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22nd International Congress of German Ophthalmic Surgeons

18. to 21.06.2009, Nürnberg

Kollagen-Quervernetzung der Hornhaut: Grundlagen, Varianten, Indikationen, Ergebnisse

Meeting Abstract

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  • G. Wollensak - Berlin, Deutschland

22. Internationaler Kongress der Deutschen Ophthalmochirurgen. Nürnberg, 18.-21.06.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09docH 7.1

doi: 10.3205/09doc029, urn:nbn:de:0183-09doc0294

Published: July 9, 2009

© 2009 Wollensak.
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Grundlagen: Quervernetzung, auch Crosslinking genannt, wird seit langem in vielen Bereichen der Technik (Leder-, Kunststoff-, Lackindustrie) und der Medizin (Härtung von Zahnfüllungen, Konservierung von Gewebe in der Pathologie) verwandt, um Materialien fester und haltbarer zu machen. Man unterscheidet hierbei zwischen physikalischem (z.B. UV-Licht) und chemischen Crosslinking (z.B. Formalin). Die Quervernetzung des Kollagens der Hornhaut wurde von Spörl et al. bereits 1993 an Schweinehornhaut erfolgreich durchgeführt. 2003 gelang Wollensak der Durchbruch in der klinischen Crosslinking-Behandlung von Keratoconuspatienten. Der Erfolg des Crosslinking bei der Keratoconusbehandlung begründet sich vor allem durch die Erhöhung der biomechanischen Rigidität der menschlichen Hornhaut um 300%, während bei der unvernetzten Keratoconushornhaut die biomechanische Stabilität um ca. 36% gegenüber normaler Hornhaut erniedrigt ist. Im Kaninchen war der biomechanische Effekt auch 8 Monate nach der Behandlung völlig unverändert, so daß von einem stabilen Langzeiteffekt auszugehen ist. Das Prinzip der photooxidativen Hornhaut-Crosslinkingbehandlung beruht auf der Produktion von reaktiven Sauerstoffradikalen (ROS) durch UVA-Licht. Diese wiederum induzieren kovalente inter- und intrafibrilläre Bindungen in den Kollagenfasern. Ein Temperatureffekt ist ausgeschlossen, da das Crosslinking nur zu einer geringen Temperaturerhöhung von maximal 2°C an der Hornhautoberfläche führt. Die Absorption des UVA Lichts wird durch den Photosensibilisator Riboflavin bei seinem Absorptionsmaximum von 370 nm so verstärkt, daß das UVA zu 90% im Stroma absorbiert wird. Dadurch ist zum einen der biomechanische Effekt maximal und zum anderen sind Endothel, Linse und Netzhaut vor dem UVA-Licht geschützt. In umfangreichen Laborarbeiten wurde das gesamte Wirkungsspektrum des Hornhaut-Crosslinking charakterisiert. Auffällig ist dabei, daß der Crosslinking-Effekt immer auf die vordere Hornhauthälfte beschränkt ist, worauf der Erfolg der Methode basiert, weil das Endothel sicher ist. Morphologisch wurde im anterioren Stroma eine Zunahme des Kollagenfaserdurchmessers um 12,2% gemessen. Als biochemisches Äquivalent wurde in der Elektrophorese eine Polymerbande von mindestens 1000 kDa gefunden. In Hydratations-versuchen wurde gezeigt, daß aufgrund interfibrillärer Crosslinks jegliche Stromaschwellung in den anterioren 242 µm der Hornhaut verhindert wird. Die hydrothermale Schrumpfungstemperatur war im anterioren Stroma von 70°C auf 75°C erhöht. Die Resistenz gegen Kollagenaseverdauung war von sechs auf fünfzehn Tage deutlich erhöht, wobei wiederum der anteriore Stromaanteil länger erhalten blieb. Mikrobiologisch wurde ein signifikanter bakterizider Effekt u.a. bei antibiotika-resistenten Keimen wie Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis oder Streptococcus pneumoniae beschrieben. Im Kaninchen fand sich eine Apoptose der Keratozyten bis in 300 µm stromaler Tiefe. Entsprechend wurde die Zytotoxizitätsschwelle für Keratozyten auch in der Zellkultur mit 0,5 mW/cm² bestimmt. Die Endothelzellen sind empfindlicher mit einer Zytotoxizitätsschwelle in Zellkultur und in vivo von 0,36 mW/cm². Deshalb muß das Stroma mindestens 400µm dick sein, um einen irreversiblen Endothelschaden zu vermeiden. Diese zellulären Veränderungen wurden beim Menschen mittels confokaler Mikroskopie bestätigt. Dabei wurde auch ein vorübergehender Untergang des subepithelialen Nervenplexus gesehen. Die Wundheilung mit Repopulation der Keratozyten und Regeneration des Nervenplexus ist im wesentlichen bereits nach 2 Monaten abgeschlossen.

Standardverfahren und Varianten: Klinisch ist die Behandlung einfach durchzuführen. Präoperativ sollte eine Hornhaut-Pachymetrie und Topographie durchgeführt werden. Die Behandlung erfolgt ambulant und in Tropfanästhesie. Beim klassischen Crosslinking (CXL) wird unter sterilen Bedingungen zunächst das zentrale Hornhautepithel in einem Durchmesser von 8 mm mechanisch entfernt. Danach wird eine 0,1%-ige Riboflavinphosphatlösung mit 20% Dextran T-500 ca. 15 Minuten vor dem Eingriff zur Aufsättigung und dann während der ganzen Bestrahlung alle 3 Minuten getropft. Die Bestrahlung wird über 30 Minuten mit UVA-Dioden der Wellenlänge 370nm und einer Bestrahlungsstärke von 3 mW/cm² aus ca. 2 cm Entfernung appliziert. Nach der Behandlung wird antibiotische Salbe für 3–5 Tage angesetzt. Alternativ werden mitunter zusätzlich nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID's), antibiotische Augentropfen und eine Verbandslinse angewendet. Eine Variante des klassischen Crosslinking (CXL) ist die sogenannte C3-R, bei der das Epithel im Unterschied zur CXL nicht entfernt wird. Stattdessen werden vor der Riboflavinlösung Benzalkoniumchlorid-haltige Betäubungstropfen für 30 Minuten appliziert, so daß hierdurch die tight junctions des Epithels aufgelockert werden. Es wurde inzwischen gezeigt, daß der hierbei erzielte biomechanische Effekt nur ein Fünftel des Effektes beim CXL ist, da es nur zu einer inhomogenen und reduzierten Diffusion des Riboflavins bis in ca. 200 µm Tiefe des Hornhautstromas kommt. Ein spezielles Problem stellen dünne Hornhäute mit weniger als 400 µm Stromadicke dar, weil hier eine Gefährdung des Endothels droht. In diesen Fällen kann man sich behelfen, indem man über den dünnnsten Stellen das Epithel nicht entfernt, das Stroma durch Applikation einer hypotonen Riboflavinlösung ohne Dextran präoperativ aufquellt oder die oben erwähnte C3-R-Methode verwendet. Allen diesen Methoden ist jedoch auch ein deutlich geringerer Crosslinking-Effekt gemeinsam, so daß eine optimale Behandlung von dünnen Hornhäuten derzeit nicht möglich ist.

Indikationen/Ergebnisse: Die Hauptindikation des Crosslinking ist die Behandlung des progressiven Keratoconus. Die Erfahrungen der Dresdner 7-Jahres-Langzeitstudie bei der Keratokonusbehandlung mit mittlerweile 153 behandelten Augen zeigten eine Abnahme der Keratektasie nach 3 Jahren um 4,34 dpt, leichte Visusbesserung und keine schwerwiegenden Komplikationen. Bei drei Augen war ein zweites Crosslinking nötig. Es gibt Hinweise, daß bei Schwangerschaft die Vernetzung aufgrund der hormonellen Veränderungen insuffizient ist. Typischerweise besteht nach Crosslinking beim Keratoconus eine bessere Kontaktlinsentoleranz. Zunehmend wird die Vernetzung beim Keratoconus auch mit einem refraktiven Eingriff wie PRK oder INTACS-Insertion kombiniert. Der primäre Crosslinking-Effekt führt im übrigen zunächst nur zu einem Stopp der Keratektasie („freezing“), während die postoperative Reduktion der Keratektasie erst durch die allmähliche Kontraktion im Rahmen der Wundheilungsvorgänge („remodeling“) zustande kommt. Neben dem Keratoconus ergeben sich aufgrund der vielfältigen experimentell bereits gesicherten Effekte mehrere andere potentielle Indikationen für die Quervernetzung. In erster Linie wurden hierbei bisher in kleinen Fallserien erfolgreich behandelt die Keratektasie nach LASIK, die pellucidale Randdegeneration und die bullöse Keratopathie. Bei der Orthokeratologie hat sich das Crosslinking nicht bewährt, da hier nur epitheliale Veränderungen induziert werden, welche durch Kollagenvernetzung nicht stabilisiert werden können. Seit kurzem wird Crosslinking auch bei der Keratoplastik und bei schwerer therapierefraktärer Keratitis und Ulcera getestet. Allerdings ist der Einsatz bei Infektionen nur sinnvoll, wenn sich die Entzündung auf den anterioren Stromabereich beschränkt.

Komplikationen: Lediglich eine gering erhöhte Blendempfindlichkeit durch das verdichtete anteriore Stroma oder leichte Epithelschlußstörungen sind normalerweise möglich. In klinischen Studien konnten insbesondere eine Schädigung des Endothels mittels confokaler Mikroskopie, eine zunehmende Linsentrübung mittels Scheimpflug-Pentacamuntersuchung und eine Verdünnung der Fovea durch OCT ausgeschlossen werden. Schwere Nebenwirkungen sind nach Crosslinking sehr selten und bisher auf wenige Fallberichte beschränkt. Außerdem sind diese Nebenwirkungen oftmals durch das postoperative Tragen einer Verbandslinse begünstigt, deren Einsatz daher wohl überlegt sein will. So traten periphere sterile Infiltrate auf, welche später zu einer peripheren Stromaverdünnung führten. Auch schwere postoperative Keratitiden z.T. mit Perforation aufgrund einer Infektion mit E.coli, Acanthamöben, Streptococcus salivarius oder Streptococcus oralis sind beschrieben. Begünstigend wirkt sich hier neben der Verbandslinse und NSAID's die offene Eintrittspforte wegen der Epithelabrasio aus. Außerdem wurden eine Mikrofistel bei früher abgelaufenem akuten Keratoconus wegen der durch Crosslinking induzierten Gewebespannungen, eine diffuse lamelläre Keratitis bei Crosslinking nach LASIK sowie stromale Narben bei dünnen Hornhäuten berichtet. Eine akute bandförmige Keratopathie aufgrund des Riboflavinphosphats, insbesondere bei trockenem Auge, sowie die Reaktivierung einer latenten Herpeskeratitis sind ebenfalls schon beobachtet worden.

Schlußfolgerungen: Insgesamt gesehen ist das Kollagen-Crosslinking beim progressiven Keratoconus im Grunde genommen mittlerweile das Mittel der Wahl und sollte Standardbehandlung auch in frühen Stadien des Keratoconus werden. In Zukunft wird die Behandlung zunehmend mit refraktiven Korrekturen des Keratoconus kombiniert werden. Auch bei LASIK-bedingter Ektasie ist Crosslinking erfolgreich und indiziert. Bei anderen Indikationen wie bullöser Keratopathie, therapierefraktärer Keratitis und Keratoplastik wird man die entscheidenden Kriterien für hierfür geeignete Fälle mit zunehmender Erfahrung besser definieren können. Dünne Hornhäute sind weiterhin ein Problem wegen der geringeren Effizienz und dem höheren Risiko durch die hier verwendete Vernetzungstechnik. Das Verfahren hat beim Einhalten der Sicherheitsstandards bei der Bestrahlung inklusive präoperativer Pachymetrie und individueller Dosisüberwachung, sorgfältiger Auswahl der Fälle und gewissenhafter Nachbehandlung kaum Risiken. Der Einsatz einer postoperativen Verbandslinse und NSAID's ist mit erheblichen Risken versehen und sollte daher nicht routinemäßig erfolgen. Es stehen mittlerweile mehrere UVA-Bestrahlungssysteme verschiedener Hersteller zur Verfügung. Ein Einsatz dieser Geräte macht aber nur Sinn für einen versierten Hornhautspezialisten. Aufgrund der bisherigen Erfolgszahlen ist in der Zukunft mit einer deutlichen Abnahme der Zahl der Keratoplastiken bei Keratoconus zu rechnen.