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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Mikrobiozide Wirksamkeit von Polihexanid

Microbicidal activity of polihexanide

Originalarbeit

  • Torsten Koburger - Hygiene Nord GmbH, Greifswald, Deutschland
  • Gerald Müller - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • Werner Eisenbeiß - Klinik für Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, Deutschland
  • Ojan Assadian - Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität, Wien, Österreich
  • corresponding author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc44

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2007-2/dgkh000077.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2007

© 2007 Koburger et al.
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Zusammenfassung

Bei Testung im quantitativen Suspensionstest gemäß EN 12054 erfüllt der Wirkstoff Polihexanid 0,02% bei ≤5 min Einwirkungszeit die Anforderungen an ein Antiseptikum ohne Belastung mit einer Erregerreduktion ≥5 lg bzw. mit organischer Belastung ≥3 lg. Damit findet die Empfehlung dieser reduzierten Anwendungskonzentration für chronischen Wunden ihre Bestätigung. In Gegenwart von Knorpel ist eine Verdünnung von 0,005% ausreichend wirksam. Da diese Konzentration in vitro noch knorpelverträglich ist, erscheint es aussichtsreich, ihre Effektivität und Verträglichkeit zur Gelenkspülung am Tiermodell zu untersuchen.

Die Kombination von 0,1% Polihexanid mit Undecylenamidopropylbetain (Prontosan®) erfüllt ebenfalls die Wirkungsanforderungen an ein Antiseptikum ohne und mit Belastung, wobei auf Grund der höheren Anwendungskonzentration von Polihexanid zumindest für Verbrennungswunden kein wiederholter Einsatz zur reinigenden Wundspülung empfohlen werden kann.

Schlüsselwörter: Polihexanid, Lavasept®, Serasept®, mikrobiozide Wirksamkeit

Abstract

When tested in the quantitative suspension test according to the prEN 12054, polihexanide meets the requirements defined by this standard for an antiseptic. At a product concentration of 0.02%, the test organisms are reduced by ≥5 lg, or ≥3 lg under dirty conditions, respectively, within a contact time of 5 min. This agrees well with the accepted recommendation of 0.02% polihexanide for the application on chronic wounds. In the presence of sesamoid bone/cartilage a polihexanide concentration of 0.005% is sufficient effective. As this concentration does not appear to have any adverse effects it might be promising to analyze its suitability for the antiseptic irrigation of joints in the animal model.

The combination of 0.1% polihexanide with undecylenamidopropyl betaine (Prontosan®) possesses the antiseptic properties specified above, too. However, with regard to the higher concentration of polihexanide, at least a repeated application of this formulation cannot be recommended for cleansing and irrigating wounds or burns.

Keywords: polihexanide, Lavasept®, Serasept®, microbicidal efficacy


Einleitung

Polihexanid (chemische Bezeichnungen N-Amidino-2-(2,6-dichlorphenyl)acetamid, Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid oder Poly(imino[imido-carbonyl]imino[imido-carbonyl] iminohexa-methylen)hydrochlorid)) (Abbildung 1 [Abb. 1]) enthält im Unterschied zu Chlorhexidin (Abbildung 2 [Abb. 2]) keine endständigen Chlorbenzensubstituenten.

Es ist davon auszugehen, dass die im Vergleich zu Polihexanid mit Abstand ungünstigere Toxikologie (hohe Zytotoxizität, anaphylaktische und allergische Reaktionen, Neurotoxizität, Mutagenität) von Chlorhexidin auf diesem Strukturunterschied beruht.

Trotzdem ergibt sich aus bisherigen Untersuchungen, dass Polihexanid ohne und mit Belastung wirksamer als Chlorhexidin, bei hoher Blutbelastung auch wirksamer als lodophore ist, allerdings mit deutlich langsamerem Wirkungseintritt als bei lodophoren (erregerabhängig 5-20 min im quantitativen Suspensionstest [1]). Die Wirkung richtet sich auch gegen intrazellulär sich vermehrende Erreger wie Chlamydien und Neisserien [2]. Dieser Unterschied ist im Wirkungsmechanismus von Polihexanid begründet. Die mikrobiozide Wirkung beruht in erster Linie auf der selektiven Permeabilitätsbeeinflussung der bakteriellen Zellmembran auf Grund der starken Wirkung gegenüber sauren Phospholipiden bakterieller Zellmembranen bei nur geringer Beeinflussung neutraler Phospholipide humaner Zellmembranen [3], [4], [5]. Das führt zur Hemmung metabolischer Prozesse, die letztlich eine Koagulation des Zellinhalts nach sich ziehen [6], [7]. Hinzu kommt die Blockierung des mikrobiellen Attachments, nachgewiesen durch Hemmung dentaler Plaques [8] und durch remanente Wirkung bei Anwendung zur präoperativen Augenantiseptik [9].

Im Ergebnis einer Medline-Analyse zur Zitationshäufigkeit von PVP-Iod und Octenidin im Vergleich zu Polihexanid ergab sich für den Zeitraum der letzten vier Jahre eine deutliche Zunahme zugunsten des letztgenannten Wirkstoffs (Tabelle 1 [Tab. 1]), was dessen zunehmende Bedeutung für die Praxis der Antiseptik widerspiegelt.

Daher sollten weitere Daten zur mikrobioziden Wirksamkeit von Polihexanid vor allem bei geringeren Konzentrationen generiert werden, um daraus möglicherweise Schlussfolgerungen für die Praxis der Antiseptik ableiten zu können.


Methoden

Die Testung wurde im quantitativen Suspensionstest gemäß EN 12054 [10] durchgeführt. Das Testprinzip besteht darin, dass 1 ml einer Suspension des Testorganismus (für Bakterien 108-109 Koloniebildende Einheiten (KbE)/ml, für C. albicans 107-108 KbE/ml) mit 9 ml der Prüflösung gemischt werden. Am Ende der Einwirkungszeit werden 1 ml aus dem Prüfsubstanz-Testorganismus-Gemisch in 9 ml Enthemmerlösung (3% Tween 80, 3% Saponin, 0,1% Histidin und 0,1% Cystein) überführt. Nach 5 min Neutralisation werden daraus und aus den dekadischen Verdünnungen dieses Prüfneutralisationsgemisches jeweils 1 ml als Doppelbestimmung auf CSL-Agar ausgespatelt und für 48 h bei 36°C kultiviert. Die Wirksamkeit wird in Form des Reduktionsfaktors (RF) ausgedrückt. Er wird berechnet aus der Differenz des lg der Anzahl KbE des Vor- und Nachwerts.

Die Verdünnungen der Prüfsubstanzen wurden jeweils mit sterilem destilliertem Wasser hergestellt.


Ergebnisse und Diskussion

Der Wirkstoff Polihexanid erfüllt gemäß [11] die Anforderungen an ein Antiseptikum ohne und mit organischer Belastung mit einem RF>5 (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Polihexanid bei 5 min Einwirkungszeit auch in der Verdünnung von 0,02%, wie sie zur Anwendung auf chronischen Wunden empfohlen wird, die Wirkungsanforderungen mit hohem Sicherheitsabstand an ein Antiseptikum erfüllt. In Gegenwart von Knorpel ist für die geprüften Testorganismen sogar eine Verdünnung von 0,005% ausreichend. Da diese Konzentration in vitro gerade noch knorpelverträglich ist [12], erscheint es aussichtsreich, ihre Effektivität und Verträglichkeit zur Gelenkspülung am Tiermodell zu untersuchen.

Die Kombination von 0,1% Polihexanid mit Undecylenamidopropylbetain (Prontosan®) erfüllt ebenfalls die Wirkungsanforderungen an ein Antiseptikum ohne und mit Belastung (Tabelle 3 [Tab. 3]).

Allerdings ist die Wirkstoffkonzentration 2,5 bis 5fach höher als im Lavasept® bzw. Serasept®, was mit einer höheren Zytotoxizität verbunden ist. Bei klinischer Anwendung wurde nach durchschnittlich 8tägiger Anwendung die Bildung gelber Membranen auf den Wunden auffällig, die als zytotoxische Reaktion aufzufassen sein dürfte.

Es zeigte sich im Einsatz von Prontosan bei Brandverletzungen, die länger als eine Woche mit einem Feuchtverband konservativ behandelt wurden, dass diese Membranen fest adhärent trocken auf den Wundoberflächen entstanden und eine weitere Reepithelialisierung nicht mehr stattfand. Das führte zur spätprimären operativen Behandlung mit tangentialer Exzision von trockenem Schorf inklusive oberster epithelialer Hautschichten und Spalthautdeckung von Arealen, die eigentlich spontan heilen sollten.

Der gleiche Prozess wurde auch unter längerer Prontosananwendung bei anderen Wundflächen beobachtet und führte dazu, dass Prontosan nicht mehr verwendet und wieder die konventionelle Lavasept-Konzentration bei Brandverletzungen eingesetzt wurde (Eisenbeiß pers Mitt.). Zumindest für Verbrennungswunden ist auf Grund dieser Beobachtungen der Einsatz von Prontosan nur zur einmaligen Wundreinigung zu empfehlen. Anschließend sollte die antiseptische Behandlung mit Lavasept® oder mit Serasept® fortgesetzt werden.


Literatur

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Werner HP, Kramer A. Mikrobiologische Anforderungen an lokale Antiinfektiva unter spezieller Berücksichtigung der antiinfektiven Wundbehandlung. In: Kramer A, Wendt M, Werner HP, Hrsg. Möglichkeiten und Perspektiven der klinischen Antiseptik. Wiesbaden: mhp; 1995. S. 26-30.
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Müller G, Kramer A. Effect of selected wound antiseptics on adult articular cartilage (bovine sesamoid bone) in the presence of Escherichia coli and Staphylococcus aureus. J Orthop Res. 2005;23:127-33