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11. Symposium Health Technology Assessment

Deutsche Agentur für HTA des DIMDI – DAHTA

17. - 18.03.2011, Köln

Empirische Evidenz zur Verbreitung und Praxis von IGeL mit Beispielen – ein HTA-Bericht

Meeting Abstract

  • Petra Schnell-Inderst - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • T. Hunger - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • K. Hintringer - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • R. Schwarzer - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • V. Seifert-Klauss - Frauenklinik und Poliklinik der Technischen Universität München im Klinikum Rechts der Isar, München, Deutschland
  • H. Gothe - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich
  • J. Wasem - Lehrstuhl für Medizin-Management, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
  • U. Siebert - UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall i.T., Österreich; Dept. of Health Policy & Management and MGH-ITA, Harvard Univ., Boston, USA

11. Symposium Health Technology Assessment. Köln, 17.-18.03.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11hta06

doi: 10.3205/11hta06, urn:nbn:de:0183-11hta066

Published: March 16, 2011

© 2011 Schnell-Inderst et al.
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Outline

Abstract

Hintergrund: Bei individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) handelt es sich formal um ärztliche Leistungen, die generell oder im Einzelfall nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unterliegen, und nach einer Definition der Bundesärztekammer aus ärztlicher Sicht notwendig oder empfehlenswert, zumindest aber vertretbar sind und von Patienten ausdrücklich gewünscht werden. Ob IGeL für Patienten, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt nützlich und sinnvoll sind, ist eine kontrovers diskutierte Debatte. Dieser HTA-Bericht soll zu einer Versachlichung beitragen.

Fragestellung: Ziel war es, zu untersuchen, welche empirischen Daten zu Angebot, Inanspruchnahme, Praxis, Akzeptanz, Arzt-Patient-Verhältnis und ökonomischer Bedeutung von IGeL im ambulanten Bereich zur Verfügung stehen (Focus 1) und welche, ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte (Focus 2) mit IGeL verbunden sind. Außerdem wurde für die beiden am häufigsten durchgeführten IGeL, das Screening auf Glaukom und das Screening auf Ovarial- und Endometriumkarzinom mittels Vaginalultraschall (VUS) untersucht, wie die Evidenz zur klinischen Effektivität des jeweiligen Screenings ist und ob es Zielpopulationen gibt, für die diese Screeningmaßnahme sinnvoll erscheint.

Methodik: Es wurde ein systematischer Review (SR) zu empirischen Primärstudien sowie Publikationen zu ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten von IGeL durchgeführt. Zweitens wurden systematische Kurzbewertungen (KB) zur medizinischen Effektivität für die ausgewählten Beispiele durchgeführt. Dazu wurde die Evidenz aus den neuesten HTA-Berichten und SR mit ausreichender Studienqualität sowie Primärstudien, die nach dem Recherchedatum des jüngsten eingeschlossenen HTA/SR publiziert worden waren, herangezogen.

Ergebnisse: Es wurden 28 Studien zu Focus 1, 35 zu Focus 2, 6 HTA-Berichte und 3 RCT für die KB eingeschlossen. Zwischen 19 und 53% der Versicherten haben schon einmal IGeL-Angebote bekommen, 75% davon wurden auch durchgeführt. 16–19% der Versicherten haben selbst IGeL nachgefragt. Die Augeninnendruckmessung ist die häufigste IGeL und macht bis zu 40% der Angebote aus. Es folgen Ultraschalluntersuchungen, mit bis zu 25% der Angebote. Ebenfalls häufig sind Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und Blut- und Laboruntersuchungen; diese machen auch einen Großteil der Nachfrage aus. Die ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte, die im Zusammenhang mit IGeL diskutiert wurden, betreffen folgende Themen: souveräne Patientenentscheidung versus Angebotsinduktion, Kommerzialisierung der Medizin, Informationspflicht, Nutzen, Evidenz, (Qualitäts-)Kontrolle, Rollen und Verhältnis von Arzt und Patient, Verhältnis zum GKV-System, soziale Ungleichheit und korrekte Leistungserbringung. Es werden konkrete Forderungen zu Aufklärung und Beratung, (Qualitäts-)Kontrolle, GKV-Leistungskatalog und finanziellen Belangen genannt. Für Glaukomscreening konnten keine randomisierten kontrollierten Studien (RCT) identifiziert werden, die den patientenrelevanten Nutzen der Maßnahme nachweisen könnten. Zum VUS-Screening wurden drei RCT eingeschlossen, VUS-Screening ist mit hoher Überdiagnostik verbunden, die zu unnötigen invasiven Eingriffen führt. Pro entdecktes Karzinom wurden 19 bis 22, pro entdecktes invasives Karzinom 30 bis 35 Operationen durchgeführt. Daten zu Mortalitätsunterschieden liegen noch nicht vor. Ergebnisse hierzu werden in den o.g. RCT erhoben.

Schlussfolgerungen: IGeL werden von vielen Versicherten in Anspruch genommen. Um mehr Transparenz herzustellen, sollte den Forderungen nach einer offiziellen Positiv- und Negativliste sowie nach evidenzbasierten, unabhängigen Patienteninformationen entsprochen werden. IGeL sind außerdem Teil der allgemeinen Diskussion um die Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems.