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1st Symposium of Information and Communication Technologies in Emergency Medicine

12.06. - 13.06.2012, Rauischholzhausen

Effizienzsteigerung im Rettungsdienst – ein nachhaltiges Algorithmensystem

Efficiency in the emergency service – a sustainable system algorithms

Kongressbeitrag

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  • corresponding author Oliver Peters - Malteser Hilfsdienst gemeinützige GmbH, Damme, Deutschland

1. Symposium ICT in der Notfallmedizin. Rauischholzhausen, 12.-13.06.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12notit03

doi: 10.3205/12notit03, urn:nbn:de:0183-12notit038

Published: June 11, 2012

© 2012 Peters.
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Zusammenfassung

In dem Beitrag wird ein nachhaltiges fünfphasiges Algorithmenkonzept dargestellt, das bereits seit 2002 im Landkreis Vechta erfolgreich eingeführt ist. Die Ergebnisse – Tracerauswertungen – wurden von 2003 bis 2010 händisch in einer Excel-Tabelle erfasst und ausgewertet. Seit 2011 wird eine EDV-basierte-Datenerfassung und Datenauswertung genutzt, welche die Verwertbarkeit der Notfallprotokolle von 72% auf 97% steigerte und die bisherige eindimensionale Datenauswertung mittels Tracer ergänzt. Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass ein solches Konzept in der Lage ist, die Durchführungshäufigkeit der Tracermerkmale auch über Jahre auf einem hohen Niveau zu sichern.

Schlüsselwörter: Algorithmen, Prozessqualität, Ergebnisqualität, Tracerauswertungen, Qualitätsmanagement

Abstract

In this paper, a sustainable guidelines concept over five phase is presented, which is successfully implemented since 2002 in the district of Vechta. The results, tracer scores were recorded from 2003 to 2010 manually in an Excel spreadsheet and analyzed. Since 2011, a computer-based data acquisition and data analysis is used, which increased the usefulness of the emergency protocols of 72% to 97% and complements the previous one-dimensional data analysis using tracers. The results also show that such a concept is capable of implementing the frequency characteristics of the tracer and for years to secure a high level.


Text

1. Einleitung

Die Randbedingungen für den Rettungsdienst haben sich in den letzten Jahren trotz vieler Mahnungen der Beteiligten keineswegs verbessert. Weiterhin finden sich je nach Bundesland und Region gravierende Unterschiede was die Eintreffzeiten der Rettungsmittel, die Qualifikation des Personals und insbesondere die Behandlungsstandards zur Versorgung der Patienten betrifft. Die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft lässt Defizite bei der flächendeckenden Notfallversorgung durch den Notarzt befürchten. Personalmangel bei den Notärzten und jetzt noch zusätzlich Probleme bei der Gewinnung von qualifizierten Mitarbeitern im Rettungsassistenten- und Rettungssanitäterbereich lassen weitere Qualitätseinbußen befürchten [vergl. [1], [2].

Zur Optimierung der präklinischen Patientenversorgung und zur Erreichung eines Mindeststandards im Rettungsdienst wurden im Rettungsdienst der Malteser im Landkreis Vechta bereits 2002 feste Handlungsanweisungen – aktuell für die 28 häufigsten Notfallbilder, z.B. akutes Koronarsyndrom, akuter Schlaganfall, Polytrauma usw. – eingeführt. Eine dabei bisher durchgeführte händische Auswertung der Tracerdiagnosen wurde 2011 durch eine EDV-basierte Dateneingabe und -Auswertung ersetzt.

Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, ob die Einführung von EDV die Erfassungsqualität hinsichtlich der auswertbaren Einsatzzahlen verbessert und ob Behandlungsalgorithmen auch langfristig in der Lage sind, eine Steigerung der Durchführungshäufigkeit spezieller Maßnahmen – Tracermerkmale – zu sichern.

2. Studienumgebung

Der im Norden Niedersachsens liegende, ländlich strukturierte Landkreis Vechta (Abbildung 1 [Abb. 1]) mit seinen 140.000 Einwohnern auf ungefähr 815 km2 Fläche verfügt über 5 Rettungswachen. Beauftragte des Rettungsdienstes sind die Malteser, die seit über 30 Jahren alle Rettungswachen im Landkreis betreiben. An allen 5 Rettungswachen ist je ein 24 h-RTW eingesetzt. Darüber hinaus stehen in den drei Hauptwachen jeweils 2 weitere Rettungswagen, die im Tagdienst besetzt werden. Am Wochenende werden aufgrund des erhöhten Notfallaufkommens in Vechta und Damme zusätzlich ein zweiter RTW im Nachtdienst eingesetzt. Ebenfalls an den drei Hauptwachen sind die NEF stationiert. Der Notarzt wird von den anliegenden Krankenhäusern gestellt. Bewährt hat sich im LK Vechta die Mehrzweckfahrzeugstrategie, so dass reine Krankenwagen nicht mehr eingesetzt werden.

Alle Rettungswachen im Landkreis Vechta – wie auch die übrigen 191 Standorte der Malteser in der Bundesrepublik – sind nach DIN ISO 9001 zertifiziert. Die 28 im LK Vechta verwendeten Algorithmen sind im QM-System als Dienstanweisung hinterlegt. Die Dokumentation und damit die Basis der Datenauswertung erfolgt auf dem für Niedersachsen vorgeschriebenen Notfallprotokoll, das analog dem DIVIDOK® aufgebaut ist.

Verwendung findet das Protokoll bei allen Notfalleinsätzen mit und ohne Notarzt. Bei einem Notarzteinsatz wird ein gemeinsam geführtes Protokoll erstellt, was Widersprüche vermeidet, den zeitlichen Aufwand der Dokumentation herabsetzt, die Vollständigkeit und Plausibilität erhöht und die Kommunikation zwischen Arzt und Rettungsassistent fördert [2].

Aufbau und Struktur der Algorithmen

Die verwandten Algorithmen entsprechen übersichtlichen, schematischen Fließdiagrammen unter Verwendung von drei einfachen Symbolen (Elipse = Anfang und Ende; Raute = Entscheidungsfeld Ja, Nein; Kästchen = Maßnahme), wodurch das Verstehen, Aufnehmen und Verinnerlichen der einzelnen Abläufe erleichtert wird. Die zusätzliche Einarbeitung der ärztlichen Maßnahmen (grün hinterlegte Felder) und der technischen Maßnahmen, welche von der Feuerwehr bzw. dem Technischen Hilfswerk (THW) abgearbeitet werden (rot hinterlegte Felder), innerhalb der Algorithmen zeigt außerdem, dass Algorithmen für das Rettungsfachpersonal keinesfalls im Widerspruch zum Teamgedanken des Rettungsdienstes stehen, sondern vielmehr eine höchst effiziente Optimierung der konkreten Teamarbeit während des Einsatzes, durch klare Beschreibung und Zuordnung von Aufgaben, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten, darstellen [1], [2], [3].

Fünfphasiges Algorithmenkonzept

Um das Rettungsdienst-Team im ganzen Einsatzablauf, also vom Eintreffen an der Einsatzstelle bis hin zur Übergabe des Patienten in der Klinik, unterstützen zu können, wurde ein fünfphasiges Algorithmenkonzept [4], [5], [6] entwickelt.

Phase 1: Eintreffen an der Einsatzstelle und BAK-Schema

Diese erste Phase nach dem Eintreffen an der Einsatzstelle dient – nach Überprüfung der Einsatzstelle auf mögliche Gefährdungen und deren Beseitigung (Lagefeststellung und -beurteilung) – der Sicherung und/oder Wiederherstellung der lebenswichtigen Vitalfunktionen, d. h. von Bewusstsein, Atmung und Kreislauf. Diese Phase dauert in Abhängigkeit zum jeweiligen Notfall ca. 2 Minuten.

Phase 2: Kategorisierung

Kategorisiert wird hinsichtlich der acht verwendeten Kategorien: internistisch, traumatologisch, neurologisch, pädiatrisch, gynäkologisch, thermisch, toxikologisch und sonstige Notfälle. Aus der Kategorisierung ergibt sich gleichzeitig eine Limitierung der infrage kommenden Verdachtsdiagnosen. I.d.R. erfolgt diese Phase bereits bei der Alarmierung durch die Leitstelle, so dass sie vor Ort nur noch bestätigt werden muss.

Phase 3: Notfallspezifische Handlungsvorgaben

In der dritten Phase werden die für die einzelnen Verdachtsdiagnosen und Notfallbilder spezifischen Maßnahmen ergriffen. Die Überprüfung der Verdachtsdiagnose kann mithilfe der im Algorithmus aufgezeigten Symptome sehr schnell erfolgen.

Phase 4: Transport

Dient der Sicherstellung einer adäquaten Transportvorbereitung und -durchführung, inklusive der sicheren Fixierung von Patienten und Ausrüstung sowie der Überwachung und Versorgung des Patienten während des Transportes.

Phase 5: Einsatznachbereitung

Es folgt die Aufarbeitung der Einsatzdaten zum medizinischen Qualitätsmanagement oder auch der Nachbesprechung von Einsätzen im Team. Zusätzlich lässt sich ggf. die Ermittlung von weiterem Schulungsbedarf aufzeigen [1], [2], [7].

Die Schulung der Algorithmen erfolgt jährlich über zwei Tage. Im Anschluss an die Schulung erfolgt eine praktische und theoretische Überprüfung der Teams durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst und einen Lehrrettungsassistenten. Die Überprüfung stellt die formale Voraussetzung zur systematischen Umsetzung der Algorithmen im Rettungsdienst dar, da die regelmäßige Überprüfung eine der zentralen Forderungen der Bundesärztekammer zur Inanspruchnahme der Notkompetenz darstellt.

Die verwendeten Algorithmen wurden in einem rettungsdienstlichen Fachbeirat entwickelt, der auch die Aktualität der Empfehlungen weiterhin sicherstellt. Innerhalb des Fachbeirates, der sich vierteljährlich trifft, werden die Belange des Rettungsdienstbereiches abgestimmt. Den Vorsitz der Gruppe haben der ärztliche Leiter Rettungsdienst und der Leiter Rettungsdienst. Weitere ständige Mitglieder sind, ein Apotheker (Diözesanapotheker der Malteser), ein Vertreter des Rettungsdienstträgers (Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes im Landkreis), der Qualitätsbeauftragte des Bezirks, ein Lehrrettungsassistent, ein Desinfektor, ein Mitarbeitervertreter, die Leiter der Rettungswachen und der ärztliche Leiter des jeweiligen Notarztstandortes [2].

3. Methodik

Studiendesign und Kollektiv

Das Studiendesign ist eine retrospektive Beobachtungsstudie.

Im Erfassungszeitraum von 2003 bis 2011 wurden insgesamt ca. 79.000 Einsatzprotokolle ausgewertet.

Einführung des IT-Systems

Die Auswertung der festgelegten Notfallbilder auch Tracer-Diagnosen der Notfallmedizin genannt, erfolgte in der Zeit von 2003 bis 2010 händisch. Ausgewertet wurde anhand der Einsatzprotokolle, in denen die definierten Diagnosen dokumentiert wurden. In Fällen von Mehrfachnennungen in den Notfalldiagnosen bei einem Notfallbild – z.B. ACS und akutes Abdomen – erfolgte keine Auswertung des Protokolls, da es hier zu Verfälschungen der Ergebnisse durch infrage kommende Kontraindikationen einzelner Maßnahmen zwischen den Diagnosen kommen kann [7].

Aufgrund von Erfahrungen aus den Jahren 2003 und 2004 wurde ab 2005 nur noch folgende Tracerdiagnosen erhoben:

  • Akutes Koronarsyndrom
  • Apoplex / TIA / Blutung
  • Akuter Asthmaanfall
  • Gastrointestinale Blutung
  • Kardiales Lungenödem
  • kindlicher Fieberkrampf
  • Polytrauma
  • Krampfanfall beim Erwachsenen

Andere Tracerdiagnosen wie die Laryngotracheobronchitis, die gynäkologische Blutungen, oder auch isolierte schwere Traumen wie z.B. das schwere Thoraxtrauma wurden aus der Auswertung heraus genommen, da aufgrund der geringen Fallzahlen keine aussagekräftigen Ergebnisse erzielt werden konnten.

Von 2005 bis 2011 wurden verschiedene EDV gestützte Systeme wie My-Qm® oder auch von der Firma DokuForm® getestet. 2011 wurde dann mit der Firma Unipro GmbH, aus Halberstadt eine EDV unterstützte WEB-basierte-Datenerfassung namens Unipro 3.0 eingeführt, die u.a. alle bisherigen Statistiken übernommen hat. Eine zusätzliche, spezielle Hardware wird nicht benötigt. Die Schulung der Mitarbeiter beschränkte sich auf eine einstündige Einweisung, die als Multiplikatorenschulung umgesetzt wurde. Die Schulung der Systembetreuer wurde mit einem Tag angesetzt. Neben den Kenntnissen der Systemadministration wurde hier speziell in die Möglichkeiten der Erstellung von Pivot-Tabellen unterwiesen.

Zielparameter

Der Hauptzielparameter war die Rate der nicht auswertbaren Protokolle vor und nach Einführung des IT-Systems zu ermitteln und die Durchführungshäufigkeit spezieller Maßnahmen in den Tracerdiagnosen über mehrere Jahre darzustellen.

Datenverarbeitung und Statistik

Die Datenerfassung in den Jahren 2003 bis 2010 erfolgte in einem selbsterstellten Excel-Sheet über das gleichzeitig die Auswertung erstellt wurde. Die Festlegung der jeweiligen Prüfmerkmale orientiert sich an den Vorgaben der medizinischen Fachgesellschaften. Die Prüfmerkmale wurden auf wesentliche und unstrittige diagnostische, wie therapeutische Vorgaben in den Algorithmen begrenzt und sind auf Ja-Nein-Entscheidungen beschränkt. Sie berücksichtigen damit keine individuellen Besonderheiten des Patienten – etwa eine Allergie, ein im Behandlungsalgorithmus eingefordertes Medikament oder das therapeutische Vorgehen beeinflussende Vorerkrankungen. Auch die Abhängigkeit von Dritten – z.B. Beeinflussung der Patientenversorgungszeit durch Maßnahmen der Feuerwehr bei eingeklemmten Unfallopfern – können hier nicht einfließen. Man kann somit nur eine Erfüllung derartiger QM-Vorgaben zu 90–95% erwarten und muss darüber hinaus die Ergebnisse derartiger Auswertungen differenziert, also bezogen auf die Verhältnisse im jeweiligen Rettungsdienstbereich, betrachten [6].

Die händische Auswertung erfolgte jeweils im Frühjahr für das vorangegangene Jahr. Die Auswertung wurde in zwei Gruppen zu zwei Personen durchgeführt. Bei diesen Personen handelte es sich um hauptamtliche Mitarbeiter des Rettungsdienstes. Eine Person übernahm die Sichtung der Protokolle (im Verlauf Protokollauswerter genannt) und sagte, bei einer der festgelegten Tarcerdiagnose diese an. Der zweite Kollege öffnete dann das entsprechende Datenblatt im Excel Sheet und fragte die einzelnen dort hinterlegten Tracer-Prüfmerkmale ab. Anhand des Protokolls wurden vom Protkollauswerter diese als erfüllt oder nicht erfüllt gewertet. Erfüllte Merkmale wurden mit einer eins in der Tabelle eingetragen, nicht erfüllte wurden frei gelassen.

Protokolle die nicht oder nur unvollständig lesbar waren, bzw. die nur unvollständig ausgefüllt waren, erkennbar z.B. durch fehlende Einsatzzeiten oder das ein ganzer Feldbereich z.B. Punkt 3 Erstbefund im Einsatzprotokoll nicht ausgefüllt war, wurden nicht ausgewertet. Hier wurde lediglich die Diagnose als gestellt gezählt.

Fehlten einzelne Angaben, z.B. der GCS oder der Blutdruckwert, galten die Punkte als nicht erhoben und das Protokoll wurde in die Auswertung einbezogen. Während die Kollegen an der EDV-Eingabe wechseln konnten, war dieses bei den beiden Protokollauswertern nicht möglich, um so eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten. Ausgewertet wurde i.d.R. während der Dienstzeit, vornehmlich in den Wochenenddiensten bzw. an den Tagen, an denen die Protokollauswerter sich im Dienst als Notarzteinsatzfahrer befanden. In diesen Schichten war am ehesten die Möglichkeit für eine konzentrierte Auswertung gegeben. Pro Schicht wurde zwei Stunden ausgewertet, da danach die Konzentration deutlich nachließ. In zwei Stunden wurden durchschnittlich 350 Notfallprotokolle gesichtet.

Die ab 2011 verwandte EDV-basierte-Datenerfassung erfolgte mit dem oben genannten Produkt der Firma Unipro GmbH aus Halberstadt. Für die Protokollerfassung diente das Modul up-Protokollerfassung-DIVI Rettungsdienst / Notarzt.

Die Auswertung erfolgte mittels der Module:

  • up-Statistik Standard – 20 Standardauswertungen und
  • up-Statistik Plus – Selber Auswerten was interessiert.

Diese Statistiktools entnehmen die Daten über eine Microsoft-Schnittstelle vom SQL Server und führen diese dann in festgelegte Excel und Access Pivotabfragen und Reports ein.

Nach dem Einsatz geben die Kollegen die Notfalldaten in eine EDV-Maske ein, die dem jeweilig verwendeten Einsatzprotokoll entspricht (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Die notfallmedizinischen Daten aus dem Protokoll werden erfasst und können dann mittels festgelegten Reports und Pivot-Tabellen abgefragt werden. Die bisherigen Tracerdiagnosen werden ebenfalls als Reports hinterlegt. Erfasst werden im Landkreis Vechta alle Einsatzprotokolle, also auch Krankentransporte, sowie Fehleinsätze oder Bereitstellungen bei besonderen Einsätzen. In dem Web-Protokoll finden sich definierte Pflichtfelder wieder. Weiterhin werden die Daten einer beschränkten Plausibilitätskontrolle z.B. bei der Zeiteneingabe unterzogen. Als Besonderheit gilt zu erwähnen, dass auch unplausible Daten bzw. unvollständige Daten gespeichert werden können. Dieses dient der Gewährleistung, dass bei einem erneuten Einsatz während der Eingabe, das Team die bereits vorgenommen Eingaben sichern kann, um diese dann später weiter zu bearbeiten. Unplausible oder unvollständige Datensätze werden der entsprechenden Rettungswache farbig markiert angezeigt.

4. Ergebnisse

Von 2003 bis 2010 wurden ca. 69.500 Notfallprotokolle händisch ausgewertet.

In 2011 wurden 9.500 Notfalleinsätze aus der oben beschriebenen EDV-basierten-Datenerfassung ausgewertet. Die ab 2003 durchgeführte händische retrospezifische Auswertung anhand der Notfallprotokolle hatte zur Folge, dass 15–28% der Notfallprotokolle nicht ausgewertet werden konnten. Gründe für die Nichtauswertbarkeit fanden sich in drei wesentlichen Punkten:

  • Unleserliche Daten. Ursächlich für die fehlende Lesbarkeit waren, dass die Durchschrift nicht genügend „durchgedrückt“ wurde oder die Handschrift nicht lesbar war.
  • Unvollständig ausgefüllt Protokolle.
  • Protokolle mit Unplausibilitäten die zumeist in der zeitliche Abfolge zu finden waren. Da z.B. beim akuten Schlaganfall die On-Scene-time oder beim Polytrauma die Zeit bis zur Übergabe, als Tracermerkmal erhoben werden, wurden solche Notfallprotokolle nicht in die Auswertung einbezogen.

Die Datenverwertbarkeit bei der EDV-basierten-Erfassung liegt bei über 97%. Als bestehende Fehlerquelle sind zeitliche Unplausibilitäten zu nennen. Ebenfalls keine Verwendung fanden Datensätze, bei denen keine eindeutige Zuordnung der Rettungsmittel zu einer Wache erfolgen konnte, da in diesen Fällen eine Kontrolle der Einsatzzeiten nicht möglich war. Ein Fehler der überwiegend beim Einsatz der Reserve-RTW auftritt.

Exemplarisch sollen die Ergebnisse aus dem LK Vechta anhand von zwei Notfallbildern, die in den Abbildungen 5 und 6 dargestellt sind, genauer betrachtet werden.

2003 wurden 4.135 Notfalleinsätze gefahren.

2006 wurden 5.258 Notfalleinsätze gefahren.

2010 wurden 8.442 Notfalleinsätze gefahren.

2011 wurden 9.500 Notfalleinsätze gefahren.

Akutes Koronarsyndrom

Definition der Patientengruppe – In der Auswertung wurden alle Patienten erfasst, bei denen im Einsatzprotokoll die Diagnose – Angina pectoris und/oder Herzinfarkt – ohne weitere Nennung von Notfalldiagnosen dokumentiert wurden.

In der Auswertung wurden nur Patienten mit NACA ≤ V berücksichtigt, da die unter Reanimationsbedingungen NACA ≥ 5 abweichende therapeutische Vorgaben in dem vorliegenden Auswertungskonzept nicht berücksichtigt werden [7].

Im Jahr 2003 fanden sich 193 Einsatzprotokolle mit den beschriebenen Kriterien. Von diesen konnten 139 Einsatzprotokolle in die Auswertung einbezogen werden. Die restlichen 54 Einsatzprotokolle wurden aufgrund der oben beschriebenen Gründe nicht in die Auswertung einbezogen.

In 2006 konnten 158 von 201 Einsatzprotokollen einbezogen werden; in 2010 waren es 245 von 278 Einsatzprotokollen.

Somit konnten im Jahr 2003 28%, im Jahr 2006 21% und im Jahr 2010 12% der Einsatzprotokolle aus der Gruppe nicht zur Auswertung herangezogen werden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

In 2011 waren von den 410 EDV-basierten-Datensätzen mit den oben genannten Kriterien 407 auswertbar, was einer Datenverwertbarkeit von über 99% entspricht.

Apoplektischer Insult

Definition der Patientengruppe – In der Auswertung wurden alle Patienten berücksichtigt, bei denen die Diagnose – TIA / Insult / Blutung – ohne weitere Nennung von Notfalldiagnosen dokumentiert wurde.

In der Auswertung wurden nur Patienten mit NACA ≤ V berücksichtigt, da die unter Reanimationsbedingungen NACA ≥ 5 abweichende therapeutische Vorgaben in dem vorliegenden Auswertungskonzept nicht berücksichtigt werden [7].

Im Jahr 2003 fanden sich 167 Einsatzprotokolle mit den genannten Kriterien, von denen 131 in die Auswertung einbezogen werden konnten.

In 2006 konnten 143 von 161 Einsatzprotokollen einbezogen werden; in 2010 waren es 256 von 278 Einsatzprotokollen mit den beschriebenen Kriterien.

Somit konnten im Jahr 2003 22%, im Jahr 2006 11% und im Jahr 2010 8% der Einsatzprotokolle mit den Stichworten – TIA/ Insult / Blutung/ nicht zur Auswertung herangezogen werden (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

In 2011 waren von den 467 EDV-basierten Datensätzen mit den oben genannten Kriterien 460 auswertbar, was einer Datenverwertbarkeit von über 98% entspricht.

Zeitaufwand

Der zeitliche Aufwand pro händischer Erfassung (120 Minuten * 2 Mitarbeiter für 350 Protokolle) liegt bei 41 sec./verwertetes Protokoll.

Der Zeitansatz für die EDV-basierte Eingabe liegt bei einem Notfallprotokoll nach einer kurzen Eingewöhnung bei unter 2 Minuten. Diese kurze Zeit wird dadurch gewährleistet, dass der Mitarbeiter wie oben dargestellt, die Daten in eine Einsatz-Maske einträgt, die dem jeweilig verwandten Einsatzprotokoll entspricht. Nicht erfasst wird im EDV-Protokoll die Notfallbeschreibung, da hierfür keine valide Routine zur Auswertung zur Verfügung steht.

Somit liegt der Zeitaufwand bei einer EDV-basierten-Erfassung deutlich über dem der händischen Erfassung.

5. Diskussion

Zur Fragestellung der Verbesserung der Erfassungsqualität:

Erfassungsmethoden

Die retrospektive händische Eingabe erwies sich im Bezug auf die auswertbaren Datensätze mit einem Verlust von 15% bis 28% der Einsatzprotokolle als die deutlich unterlegenere Methode. In den meisten Fällen waren unleserliche Daten die Ursache für die nicht Verwertbarkeit der Einsatzprotokolle. Hauptgrund hierfür waren die unzureichend „durchgedrückten“ Durchschriften, was in Kombination mit einer schwer leserlichen Handschrifte sich noch mal verstärkt.

Die Verbesserung der verwertbaren Daten von 2006 zu 2010 wird auch damit zusammenhängen, dass aufgrund der gewonnen Erkenntnis die Verteilung der Protokolldurchschriften geändert wurde. So erhielt bis 2007 / 2008 der Notarzt die zweite – zumeist besser lesbare Durchschrift, während für die Archivierung die letzte (vierte) Durchschrift bei einem Notarzteinsatz blieb. Das wurde dann gewechselt.

Die EDV-basierte-Erfassung erzielte bei den beiden gezeigten Notfallbildern eine Verwertbarkeit von über 98%. Selbst unter Einbeziehung aller Protokolle, also auch den Krankentransportdaten bleibt ohne Nachbereitung der Daten eine Datenverwertbarkeit von über 97%.

Die beiden verbleibenden Fehlerquellen – zeitliche Unplausibilitäten und nicht eindeutig zugewiesenen Rettungsmittel – sollen ab dem Sommer 2012 durch eine Schnittstelle zur Rettungsleitstelle behoben werden. Mittels der neu eingerichteten Schnittstelle werden dann die Uhrzeiten und einsatzspezifischen Daten direkt in die Datenbank übergeben. Die Mitarbeiter werden dann nach dem Einsatz im System den bereits angelegten Datensatz aufrufen und müssen lediglich den medizinischen Teil ergänzen. Hierdurch soll die Verwertbarkeit der Einsatzdaten gerade im Hinblick auf eine in der EDV hinterlegte automatisierte Bedarfsanalyse weiter gesteigert werden.

Als Fehlerquelle ganz herausgefallen sind mit der EDV-basierten Erfassung unvollständige Datensätze.

Nicht geprüft wurde, ob sich in 2011 die „Lesbarkeit“ der Protokolle verändert hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich aufgrund der zeitlichen Nähe zur Eingabe direkt nach dem Einsatz, Werte und Tatsachen leichter rekonstruieren lassen.

Somit ist im Punkt der Menge der Datenverwertbarkeit ein deutlicher Vorteil in der EDV-basierten-Erfassung zu finden.

Eine Veränderung der einzubeziehenden Protokollmenge, hat wie in den Abbildungen 5 und 6 zu sehen, nicht zu einer erkennbaren Änderung der Durchführungshäufigkeit geführt.

Zur Fragestellung ob Behandlungsalgorithmen auch langfristig in der Lage sind, eine Steigerung der Durchführungshäufigkeit spezieller Maßnahmen – Tracermerkmale – zu sichern:

Wie schon in der Arbeit aus 2007 von Peters, O. et al. [2] dargestellt, bestätigt sich in den Abbildungen 5 und 6 auch 4 Jahre später, dass die dargestellten signifikanten Steigerungen der Durchführungshäufigkeit der einzelnen Prüfmerkmale, anhalten. Zur Bewertung der Auswertung ist zu beachten, dass auf eine Nachalarmierung des Notarztes im Rahmen des apoplektischen Insultes im LK Vechta bei den klinisch stabilen Patienten zu Gunsten einer kürzeren Patientenversorgung verzichtet wird. Erforderlich ist die Nachalarmierung bei – GCS < 11 und/oder systolischen RR-Werten > 220 mmHg oder < 130 mmHg respektive seit 2010 < 100 mmHg. Innerhalb der Tracerauswertung werden jedoch alle Patienten erfasst, auch solche die nicht die Nachforderung erfüllten [7]. Weiterhin beachtet werden muss bei der Betrachtung der Veränderung der Prähospitalzeit in Abb. 6, das ab Herbst 2010 diese Patientengruppe – ohne vorbestehende Multimorbidität – direkt einer zertifizierten Stroke Unit zugeführt wird. Aufgrund der ländlichen Struktur und der Tatsache, dass die einzige zertifizierte Stroke Unit das Krankenhaus in Damme, welches sich im südlichsten Teil des LK befindet, vorhält. Auch im benachbarten Umfeld liegen keine näheren Kliniken mit entsprechender Abteilung.

Die Steigerung der Durchführungshäufigkeiten von 2003 auf 2006 können nicht alleine auf die Implementierung und Schulung der Algorithmen zurückgeführt werden kann. Ebenfalls werden sich insbesondere medizinisch/rettungsdiensttechnische Schulungen und die Änderungen im Dokumentationsverhalten ausgewirkt haben.

Bei der Betrachtung der Abbildungen 5 und 6 muss weiterhin festgestellt werden, dass mit Ausnahme der suffizienten Oxygenierung des Patienten, die Auswertungen lediglich Aufschluss über die Durchführungshäufigkeit der Maßnahmen (Prozessqualität) geben, ohne dabei etwas über deren Auswirkungen (Ergebnisqualität) auf den gesundheitlichen Status des Patienten auszusagen. Eine Bewertung dieser Auswirkungen und damit der Ergebnisqualität ist anhand der meisten Prüfmerkmale nicht möglich [2].

Weiterhin ist davon auszugehen, dass eine maßgebliche Ursache für die Steigerung der Durchführungshäufigkeit nicht allein in der Tatsache begründet ist, dass man diese Handlungsanweisungen verschriftlicht hat. Vielmehr ist gerade am Anfang eine Vermittlung des fundierten und detaillierten Wissens erforderlich. Schließlich werden erforderliche Maßnahmen von Rettungsdienstmitarbeitern nicht aus Desinteresse abgelehnt oder nicht angewandt, sondern aufgrund des fehlenden Fachwissens oder der Unkenntnis ggf. aktueller Änderungen oder Empfehlungen in der Notfallmedizin [2].

6. Schlussfolgerungen

Eine EDV-basierte Erfassung führt zu einer deutlichen Erhöhung der Anzahl von auswertbaren Einsatzprotokollen. Auch die Fragestellung ob Behandlungsalgorithmen dauerhaft eine Erhöhung der Durchführungshäufigkeit erzielen können ist somit nachweisbar.

Bei einem Vergleich des Aufwands beider Auswertesysteme (händisch versus EDV-basiert), fällt dann jedoch in der ersten Betrachtung die Wahl der richtigen Methode schwerer. So findet sich beim EDV-basierten-System nicht nur ein größerer zeitlicher, sondern auch ein finanzieller Aufwand wieder. So beliefen sich im Jahr 2011 die EDV-Kosten für die Anwendung auf EUR 230,- pro Monat für die fünf Rettungwachen im Landkreis Vechta.

Hier muss jedoch verdeutlicht werden, dass es sich bei der händischen Auswertung um eine eindimensionale Auswertung lediglich der abgefragten Tracermerkmale handelt. Eine Vertiefung spezieller Aussagen wäre ohne erneutes händisches Zählen nicht möglich.

Genau an diesem Punkt beginnt dann jedoch ein lebendiges MED-QM. Ein „Filtern“ der Einsätze, bei denen Abweichungen stattgefunden haben, um Vergleichbarkeiten und Änderungsansätze herausarbeiten zu können. Durch valide Auswertungen wie z.B. dem MEES und anderer zum Teil sehr spezifischer Abfragen, welche als Reports vorbereitet werden können oder frei als Pivot-Tabellen erstellbar sind, ergeben sich viele Möglichkeiten, die Qualität in einem Rettungsdienstbereich darzustellen und weiterzuentwickeln.

Da auf das System auch mittels Android und IPhone zugegriffen werden kann, ist im nächsten Schritt die Einführung von Tablets auf dem Rettungsmittel angedacht.

In Anbetracht der Möglichkeiten eines nachhaltigen MED-QM mittels des EDV-basierten-Systems, sind die Kosten und der Aufwand nicht als hoch zu bezeichnen.

Mit Hilfe des hier vorgestellten Algorithmenkonzeptes ist neben der Verbesserung der Versorgungsqualität auch eine deutliche Vereinheitlichung und Standardisierung der Patientenversorgung zu erreichen. Die dargestellte EDV-basierte-Datenerfassung ermöglicht eine kostengünstige Lösung für ein nachhaltiges MED-QM ggf. angefangen im Rettungsmittel.

Diese Auswertungen in Kombination mit den Behandlungsalgorithmen und deren Schulungen, können dann dem ÄLRD helfen, trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine Versorgung der Notfallpatienten auf einem hohen Niveau zu sichern.

Visionär wäre dann der Wunsch nach einer einheitlichen Schnittstellenstruktur, so dass Daten für ein Benchmarking durch die Anbindung von Leitstellendaten oder auch die Einbindung von klinischen Daten als eine Outcome / Verlaufsdarstellung des Patienten unproblematisch ermöglicht würden. Bisher scheitern solche Dinge meist an genau diesen Schnittstellen bzw. an deren Kosten.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt haben.


Literatur

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