusammengefassten Einzelstudien), drei Studien zu wirtschaftlichen und zwei zu rechtlichen Gesichtspunkten die vorgegebenen Einschlusskriterien.

Alle bewerteten randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) zeigen, dass unter medikamentöser Behandlung vor allem mit Arzneimitteln mit anregender Wirkung (Methylphenidat und Amphetaminen) und Atomoxetin eine Verbesserung der ADHS-Symptome bei Erwachsenen im Vergleich zu einer Placebobehandlung auftritt. Die Ansprechraten belaufen sich in den Kontrollgruppen zwischen 7% und 42%, in den Behandlungsgruppen zwischen 17% und 59,6%. In den Metaanalysen werden die Ergebnisse aus den RCT bestätigt.

Insgesamt lassen sich für Patienten mit ADHS hohe jährliche direkte (z.B. für Medikamente) und indirekte (z.B. für Verdienstausfall) Kosten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe feststellen. Die durchschnittlichen Medikamentenkosten für Erwachsene mit ADHS betragen zwischen 1.262 US-Dollar im Jahr 1998 und 1.673 US-Dollar im Jahr 2001 (Währung und Inflation berücksichtigt: für 2009 zwischen 1.270 und 1.619 Euro).

Im Zusammenhang mit der Einnahme von Arzneimitteln mit stimulierender Wirkung können Betroffene in den Bereichen Straßenverkehr, Reisen und Sport eingeschränkt sein. Für ethische und soziale sowie für rechtliche Aspekte in Bezug zur medikamentösen Therapie bei Erwachsenen mit einer ADHS werden keine entsprechenden Studien gefunden.

Diskussion/Schlussfolgerung

Insbesondere bei Methylphenidat und Atomoxetin sind positive Effekte der medikamentösen Therapie nachweisbar. Dabei muss eine Dosiseinstellung abgestimmt auf die jeweilige betroffene Person erfolgen, um ein optimales Ansprechen der Medikamente zu erreichen.

Um genauere Aussagen über die Kosten-Wirkung der medikamentösen Therapie bei Erwachsenen mit einer ADHS zu treffen, sind weitere gesundheitsökonomische Studien erforderlich.

Abgesehen vom zweifelsfrei psychiatrischen Krankheitsbild wird allein schon aus gesundheitsökonomischen Gründen empfohlen, die Voraussetzungen für eine angemessene Versorgung mit diesen Medikamenten auch für Erwachsene zu schaffen.

Schlüsselwörter: Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität, Arzneimitteltherapie, Methylphenidat, Erwachsener, Stimulanzien (historische), Behandlungsergebnis, Kosten und Kostenanalyse, Antidepressiva, Amphetamin, Bupoprion, Übersichtsliteratur, ADHS, Aufmerksamkeits-Defizit-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-Störung, Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, ADS, Hyperaktivitätssyndrom, Hyperaktivitäts-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätsstörung, hyperkinetische Störung, HKS, psychisch, psychische Störung, Verhaltensstörung, Verhaltens-Störung, minimale cerebrale Dysfunktion, MCD, Psychoorganisches Syndrom, POS, striatofrontale Dysfunktion, Komorbität, Zappeligkeit, Zappelphilipp, Zappel-Philipp, Überaktivität, Hyperaktivität, Konzentrationsschwäche, Konzentrationsstörung, Lernschwäche, unkonzentriert, Pharmakotherapie, Arzneimittel, Medikamente, Medizin, Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer, Noradrenalinwiederaufnahme-Hemmer, Noradrenalinwiederaufnahmehemmer, Stimulanz, Stimulanzien, Verhaltenstherapie, Verhalten, Therapie, Behandlung, Zusatztherapie, Versorgung, Versorgungsbedarf, Lebensqualität, Gesundheitsökonomie, Ethik, juistisch, sozial, Ökonomie, Effektivität, Kosteneffektivität, Kosten-Effektivität, Kosten, systematische Übersicht, HTA, Health Technology Assessment, medikamentöse Therapie, pharmazeutische Therapie, medizinische Interventionen, Arzneimitteltherapie, Methylphenidat, Atomoxetin, Nicht-Stimulanzien, Ritalin, Antidepressiva, Amphetamine, Bupropion, Erwachsene, Health Technology Assessment, HTA, Übersichtsarbeit, Effektivität, Kostenanalyse


Kurzfassung

Gesundheitspolitischer Hintergrund

Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) handelt es sich um eine psychische Störung. ADHS wirkt sich für die Betroffenen in nahezu allen Lebensbereichen aus. Die Lebensqualität ist häufig infolge der typischen Symptome und der hohen Rate an Begleiterkrankungen eingeschränkt. Die Erkrankung ist mit einem hohen Risiko für das Auftreten zahlreicher anderer psychischer Störungen, wie Depressionen und Angststörungen verbunden. Die Gründe für die Entwicklung von Begleiterkrankungen sind sehr vielfältig.

Wirkstoffe zur medikamentösen Behandlung der ADHS stehen zwar zur Verfügung, sind jedoch gegenwärtig in Deutschland nur für Kinder zugelassen und werden nur für diese durch die Gesetzliche Krankenversicherung erstattet.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Fälschlicherweise galt eine ADHS jahrelang ausschließlich als eine kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung. Dabei können die Symptome der ADHS bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben (persistieren). Die Persistenzraten werden in Studien zum Teil sehr unterschiedlich, mit Raten von 4 bis 66% beschrieben. Das Auftreten bei Männern ist gegenüber dem bei Frauen erhöht.

Die ADHS zeigt sich in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Schule, Beruf und Freizeit. Der Verlauf vom Kindes- ins Erwachsenenalter ist durch eine Veränderung der Symptome bestimmt. Erwachsene zeigen in der Regel weniger die typischen plötzlich auftretenden unkontrollierten Bewegungen. Das beruht darauf, dass Erwachsene häufig gelernt haben, diese Bewegungen besser zu verbergen. Zudem nehmen Bewegungen im Alter allgemein ab. Vergleichbar zu den Symptomen im Kindesalter können auch Erwachsene überaktiv, unachtsam und leichtfertig sein. Zusätzlich können sie sich schlecht organisieren, sind gefühlsmäßig gestört und anfällig für Stress.

Die Diagnosestellung der ADHS orientiert sich an den internationalen Einteilungssystemen psychischer Störungen. Der zentrale Aspekt ist die Krankheitsvorgeschichte, die mögliche ADHS-Symptome der Kindheit mit einbezieht. Das Vorliegen der Kernsymptomatik bereits vor dem siebten Lebensjahr ist Voraussetzung für die Krankheitsfeststellung im Erwachsenenalter. Für die Erhärtung der Diagnose stehen verschiedene Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Unterschieden wird dabei zwischen Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren.

Aus der Diagnose der ADHS leitet sich noch keine Behandlungsbedürftigkeit ab. Ob eine Therapie erforderlich ist, hängt vom Ausprägungsgrad sowie von den psychischen und sozialen Beeinträchtigungen ab.

Wird eine Behandlung als notwendig erachtet, kann diese unterschiedliche Möglichkeiten (Psychotherapie, Schulungen, Einsatz von Medikamenten) umfassen. Für die Arzneimittelbehandlung stehen anregende Mittel (Stimulanzien: Methylphenidat [MPH], Amphetaminsulfat), Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Atomoxetin [ATX]) und anderen Antidepressiva (Bupropion, Venlafaxin) zur Verfügung. Nach der Leitlinie für eine ADHS im Erwachsenenalter der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde wird die Behandlung mit MPH als Therapie erster Wahl empfohlen. Stimulanzien besitzen eine zentral anregende Wirkung auf den Organismus. ATX wirkt über die Regulierung der Neurotransmitter im Gehirn ohne anregend zu sein.

Aufgrund ihrer Wirkung unterliegen Stimulanzien einer besonderen Verschreibungspflicht gemäß Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes. Bislang können erwachsene Patienten in Deutschland lediglich im Rahmen von Verordnungen außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete (Off-label) mit Stimulanzien behandelt werden, da die Arzneimittel zur Behandlung der ADHS nur für Kinder und Jugendliche zugelassen sind. Die Therapie mit ATX ist im Erwachsenenalter gesetzlich erlaubt und kann erstattet werden, wenn die Therapie bereits im Kindes- oder Jugendalter begonnen wurde.

Eine ADHS ist häufig mit anderen psychischen Erkrankungen assoziiert. Verschiedene Studien belegen einen starken Zusammenhang insbesondere mit Substanzmittelmissbrauch, Stimmungs-, Angst- und Persönlichkeitsstörungen.

Forschungsfragen

In dem vorliegenden Bericht (Health Technology Assessment (HTA)) werden die gewünschte Wirkung (Effektivität), die Wirkung in Zusammenhang mit den Kosten (Kosten-Effektivität) sowie ethische, soziale und rechtliche Gesichtspunkte bei der medikamentösen Behandlung von Erwachsenen mit einer ADHS betrachtet. Hierzu wird alles verfügbare Wissen gezielt aufgearbeitet werden.

Für die Untersuchung zur medizinischen Wirksamkeit der medikamentösen Therapie bei erwachsenen ADHS-Patienten ergeben sich folgende Fragestellungen:

1.
Wie stellt sich die Effektivität der medikamentösen Therapie im Vergleich zu keiner Behandlung dar?
2.
Wie stellt sich die Effektivität verschiedener medikamentöser Therapien dar?
3.
Wie stellt sich die Effektivität einer medikamentösen Therapie als Zusatztherapie zu einer verhaltenstherapeutischen im Vergleich zu keiner Behandlung dar?
4.
Wie stellt sich die Effektivität einer medikamentösen Therapie als Zusatztherapie zu einer verhaltenstherapeutischen Behandlung im Vergleich zu einer rein medikamentösen Therapie dar?

Für die ökonomische Bewertung ergeben sich folgende Fragestellungen:

1.
Welche Kosten ergeben sich für eine medikamentöse Therapie bei erwachsenen Patienten mit einer ADHS als Einzel- und/oder Zusatztherapie zu einer verhaltenstherapeutischen Behandlung (pro Jahr)?
2.
Wie ist die Kosten-Effektivität der medikamentösen Therapie bei erwachsenen Patienten mit einer ADHS als Einzel- und/oder Zusatztherapie zu einer verhaltenstherapeutischen Behandlung zu bewerten?

Darüber hinaus ergeben sich weitere Fragen:

1.
Welche ethischen, sozialen und rechtlichen Gesichtspunkte sind bei der Anwendung der medikamentösen Therapie zu berücksichtigen?
2.
Wie beeinflussen diese Gesichtspunkte die gesundheitsökonomische/gesundheitspolitische Bewertung der Therapie?
3.
Wie ist die Einschätzung/Zustimmung des Versorgungsbedarfs durch die Betroffenen/Öffentlichkeit?
4.
Wie ist die Einschätzung/Zustimmung des Versorgungsbedarfs durch die Ärzte und welche Folgen haben diese für die Betroffenen und Ärzte?
5.
Wie ist die Einschätzung/Zustimmung des Versorgungsbedarfes durch die Krankenkassen und welche Folgen haben diese für die Betroffenen und Ärzte?

Methodik

In wissenschaftlichen Datenbanken wird am 18.08.2009 eine systematische Literatursuche durchgeführt. Gefundene Literaturstellen werden entsprechend vorab festgelegter Kriterien von zwei unabhängigen Personen ausgewertet. Eingeschlossen wird Literatur ab dem Jahr 2000. Eine Limitation bezüglich der Publikationssprache erfolgt nicht. Die Daten der Literaturstellen werden gezielt herausgesucht, bewertet und zusammenfassend beurteilt. Ergänzend wird eine Handsuche durchgeführt.

Ergebnisse

Insgesamt erfüllen 19 Studien, davon neun kontrollierte Studien, mit zufälliger Verteilung der Versuchspersonen bezüglich der Behandlung, fünf Metaanalysen (Untersuchung von zusammengefassten Einzelstudien), drei Studien zu wirtschaftlichen und zwei zu rechtlichen Gesichtspunkten die vorgegebenen Einschlusskriterien.

Randomisierte kontrollierte Studien (RCT)

Alle RCT weisen als Therapiegruppe eine medikamentöse Behandlung der ADHS und als Kontrollgruppe eine Behandlung mit Placebo auf: Die Therapiegruppen unterscheiden sich vor allem durch die Wirkstoffe und die Dosierungen deutlich voneinander. Von den neun identifizierten Publikationen werden vier mit dem Wirkstoff MPH als Therapie und Placebo als Kontrolle durchgeführt. Die übrigen Studien betrachten andere Wirkstoffe wie ATX, Bupropion, Paroxetin, Dextroamphetamin und einen Wirkstoff mit der Kennziffer NS2359.

Ein einheitliches Verfahren, um ein Nachlassen der Symptome zu messen, ist über die verschiedenen Studien hinweg nicht gegeben. Bei den meisten Studien werden bestimmte Skalen angewendet (Attention deficit/Hyperactivity [ADHD] Rating Scale [-RS]; Fremd- und Selbstbeurteilungsskalen von Conners).

Die Ausschlusskriterien der Studien sind unterschiedlich konkret formuliert. Während einige Autoren die Abwesenheit von anderen psychiatrischen Erkrankungen fordern, führen andere diese genauer aus und schließen Schizophrenie und seelische Störungen aus. In drei Studien werden weiterhin Patienten mit einem bekannten Nichtansprechen auf den zu untersuchenden Wirkstoff ausgenommen. Keine der Studien schließt Probanden mit aktuellen Drogen- oder Alkoholmissbrauch ein ebenso wenig wie schwangere oder stillende Frauen.

Als Ergebnis weisen alle Studien eine Abnahme der ADHS-Symptome in den Therapiegruppen auf, gemessen mit verschiedenen Skalen (ADHD-RS, Skalen nach Conners, Clinical Global Impressions-Skala). Insgesamt unterliegen die Gruppenunterschiede der MPH-Studien im Vergleich zu den ATX-Studien höheren Schwankungen.

Für Dextroamphetamin kann sowohl in Einzeltherapie als auch bei der Kombination mit Paroxetin eine deutliche Abnahme der ADHS-Symptome nachgewiesen werden (p<0,012). Bupropion und NS2359 zeigen positive Therapieeffekte im Vergleich zu Placebo, die sich statistisch sichern lassen. Jedoch liegt für diese Wirkstoffe nur jeweils eine Studie zur Therapie der ADHS im Erwachsenenalter vor. Hier kann daher derzeit nur von geringem wissenschaftlich verlässlichen Wissen ausgegangen werden.

Die Ansprechraten aller Studien belaufen sich auf 7% bis 42% in der Kontroll- und 17% bis 59,6% in der Therapiegruppe. Die beiden ATX-Studien machen keinerlei Angaben zur prozentualen Rate.

Dass die Reaktion abhängig vom jeweiligen ADHS-Subtyp sein kann, wird in einer Studie verdeutlicht. Ein Subtyp stellt eine Unterform der ADHS dar, z.B. eine Form mit vorherrschender Überaktivität. In dieser Studie sprechen Patienten mit ADHS des kombinierten Typs nach den Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen stärker auf Placebo (42%) als auf NS2359 (30%) an. Patienten des vorwiegend unaufmerksamen Subtyps nach den Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen (DSM-IV) zeigen hingegen eine deutlich höhere Reaktion (p<0,001) in der Therapiegruppe (7% vs. 41%).

Systematische Reviews mit Metaanalysen

In den fünf zur Bewertung eingeschlossenen systematischen Übersichtsarbeiten (Reviews) mit Metaanalysen wird eine systematische Literatursuche in relevanten Datenbanken beschrieben. Zudem werden vorab definierte Ein- und Ausschlusskriterien bezüglich des Studiendesigns berichtet und in zwei systematischen Reviews mit Metaanalysen das Vorgehen der Datengewinnung und die Qualität der zugrundegelegten Studien beschrieben. Eine zusätzliche Definition von Ein- und Ausschlusskriterien bei Patienten mit begleitenden psychischen Störungen wird nur in einer Metaanalyse gegeben.

Die Qualität der eingeschlossenen systematischen Reviews mit Metaanalysen ist sehr unterschiedlich, so weisen alle Analysen mehr oder weniger ausgeprägte Schwächen auf. Hierzu zählen die fehlende Subgruppenanalyse beispielsweise nach einzelnen Wirkstoffen und zugrundeliegendem Studiendesign.

Die Ergebnisse aller systematischen Reviews mit Metaanalysen zeigen eine Effektivität aller untersuchten Wirkstoffe (MPH, ATX) im Vergleich zu Placebo in Bezug auf die Ausprägung der ADHS-Symptome.

Ökonomische Studien

Für die Bewertung der ökonomischen Aspekte der ADHS im Erwachsenenalter werden drei Publikationen identifiziert.

Insgesamt lassen sich für Patienten mit ADHS hohe jährliche direkte (z.B. für Medikamente) und indirekte Kosten (z.B. für Verdienstausfall) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe für Patienten ohne ADHS feststellen. Dabei übersteigen die indirekten Kosten die direkten um ein Vielfaches. Die durchschnittlichen Medikamentenkosten für Erwachsene mit ADHS betragen zwischen 1.262 US-Dollar im Jahr 1998 und 1.673 US-Dollar im Jahr 2001 (Währung und Inflation berücksichtigt: für 2009 zwischen 1.270 und 1.619 Euro).

Ergebnisse zu weiteren Gesichtspunkten

Für die Bewertung der ethischen und sozialen Gesichtspunkte bei der medikamentösen Behandlung von erwachsenen Personen mit ADHS werden keine relevanten Literaturstellen durch die systematische Literatur- und die Handsuche gefunden. Eine wissenschaftliche Bewertung ist demzufolge nicht möglich.

Anhand der Literatursuche werden zwei Publikationen identifiziert, die rechtliche Gesichtspunkte der ADHS im Erwachsenenalter erörtern. Bei den Veröffentlichungen handelt es sich jedoch um unsystematisch aufgearbeitete Studien. Keine, in denen beispielsweise der Einfluss von rechtlichen Aspekten auf die Lebensqualität darstellt wird.

Rechtliche Fragestellungen in Bezug auf eine ADHS ergeben sich vorwiegend im Kontext der Medikation mit anregenden Substanzen, da diese unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Bei der Anwendung dieser Wirkstoffe sind insbesondere rechtliche Besonderheiten in den Bereichen Straßenverkehr, Reisen, Wehrdienst und Leistungssport zu berücksichtigen.

Zur Beantwortung der Fragestellung zu Aspekten der Gesellschaft und der Versorgung werden mit der Suchstrategie und der Handrecherche keine relevanten Literaturquellen identifiziert. Dennoch umfasst die fehlende Zulassung der medikamentösen Therapie nicht nur soziale und juristische Aspekte. Sie kann auch zu einer Unterversorgung von erwachsenen ADHS-Patienten mit Behandlungsbedarf führen, da viele Ärzte aufgrund möglicher drohender Regressforderungen weniger Medikamente verordnen.

Diskussion

Eine ADHS ist wegen der hohen gesellschaftlichen Kosten ein gesundheitsökonomisch und -politisch wichtiges Thema. Die Erkrankung kann erhebliche psychische und soziale Probleme bedingen, die sich auf zahlreiche Lebensbereiche auswirken können. Eine angemessene medikamentöse Behandlung kann zu einer Abnahme der Krankheitssymptome führen.

Die in die Auswertung aufgenommenen RCT erfüllen alle eine geforderte Mindestqualität der Methodik. Einige Studien weisen jedoch bezüglich Studiendesign, Durchführung sowie Berichterstattung verschiedene Schwachstellen auf. Die Ergebnisse einiger Studien müssen aufgrund der hohen Anzahl an Studienabbrechern vorsichtig betrachtet werden. Die Anzahl ist zwar relativ widersprüchlich, erreicht aber zumeist über 20%.

Ein weiteres großes Problem stellt die uneinheitliche Messung der Reaktionen auf die Medikation dar. Eine einheitliche und standardisierte Methode für die Messung der abgenommenen Symptome, wie beispielsweise die Hamilton Depressionsskala für depressive Erkrankungen, existiert bisher noch nicht. Die zahlenmäßige Beurteilung der ADHS-Symptome beruht auf Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen, die erheblich voneinander abweichen, subjektiv und situationsabhängig sind.

Die Ergebnisse der bewerteten Studien müssen auf ihre Übertragbarkeit auf das deutsche Versorgungssystem geprüft werden. Unterschiede der Patientencharakteristika könnten hier einschränkend sein, wie beispielsweise ein höherer/niedriger Körpermassenindex (Body Mass Index [BMI]). Auch sind die Vergütungen in den verschiedenen Gesundheitssystemen) und die Medikamentenpreise (Fest- und Rabattverträge in Deutschland) verschieden. Wie sich diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf die Höhe der Kosten auswirken, kann nicht abgeschätzt werden.

Schlussfolgerung/Empfehlung

Ein früher Beginn einer medikamentösen Behandlung der ADHS ist gesundheitsökonomisch und -politisch höchst relevant aufgrund:

  • der sozialen Beeinträchtigungen, die sich auf zahlreiche Lebensbereiche auswirken können
  • des hohen Risikos andere psychische Erkrankungen zu entwickeln und
  • den hohen gesellschaftlichen Kosten.

Abgesehen vom zweifelsfrei psychiatrischen Krankheitsbild wird allein schon aus gesundheitsökonomischen Gründen empfohlen, die Voraussetzungen für eine angemessene Versorgung mit diesen Medikamenten auch für Erwachsene zu schaffen.

Zusammenfassend lässt sich eine Evidenz für positive Effekte bei den Wirkstoffen MPH, Dextroamphetamin und ATX zur Behandlung einer ADHS bei Erwachsenen aus der Literatur nachweisen. Zudem ergeben sich Hinweise, dass die auf die jeweilige erwachsene Person abgestimmte Dosierung entscheidend ist, um ein optimales Ansprechen der Medikamente zu erreichen.

Die Schlussfolgerungen beziehen sich auf neun RCT, fünf Metaanalysen und drei ökonomische Studien, die in diesem Bericht dargestellt werden.

Die Dauer der Studien beläuft sich meist auf wenige Wochen. Zur Abschätzung der Langzeitwirkung ist sie damit zu kurz. Negative Langzeiteffekte einer medikamentösen Behandlung können daher nicht ausgeschlossen werden. Weitere Forschung in diesem Bereich wird als notwendig angesehen.

Ferner werden die Wirkstoffe gegen Placebo getestet. Hochwertige direkte Vergleichsstudien zwischen den Wirkstoffen, die für die Fragestellung der medizinischen Effektivität einer Therapie relevant sind, fehlen.

Um eine Aussage zur Kosten-Effektivität der medikamentösen Therapie bei Erwachsenen mit ADHS zu treffen, sind weitere gesundheitsökonomische Studien erforderlich, die auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar sind.