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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Interaktion von Antiseptika und Antibiotika – Grundlagen und erste Ergebnisse in vitro

Interaction of antiseptics and antibiotics – principles and first in vitro results

Originalarbeit

  • corresponding author Nils-Olaf Hübner - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • Ojan Assadian - Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität, Wien, Österreich
  • Katharina Sciermoch - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc59

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2007-2/dgkh000092.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2007

© 2007 Hübner et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Antibiotika und Antiseptika werden im klinischen Alltag häufig kombiniert eingesetzt, obwohl wenig über die möglichen Interaktionen bekannt ist. Die Autoren gehen auf die Grundlagen der Beschreibung von Interaktionen ein und zeigen an in vitro-Ergebnissen, dass eine Kombinationstherapie nicht zwangsweise zu einer potenzierten Wirkung der Einzelsubstanzen führen muss. Es wird ein Ausblick auf neue Ansätze gegeben, mit denen die Probleme der klassischen Ansätze umgangen werden könnten.

Schlüsselwörter: Minimale Hemmkonzentration MHK, Index der fraktionalen Inhibitionskonzentration, Antiseptikum, Antibiotikum, Resistenztestung, Interaktion

Abstract

While knowledge of possible interactions of antimicrobial substances is limited, combined use of antiseptics and antibiotics is clinical practice. The authors address the basic concepts and problems in interaction testing and show that the combination of microbiocidal substances does not necessarily lead to an synergistic effect in vitro. New approaches to avoid problems of existing methods are shown.

Keywords: minimal inhibitory concentration MIC, index of fractional inhibitory concentration IFIC, antiseptic, antibiotic, resistance testing, interaction


Einleitung

So häufig, wie Antibiotika und Antiseptika im klinischen Alltag (z. B. bei der Wundbehandlung, Lavage oder präoperativen Antibiotikagabe) kombiniert eingesetzt werden, so wenig ist über die Interaktionen von Antibiotika und Antiseptika bekannt. Vergleicht man die Wirkprinzipien von Antibiotika und Antiseptika (Tabelle 1 [Tab. 1]), wird deutlich, warum in der Praxis so häufig gleichzeitig verschiedene antimikrobielle Substanzen verwendet werden. Dabei werden diese im Normalfall nicht direkt miteinander kombiniert, sondern es kommt zu einer unbeabsichtigten Interaktion, z. B. bei gleichzeitiger antibiotischer und antiseptischer Behandlung von invasiven Wundinfektionen.

Leider lässt sich in der Literatur keine Antwort auf die Frage finden, ob die Hoffnung nach einer zumindest additiven, wenn nicht potenzierten Wirkung beim kombinierten Einsatz von Substanzen beider Gruppen gerechtfertigt ist. Für Antiseptika und Antibiotika sind nicht nur pharmakokinetische (durch gegenseitige physikalische oder chemische Beeinflussung), sondern auch pharmakodynamische Interaktionen denkbar. Diese können sowohl auf chemischer als auch auf molekularbiologischer Ebene ablaufen. Eine systematische Literaturrecherche in der National Library of Medicine mit den Schlüsselwörtern „antiseptic + antibiotic + interaction“ sowie nach „Octenidin/Chlorhexidin/Polihexanid/PVP-Iodine + interaction“ ergab 464 Literaturstellen, von denen jedoch nur vier zielführend zur Fragestellung waren [1], [2], [3], [4]. Bei allen vier wurde die Interaktion von Chlorhexidin mit verschiedenen anderen Substanzen untersucht. Zu den anderen Antiseptika fehlen solche Studien.


Definition der Interaktion

Klassischer Weise wird die Synergie, d. h. ein überadditiver Effekt, vom Antagonismus als subadditiver Effekt unterschieden. Dazwischen steht die Nicht-Interaktion bei einem rein additiven/unabhängigen Effekt.

Modelle zur Beschreibung der Interaktion zweier Substanzen stammen von Bliss und von Loewe. Das Modell von Bliss beruht auf der unabhängigen Wirkung zweier Substanzen an verschiedenen Wirkorten (Bliss-Independence, similar and independent) [5]. Loewe's Modell geht dagegen von gleichem Wirkort und gleichem Wirkungsmechanismus aus (Loewe-Additivität) [6], [7]. Von Loewe wurde 1953 das Isobologramm zur Beschreibung der Interaktion zweier Stoffe eingefügt. In diesem wird die Wirkung der Substanzen in Kombination als Funktion der Konzentration der beiden Stoffe dargestellt. Isobolen verbinden Punkte gleicher Wirkstärke miteinander [8]. Eine Übersicht zur mathematischen Modellbildung für die Bewertung von Stoffgemischen zeigt das Dilemma des Fehlens einer allgemein anerkannten standardisierten Methode zur Bewertung von Kombinationseffekten auf [9].

Um die Interaktion von Antibiotika zu beschreiben, wird klassischer Weise die Fraktionale Inhibitorische Konzentration (FIC = fractional inhibitory concentration) verwendet. Diese errechnet sich aus der Minimalen Inhibitorischen Konzentration (MIC) des Antibiotikums in Kombination, geteilt durch die MIC des Antibiotikums allein. Die IFIC, also der Index der FICs, der durch Addition der beiden FICs gebildet wird, dient als Maß für die Interaktion. Eine IFIC >1 ist Ausdruck eines antagonistischen Effekts, eine IFIC kleiner 1 ist Ausdruck eines synergistischen Effekts [10]. Das Problem der IFIC liegt in den Bewertungsgrenzen für Synergie oder Antagonismus. Je nach Publikation werden Werte <0,7 bis 0,4 als synergistisch, Werte >4 als antagonistisch bewertet. Das erschwert eine statistische Bewertung oder einen Vergleich verschiedener Publikationen. Zudem setzt die FIC lineare Dosis-Wirkungs-Beziehungen der Einzelsubstanzen voraus. Trotz diesen und weiteren Nachteilen ist die FIC ein etabliertes Maß zur Interaktionstestung von Antibiotika [11].

Soll die kombinierte Wirkung von Antibiotika und Antiseptika beschrieben werden, sind jedoch weitere Probleme zu lösen. Während die antimikrobielle Wirkung von Antibiotika normalerweise über die minimale Hemmkonzentration (MHK, MIC) bzw. über die minimale bakteriozide Konzentration (MBK/MBC) beschrieben wird, wird die antimikrobielle Wirkung von Antiseptika typischerweise im quantitativen Suspensionsversuch geprüft. Auf dieser Grundlage ist keine direkte Vergleichbarkeit der antimikrobiellen Wirkung von Antiseptika und Antibiotika möglich. Die in der Vergangenheit hierzu vorgenommen Testungen wurden ausschließlich auf der Basis der Bestimmung von MHK-Werten im gleichen Testsystem vorgenommen, d.h. entweder als Verdünnungsreihe in flüssigen Medien, als Diffusionstest in festen Medien, als Inkorporationstest in festen Medien oder als Kombination von Diffusions- und Inkorporationsmethoden [9].


Methoden

Durch Assadian et al. wurden zur Erfassung der Interaktion von Antibiotika und Antiseptika in einem ersten Schritt in vitro für ausgewählte Antiseptika MICs für 8 Staphylococcus aureus Stämme nach der Mikrodilutionsmethode bestimmt. Auf Grundlage dieser Daten erfolgte dann die Interaktionstestung mit Antibiotika nach der gängigen Schachbrettmethode zur Bestimmung der IFIC [12], [13].


Ergebnisse

Bei aller Vorsicht vor endgültigen Schlussfolgerungen zeigten sich bereits in diesen ersten Versuchen deutliche Unterschiede im Interaktionspotential verschiedener Antiseptika und Antibiotika (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Die Ergebnisse zeigen, dass z.B. Chlorhexidin die Wirkung von Gentamicin verringert (Antagonismus), während Octenidin die Wirkung verstärkt (Synergismus).

Das lässt vermuten, dass die simple Formel „Antiseptikum + Antibiotikum = doppelte Wirkung“ nicht generell zutreffen muss, sondern für jede Kombination einzeln zu bestimmen ist. Genauere Aussagen zu Interaktionen erhoffen sich die Autoren durch einen neuen Assay, indem zeitliche und Konzentrationsverläufe beschrieben werden können, die eine bessere Modellierung der Ergebnisse über den gesamten Wirkungsbereich erlauben. Derartige In-vitro-Ergebnisse können die Grundlage für weitere Studien sein und einen ersten Anhalt für eine effizientere Behandlung von Infektionen bilden.


Schlussfolgerung

Aufgrund der hohen klinischen Relevanz ist die Erforschung der Interaktion von Antiseptika und Antibiotika von großer Bedeutung. Weitere Studien zur Interaktion und die Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden sind dringend notwendig, weil nur die optimale Kombination antimikrobieller Substanzen zum bestmöglichen Therapieerfolg führen kann.


Literatur

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10.
Hall MJ, Middleton RF, Westmacott D. The fractional inhibitory concentration (FIC) index as a measure of synergy. J Antimicrob Chemother. 1983;11(5):427-33.
11.
Te Dorsthorst D, Verweij PE, Meis JF, Punt NC, Mouton JW. Comparison of fractional inhibitory concentration index with response surface modeling for characterization of in vitro interaction of antifungals against itraconazole-susceptible and -resistant Aspergillus fumigatus isolates. Antimicrob Agents Chemother. 2002;46(3):702-7.
12.
Assadian O, Hübner NO, Kramer A. prep. 2007.
13.
Empfindlichkeitsprüfung von mikrobiellen Krankheitserregern gegen Chemotherapeutika, Teil 7: Bestimmung der minimalen bakteriziden Konzentration (MBK) mit der Mikrodilution. 1994.