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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Stellungnahme der AWMF zur Weiterfinanzierung von ZB MED

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2016;13:Doc3

doi: 10.3205/awmf000315, urn:nbn:de:0183-awmf0003152

Eingereicht: 2. Mai 2016
Veröffentlicht: 10. Mai 2016

© 2016 Müller.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Zusammenfassung

Das Präsidium der AWMF hat zu den Empfehlungen des Senats der Leibniz-Gemeinschaft, die Finanzierung von ZB MEB durch Bund und Länder einzustellen, Stellung genommen und die Mitgliedsgesellschaften bei der Delegiertenkonferenz in Frankfurt/Main informiert.

Die nachfolgend im Wortlaut zitierte Stellungnahme der AWMF wurde allen Mitgliedern der GWK (Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern) zugestellt mit der Bitte, den Empfehlungen des Senats der Leibniz-Gemeinschaft nicht zu folgen, sondern ZB MED als essentielle Forschungsinfrastruktur-Einrichtung dauerhaft zu erhalten.


Text

Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft hat am 17. 3. 2016 eine Empfehlung zur Beendigung der Förderung des Leibniz-Informationszentrums Lebenswissenschaften ZB MED (bis 2014: ZentralBibliothek der MEDizin, im Folgenden: ZB MED) ausgesprochen. Er bezieht sich bei seiner Empfehlung auf den Bericht einer Evaluierungskommission. Bei aufmerksamer Lektüre dieses Berichts fällt es schwer, daraus die Begründung für die Empfehlung abzuleiten, die Förderung für ZB MED einzustellen (Senatsempfehlung mit Bewertungsbericht der Evaluierungskommission können von der Website der Leibniz-Gemeinschaft als PDF-Datei heruntergeladen werden).

Bei ZB MED handelt es sich aus Sicht der AWMF primär um eine überregionale Einrichtung der Forschungsinfrastruktur mit Dienstleistungscharakter für Wissenschaftler und Anwender aus Medizin und anderen Lebenswissenschaften und nur sekundär um ein Institut mit eigenständigen Forschungsaufgaben. Das Archiv der ZB Med bildet zusammen mit dem Archiv der Bayrischen Staatsbibliothek die Grundlage für den Bestandsschutz der medizinischen Fachliteratur in Deutschland und eine wesentliche Ressource zur schnellen, kostengünstig und qualitätsgesicherten Informationsbeschaffung. Auch von der Leibniz-Gemeinschaft selbst wird ZB MED unter der Rubrik „Informationsinfrastrukturen“ in der Sektion C (Lebenswissenschaften) aufgeführt (www.leibniz-gemeinschaft.de/infrastrukturen/uebersicht-der-forschungsinfrastrukturen/#c12560).

Aus Sicht der AWMF ist es nicht sinnvoll, Einrichtungen der Forschungsinfrastruktur anhand derselben Kriterien wie Forschungsinstitute zu evaluieren. Auch hier wissen wir uns einig mit einer aktuellen Publikation der Leibniz-Gemeinschaft aus dem November 2015, die konstatiert: „Für die Forschung haben sich über viele Jahre Bewertungssysteme etabliert … Eine direkte Übersetzung dieser Bewertungssysteme auf die Leistung von Forschungsinfrastrukturen hat sich jedoch als problematisch erwiesen. Dass allgemein anwendbare Kriterien, insbesondere für Evaluierungs- und Berufungsverfahren, noch nicht existieren, steht einer adäquaten Bewertung von Forschungsinfrastrukturleistungen und den dafür nötigen Ressourcen im Wege.“ (Leibniz-Gemeinschaft 2015, S. 11) Im Weiteren benennt sie detaillierte Qualitätskriterien für Infrastruktureinrichtungen wie z.B. Relevanz, Transparenz und Nachhaltigkeit (ebd., S. 12 f.). Bemerkenswerterweise heißt es auch aktuell noch im Webauftritt der Leibniz-Gemeinschaft: „Die ZB MED ist die weltweit größte Bibliothek mit dem Fächerspektrum Medizin, Gesundheit, Ernährungs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften. Sie ist als zentrale Infrastruktureinrichtung für Fachinformationen ein unverzichtbarer Teil des Wissenschaftsstandorts Deutschland.“

(www.leibniz-gemeinschaft.de/infrastrukturen/bibliotheken/ [letzter Zugriff 28.4.2016]).


Dies dürfte als hinreichender Hinweis auf die Relevanz von ZB MED im deutschen Wissenschaftssystem gelten. Auch hinsichtlich der übrigen Kriterien der Leibniz-Gemeinschaft schneidet ZB MED durchaus ordentlich ab. Insofern erscheint das Senatsvotum der Leibniz-Gemeinschaft auch intern vor dem Hintergrund der eigenen Kriterien als inkonsistent.

Der differenzierte Bericht der Evaluierungskommission attestierte ZB MED deutliche Fortschritte bei der Neuausrichtung ihrer Dienstleistungen. Handlungsbedarf sehen die Experten speziell bei der von der Leibniz-Gemeinschaft geforderten eigenständigen Forschung bei ZB MED. Durch die Ausschreibung von zwei Hochschullehrerstellen hat ZB MED einen wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht. Erst nach deren Besetzung und darauf aufbauenden Forschungsaktivitäten lässt sich beurteilen, ob die geforderte eigenständige Forschung etabliert werden konnte. Schon vorher zu empfehlen, die Förderung der Einrichtung ganz abzustellen, konterkariert diese Entwicklung. Es wäre logisch, das Resultat der personellen Veränderungen abzuwarten und dann erst eine weitergehende Entscheidung zu treffen, die dann neben der Evaluation der Forschungsstrategie auch den spezifischen Anforderungen an eine Infrastruktureinrichtung gerecht werden muss.

Die von der Leibniz-Gemeinschaft selbst herausgestellte Systemrelevanz von ZB MED wird von der AWMF und ihren Fachgesellschaften nachdrücklich bestätigt. ZB MED spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufbereitung, Suche und Bereitstellung von wissenschaftlicher Information als Grundlage für medizinische Forschung und evidenzbasierte Medizin. Ohne leistungsstarke Bibliotheken würden Forschende noch stärker von kommerziellen Verlagen abhängig und erhielten außerhalb von Universitäten nur beschränkt (oder mit hohen Kosten) Zugang zu aktueller Literatur. Aber auch der Literaturfundus einzelner Universitätsbibliotheken ist naturgemäß begrenzt. Hier stellt ZB MED als deutsche Referenzbibliothek in den Lebenswissenschaften eine essentielle Ergänzung dar. Diese Aufgaben von ZBMED werden mit einer Schließung nicht verschwinden, sondern der nach wie vor bestehende Bedarf müsste zukünftig über eine andere Organisation abgedeckt werden, was logistische Probleme bereiten und mutmaßlich vermeidbare Zusatzkosten verursachen dürfte. Fast zeitgleich hat zudem das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Januar 2016 bekannt gegeben, dass ab 2017 dort keine Recherchen in den großen internationalen Datenbanken mehr durchgeführt werden, dies solle zukünftig allein bei ZB MED möglich sein.

ZB MED hat sich in der jüngeren Vergangenheit nicht nur als klassische Bibliothek positioniert, sondern engagiert sich stark für wissenschaftliche Publikationen im Open Access, zum Beispiel mit einer eigenen Publikationsplattform in enger Zusammenarbeit mit der AWMF, deren Fachgesellschaften und dem DIMDI bei „German Medical Science“. Hier wurden - im Sinne einer anwendungsorientierten Forschung - innovative neue Publikationsformen (z.B. multimediale „Living Handbooks“) entwickelt, mit denen der Transport wissenschaftlicher Informationen aus der Forschung in die Anwendung deutlich beschleunigt wird und allen Nutzern kostenfrei verfügbar ist. Mit innovativen Angeboten wie dem Literaturportal LIVIVO und dem Publikationsportal PUBLISSO incl. Repositorien für Forschungsdaten entsteht eine Infrastruktur, die existierende internationale Angebote sinnvoll ergänzt. Eine strategisch-wissenschaftliche Ausrichtung von ZB MED in diesem Sinne ist wünschenswert und sollte weiter gefördert werden. Das gleiche gilt auch für die Implementierung automatisierter Literaturanalyseverfahren, die u.a. der in Deutschland noch defizitären Wissenschaftsforschung dienen können und in der Entwicklung und Bereitstellung alternativer Publikationsmetriken zur Evaluation von Forschungsleistungen in den Lebenswissenschaften benötigt werden.

Mit dem negativen Votum des Senats der Leibniz-Gemeinschaft zur weiteren Förderung von ZB MED ist nicht automatisch das Ende von ZB MED beschlossen. Eine rein regionale Weiterförderung aus Mitteln des Landes NRW oder der Universitäten Köln und Bonn könnte eine Weiterführung als überregionale Einrichtung aber nicht mehr sicherstellen. Die AWMF appelliert daher nachdrücklich an die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern, in geeigneter Form eine Weiterförderung von ZB MED im bisherigen Umfang und über das Jahr 2019 hinaus sicherzustellen.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen

Wolfgang Müller M.A.

c/o AWMF-Geschäftsstelle, Ubierstr. 20, 40223 Düsseldorf

Mail: office@awmf.org, Website: www.awmf.org

Literatur:

Leibniz-Gemeinschaft: Forschungsinfrastrukturen im Wissenschaftssystem:

Qualität – Reputation – Nachhaltigkeit. November 2015. Erhältlich unter www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/downloads/Presse/Publikationen/Einseitig_Leibniz_Brosch%C3%BCre_Infrastruk-Wiss-System_11-2015_web.pdf (letzter Zugriff 28.4.2016)