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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Ausübung der Heilkunde muss in ärztlicher Hand und Verantwortung bleiben

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc11

urn:nbn:de:0183-awmf0001543

Eingereicht: 2. Mai 2008
Veröffentlicht: 5. Mai 2008

© 2008 Müller.
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Gliederung

Zusammenfassung

Die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten muss auch zukünftig in der Hand und Verantwortung der Ärzte bleiben. Hierauf weist die AWMF in einer aktuellen Stellungnahme hin. Die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der AWMF begrüßen die von der Bundesregierung mit der jüngst verabschiedeten Pflegereform vorgesehenen Kompetenzerweiterungen der Pflegeberufe und eine damit verbundene stärkere Einbindung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Die Notwendigkeit der Entlastung der Ärzte in Klinik und Praxis von administrativen und anderen nicht-ärztlichen Aufgaben lasse eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten des nicht-ärztlichen Personals sinnvoll erscheinen. Eine solche auch vom Sachverständigenrat geforderte multiprofessionelle Teamarbeit zähle weitestgehend auch heute schon zum klinischen Alltag im Sinne eines qualifikationsorientierten Personaleinsatzes, bei dem die Leitungsverantwortung stets beim Arzt verbleibe.

Eine Substitution ärztlicher Leistungen durch Leistungen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe mit Übertragung ärztlicher und juristischer Verantwortung für deren ordnungsgemäße Durchführung wird von den medizinischen Fachgesellschaften demgegenüber strikt abgelehnt. Nach den Neuregelungen im Pflegeweiterentwicklungsgesetz (§ 63 Abs. 3 c SGB V) können Modellvorhaben der GKV eine Übertragung ärztlicher Tätigkeiten im Sinne einer Substitution auf nicht-ärztliches Personal vorsehen. Eine solche Substitution ärztlicher Leistungen durch Leistungen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe führe nach Ansicht der AWMF zu schwierigen tatsächlichen Abgrenzungs- und daraus resultierenden Haftungsfragen. Es sei daher an einer einheitlichen Heilkundeausübung durch approbierte Ärzte festzuhalten.

Wesentlich für den Umfang einer zulässigen und unter gebotenen medizinischen Gesichtspunkten verantwortbaren Delegation ärztlicher Leistungen sei die Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals. Dabei müsse es dem einzelnen ärztlichen Fachgebiet vorbehalten sein, die erforderliche fachliche Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals für die jeweils zu delegierenden Aufgaben zu definieren. Dasselbe gelte für die Definition der einzelnen fachspezifischen delegierbaren Leistungen und den Bereich derjenigen Leistungen, die in der eigenen Verantwortung und Hand des jeweiligen Facharztes verbleiben müssten. Entsprechende Kataloge einzelner Fachgesellschaften lägen bereits vor.

Bei der Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal seien der Facharztstandard und die von den medizinisch-wissenschaftlichen Standards geprägte Qualität der Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Die Delegation dürfe in keinem Fall zu einer Risikoerhöhung für den jeweiligen Patienten führen. Verrichtungen, die wegen ihrer Schwierigkeiten, ihrer Gefährlichkeit oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen ärztliches Fachwissen voraussetzten, seien nicht delegationsfähig, erst recht nicht substitutionsfähig.

Der vollständige Text der Stellungnahme wird im Folgenden dokumentiert:


Text

Stellungnahme der AWMF:

Der Deutsche Ärztetag wird sich im Mai 2008 mit dem Leitthema „Das Arztbild der Zukunft und die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen“ befassen. Dies ist Anlass für die AWMF, zu den derzeit vielfältigen Bestrebungen einer stärkeren Einbindung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe in die Patientenversorgung und die damit einhergehenden Veränderungen der ärztlichen Aufgaben und Zuständigkeiten Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme soll gleichzeitig die Beratungen und Beschlussfassungen anlässlich des Deutschen Ärztetages unterstützen.

Die von der Bundesregierung im Pflegeweiterentwicklungsgesetz vorgesehenen Kompetenzerweiterungen der Pflegeberufe und eine damit verbundene stärkere Einbindung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wird von den in der AWMF zusammengeschlossenen wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften grundsätzlich begrüßt. Auch die zum Teil regional unterschiedlich ausgeprägte ärztliche Versorgungsstruktur in Deutschland und die Notwendigkeit der Entlastung der Ärzte in Klinik und Praxis von administrativen und anderen nicht-ärztlichen Aufgaben lässt eine Ausweitung der Delegationsmöglichkeiten von Leistungen auf nicht-ärztliches Personal sinnvoll erscheinen. Eine solche auch vom Sachverständigenrat geforderte multiprofessionelle Teamarbeit zählt weitestgehend auch heute schon zum klinischen Alltag im Sinne eines qualifikationsorientierten Personaleinsatzes, bei dem die Leitungsverantwortung stets beim Arzt verbleibt.

Wesentlich für den Umfang einer zulässigen und unter gebotenen medizinischen Gesichtspunkten verantwortbaren Delegation ist die Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals. Dabei muss es dem einzelnen ärztlichen Fachgebiet vorbehalten sein, die erforderliche fachliche Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals für die jeweils zu delegierenden Aufgaben zu definieren. Das Selbe gilt für die Definition der einzelnen fachspezifischen delegierbaren Leistungen und den Bereich derjenigen Leistungen, die aus fachspezifischer Sicht in der eigenen Verantwortung und Hand des jeweiligen Facharztes verbleiben müssen. Einige medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften haben hierzu in jüngster Zeit maßgebliche Stellungnahmen abgegeben, auf welche bei der Bestimmung delegationsspezifischer Tätigkeiten zurückgegriffen werden kann.

Auch bei den so erweiterten Delegationsmöglichkeiten bleibt die unmittelbare Verfügbarkeit und die Verantwortung des jeweiligen delegierenden Arztes Voraussetzung der Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal. Nur im Einzelfall, abhängig von der jeweiligen fachlichen Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals, können Leistungen delegiert werden, ohne eine sofortige Verfügbarkeit und Zugriffsmöglichkeit eines Arztes (Facharztes) vorzuhalten. Insbesondere im hausärztlichen Bereich bei bestehender hausärztlicher Unterversorgung können im Ausnahmefall ärztliche Leistungen auf nicht-ärztliches, entsprechend geschultes Personal delegiert werden, ohne eine unmittelbare Eingriffsbereitschaft des delegierenden Arztes zu gewährleisten. Die (haus-)ärztliche Gesamtverantwortung bleibt in solchen Fällen uneingeschränkt bestehen.

Bei der Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal ist auch zukünftig der Facharztstandard und die von den medizinisch-wissenschaftlichen Standards geprägte Qualität der Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Ärztliche Leistungen dürfen demnach nicht an nicht-ärztliches Personal delegiert werden, soweit die betreffende Maßnahme „gerade dem (Fach-) Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt“ (BGH, Urteil vom 24.06.1975 - VI ZR 72/74 -). Die Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht-ärztliches Personal darf in keinem Fall zu einer Risikoerhöhung für den jeweiligen Patienten führen. Verrichtungen, die wegen ihrer Schwierigkeiten, ihrer Gefährlichkeit oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen ärztliches Fachwissen voraussetzen und deshalb vom Arzt persönlich durchzuführen sind, sind nicht delegationsfähig.

Eine Substitution ärztlicher Leistungen durch Leistungen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe wird demgegenüber von den in der AWMF zusammengeschlossenen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften abgelehnt. Die Substitution ärztlicher Leistungen durch Leistungen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe führt zu schwierigen tatsächlichen Abgrenzungs- und daraus resultierenden Haftungsfragen. Zudem steht die grundgesetzliche Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit einer Heilkundeausübung entgegen, die von nicht-approbierten Personen ohne die spezifische ärztliche Ausbildung erbracht werden soll. Es ist daher an einer einheitlichen Heilkundeausübung durch approbierte Ärzte festzuhalten. Ärztliche Leistungen, die nicht delegationsfähig sind, sind im Übrigen erst recht nicht substitutionsfähig.

Trotz dieser bereits in der Vergangenheit mehrfach geäußerten Bedenken hat der Gesetzgeber im Pflegeweiterentwicklungsgesetz eine auch für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung wegweisende Neuregelung vorgesehen. Danach (§ 63 Abs. 3 c SGB V) können Modellvorhaben eine Übertragung ärztlicher Tätigkeiten im Sinne einer Substitution auf nicht-ärztliches Personal vorsehen. Bei solchen in Modellvorhaben näher beschriebenen Tätigkeiten soll es sich um die selbständige Ausübung von Heilkunde handeln. Die Übertragung solcher ärztlichen Tätigkeiten soll für die Angehörigen der im Kranken- und Altenpflegegesetz geregelten Berufe gelten, die auf Grund einer Ausbildung nach dem Kranken- und Altenpflegegesetz besonders qualifiziert sind.

Die im Gesetzgebungsverfahren eingeführte Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bestimmung übertragbarer Tätigkeiten wird von den Fachgesellschaften der AWMF grundsätzlich begrüßt; eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal im Sinne einer Substitution lehnt die AWMF aber auch unter den vom Gesetzgeber beschriebenen Voraussetzungen ab.

Ungeachtet dessen ist der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung gehalten, vor Verabschiedung entsprechender Richtlinien fachspezifische Stellungnahmen bei der Bundesärztekammer und den einzelnen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften einzuholen und diese in die Richtlinienentscheidung mit einzubeziehen. Nur auf diese Weise ist jedenfalls gewährleistet, dass auch im Rahmen der Ausübung ehemals originär ärztlicher Tätigkeiten durch nicht-ärztliches Personal die vom Patienten bei der Gesundheitsversorgung zu Recht erwarteten medizinischen Standards eingehalten werden können. Gleichzeitig besteht durch die Einbeziehung der Bundesärztekammer und der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in den Entscheidungsprozess Anlass zu der Annahme, dass eine Risikoerhöhung für die Patienten im Rahmen der Durchführung ärztlicher Tätigkeiten durch nicht-ärztliches Personal weitestgehend vermieden wird.

Für die AWMF
Univ. Prof. Dr. med. A. Encke
Der Präsident
Glossar:

Delegation im ärztlichen und medizinischen Sinne bedeutet die Übertragung bestimmter Tätigkeitsbereiche oder Einzelaufgaben an ärztliche und nicht-ärztliche Mitarbeiter – entsprechend ihrem beruflichen Bildungsstand, ihren Fähigkeiten und Erfahrungen - zur selbständigen Erledigung, soweit nicht die Art und Schwere der Tätigkeit oder die Unvorhersehbarkeit der Auswirkungen der jeweiligen Maßnahme gerade die dem delegierenden Arzt eigenen Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt.

Der Arzt muss auch bei der Durchführung von an nicht-ärztliche Mitarbeiter delegierter Leistungen anwesend sein. Nur im Einzelfall dürfen bereits vom Arzt zuvor angeordnete Leistungen bei vorübergehender Abwesenheit des Arztes von entsprechend qualifiziertem nicht-ärztlichem Personal durchgeführt werden. Eine spezifische Ausnahmeregelung hat der Gesetzgeber hierzu nun mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz geschaffen. So können ärztlich angeordnete Hilfeleistungen von nicht-ärztlichen Mitarbeitern in der Häuslichkeit der Patienten in Abwesenheit des Arztes erbracht werden (Schwester Agnes).

Bei der Delegation behält der Arzt stets die ärztliche und juristische Verantwortung für die sach- und fachgerechte Durchführung der delegierten ärztlichen Leistung in Bezug auf die angeordnete Maßnahme an sich und in Bezug auf die Auswahl und Qualifizierung des nicht-ärztlichen Mitarbeiters.

Ärztliche Leistungen, deren Durchführung und Abrechnung an persönliche Ermächtigungen und Zulassungen des Arztes oder spezifische gebührenrechtliche Voraussetzungen geknüpft sind, dürfen nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen an ärztliche und nicht-ärztliche Mitarbeiter delegiert werden (z.B. bei pers. Ermächtigungen nach § 116 SGB V).

Delegation ist abzugrenzen zur Substitution, dem Ersetzen des Arztes durch einen nicht-ärztlichen Mitarbeiter bei der Durchführung von Leistungen, bei denen es sich um die selbständige Ausübung von Heilkunde handelt.

Bei der Substitution geht die ärztliche und juristische Verantwortung für die Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Maßnahme (Heilkunde) vom Arzt auf den nicht-ärztlichen Mitarbeiter über.