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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Patientenautonomie - ein leeres Wort?

Mitteilung

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GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc8

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/awmf/2008-5/awmf000151.shtml

Eingereicht: 19. Februar 2008
Veröffentlicht: 3. März 2008

© 2008 Sewing.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

1. Einführung

In der zivilisierten Welt haben der medizinisch-wissenschaftliche Fortschritt, verbesserte Hygieneverhältnisse sowie das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung wesentlich dazu beigetragen, dass die Lebenserwartung stetig steigt und mittlerweile Werte erreicht hat, die die Zahl alter Menschen in unserer Gesellschaft gleichermaßen ständig steigen läßt. Gerade die Fähigkeiten der Medizin, auch in schwierigen, lebensbedrohlichen Zuständen korrigierend und lebensrettend eingreifen zu können, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die dabei ergriffenen Maßnahmen ebenso wie zehrende Erkrankungen nicht selten zu gravierenden Einschränkungen der Lebensqualität, wenn nicht gar zu einer für den Betroffenen extrem quälenden Verlängerung einer Leidensphase vor Eintreten des Todes führt. Der Palliativmediziner Borasio beschrieb das wie folgt (FAZ 19.01.2007): „Statt Lebensverlängerung wird Sterbeverlängerung betrieben.“ Zweifellos muß man die Bemühungen als segensreich betrachten, durch Einrichtung von Palliativstationen und vergleichbaren Institutionen Menschen in dieser Phase z.B. durch schmerzlindernde Verfahren wesentliche Schrecken in der Phase des Dahinsiechens und Sterbens zu nehmen.

2. Selbstbestimmungsrecht durch Patientenverfügungen

Was liegt da angesichts dieser Situation näher, als daß der Mensch sich schon zu einer Zeit Gedanken über die Sterbephase macht, in der er noch bei einigermaßen guter Gesundheit ist und vor allen Dingen geistig dazu in der Lage ist. Die Umsetzung seiner Gedanken in konkrete Vorstellungen über das Wie oder gar in die Formulierung konkreter vom Umfeld zu beachtenden Maßnahmen stößt dabei auf größere Schwierigkeiten. Wer stellt in dem Zusammenhang das Umfeld dar? Das sind in erster Linie die Angehörigen, behandelnde Ärzte, Seelsorger, Behörden sowie Instanzen der Rechtssprechung. Diese Gruppe von Menschen und Institutionen gehen nicht selten von einer unterschiedlichen Interessenlage aus. Angehörige tun sich im Regelfall schwer zu akzeptieren, dass sie von einem liebenswerten Menschen Abschied nehmen müssen, Nicht auszuschließen ist aber auch der Wunsch, der Angehörige möge möglichst bald sterben, um zeitliche und materielle Aufwendungen zu sparen und/oder möglichst schnell in den Genuß eines Erbes zu kommen. Ärzte sehen sich nach ihrem Standesethos und dem Motto „Nihil nocere“ in der Pflicht, dem Stand der ärztlichen Kunst folgend alles zu tun, was der Lebenserhaltung dient. Seelsorger tragen - sofern gewünscht - wesentlich dazu bei, dass der Sterbende mit sich im Reinen und in Seelenfrieden die Sterbensphase durchläuft. Schließlich ist da noch die Justiz, die darüber wacht, dass keine Handlungen vorgenommen werden, die gesetzlichen Regelungen und Vorschriften zuwider laufen. Über allem schwebt Artikel 1(1) GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Man mag sich fragen, wie der Betroffene mit all dem umgehen kann und vielleicht auch sollte. Ist er eingebunden und letztendlich unterworfen all den Zwängen oder ist ihm ein Stück Freiheit - letztlich auch ein wesentliches Stück seiner Würde - bewahrt geblieben? Zahlreiche Organisationen und Institutionen haben zwischenzeitlich Entwürfe für Patienten- und Betreuungsverfügungen entwickelt, die uns helfen sollen uns die Freiheit zu nehmen zu bestimmen, wie im Zustand des Sterbens mit uns umgegangen werden soll:

Schon die Vielzahl der Entwürfe spiegelt die Pluralität unserer Gesellschaft wider und dürfte jeder Weltanschauung, Religion oder individueller Einstellung gerecht werden. Allen Vorlagen ist jedoch gemeinsam, dass sie im Rahmen von Recht und Gesetz – sofern sie hinreichend präzise und umfassend formuliert sind - implicit Verbindlichkeit beanspruchen und damit der viel beschworenen Patientenautonomie in ihrer Umsetzung gerecht werden. Diesem Anspruch wird allerdings bislang nicht Rechnung getragen, da es an einer gesetzlichen Regelung, die die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung festschreibt, mangelt.

3. Politik

Bereits 2004 hatte eine Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ des Bundesministeriums der Justiz in ihrem Bericht vom 10.06.2004 einen Vorschlag dazu in der Form unterbreitet, im Rahmen des Betreuungsrechts den § 1901b BGB neu einzufügen und wie folgt zu fassen: „(1) Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten. Liegt eine Patientenverfügung über die Einwilligung oder die Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen vor, die auf die konkrete Entscheidungssituation zutrifft, so gilt die Entscheidung des Betreuten nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit fort. Dem Betreuer obliegt es, diese Entscheidung durchzusetzen, soweit ihm dies zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat. (2) ... .“ Dies erläuterte die Arbeitsgruppe folgendermaßen: "§ 1901b neu führt das Rechtsinstitut der - nicht formbedürftigen - Patientenverfügung in das bürgerliche Recht ein. Es wird klargestellt, daß der Betreuer den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten hat sowie vom Betreuten in der Patientenverfügung getroffene Entscheidungen über die Durchführung oder Verweigerung bestimmter ärztlicher Maßnahmen auch nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit fortgelten und vom Betreuer durchzusetzen sind, soweit ihm dies zumutbar ist. (...) Einer Einwilligung des Betreuers in eine anstehende ärztliche Behandlung bedarf es daher nicht. In diesen Fällen ist es Aufgabe des Betreuers, für die Durchsetzung der vom Betreuten bereits getroffenen Entscheidung Sorge zu tragen, ihr - wie es in dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2003 heißt - „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“. Es erscheint geboten, dies ausdrücklich gesetzlich klarzustellen, weil Rechtslehre und Rechtssprechung auch Patientenverfügungen, welche die konkrete Behandlungssituation betreffen, oft nur als ein Indiz bei der Ermittlung des zum Zeitpunkt der Behandlung anzunehmenden mutmaßlichen Patientenwillens werten und eine Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Behandlung fordern, obwohl der (betreute) Patient diese Entscheidung bereits getroffen hat.“

Im gleichen Jahr hat auch die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ in ihrem Zwischenbericht vom 16.12.2004 einen ähnlichen Vorschlag - allerdings mit deutlich begrenzter Reichweite - formuliert: „Hat die Patientenverfügung den Verzicht oder Abbruch einer medizinisch indizierten oder ärztlicherseits vorgeschlagenen lebenserhaltenden Maßnahme zum Ziel, darf der Betreuer die Patientenverfügung nur umsetzen, wenn das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird“.

Die politische Diskussion dauert fort. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist deren Ende nicht abzusehen, da sich die Entscheidungsträger bislang nicht auf eine einheitliche Linie einigen können. Drei Gruppierungen im Bundestag und dessen Umfeld kommen zu unterschiedlichen Vorstellungen: 1. Verbindlichkeit ohne Reichweitenbegrenzung, 2. Zulassung einer Therapiebegrenzung nur für einen irreversiblen tödlichen Verlauf der Krankheit, 3. Keine Neuregelung, da heute bereits eine Patientenverfügung verbindlich sei.

4. Rechtslehre

Der letztjährige 66. Deutsche Juristentag hat unter dem Stichwort „Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung“ für diesen Bereich gesetzliche Regelungen angemahnt (http://www.djt.de/index.php): „Der Schutz des menschlichen Lebens und der Patientenautonomie sowie das Gebot der Rechtssicherheit erfordern für den Bereich der Sterbebegleitung gesetzliche Regelungen.“ (I,1).

Im weiteren Kontext der Beschlüsse werden Detailregelungen vorgeschlagen, die sich wie folgt lesen:

"II. Lebenserhaltende Maßnahmen und Behandlungsbegrenzung

1.Unterlassen, Begrenzen oder Beenden lebenserhaltender Maßnahmen
Es ist im StGB klarzustellen, dass das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden lebenserhaltender Maßnahmen straflose Behandlungsbegrenzung ist (bisher sog. „passive Sterbehilfe“),
a) wenn für solche Maßnahmen keine Indikation (mehr) besteht,
b) wenn dies vom Betroffenen ausdrücklich und ernstlich verlangt wird,
c) wenn dies vom (einwilligungsunfähigen) Betroffenen in einer Patientenverfügung für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit angeordnet wurde,
d) wenn dies von einem Vertreter des Patienten (Betreuer, sonstiger gesetzlicher Vertreter oder Vorsorgebevollmächtigter) – erforderlichenfalls mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts – verlangt wird und der erklärte oder mutmaßliche Wille des Betroffenen nicht erkennbar entgegensteht,
e) wenn der Patient einwilligungsunfähig ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass er diese Behandlung ablehnen würde (mutmaßlicher Wille).
3.Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen
a. im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten darf auch die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen nur mit dessen ausdrücklicher oder mutmaßlicher Einwilligung erfolgen.
b. Dies gilt auch für das Legen und (Weiter-)Verwenden einer Sonde zur künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.
6. Zivilrechtliche Verankerung der Patientenverfügung
Die Voraussetzungen einer auch für das Strafrecht verbindlichen Patientenverfügung sollten im Zivilrecht gesetzlich geregelt werden.
7. Voraussetzungen der Patientenverfügung
Patientenverfügungen sollten verbindlich sein, sofern folgende Voraussetzungen vorliegen:
a) Eindeutigkeit und Situationsbezogenheit,
b) Fehlen konkreter Anhaltspunkte für Willensmängel (Einwilligungsunfähigkeit, Irrtum, Täuschung, Zwang),
c) Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Willensänderung (vor allem ausdrücklicher oder konkludenter Widerruf),
d) Schriftform,
e) Sonstige verlässliche Dokumentation (z.B. Videoaufnahme).
...
9. Reichweite der Patientenverfügung
Eine Begrenzung der Reichweite der Patientenverfügung auf irreversibel tödlich verlaufende Grunderkrankungen ist abzulehnen.“

Bislang hat die Politik auf diesen Vorstoß nicht mit einer entsprechenden Gesetzesinitiative reagiert. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass die Furcht besteht, eine gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung – und nur darum geht es - könne der aktiven Sterbehilfe Tür und Tor öffnen. Einer solchen hat der Juristentag jedoch eine deutliche Absage erteilt:

V Tötung auf Verlangen

1. Eine auch nur partielle Legalisierung – etwa nach niederländischem Vorbild – ist abzulehnen.

5. Ärzteschaft

Bereits 1998 hat sich die Bundesärztekammer in den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (Sterbebegleitung: Wegweiser für

ärztliches Handeln) [1] ohne Einschränkung zur Autonomie der Patienten und der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen bekannt und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ausdrücklich betont. Der paternalistische Grundzug früherer einschlägiger Richtlinien wurde aufgehoben: „Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, daß eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht."

Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den aktuell geäußerten Willen des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken.

Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die Erklärung des gesetzlichen Vertreters, z.B. der Eltern oder des Betreuers, oder des Bevollmächtigten maßgeblich. Diese sind gehalten, zum Wohl des Patienten zu entscheiden. Bei Verdacht auf Mißbrauch oder offensichtlicher Fehlentscheidung soll sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden.

"Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, daß der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde. Es muß stets geprüft werden, ob die Verfügung, die eine Behandlungsbegrenzung erwägen läßt, auch für die aktuelle Situation gelten soll. Bei der Entscheidungsfindung sollte der Arzt daran denken, daß solche Willensäußerungen meist in gesunden Tagen verfaßt wurden und daß Hoffnung oftmals in ausweglos erscheinenden Lagen wächst. Bei der Abwägung der Verbindlichkeit kommt der Ernsthaftigkeit eine wesentliche Rolle zu. Der Zeitpunkt der Aufstellung hat untergeordnete Bedeutung.“

Dies hat die Bundesärztekammer in den „Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen“ [2] noch einmal bekräftigt und präzisiert: „Jeder Patient hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Das gilt auch für Situationen, in denen der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern. Für diesen Fall gibt es vorsorgliche Willensbekundungen, die den Arzt darüber informieren, in welchem Umfang bei fehlender Einwilligungsfähigkeit eine medizinische Behandlung gewünscht wird.“

In der jüngsten Version der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung [3] wurde auf den deutlichen Hinweis zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ebenfalls nicht verzichtet: „Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt die durch den angemessen aufgeklärten Patienten aktuell geäußerte Ablehnung einer Behandlung zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken.

Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung für den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Willensänderung erkennbar sind.

Eine Patientenverfügung (auch Patiententestament genannt) ist eine schriftliche oder mündliche Willensäußerung eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen äußern, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umrissenen Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen.“

Ungeachtet dieser eigentlich sehr eindeutigen Position zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen hat der Präsident der Bundesärztekammer anlässlich eines Symposiums „Selbstbestimmt sterben – mit ärztlicher Hilfe?“ zwar die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen betont, eine gesetzliche Regelung jedoch abgelehnt: „Deshalb ist es fraglich, ob mit einem Gesetz tatsächlich Rechtsverbindlichkeit hergestellt werden kann.“ [4]

Der Münchner Palliativmediziner G. D. Borasio sieht das in seinem Interview in der FAZ (19.11.2007) anders: „Ein Patient, der bei Bewusstsein ist, kann doch selbstverständlich jede ärztliche Behandlung zu jedem beliebigen Zeitpunkt ablehnen. Dieses Recht einem Patienten abzusprechen, der vorab eine wirksame Patientenverfügung angefertigt habe, wäre eine krasse Ungleichbehandlung. Eine solche Regelung würde vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Auch medizinisch ist eine solche Einschränkung Unsinn, denn unumkehrbar tödlich verläuft ja das Leben selbst. Die Reichweitenbeschränkung erweist sich somit als Ersatz des alten medizinischen Paternalismus durch einen neuen - und schlimmeren - ethischen Paternalismus. Das zentrale Prinzip des Lebensschutzes wird zum Dogma des Lebenszwangs umgedeutet und damit entwertet. (...) Die Autonomie wird außer Kraft gesetzt, man bemächtigt sich des biologischen Lebens von Menschen und entzieht ihnen die Verfügung über sich selbst. So werden die Leute erst auf den Gedanken gebracht, maximal kontrollieren zu wollen, wer sie wann tötet. Man treibt damit die Leute in die Arme der Euthanasiebefürworter. (...) Hinter der Verteufelung der Patientenverfügung steht die nie ausgesprochene Annahme, dass die Patientenverfügung eigentlich eine Suizidverfügung ist. Man sollte aber klar zwischen dem Wunsch nach einem Suizid und dem nach einem natürlichen Sterben unterscheiden. (...)“

Im März dieses Jahres wurden im Deutschen Ärzteblatt „Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis“ [5] veröffentlicht. In deren Vorwort heißt es u.a.: „Zugleich stellen die Empfehlungen eine Weiterentwicklung der ‚Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen’ aus dem Jahr 1999’ (s.o.) dar.“ Im Absatz 8.“Verbindlichkeit einer Patientenverfügung“ trügt der Eindruck nicht, dass die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung eine relative sein soll: „Der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille des Patienten ist grundsätzlich verbindlich; deshalb dürfen sich Ärzte nicht über die in einer Patientenverfügung enthaltenen Willensäußerungen eines Patienten hinwegsetzen. Gleichwohl können Situationen eintreten, die nicht konkret beschrieben sind oder sich nicht voraussagen ließen. Zudem kommt die Patientenverfügung zu einem Zeitpunkt zur Anwendung, wenn die Kommunikation zwischen Arzt und Patient nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich ist.“ Es bleibt die Frage, wem in den in den weiteren Ausführungen dargestellten Situationen eine Entscheidungskompetenz zuzubilligen ist. Angesichts der immer wieder mahnenden Stimmen endlich Rechtssicherheit zu schaffen, mutet das jüngste Papier der Bundesärztekammer weniger als Weiterentwicklung der Handreichungen aus dem Jahr 1999 (s.o.) an und eher als ein Rückschritt in paternalistische Denkmuster.

6. Christliche Kirchen

6.1 Die evangelische Kirche

Unabhängig von der aktuellen Debatte haben sich die Evangelische Kirche Deutschlands sowie einer ihrer namhaften Vertreter schon vor einigen Jahren positiv zu einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen geäußert und dabei das Selbstbestimmungsrecht der Patienten hervorgehoben . „So gesehen ist eine Patientenverfügung Ausdruck der Erkenntnis eines Menschen, dass auch dem Sterben seine Zeit gesetzt ist, in der es darauf ankommen kann, den Tod zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr entgegenzusetzen. Diese Erkenntnis kann niemand stellvertretend für einen Anderen haben. Jeder muss sie für sich selbst gewinnen und vor Gott verantworten. Daher ist grundsätzlich die in einer Patientenverfügung niedergelegte Sicht eines Menschen zu achten in bezug darauf, wann im Blick auf sein Sterben was für ihn an der Zeit sein wird. Das Postulat der Selbstbestimmung ist in diesem Kontext zu sehen. In ihm artikuliert sich der Wille eines Menschen, von Anderen gemäss seiner Erkenntnis und Sicht in Bezug auf sein Sterben behandelt zu werden." [6]

Der Vizepräsident im Kirchenamt der EKD Hermann Barth sprach sich deutlich für eine Verbindlichkeit und damit implicit eine gesetzliche Regelung für Patientenverfügungen aus (EKD-Presseinformation "Sterben á la carte: Patientenverfügungen – Fluch oder Segen?" zur Talkshow "Tacheles" vom 24.10.2005): "Menschen sollen in Zeiten, in denen es ihnen noch gut geht, Entscheidungen für schlechtere Zeiten treffen können und die Sicherheit haben, dass der persönliche Wille auch umgesetzt wird."

6.2 Die katholische Kirche

Anders ist hingegen die Position des Zentralkomitees deutscher Katholiken, das in seiner von der Vollversammlung am 24.11.2006 beschlossenen Erklärung das Selbstbestimmungsrecht relativiert und eingeschränkt sehen möchte (Zum besseren Verständnis sei hier der gesamte einschlägige Absatz der Erklärung wiedergegeben): „Den Anspruch auf würdevolle Behandlung und auf die Respektierung seiner Selbstbestimmung verliert ein Kranker oder Sterbender auch dann nicht, wenn er nicht mehr einwilligungsfähig ist. Wir warnen aber vor dem sachlich irrigen wie für die Betroffenen gefährlichen Fehlschluss, dass eine früher geäußerte Willensbekundung in jedem Fall dem aktuellen Willen des Betroffenen entspreche. Früher geäußerte Willensbekundungen – etwa in Form von Patientenverfügungen – sind für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines Patienten immer sehr beachtlich. Sie sind jedoch kein ausreichender Ersatz für den aktuell nicht mehr feststellbaren Willen und dürfen niemals zu einem Automatismus führen. Deshalb kann eine Patientenverfügung die sorgfältige Abwägung – etwa durch eine vom Patienten bevollmächtigte Vertrauensperson oder den gerichtlich bestellten Betreuer – nicht ersetzen.“

Man muß es wohl deutlich sagen: der letzte Satz ist nichts anderes als die Forderung nach Fremdbestimmung. Wer das will, muß sich fragen lassen, ob es der Würde des Menschen gerecht wird, das Schicksal Sterbender in die Hände von Dritten unterschiedlichster Provenienz zu legen, die sich dann möglicherweise anmaßen, den mutmaßlichen „aktuell nicht mehr feststellbaren Willen“ des Sterbenden zu kennen. Wollen wir denn allen Ernstes annehmen, daß das Umfeld des Sterbenden dazu besser in der Lage ist als der Patient selbst? Wenn der Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken und sächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst Hans Joachim Meyer schreibt (FAZ 23.11.2006): „Statt dessen meint der sich gesund fühlende Mensch, über eine Lebenslage sicher urteilen zu können, von der er aus eigenem Erleben nichts weiß.“, dann dürfte er übersehen haben, dass es dem Umfeld des Sterbenden gleichermaßen, möglicherweise sogar viel ausgeprägter an einschlägigem eigenen Erleben mangelt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Motive wohl dahinter stecken könnten, doch recht deutlich eine rechtliche Bindung sowie eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen abzulehnen. Sollte auch hier ein paternalistisches Gedankengut ausschlaggebend sein? Unterstellen wir einmal, dass an dieser Stelle die Ärzteschaft nicht die treibenden Kräfte darstellen. Könnte es sein, dass die katholische Kirche ihre Einflüsse geltend machen will, um selbst am Lebensende noch ihren Einfluß ausüben zu können?

7. Fazit

Die geschilderte Heterogenität der Vorstellungen im Umgang mit und der Festlegung der Reichweite von Patientenverfügungen ruft eigentlich nach dem Gesetzgeber, um Rechtssicherheit zu schaffen und den Interpretationsspielraum so gering wie möglich zu halten Angesichts dieser Situation, in der namhafte Kreise unserer Gesellschaft Ansprüche erheben, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten durch vermeintlich bessere Regelungen aushebeln zu wollen, erscheint eine gesetzliche und damit verbindliche Festlegung umso dringlicher. Zweifellos würde eine gesetzliche Regelung allen Beteiligten, allen voran den Sterbenden, die Gewissheit verschaffen, daß keine Entscheidungen getroffen werden, die ihr Selbstbestimmungsrecht einschränken und ihrem (mutmaßlichen) Willen zuwider laufen. Sowohl die Entschließungen des 66. Deutsche Juristentags als auch die Äußerungen Borasios (s.o.) sollten in der Debatte um die Sterbebegleitung eigentlich eine zentrale Beachtung finden, denn wie kann man die Würde des Menschen in Sorge um seinen – durchaus nicht unmittelbar bevorstehenden - Sterbeprozeß besser dokumentieren als ihm ein – im rechtlichen Rahmen – uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht einzuräumen und zu garantieren? Auch das ist ein elementarer Bestandteil der Würde des Menschen. Würde das nicht einem säkularen Rechtsstaat gut zu Gesicht stehen?

Man muß auch Hans Küng zustimmen, wenn er schreibt (Schwäbisches Tagblatt vom 28.04.2001): "Nach christlicher Überzeugung ist das menschliche Leben, das der Mensch ja nicht sich selber verdankt, letztlich eine Gabe Gottes. Aber zugleich ist das Leben nach Gottes Willen auch des Menschen Aufgabe. Es ist so in unsere eigene (nicht fremde!) verantwortliche Verfügung gegeben. Dies gilt auch für die letzte Etappe des Lebens, das Sterben. Sterbehilfe ist zu verstehen als ultimative Lebenshilfe." und "Angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Sterbehilfe, die Mißbrauch ausschließt, dringend."


Literatur

1.
BÄK: Sterbebegleitung: Wegweiser für ärztliches Handeln. Dtsch Arztebl 1998; 95(39): C1689 - C1690
2.
BÄK: Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen. Dtsch Arztebl 1999; 96(43): A2720
3.
BÄK: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Dtsch Arztebl 2004; 101(19): A1298-A1299
4.
Klinkhammer G: Grenzen ärztlichen Handelns am Ende des Lebens: Sterben ist nicht normierbar. Dtsch Arztebl 2006; 103(48): A3219
5.
Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis. Dtsch Arztebl 2007; 104(13): C759 - C764
6.
Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD: Sterben hat seine Zeit - Überlegungen zum Umgang mit Patientenverfügungen. EKD-Texte 80, 2005