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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Lappenplastiken zur Therapie infizierter Problemwunden

Skin grafting for therapy of infected problematic wounds

Originalarbeit

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  • corresponding author Alice Wichelhaus - Abteilung Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie, Unfallkrankenhaus, Berlin, Deutschland
  • Andreas Eisenschenk - Abteilung Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie, Unfallkrankenhaus, Berlin, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc62

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2007-2/dgkh000095.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2007

© 2007 Wichelhaus et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Weichteildefekte unterschiedlichster Genese und Größe an den unterschiedlichsten Körperstellen können mit vielfältigen Lappenplastiken im Rahmen eines allgemeinen Behandlungsplans gedeckt werden. Man benötigt ein weites Repertoire, um die korrekte Indikation im Einzelfall zu stellen.

Schlüsselwörter: gestielte Lappenplastik, random pattern flap, freie mikrovaskuläre Lappenplastik, Mikrochirurgie

Abstract

Extensive soft tissue defects of different origins and in different regions of the body can be reconstructed with a multitude of flaps in the framework of a general therapy regime. The surgeon should be capable of a wide variety of different techniques to be able to chose the correct indication in each individual case.

Keywords: pedicled flap, random pattern flap, free flap, microsurgery


Einleitung

Indikationen zur lappenplastischen Deckung entstehen immer dann, wenn durch Infektion, Trauma oder Débridement Weichteildefekte mit freiliegenden, vital notwendigen Strukturen wie Knochen, Sehnen, Gefäße, Nerven oder Osteosynthesematerial, entstanden sind, aber auch, wenn Defekte durch Haut- und Weichteilnekrosen entstanden sind. Andere Indikationen sind die Auffüllung von Substanzdefekten und der Verschluss infizierter Höhlenbildungen.


Darstellung typischer Indikationen

Im klinischen Alltag sehen wir die unterschiedlichsten infizierten Problemwunden. In einer unfallchirurgischen Klinik handelt es sich in einem Großteil der Fälle, die eine Lappenplastik benötigen, um kontaminierte Wunden nach Trauma mit ausgedehntem Weichteilverlust und freiliegendem Knochen und Osteosynthesematerial (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Eine weitere häufige Indikation sehen wir bei Patienten mit Osteomyelitiden, bei denen nach Sanierung der Infektion eine Weichteildeckung bzw. eine Auffüllung des entstandenen Defekts notwendig wird (Abbildung 2 [Abb. 2]).

In anderen Fällen müssen Dekubitalulzera gedeckt werden (Abbildung 3 [Abb. 3]).

Um infizierte und kontaminierte Problemwunden dieser Ausmaße beherrschen zu können, benötigt man ein festes therapeutisches Regime. Zunächst erfolgt die Sanierung der Infektion durch radikale Nekrektomie. Der Patient wird in ein programmiertes Débridement- und Lavageprogramm aufgenommen. Gegebenenfalls erfolgt eine interne oder externe Stabilisierung von Frakturen und die temporäre Defektdeckung mit alloplastischem Hautersatzmaterial mit frühzeitiger Planung der definitiven Defektdeckung.

Als Therapieziele sind die Kontrolle der Infektion, der Erhalt der Extremität und ihrer Funktion und letztendlich auch eine ästhetische Wiederherstellung zu postulieren.

Zum optimalen Zeitpunkt der lappenplastischen Deckung lässt sich sagen, je früher desto besser, um eine Osteitisentstehung oder Ausbreitung zu unterbinden.

Problematisch hinsichtlich der Festlegung des Zeitpunktes einer notwendigen plastischen Deckung ist der Allgemeinzustand des Patienten. Auch hier gilt das Stufenschema zur Versorgung Polytraumatisierter. Bei der Planung müssen Nebenerkrankungen sowie septische Krankheitsbilder, die lange Eingriffe mit hohem Volumenumsatz verbieten, bedacht werden. Nach Verletzungen muss auch der Demarkierungsgrad von Nekrosezonen beachtet werden.

Die Auswahl des korrekten Deckungsverfahrens ist abhängig von der Form, Größe und Lage des Defekts, der Durchblutungssituation des Wirtslagers, dem Allgemeinzustand des Patienten und seinen Begleiterkrankungen, aber auch von den Wünschen des Patienten. Nicht jeder ist beispielsweise bereit, eine längere Bettruhe einzuhalten oder eine primär unverletzte Körperregion zur Lappengewinnung zur Verfügung zu stellen.


Auswahl von Verfahren zur operativ plastischen Wundbehandlung

Zur operativ plastischen Wundbehandlung stehen uns verschiedenste Verfahren zur Verfügung:

  • Spalt- oder Vollhauttransplantationen,
  • lokale Lappenplastiken wie Rotationslappen oder Z-Plastiken
  • gestielte Nah- und Fernlappen
  • freier mikrovaskulär angeschlossener Gewebetransfer.

Die Nahlappen sind im Gegensatz zu Hauttransplantationen primär durchblutet. Sie nutzen durch geometrische Umverteilung die Elastizitätsreserve der Haut aus. Sie erhalten ortsständige Gewebequalitäten. In der Regel bleibt auch die Sensibilität erhalten.

Im Folgenden sehen Sie ein Beispiel für eine regionale Lappenplastik. Zur Deckung eines Präsakralulkus wurde ein beidseitiger Gluteallappen verwendet (Abbildung 4 [Abb. 4]).

Bei den gestielten Nah- und Fernlappen wird die Durchblutung über einen Gefäßstiel gewährleistet. Teilweise sind diese Lappen auch gut sensibel, wenn ein neurovaskulärer Stiel gehoben werden kann, z.B. beim Suralislappen. Bei den Fernlappen ist ein Zweiteingriff zur Lappenstieldurchtrennung notwendig. Typisches Beispiel hierfür ist der sogenannte Leistenlappen.

Die folgende Bildserie (Abbildung 5 [Abb. 5], Abbildung 6 [Abb. 6], Abbildung 7 [Abb. 7], Abbildung 8 [Abb. 8]) zeigt eine Anwendungsmöglichkeit für den Suralislappen zur Sanierung einer Kalkaneusosteomyelitis. Der Suralislappen eignet sich zur Deckung kleinerer Defekte am distalen Unterschenkeldrittel und der Fersenregion.

Abbildung 9 [Abb. 9] und Abbildung 10 [Abb. 10] zeigen einen Suralislappen intraoperativ, der zur Deckung eines kleineren Defekts über dem Innenknöchel transponiert wurde.

Man erkennt die abschließende Durchblutungskontrolle mit Austritt hellroten Bluts auf Nadelstiche.

Ein weiterer häufig angewandter gestielter Lappen ist der gestielte Rectus abdominis-Lappen, in diesem Fall zur Defektdeckung nach Sanierung einer Sternumosteomyelitis nach kardiochirurgischem Eingriff.

Die intraoperativen Bilder (Abbildung 11 [Abb. 11] und Abbildung 12 [Abb. 12]) zeigen den gehobenen Lappen vor und nach Umschlagen in sein neues Bett.

Im klinischen Abschlussbild (Abbildung 13 [Abb. 13]) wird erkennbar, dass die Lappenplastik mit Spalthaut gedeckt wurde, der Hebedefekt konnte primär verschlossen werden.

Ein typischer gestielter Nahlappen ist der distal gestielte Hemisoleuslappen, hier benutzt, um einen Defekt zu decken, der nach Sanierung einer Infektion nach erstgradig offener Unterschenkelfraktur an der Tibiavorderkante entstand (Abbildung 14 [Abb. 14] und Abbildung 15 [Abb. 15]). Die Infektion wurde nach Nekrektomie zunächst mit Vakuumverband behandelt und nach mehrfacher Lavage dann mit dem vom Unterschenkel gewonnenen Muskellappen gedeckt.

Am Ober- und Unterschenkel steht genug Muskelmasse zur Verfügung, um gestielte Muskellappen zur Defektdeckung an anderer Stelle verwenden zu können, ohne dass ein Funktionsverlust eintritt. Am Unterarm sind die Verhältnisse anders. Ohne empfindliche Funktionseinbuße an der Hand kann hier kein Muskel geopfert werden. Daher werden am Unterarm hauptsächlich fasziokutane oder reine adipofasziale Lappen gehoben.

Typisches Beispiel ist der A. interossea posterior-Lappen, der eine große Reichweite hat. Die Gefäßversorgung erfolgt über die retrograd durchflossene A. interossea posterior über Anastomosen zur A. interossea anterior und zum dorsalen karpalen Gefäßbogen und Gefäßplexus um den Ulnakopf.

Die Präparation ist schematisch in Abbildung 16 [Abb. 16] dargestellt (aus [1]).

Hier wurde der A. interossea posterior-Lappen zur Deckung freiliegender Strecksehnen nach Verletzung benötigt (Abbildung 17 [Abb. 17]).

Der häufig benutzte A. radialis-Lappen wird durch die retrograd durchflossene A. radialis versorgt. Man opfert also eine der Hauptunterarmarterien für diesen Lappentyp.

Hier wurde ein solcher Lappen zur Auflösung einer instabilen, funktions-beeinträchtigenden Narbe in der Hohlhand verwendet (Abbildung 18 [Abb. 18] und Abbildung 19 [Abb. 19]). Der Hebedefekt konnte primär verschlossen werden.

Abbildung 20 [Abb. 20], Abbildung 21 [Abb. 21] und Abbildung 22 [Abb. 22] zeigen das Beispiel eines Patienten, bei dem eine kombinierte A. interossea posterior- und eine distal gestielte A. radialis-Lappenplastik verwendet wurde. Der Patient wurde 4 Wochen nach Mittelhandamputation zugewiesen. Auswärts war die Replantation unter Bildung einer Dreifingerhand erfolgt.

Durch die Kontamination bei der Verletzung, die kompromittierte Durchblutungssituation und die lange bestehenden Defekte hatte sich eine Osteomyelitis des 2. Strahls entwickelt, so dass hier eine Resektion des infizierten Knochens, eine temporäre Überbrückung mit Fixateur externe und schließlich eine Beckenkammspaninterposition zur Rekonstruktion des Mittelhandknochens notwendig wurden (Abbildung 23 [Abb. 23] und Abbildung 24 [Abb. 24]).

Der dorsale Weichteildefekt wurde mit einer A. interossea posterior-Plastik gedeckt, der palmare mit einem distal gestielten A. radialis Lappen (Abbildung 25 [Abb. 25]).

Die Ausheilungsbilder sind in Abbildung 26 [Abb. 26], Abbildung 27 [Abb. 27] und Abbildung 28 [Abb. 28] dargestellt. Der Patient ist wieder als LKW-Fahrer mit Be- und Entladetätigkeit beschäftigt.

Ein typischer Vertreter der gestielten Fernlappenplastik ist der Leistenlappen. Es handelt sich hierbei um einen random pattern flap, das heißt der Haut-Subkutangewebelappen wird nicht an einem definierten Gefäßstiel gehoben, sondern es verbleibt ein im Verhältnis zur Lappengröße breiter Verbindungsstiel zur Spenderregion, über den die Lappendurchblutung gewährleistet wird. Aus der Wirtsregion sprossen dann Gefäße in den Lappen ein, die sukzessive die Lappenernährung übernehmen, so dass nach etwa 14 Tagen eine Stieldurchtrennung erfolgen kann (Abbildung 29 [Abb. 29], Abbildung 30 [Abb. 30] und Abbildung 31 [Abb. 31]). Bis zur Stieldurchtrennung muss Bettruhe eingehalten werden, um ein Ausreißen des Lappens zu verhindern.

Eine Sonderform hierfür ist die sogenannte Muff-Plastik. Diese Patientin war mit der Hand in einen Rasenmäher geraten. Nach Naht der verletzten Beugesehnen verblieben palmare Weichteildefekte (Abbildung 32 [Abb. 32], Abbildung 33 [Abb. 33], Abbildung 34 [Abb. 34]). Es wurde eine Weichteilbrücke am Oberarm präpariert, unter der die Finger durchgeschoben werden.

Der Hebedefekt wird mit Spalthaut gedeckt, dann werden die verletzten Finger wie durch einen Muff unter der Brücke durchgeschoben und eingenäht. Nach 14 d kann beidseits der Stiel durchtrennt werden.

Sind keine gestielten Nah- oder Fernlappen mehr möglich, bleibt die Option, einen freien Gewebetransfer durchzuführen. Technisch ist es möglich, gut durchblutete Gewebe, in der Regel Muskulatur, an nahezu jede Körperregion zu transplantieren. Auch gefäßgestielte freie Knochentransplantationen sind möglich, z.B. aus dem Beckenkamm, der Fibula oder Skapula. Es handelt sich immer um ein aufwändiges Verfahren. Kenntnisse in der mikrochirurgischen Technik sind unabdingbar. Man benötigt vor einer freien Lappenplastik eine suffiziente Angiografie der Empfängerregion und teilweise auch der Spenderregion.

Es kann der M. rectus abdominis als freies vaskularisiertes Transplantat gehoben werden (Abbildung 35 [Abb. 35], Abbildung 36 [Abb. 36] und Abbildung 37 [Abb. 37]).

Besonders geeignet ist dieser Muskel bei langen, schmalen Defekten. Das Deckungspotential liegt zwischen dem des M. gracilis und des M. latissimus dorsi. Ein Nachteil ist die entstehende Bauchwandhernie nach Entfernung der ventralen Rektusscheide.

Häufig transplantiert wird der M. latissimus dorsi, der ausgezeichnete Deckungseigenschaften hat, dünn, flach und leicht formbar ist. Er gestattet eine größtmögliche Weichteildeckung und kann auch neurovaskulär angeschlossen werden. Nachteilig ist ein mäßiger Kraftverlust bei Hebung des gleichseitigen Armes über die Horizontale, also bei Überkopfarbeiten.

Abbildung 38 [Abb. 38] zeigt einen intraoperativen Situs. Der zu transplantierende Muskel ist an seinem Ansatz am Beckenkamm schon abgelöst und hängt nur noch am Gefäßstiel und der Ursprungssehne.

In Abbildung 39 [Abb. 39] und Abbildung 40 [Abb. 40] ist ein Anwendungsbeispiel bei drittgradig offener Unterschenkelfraktur dargestellt.

In den Ausheilungsbildern (Abbildung 41 [Abb. 41], Abbildung 42 [Abb. 42] und Abbildung 43 [Abb. 43]) erkennt man, dass der zunächst prominente Lappen durch Kompressionsbehandlung gut modelliert werden kann.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Erfahrung und ein breites Repertoire erforderlich sind, um für jeden Defekt das ideale Deckungsverfahren zu finden. Auch die korrekte Festlegung des Zeitpunktes einer notwendigen Lappenplastik ist nicht immer einfach. Letztendlich handelt es sich bei Lappenplastiken aber um chirurgische Techniken, die nur dann sinnvoll anzuwenden sind, wenn sie in einen allgemeinen Behandlungsplan sinnvoll eingefügt werden.


Literatur

1.
Masquelet AC, Gilbert A. Atlas der Lappenplastiken in der Chirurgie der Extremitäten. Stuttgart: Enke; 1998.