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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Antiseptische Begleittherapie des Ulcus cruris mit Polihexanid

Supportive antiseptic therapy of ulcus cruris with polihexanide

Originalarbeit

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  • corresponding author Beat Roth - Chirurgische Klinik, Bezirksspital, Belp, Schweiz
  • Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2009;4(2):Doc16

doi: 10.3205/dgkh000141, urn:nbn:de:0183-dgkh0001410

Veröffentlicht: 16. Dezember 2009

© 2009 Roth et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Problemstellung: Nachdem einleitend die diagnostischen und therapeutischen Grundsätze der chirurgischen Behandlung des chronischen Ulcus cruris dargestellt werden, wird über Therapieergebnisse der Behandlung von 259 Patienten mit venösen Ulcera berichtet.

Methode: Der Zeitraum der durchschnittlichen Therapiedauer umfasste bei der Erstvorstellung der Patienten 4,2 Jahre (minimal 4 Monate, maximal 63 Jahre). Das Durchschnittsalter betrug 54 Jahre (minimal 35 Jahre, maximal 79 Jahre). Bei 192 Patienten war vor Behandlungsbeginn bereits eine Voroperation durchgeführt worden. Operativ wurden 210 Patienten versorgt. Die lokale Therapie beinhaltete bei allen Patienten die antiseptische Abdeckung mit Polihexanid (0,04%) getränkten Auflagen, z.T. mit vorherigem Débridement und plastischer Deckung

Ergebnisse: Nach 3 d antiseptischer Therapie waren 72 Ulcera (30,7%) bakteriologisch negativ, nach 7 d 139 (60,1%). Zum Zeitpunkt der Nachkontrolle waren 203 Patienten (87,8%) rezidivfrei. In Anbetracht des Schweregrads zu Behandlungsbeginn, d.h. durchschnittliche Therapiedauer vor der Erstvorstellung 4,2 Jahre, ist das ein bemerkenswertes Ergebnis. Die mikrobiologischen Befunde und der klinische Eindruck sprechen dafür, dass die antiseptische Begleittherapie mit Polihexanid getränkten Auflagen maßgeblich zum Therapieerfolg beigetragen hat.

Schlüsselwörter: chronisches Ulcus cruris, Diagnostik, Therapie, Antiseptik, Polihexanid

Abstract

Aim: After introduction of the diagnostic and therapeutic principles of the surgical treatment of the chronic ulcus cruris therapy results are reported of the treatment by 259 patients with venous ulcera.

Method: The average therapy duration covered 4.2 years (min. 4 months, max. 63 years) at the time of first consultation of the patients. The average age amounted to 54 years (min. 35 years, max. 79 years). At 192 patients before beginning of treatment a surgical intervention had been already accomplished. 210 patients were treated by surgery. All patients became local antisepsis with polihexanide (0.04%) soaked dressings, partially with previous débridement and following plastic surgery.

Results: After 3 d of antiseptic therapy 72 ulcera (30.7%) were bacteriologic negative, after 7 d 139 (60.1%). At the time of the check to proof the therapy result 203 patients (87.8%) were without recidives. Considering the severity of illness to beginning of treatment, i.e. average therapy duration 4.2 years ago, is that a remarkable result. The microbiological findings and the clinical impression support the assumption that the supportive antiseptic therapy with polihexanide contributed considerably to the therapy success.

Keywords: chronic ulcus cruris, diagnostic, therapy, antisepsis, polihexanide


Problemstellung

Das chronische Ulcus cruris ist definiert als ein mehr als 6 Wochen bestehender Epitheldefekt am Unterschenkel mit fehlender Heilungstendenz.

Allen Formen des Ulcus cruris liegt die mangelhafte Durchblutung des betroffenen Gewebes, meist als Folge gestörter Mikrozirkulation, zugrunde, was die Entstehung des Ulcus ermöglicht und zugleich der Grund für dessen schlechte Heilungstendenz ist.

Als Grunderkrankung liegen meist ein postthrombotisches Syndrom oder eine Varikosis vor (bei etwa 90% der Ulcera), aber auch arterielle Erkrankungen (bei etwa 6%) und Mikrozirkulationsstörungen (bei etwa 4%) kommen ätiologisch in Betracht. Bei postthrombotischen Ulcera bestehen meist jahrelang Hyperpigmentationen, Stauungsindurationen und Atrophies blanches. Ulzerationen bei primärer Varikosis und suffizientem Klappenapparat der Perforansvenen sind auf Verletzungen, stumpfes Trauma oder Varizenrupturen zurückzuführen. Ulcera bei chronischer Veneninsuffizienz dokumentieren das endgültige Versagen der physiologischen Regulationsmechanismen.

Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Übergewicht sind bei den Betroffenen häufig als Begleiterkrankung zu finden, sind aber selten die Hauptursache. Rauchen und Bewegungsmangel (Mangeldurchblutung über die fehlende Muskelpumpe) sind ebenfalls wichtige Risikofaktoren.

In vielen Fällen gibt schon die Blickdiagnose wertvolle Hinweise auf die Ursache. Venös bedingte Ulcerationen befinden sich meist an der Innenseite des Unterschenkels kurz oberhalb des Knöchels, während sich arteriell bedingte Ulcerationen eher lateral oder akral zeigen. Auch die Schmerzhaftigkeit lässt Rückschlüsse zu. Nicht bzw. wenig schmerzhaft spricht für ein venöses Ulcus (oft bei Diabetes mellitus, in belasteten Arealen wie Malum perforans, bei Polyneuropathie und Mikroangiopathie), starker Schmerz für ein arterielles Ulcus und unerträglicher Schmerz ebenso wie ein livider, leicht erhobener Randbereich meist für ein vaskulitisches Ulcus.

Inspektion und Ausmessen des Ulcus, wenn möglich auch eine fotografische Dokumentation, erleichtern die spätere Beurteilung der therapeutischen Maßnahmen (und manchmal auch der Mitarbeit der Patienten) und sind im Einzelfall von forensischer Bedeutung.

Das weitere diagnostische Vorgehen beinhaltet die Palpation der Fußpulse, die Prüfung der Beweglichkeit in den grossen Gelenken, die apparative Diagnostik (Ultraschall-Doppler, Duplexsonographie, dynamische Photoplethysmographie und/oder aszendierende Phlebographie), Probebiopsie vom Ulcusrand und -grund, Labordiagnostik (Blutzucker, Blutbild, CRP, Quick, partielle Thromboplastinzeit, Fibrinogen, Kreatinin, Eiweiß), evtl. Epikutantestung, Bakteriologie und vergleichende Umfangmessungen.

Nahezu jede Ulcuswunde ist bakteriell kolonisiert. Die im Heilungsprozess auftretenden Selbstreinigungskräfte reichen üblicherweise jedoch aus, um mit der Kolonisation fertig zu werden.

Nur bei erhöhten CRP-Werten soll zu Behandungsbeginn ein perorales Antibiotikum verabreicht werden. Das Behandlungsziel der Antiseptik beim Ulcus cruris besteht in der Dekontamination, um die den Heilungsverlauf hemmende bakterielle Endotoxinfreisetzung zu unterbinden und sekundäre Infektionen zu verhindern. Débridement bzw. Wundsäuberung dienen der Förderung von Granulation und Epithelisation, um vor der Hauttransplantation optimale lokale Verhältnisse zu schaffen.

Ausgehend von den Eigenschaften von Polihexanid, d.h. der antiseptischen Wirksamkeit, der guten Gewebeverträglichkeit und der Förderung von Granulation und Epithelisation [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10] sollte dieses Antiseptikum während aller Phasen der Wundheilung, d.h. der Reinigungs-, Granulations- und Epithelisationsphase, u.U. in Verbindung mit vorangehendem chirurgischen Débridement, eingesetzt werden.


Material und Methode

Zwischen 1994 und 2007 wurden 259 Patienten mit venösen Ulcera crurae antiseptisch mit Polihexanid getränkten Auflagen (Lavasept 0,2% mit 0,04% Polihexanidgehalt) behandelt. Der Zeitraum der durchschnittlichen Therapiedauer in anderen Einrichtungen umfasste zum Zeitpunkt der Erstvorstellung der Patienten 4,2 Jahre (minimal 4 Monate, maximal 63 Jahre). Das Durchschnittsalter betrug 54 Jahre (minimal 35 Jahre, maximal 79 Jahre). 177 Patienten waren weiblich (76,6%), 54 Patienten waren männlich (23,4%). Bei 192 Patienten war vor Behandlungsbeginn bereits eine Voroperation durchgeführt worden.

Operativ wurden 210 Patienten (ein- bis viermal pro Patient) versorgt, davon Phlebektomie bei 180 Patienten, Stripping der V. saphena magna bei 186 Patienten, Crossektomie bei 208 Patienten, Perforantenligatur bei 55 Patienten, Parvaligatur (+/-Stripping) bei 42 Patienten und Hauttransplantation bei 172 Patienten.

Die lokale Therapie beinhaltete folgende Maßnahmen: antiseptische Abdeckung mit Polihexanid getränkten Auflagen bei allen 259 Patienten, chirurgisches Débridement bei 130 Patienten, enzymatisches Débridement bei 101 Patienten, Spalthauttransplantat (Thiersch-Lappenplastik) bei 72 Patienten, Mesh-graft bei 109 Patienten und spontane Epithelisation bei 49 Patienten. 12 Patienten wurden zusätzlich zur Antiseptik antibiotisch behandelt. Die Entscheidungskriterien für Hauttransplantation waren die Defektgröße (Breiten-, Längen-Ausdehnung >5 cm) und erfolgte Voroperationen bzw. für Epithelisationsförderung ohne operative Versorgung (Breiten-, Längen-Ausdehnung des Defekts <5 cm) und narbenfreie Kriterien für eine Spontanheilung sowie keine Gefäßerkrankung und keine Immunsuppression.


Ergebnisse

Bakteriologie

Im Abklatsch von der Wundoberfläche war eine deutliche Zeitabhängigkeit der Erregerelimination erkennbar. Vor Beginn der antiseptischen Therapie waren nur zwei der 230 Wunden ohne Erregernachweis. Nach 3 d waren 72 Ulcera bakteriologisch negativ (30,7%), nach 7 d bereits 139 (60,1%) (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Therapieergebnis

Zum Zeitpunkt der Nachkontrolle (nach 1–12 Jahren) waren 232 Patienten (89,6%) rezidivfrei. Die restlichen 27 Patienten hatten wieder ein Ulcus cruris (10,4%). In Anbetracht des Schweregrads zu Behandlungsbeginn, d.h. durchschnittliche Therapiedauer vor der Erstvorstellung 4,2 Jahre, ist das als ein bemerkenswertes Ergebnis anzusehen. Die mikrobiologischen Befunde und der klinische Eindruck sprechen dafür, dass die antiseptische Begleittherapie mit Polihexanid getränkten Auflagen maßgeblich zum Therapieerfolg beigetragen hat, weil bereits vor der operativen Versorgung, d.h. in der Phase der Wundkonditionierung, bzw. bei den Patienten, bei denen keine operative Versorgung erforderlich war (n=49), die Ulcera schon einen Tag nach Beginn der Antiseptik aus dem Stadium des Stillstands (livide Färbung, z.T. Wundgeruch und Exsudation) in die Heilungsphase (beginnende Granulation, Sistieren der Exsudation) übergegangen waren. Damit werden die guten Ergebnisse anderer Autoren zur antiseptischer Behandlung mit Polihexanid bestätigt [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17].

Nachfolgend werden zwei typische Behandlunsverläufe dargestellt. In Abbildung 1 [Abb. 1] handelt es sich um eine 82-jährige Frau, bei der seit 8 Jahren ein offenes Ulcus cruris vorlag und in der Vorgeschichte zweimal vergeblich eine Hauttransplantation vorgenommen wurde sowie fünf verschiedene Antibiotika zum Einsatz gekommen waren. Sofort nach der Aufnahme wurde mit der antiseptischen Therapie begonnen. Hierbei wurde das Ulcus zweimal täglich durch im Verband positionierte perforierte Drains mit je 20 ml Lavasept befeuchtet (Abbildung 2 [Abb. 2]). Bereits nach 14-tägiger antiseptischer Behandlung war eine durchgreifende klinische Verbesserung des Ulcus feststellbar (Abbildung 3 [Abb. 3]). 10 d nach Hauttransplantation war die Wunde nahezu reizlos und heilte großflächig ab (Abbildung 4 [Abb. 4]). Zum Zeitpunkt der Kontrolle nach sechs Jahren war das Ulcus mit gutem Endergebnis abgeheilt (Abbildung 5 [Abb. 5]).

Bei der zweiten Kasuistik handelt es sich um eine 56-jährige Patientin mit einem seit vier Jahren bestehenden Ulcus cruris (Abbildung 6 [Abb. 6]). Nach der Nekrektomie wurde analog wie oben zweimal täglich mit Lavasept behandelt. Schon 10 d nach der Nekrektomie war die Wundheilung deutlich vorangeschritten, so dass keine Transplantation erforderlich wurde (Abbildung 7 [Abb. 7]). Bei der Kontrolle nach 4 Jahren war das Ulcus narbenfrei ausgeheilt (Abbildung 8 [Abb. 8]).


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